Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 02.12.2022; Aktenzeichen 4 A 566/20) |
VG Dresden (Entscheidung vom 28.05.2020; Aktenzeichen 7 K 233/18) |
Tenor
Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 2. Dezember 2022 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Klägerin begehrt nach einer Kreisgebietsreform die Übernahme von Altschulden und Altfehlbeträgen durch den beigeladenen Landkreis. Mit Bescheid vom 29. Dezember 2009 verfügte der Beklagte, dass ein Ausgleich mangels Rechtsgrundlage nicht stattfinde. Auf die hiergegen erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht den Beklagten mit rechtskräftigem Urteil vom 4. April 2012 wegen Ermessensausfalls zur Neubescheidung.
Rz. 2
Mit daraufhin ergangenem Bescheid vom 16. März 2017 lehnte der Beklagte einen Ausgleich aus anderen Gründen erneut ab. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2017 zurück. Am 26. Januar 2018 stellte die Klägerin einen erfolglos gebliebenen Antrag auf Vollstreckung des Urteils vom 4. April 2012. Gleichzeitig hat sie Klage mit dem Antrag erhoben, den Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufzuheben. Mit Schriftsatz vom 31. Juli 2019 hat die Klägerin ihren Antrag auf ein Verpflichtungsbegehren mit dem Ziel der Neubescheidung über die Übernahme von Altfehlbeträgen und Altschulden unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts umgestellt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klage sei zwar zulässig. Eine Klageänderung liege nicht vor, da es sich um eine bloße Erweiterung des Klageantrags i. S. v. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO handele. Die Klage sei jedoch unbegründet.
Rz. 3
Die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage unzulässig sei. Dem zunächst fristgerecht erhobenen isolierten Anfechtungsbegehren fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Die Änderung dieses Antrags in ein Verpflichtungsbegehren erweise sich entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts als unzulässige Klageänderung. Weder hätten die übrigen Beteiligten in diese eingewilligt, noch sei sie sachdienlich, weil die Umstellung erst nach Ablauf der Klagefrist erklärt worden sei. Die Revision gegen sein Urteil hat das Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen.
Rz. 4
Die hiergegen gerichtete, auf sämtliche Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte, Beschwerde der Klägerin hat Erfolg.
Rz. 5
1. Die Revision ist allerdings nicht schon wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (a) oder wegen Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (b) zuzulassen.
Rz. 6
a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bestimmten, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden, revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 1. August 2022 - 8 B 14.22 - juris Rn. 3 m. w. N.). Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Daran fehlt es.
Rz. 7
Die von der Beschwerde sinngemäß aufgeworfene Frage,
ob einer isolierten Anfechtungsklage auch dann das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn bereits ein vollstreckungsfähiger Titel auf Neubescheidung vorliegt und die begehrte behördliche Entscheidung nicht auf Antrag, sondern von Amts wegen ergeht,
Rz. 8
ist nicht klärungsbedürftig. Sie lässt sich ohne Weiteres anhand der bereits vorhandenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - bejahend - beantworten. Darin ist geklärt, dass auch dann, wenn eine Klage auf Neubescheidung Erfolg hatte und eine Neubescheidung bereits erfolgt ist, der Betroffene allerdings geltend macht, durch den Inhalt dieser Neubescheidung erneut in seinen Rechten verletzt zu sein, das Rechtsschutzbedürfnis für eine erneute Verpflichtungsklage nicht schon wegen der Möglichkeit entfällt, einen Vollstreckungsantrag gemäß § 172 VwGO zu stellen (BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 4 B 13.07 - BauR 2007, 1709 ≪1710≫ sowie Urteil vom 20. Januar 2010 - 9 A 22.08 - NVwZ 2010, 1151 Rn. 23). Besteht in einer Verpflichtungssituation aber ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Verpflichtungsklage, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Rechtsschutz grundsätzlich durch eine Verpflichtungsklage zu erstreiten, welche die Aufhebung des Versagungsbescheids umfasst, soweit er entgegensteht. Einer isolierten Anfechtungsklage fehlt dagegen das Rechtsschutzbedürfnis (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 21. November 2006 - 1 C 10.06 - BVerwGE 127, 161 ≪166 f.≫). Anderes gilt nur dann, wenn die Aufhebung des Versagungsbescheides ausnahmsweise ein zulässiges - gegenüber der Verpflichtungsklage für den Kläger vorteilhafteres - Rechtsschutzziel sein kann, wenn also ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für eine (isolierte) Anfechtungsklage besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 2006 - 1 C 10.06 - BVerwGE 127, 161 ≪166 f.≫). Warum ein solches hier allein damit zu begründen sein sollte, dass die begehrte Behördenentscheidung nicht auf Antrag, sondern von Amts wegen ergeht, zeigt die Beschwerde nicht auf. Gründe hierfür sind auch sonst nicht ersichtlich.
Rz. 9
b) Eine Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung solcher Rechtssätze genügt den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. März 2022 - 8 B 49.21 - juris Rn. 3).
Rz. 10
Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht. Die Klägerin bezeichnet zwar einen bestimmten Rechtssatz, den sie dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Januar 1962 - VI C 164.59 - (DÖV 1962, 754) entnimmt. Sie zeigt allerdings nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht im angegriffenen Urteil einen davon abweichenden, entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hätte. Ihre Kritik richtet sich vielmehr dagegen, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Rechtsanwendung im Einzelfall den Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen nicht berücksichtigt habe.
Rz. 11
2. Das angegriffene Urteil erweist sich allerdings als verfahrensfehlerhaft.
Rz. 12
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt jedoch keine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör vor. Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verpflichten das Gericht, nach seiner Rechtsauffassung rechtlich erhebliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, gebieten aber nicht, dass das Gericht den Vorstellungen eines Beteiligten folgt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2018 - 10 C 8.17 - BVerwGE 162, 244 Rn. 26 m. w. N.). Hier hat das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin zur Erläuterung ihrer Antragsfassung nicht unberücksichtigt gelassen. Stattdessen hat es diesen ausdrücklich gewürdigt (UA S. 7), ist der Einschätzung der Klägerin indes nicht gefolgt.
Rz. 13
b) Das Oberverwaltungsgericht ist jedoch bei der Beurteilung des Übergangs vom Anfechtungs- zum Verpflichtungsbegehren verfahrensfehlerhaft von einer Klageänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO ausgegangen, weil es das wahre Begehren der Klägerin (vgl. § 88 VwGO) bei der Abgrenzung von Klageänderung und Klageerweiterung nicht berücksichtigt hat. Auf diesem sinngemäß gerügten Verfahrensmangel kann das angegriffene Urteil beruhen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Rz. 14
Gemäß § 91 Abs. 1 VwGO ist eine Änderung der Klage zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Eine Klageänderung liegt vor, wenn der Streitgegenstand eines anhängigen Verfahrens durch Erklärung des Klägers geändert wird. Danach stellt es eine Änderung der Klage dar, wenn anstelle des bisher dem Klagebegehren zugrundeliegenden Lebenssachverhalts ein anderer zur Grundlage des zur Entscheidung gestellten Anspruchs gemacht wird (BVerwG, Beschluss vom 21. Oktober 1983 - 1 B 116.83 - Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 51 S. 114 f. m. w. N.). Nicht als eine Änderung der Klage ist es gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Der nachträglich gestellte Antrag, einen Träger öffentlicher Gewalt zur Vornahme eines Verwaltungsakts zu verurteilen ist jedenfalls dann keine Klageänderung, sondern nur eine Klageerweiterung im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO, wenn der Kläger bereits die Aufhebung des die Vornahme ablehnenden Verwaltungsakts mit der Behauptung begehrt hat, er habe einen Rechtsanspruch auf die Vornahme (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1962 - 6 C 164.59 - DÖV 1962, 754 f.; VGH München, Beschluss vom 28. Mai 2008 - 11 C 08.889 - juris Rn. 66; VGH Mannheim, Urteil vom 3. November 2020 - 1 S 581/18 - VBlBW 2021, 243 ≪244≫ m. w. N.).
Rz. 15
Danach liegt hier keine Klageänderung, sondern lediglich eine Erweiterung der Klage nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO vor. Zwar ist das Berufungsgericht von dem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Es hat allerdings nicht berücksichtigt, dass die Klägerin bereits die Aufhebung des Ablehnungsbescheids unter anderem mit der Begründung begehrt hat, dass "die Neufestsetzung des Ausgleichsanspruchs (...) hinter dem Bescheidungsurteil (...) zurückbleibt". Damit hat sie bereits den ursprünglichen, isolierten Anfechtungsantrag damit begründet, dass ihr ein - noch unerfüllter - Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung gemäß dem vorangegangenen Urteil zustehe. Auch das Oberverwaltungsgericht geht in seinen einleitenden Erwägungen zutreffend davon aus, die Klägerin begehre weiterhin - und damit seit Klageerhebung - eine ermessensgerechte Entscheidung des Beklagten über den von ihr geltend gemachten Ausgleichsanspruch. Diese sachgerechte Antragsauslegung hat es lediglich bei der Abgrenzung von Klageänderung und Klageerweiterung gemäß § 91 VwGO aus dem Blick verloren. Die Annahme einer Klageänderung lässt sich auch nicht darauf stützen, dass die Klägerin ursprünglich die Auffassung vertreten hat, für eine Verpflichtungsklage fehle ihr das Rechtsschutzinteresse. Diese unzutreffende Annahme war angesichts des vom Berufungsgericht zutreffend erkannten Klageziels nicht als bewusste Antragsbeschränkung zu deuten. Sie machte vielmehr verständlich, weshalb die Klägerin nicht schon zu Prozessbeginn die ihrem Neubescheidungsziel angemessene Antragsformulierung wählte.
Rz. 16
Da das Urteil keine selbständig tragende Alternativerwägung enthält, beruht es auch auf der verfahrensfehlerhaften Behandlung des Begehrens.
Rz. 17
Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Zwar müssen sowohl bei einer Klageänderung (§ 91 VwGO) als auch bei einer Klageerweiterung (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO) die Sachurteilsvoraussetzungen auch hinsichtlich des erweiterten Teils der Klage vorliegen und von Amts wegen geprüft werden. Dies gilt insbesondere für die Einhaltung der Klagefrist des § 74 VwGO (BVerwG, Beschluss vom 30. Juli 2010 - 8 B 125.09 - ZOV 2010, 231). Diese Voraussetzungen sind hier indes erfüllt, denn § 74 VwGO steht einer Antragsumstellung dann nicht entgegen, wenn - wie hier - die fristgerecht erhobene Klage den Eintritt der Bestandskraft des Ablehnungsbescheids verhindert hat (vgl. VGH München, Beschluss vom 28. Mai 2008 - 11 C 08.889 - ZOV 2010, 321 Rn. 67 m. w. N.).
Rz. 18
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angegriffene Urteil durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).
Rz. 19
Die Kostenentscheidung muss der Schlussentscheidung vorbehalten bleiben.
Rz. 20
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16198286 |