Entscheidungsstichwort (Thema)
Einzelverbot gegen Soldaten unterliegt der Beschwerdefrist
Normenkette
WBO § 22a Abs 2 Nr 1, § 6 Abs 1
Verfahrensgang
TDG Süd (Beschluss vom 27.06.2017; Aktenzeichen S 2 BLa 06/16 und S 2 RL 1/17) |
Gründe
Rz. 1
Die fristgerecht eingelegte und fristgerecht begründete Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO) kommt der Sache nicht zu. Die gemäß § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO gerügten Verfahrensmängel der unterlassenen Vorlage des Verfahrens an das Bundesverwaltungsgericht (§ 18 Abs. 4 Satz 1 WBO) und einer Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 18 Abs. 2 Satz 1 WBO) liegen nicht vor.
Rz. 2
Nach der Rechtsprechung der Wehrdienstsenate des Bundesverwaltungsgerichts sind an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO dieselben Anforderungen zu stellen, wie sie von den Revisionssenaten des Bundesverwaltungsgerichts in ständiger Rechtsprechung für die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entwickelt worden sind (BVerwG, Beschlüsse von 1. Juli 2009 - 1 WNB 1.09 - Buchholz 450.1 § 22a WBO Nr. 1 Rn. 2 und vom 17. Juni 2010 - 2 WNB 7.10 - Buchholz 450.1 § 22b WBO Nr. 2 Rn. 9).
Rz. 3
1. Eine Rechtssache hat nach der ständigen Rechtsprechung der Revisionssenate des Bundesverwaltungsgerichts nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. In der Beschwerdegründung muss daher dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung im beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Dies gilt nach der Rechtsprechung der beiden Wehrdienstsenate auch für die § 132 Abs. 2 Nr. 1 und § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nachgebildeten Regelungen des § 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO und des § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 1. Juli 2009 - 1 WNB 1.09 - Buchholz 450.1 § 22a WBO Nr. 1 Rn. 2 und vom 26. Oktober 2010 - 1 WNB 4.10 - Rn. 2 jeweils m.w.N.).
Rz. 4
Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage,
ob die an einzelne bestimmte Soldaten gerichteten Befehle, Gebote oder Verbote, die in ihrer Wirkung auf Dauer angelegt sind, den Daueranordnungen gleichstehen, die - wie Erlasse und übergeordnete Dienstvorschriften mit Befehlscharakter ("Haar-Erlass" o.ä.) - an eine unbestimmte Vielzahl von Soldaten gerichtet sind und ohne Einhaltung einer Rechtsbehelfsfrist jederzeit von den betroffenen Soldaten mit der Beschwerde angegriffen werden können,
führt nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde, weil sie sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres beantworten lässt. Sie muss deshalb nicht in einem Rechtsbeschwerdeverfahren geklärt werden.
Rz. 5
Jede truppendienstliche Anordnung eines Vorgesetzten oder einer Dienststelle der Bundeswehr, die sich z.B. als Befehl, Weisung, Gebot oder Verbot an einen bestimmten oder an mehrere bestimmte Soldaten richtet, muss zur Vermeidung ihrer Bestandskraft von dem betroffenen Soldaten innerhalb der Monatsfrist des § 6 Abs. 1 WBO mit der Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerdefrist beginnt mit der Kenntnis vom Beschwerdeanlass; das ist bei den in Rede stehenden Anordnungen grundsätzlich ihre Bekanntgabe an den bzw. die betroffenen Soldaten.
Rz. 6
Das gilt auch für solche Anordnungen, die an einzelne bestimmte Soldaten gerichtet sind und deren Wirkung - wie etwa bei Verbotsanordnungen - unmittelbar ab der Bekanntgabe bzw. ab der Eröffnung auf Dauer angelegt sind. Eine in diesem Sinne auf Dauer angelegte Verbotsanordnung ist z.B. das Verbot der Dienstausübung nach § 22 SG, das nach der Rechtsprechung des Senats als Befehl zu qualifizieren ist (BVerwG, Beschluss vom 12. April 1978 - 1 WB 159.76, 1 WB 5.77 - BVerwGE 63, 32 ≪33≫ und Leitsatz 2), der der Beschwerdefristregelung aus § 6 Abs. 1 WBO unterliegt. Anordnungen bzw. Befehle an einzelne bestimmte Soldatinnen oder Soldaten sind ungeachtet der Tatsache, dass sie bis zu ihrer Aufhebung und damit auf gewisse Dauer gelten, Maßnahmen, für deren Anfechtung die Beschwerdefrist aus § 6 Abs. 1 WBO gilt, die mit der Kenntnisnahme des betroffenen Soldaten oder der betroffenen Soldatin von dem Befehl beginnt (BVerwG, Beschluss vom 3. Mai 1984 - 1 WB 98.83, 1 WB 134.83 - juris Rn. 13 = NZWehrr 1984, 214; vgl. auch Beschluss vom 7. Dezember 1977 - 1 WB 89.76 - juris Rn. 26).
Rz. 7
Auch sonstige Untersagungsanordnungen oder Verbote, die sich an bestimmte einzelne (natürliche oder juristische) Personen richten und als sogenannte "Verwaltungsakte mit Dauerwirkung" zu qualifizieren sind, müssen zur Vermeidung ihrer Bestandskraft rechtzeitig ab ihrer Bekanntgabe bzw. gegebenenfalls ab Zustellung mit dem statthaften Rechtsbehelf angefochten werden (vgl. z.B. zur glücksspielrechtlichen Untersagungsverfügung: BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2011 - 8 C 12.10 - juris Rn. 15, 16 und vom 20. Juni 2013 - 8 C 17.12 - juris Rn. 19, 20, zum Verkaufsverbot nicht apothekenüblicher Ware: BVerwG, Urteil vom 19. September 2013 - 3 C 15.12 - BVerwGE 148, 28 Rn. 9).
Rz. 8
Ausnahmsweise etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des Senats für sogenannte "Daueranordnungen", deren Rechtswirkungen sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen aktualisieren (Definition aus BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2009 - 1 WB 15.08 - BVerwGE 134, 246 Rn. 21). Der Senat hat bei Erlassen (z.B. des Bundesministeriums der Verteidigung) oder übergeordneten Anordnungen (z.B. des Bundespräsidenten), die sich unmittelbar an eine unbestimmte Vielzahl von Soldatinnen und Soldaten richten und nicht einer zusätzlichen Umsetzung für den einzelnen Soldaten bedürfen, anerkannt, dass sie jederzeit ohne Einhaltung der Anfechtungsfristen aus § 6 Abs. 1 WBO oder aus § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO angefochten werden können, wenn sie täglich neue Rechtswirkungen zeitigen (so zum "Haar- und Barterlass": BVerwG, Beschluss vom 8. Mai 2001 - 1 WB 25.01 -; zur Anzug- und Uniformanordnung: BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1982 - 1 WB 56.81 - NZWehrr 1983, 74 = juris Rn. 17, vom 24. Juni 1986 - 1 WB 76.85, 1 WB 80.86 - NZWehrr 1987, 25 = juris Rn. 6 und vom 3. Juli 2001 - 1 WB 29.01 -; zu einer Verkehrsregelung in der "Feldlagerordnung für das Camp Marmal": BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2009 - 1 WB 15.08 - BVerwGE 134, 246 Rn. 26). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist unter anderem die Erwägung, dass derartige Daueranordnungen nicht bereits bei ihrem Erlass bzw. ihrer Herausgabe den einzelnen bestimmten Soldaten betreffen, sondern erst dann, wenn er in einer anordnungsrelevanten Weise im Einzelfall handelt. Ob diese Rechtsprechung des Senats unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des 3. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23. September 2010 - 3 C 37.09 - BVerwGE 138, 21 Rn. 18) zur Frage der Anfechtungsfrist für ein Verkehrsverbot, das durch Verkehrszeichen bekannt gegeben wird, einer Modifikation bedarf, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. Jedenfalls stellen truppendienstliche Verbotsanordnungen - wie die hier in Rede stehenden Operationsverbote - Einzeluntersagungen dar, die sich ungeachtet ihrer Wirkung auf Dauer nur an einen einzelnen Soldaten richten. Zur Vermeidung ihrer Bestandskraft müssen sie ab Bekanntgabe innerhalb der Beschwerdefrist nach § 6 Abs. 1 WBO angefochten werden. Andernfalls bleibt nur der von § 51 VwVfG aufgezeigte Weg.
Rz. 9
2. Ein Verfahrensfehler gemäß § 22a Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 18 Abs. 4 Satz 1 WBO liegt nicht vor.
Rz. 10
Eine Vorlage der von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichneten Rechtsfrage an das Bundesverwaltungsgericht war nicht geboten, weil sie sich aus den vom Senat dargelegten Gründen unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Senats beantworten ließ und vom Truppendienstgericht im Ergebnis auch so beantwortet worden ist.
Rz. 11
3. Die von der Antragstellerin erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 18 Abs. 2 Satz 1 WBO) greift ebenfalls nicht durch. Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die ordnungsgemäße Darlegung einer Aufklärungsrüge unter anderem die Angabe voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Truppendienstgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären und inwiefern die angegriffene Entscheidung auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. Juli 2011 - 2 WNB 3.11 - Rn. 5 und vom 2. Februar 2018 - 1 WNB 6.17 - Rn. 3 m.w.N.). Weiter muss dargelegt werden, welche konkreten Beweismittel zur Klärung der für entscheidungserheblich gehaltenen Behauptungen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und dass entsprechende Beweisanträge im gerichtlichen Verfahren gestellt wurden oder warum sich dem Gericht die weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschlüsse vom 27. Juli 2011 - 2 WNB 3.11 - Rn. 5 und vom 2. Februar 2018 - 1 WNB 6.17 - Rn. 3 m.w.N.).
Rz. 12
Nach der maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung des Truppendienstgerichts war eine weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht erforderlich, weil die Antragstellerin die strittigen Operationsverbote nicht rechtzeitig mit der Beschwerde angefochten hatte. Bei dieser Sachlage kam eine weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht in Betracht; sie musste sich dem Gericht auch nicht von Amts wegen aufdrängen.
Rz. 13
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO in Verbindung mit § 154 Abs. 2 VwGO.
Fundstellen
Haufe-Index 11561848 |
NZWehrr 2018, 127 |