Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausgleichsleistung. Ausschlussgrund. Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit. Zwangsarbeiter. „Ostarbeitererlasse”. „tatsächliche Vermutung”. Verfahrensmangel. Beteiligtenvernehmung. Beweisbeschluss. Verlust des Rügerechts. Subsidiarität der Beteiligtenvernehmung. Überzeugungsgrundsatz. Denkgesetze
Leitsatz (amtlich)
Die Beanstandungen, das Verwaltungsgericht habe die Vernehmung eines Beteiligten ohne Beweisbeschluss und unter Verstoß gegen das Gebot der Subsidiarität der Beteiligtenvernehmung durchgeführt, sind nicht inhaltlich zu überprüfen, wenn die Voraussetzungen eines Verlustes des Rügerechts nach § 173 VwGO i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO vorliegen.
Normenkette
AusglLeistG § 1 Abs. 4; VwGO § 96 Abs. 1 S. 2, §§ 98, 108 Abs. 1 S. 1, § 173; ZPO § 295 Abs. 1-2, §§ 359, 450 Abs. 1-2
Verfahrensgang
VG Dresden (Urteil vom 23.01.2013; Aktenzeichen 6 K 1811/11) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 23. Januar 2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (1.) und eines Verfahrensmangels (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14). Daran gemessen verhelfen die vom Beklagten aufgeworfenen Fragen von angeblich grundsätzlicher Bedeutung der Beschwerde nicht zum Erfolg.
a) Der Beklagte möchte die Frage beantwortet wissen:
„Kann eine möglicherweise zeitweise oder teilweise ‚Verbesserung’ der Ernährungslage einer Gruppe von Ostarbeiter(n) an manchen Tagen oder zu manchen Tageszeiten die von einer anderen Kammer des gleichen Gerichts festgestellten grundsätzlich menschenunwürdigen Lagerbedingungen, denen die Zwangsarbeiter ansonsten unterworfen waren, in einem solchen hohen Maße relativieren, dass damit die Vermutung, dass alle in dem Sammellager untergebrachten Ostarbeiter einer menschenunwürdigen Behandlung unterlagen, widerlegt sein könnte, so dass dem betreffenden Betriebsinhaber im Ergebnis Verstöße gegen die Menschlichkeit nicht entgegengehalten werden dürfen?”
Mit dieser Frage ist ein grundsätzlicher Klärungsbedarf nicht aufgezeigt. Nach § 1 Abs. 4 des Gesetzes über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können (Ausgleichsleistungsgesetz – AusglLeistG –) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Juli 2004 (BGBl I S. 1665), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. März 2011 (BGBl I S. 450), werden Leistungen nach diesem Gesetz unter anderem nicht gewährt, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem er das Recht ableitet oder das enteignete Unternehmen gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Grundsätze geklärt, die der Beantwortung der Frage zugrunde zu legen sind, ob die Beschäftigung von Zwangsarbeitern, die unter die so genannten Ostarbeitererlasse fielen, mit einer Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit einhergingen (vgl. Urteile vom 28. Februar 2007 – BVerwG 3 C 38.05 – BVerwGE 128, 155 Rn. 37, 43 f., 46 f., 57 f. und 61 sowie – BVerwG 3 C 13.06 – ZOV 2007, 69 Rn. 30, 35 f., 38 f. und 44 f.; Beschluss vom 11. Dezember 2012 – BVerwG 5 B 78.12 – juris Rn. 4). Nach dieser Rechtsprechung wird ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Verhalten durch die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus geltenden Gesetze oder solche obrigkeitsrechtlichen Anordnungen oder Befehle, denen nach nationalsozialistischer Ideologie Gesetzesrang zuerkannt wurde, formal erlaubt oder von der Strafverfolgung ausgenommen war. Speziell eine Mitwirkung an der zwangsweisen Rekrutierung und Verschleppung ausländischer Arbeiter auf der Grundlage der Ostarbeitererlasse verletzt regelmäßig die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit. Hingegen kann aus der bloßen Anforderung von Zwangsarbeitern zum Einsatz in Unternehmen und auch aus deren Beschäftigung in einem Rüstungsbetrieb noch kein Verstoß hergeleitet werden. Es gehört jedoch zu den bei der richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigenden allgemeinkundigen historischen Erkenntnissen, dass die Mehrheit der ausländischen Zwangsarbeiter, insbesondere die sogenannten Ostarbeiter, bei der Beschäftigung in deutschen Unternehmen vielfach unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten mussten. Im zeithistorischen Schrifttum ist anerkannt, dass die Unternehmen bei der Behandlung der ausländischen Zwangsarbeiter durchaus Handlungsspielräume hatten und dass jedenfalls ein Teil der Unternehmen diese Handlungsspielräume auch zugunsten der bei ihnen beschäftigten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter nutzten.
Damit ist auch geklärt, dass die „bloße Befolgung” der Ostarbeitererlasse nicht zur Entlastung im Hinblick auf den Vorwurf der Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit dienen kann und es einer tatrichterlichen Überprüfung bedarf, ob das Unternehmen die ihm zur Verfügung stehenden Spielräume zu einer menschenwürdigen Behandlung der ausländischen Zwangsarbeiter genutzt hat (vgl. Beschluss vom 11. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 5). Der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass die positive Feststellung besonders negativer Bedingungen Voraussetzung für eine Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit ist (vgl. Beschluss vom 21. Juli 2009 – BVerwG 5 B 42.09 – juris Rn. 2).
Die hier in Rede stehende Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung verhilft der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg, weil mit ihr ein über die aufgezeigten Grundsätze hinausgehender Klärungsbedarf nicht dargetan wird. Das Verwaltungsgericht hat dem angefochtenen Urteil erkennbar diese Maßstäbe zugrunde gelegt. Es ist von dem Gesamtbefund einer menschenverachtenden Lage der zwangsweise beschäftigten Ostarbeiter ausgegangen und hat unter Beachtung der ihm obliegenden Verpflichtung zu einer differenzierenden Betrachtungsweise auf der Grundlage tatrichterlich festgestellter und gewürdigter Umstände des Einzelfalles angenommen, der Rechtsvorgänger des Klägers bzw. die von ihm geleiteten Unternehmen habe bzw. hätten bestandene Spielräume zugunsten der Ostarbeiter genutzt, indem eine bessere Ernährung bzw. Verpflegung als üblich ermöglicht worden sei. Die auf diese Annahme zielende Frage ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Sie bezieht sich auf das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der von ihm im Einzelfall getroffenen Feststellungen und Würdigungen gelangt ist. Eine Frage wird nicht dadurch zu einer „grundsätzlichen” im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dass eine auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles von der Vorinstanz getroffene Annahme in abstrakte Frageform gekleidet wird. So liegt es hier.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Frage auch deshalb nicht zur Zulassung führt, weil sie von einer Voraussetzung ausgeht, auf der das angefochtene Urteil nicht beruht, so dass sich die Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Ihr liegt die Annahme zugrunde, das Verwaltungsgericht habe die „Vermutung”, alle in einem Sammellager untergebrachten Ostarbeiter hätten einer menschenunwürdigen Behandlung unterlegen, als widerlegt angesehen. Dies ist wohl nicht der Fall. Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass die zwangweise beschäftigten Ostarbeiter in besonderer Weise rechtlos gestellt und weitestgehend gedemütigt wurden. Sie hat sich insoweit ausdrücklich die Erwägungen des Verwaltungsgerichts Dresden in dem Urteil vom 24. Februar 2009 (7 K 1196/06) zu eigen gemacht. In jener Entscheidung wird der Sache nach begründet, dass von einem Gesamtbefund einer „menschenverachtenden Lage” auch der Ostarbeiter auszugehen ist und dass in dem dem Urteil zugrunde liegenden Einzelfall keine Anhaltspunkte vorliegen, die auf eine bessere Lage der in dem Unternehmen beschäftigten Zwangsarbeiter hindeuten. Dem kann eine Vermutung im Sinne der von dem Beklagten gestellten Frage, insbesondere eine „tatsächliche Vermutung” (vgl. Urteil vom 16. Mai 2012 – BVerwG 5 C 2.11 – BVerwGE 143, 119 Rn. 26 f.), schwerlich entnommen werden (vgl. Beschluss vom 21. Juli 2009 a.a.O. Rn. 4 f. zu VG Dresden, Urteil vom 24. Februar 2009 – 7 K 1196/06 –).
b) Auch die zweite von dem Beklagten aufgeworfene Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Der Beklagte möchte die Frage beantwortet wissen:
„Ist bereits die Abwesenheit nachgewiesener Misshandlungen, d.h. von solchen, die über die durch die Ostarbeitererlasse normierte ‚Schlechtbehandlung’ (Verschleppung zur Zwangsarbeit unter unmenschlichen Bedingungen, fortdauernde Freiheitsberaubung, Entzug aller Bürgerrechte, ständige Lebensbedrohung, Auslieferung an permanente Willkür, diskriminierende Behandlung, Ernährung und Entlohnung, Abwesenheit jeglicher Arbeitsschutzbestimmungen usw.) hinausgehen, als ein ‚positives Nutzen von Spielräumen’ anzusehen, sodass schon deshalb nicht von einem Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit auszugehen ist?”
Die so formulierte Frage verhilft der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg, weil sie in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre. Soweit das Verwaltungsgericht es als ein Nutzen von Spielräumen angesehen hat, dass keine Misshandlungen von Ostarbeitern in den Firmen des G. T. oder im Ostarbeiterlager hätten festgestellt werden können, bezieht sich diese Aussage ausdrücklich auf solche Misshandlungen, „die aufgrund des Ostarbeitererlasses ohne Weiteres möglich gewesen wären” (UA S. 10 Abs. 1). Die von dem Beklagten aufgeworfene Frage hat hingegen Misshandlungen zum Gegenstand, die über die durch die Ostarbeitererlasse normierte „Schlechtbehandlung” hinausgingen. Im vorliegenden Zusammenhang ist ohne Bedeutung, ob – was der Beklagte verneint – die Ostarbeitererlasse ein Züchtigungsrecht vorsahen. Zum einen bezieht sich die hier interessierende Annahme in dem angefochtenen Urteil auf „Misshandlungen” und nicht speziell auf Züchtigungen. Zum anderen zielt die hier in Rede stehende Frage nicht darauf, ob die Ostarbeitererlasse ein Züchtigungsrecht zuließen. Die Möglichkeit, dass das Verwaltungsgericht den Inhalt der Ostarbeitererlasse hinsichtlich „zugelassener” Misshandlungen fehlerhaft bestimmt hat, rechtfertigt nicht die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung.
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.
Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein Verfahrensmangel ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14). Mit der Rüge, die Vorinstanz habe das materielle Recht fehlerhaft ausgelegt und/oder angewandt, kann ein Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in zulässiger Weise nicht begründet werden.
a) Soweit der Beklagte verfahrensrechtliche Mängel im Zusammenhang mit der Vernehmung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht geltend macht, führt dies nicht zum Erfolg der Beschwerde.
aa) Die Beschwerde ist nicht deshalb begründet, weil das Verwaltungsgericht den Kläger ohne förmlichen Beweisbeschluss vernommen hat.
Das Verwaltungsgericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 23. Januar 2013 vernommen. Dabei handelte es sich nicht um eine persönliche (informatorische) Anhörung nach § 103 Abs. 3 VwGO oder § 104 Abs. 1 VwGO. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung und der Urteilsgründe wurde der Kläger im Rahmen einer „förmlichen Parteivernehmung” befragt. Im Verwaltungsgerichtsverfahren ist die Beteiligtenvernehmung („Parteivernehmung”) nach Maßgabe von § 96 Abs. 1 Satz 2 VwGO und § 98 VwGO i.V.m. §§ 450 ff. ZPO zulässig. Sie setzt nach § 98 VwGO i.V.m. § 450 ZPO einen den Anforderungen des § 359 ZPO genügenden Beweisbeschluss voraus (vgl. Beschluss vom 16. Mai 2013 – BVerwG 9 B 6.13 – NVwZ 2013, 1160 Rn. 27; Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 98 Rn. 247 m.w.N.). Ein solcher Beschluss ist den Akten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht zu entnehmen. Auf diesen Verfahrensverstoß kann sich der Beklagte hingegen nicht berufen. Er war in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht sachkundig vertreten und hat den ihm bekannten Mangel nicht gerügt, sodass er gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO sein Rügerecht verloren hat. Auf die Befolgung der Bestimmungen über die Notwendigkeit eines Beweisbeschlusses können die Beteiligten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Sinne von § 173 VwGO i.V.m. § 295 Abs. 2 ZPO verzichten (vgl. Urteil vom 14. August 1987 – BVerwG 8 C 59.86 – Buchholz 303 § 295 ZPO Nr. 4 S. 2).
bb) Die Revision ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung zunächst den Kläger als Beteiligten und danach die Zeugen H., F., R., B. und Z. vernommen hat.
Die Vernehmung eines Beteiligten ist auch im Verwaltungsprozess lediglich nachrangig zulässig. Sie kommt nach § 173 VwGO i.V.m. § 450 Abs. 2 ZPO nur als subsidiäres Beweismittel in Betracht und dient als letztes Hilfsmittel zur Aufklärung des Sachverhalts, wenn trotz Ausschöpfen aller anderen Beweismittel noch Zweifel verbleiben (vgl. Urteil vom 30. August 1982 – BVerwG 9 C 1.81 – Buchholz 402.24 § 28 AuslG 1965 Nr. 41 S. 38; Beschlüsse vom 3. August 1999 – BVerwG 7 B 54.99 – VIZ 2000, 93 ≪94≫, vom 21. Juni 2007 – BVerwG 2 B 28.07 – Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 3 Rn. 12 und vom 5. Juni 2013 – BVerwG 5 B 11.13 – juris Rn. 11, jeweils m.w.N.). Es muss weiterhin eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die unter Beweis gestellte Behauptung des Beteiligten bestehen (vgl. Beschlüsse vom 21. Juni 2007 a.a.O. Rn. 12 und vom 5. Juni 2013 a.a.O. Rn. 11, jeweils m.w.N.). Hier kann dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht im Interesse der Wahrung des Gebots der Nachrangigkeit der Beteiligtenvernehmung gehalten gewesen wäre, zunächst die in der mündlichen Verhandlung später gehörten Zeugen zu vernehmen und auf der Grundlage deren Aussagen darüber zu befinden, ob nun auch der Kläger vernommen werden solle, weil die Aussagen der Zeugen nicht zu einem eindeutigen Ergebnis geführt hätten und eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der klägerischen Behauptung spreche.
Ein – hier unterstellter – Verfahrensmangel schiede allerdings nicht schon deshalb aus, weil der Beklagte erst auf der Grundlage der Gründe des erstinstanzlichen Urteils in der Lage gewesen wäre zu beurteilen, ob die Voraussetzungen einer Beteiligtenvernehmung auch mit Blick auf deren Subsidiarität vorlagen. In einem solchen Fall wäre eine verfahrensfehlerhafte Beteiligtenvernehmung nicht als Verfahrensmangel, sondern ebenso zu behandeln wie ein Fehler bei der Urteilsfällung, von dem die Beteiligten zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch keine Kenntnis haben konnten (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 1998 – I ZR 32/96 – NJW 1999, 363 ≪364≫ m.w.N.). So liegt es hier nicht. Der von dem Beklagten angenommene Verstoß gegen das Gebot der Nachrangigkeit der Beteiligtenvernehmung setzt die Kenntnis der Gründe des erstinstanzlichen Urteils nicht voraus. Er beruhte aus Sicht des Beklagten (schon) darauf, dass das Verwaltungsgericht zunächst den Kläger und danach die Zeugen vernommen hat.
Auf einen etwaigen Verstoß gegen das Gebot der Nachrangigkeit der Beteiligtenvernehmung könnte sich der Beklagte aber nicht berufen. Auch insoweit hat er sein Rügerecht nach § 173 VwGO i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO verloren, weil er in der mündlichen Verhandlung sachkundig vertreten war und versäumt hat, die Vernehmung des Klägers vor derjenigen der Zeugen zu rügen. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2013 waren alle Beteiligten mit dieser Vorgehensweise des Gerichts ausdrücklich einverstanden.
Auf die Einhaltung der hier in Rede stehenden Voraussetzungen einer Beteiligtenvernehmung kann der Beklagte auch verzichten. Es handelt sich nicht um einen unheilbaren Mangel im Sinne von § 173 VwGO i.V.m. § 295 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 1981 – II ZR 11/81 – juris Rn. 17 m.w.N.).
b) Das angefochtene Urteil ist auch nicht wegen Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz verfahrensfehlerhaft.
Nach dem Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist es Sache des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Beweiswürdigung eine Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Die Freiheit, die der Überzeugungsgrundsatz dem Tatsachengericht zugesteht, bezieht sich auf die Bewertung der für die Feststellung des Sachverhalts maßgebenden Umstände. Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (stRspr, vgl. z.B. Urteil vom 19. Januar 1990 – BVerwG 4 C 28.89 – BVerwGE 84, 271 ≪272≫ m.w.N.; Beschlüsse vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f. und vom 14. Juli 2010 – BVerwG 10 B 7.10 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4, jeweils m.w.N.). Deshalb ist die Einhaltung der aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgenden Verpflichtung nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter eine aus seiner Sicht fehlerhafte Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als die angefochtene Entscheidung. Denn damit wird ein – angeblicher – Mangel in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung angesprochen, der die Annahme eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht rechtfertigen kann (vgl. Beschluss vom 23. Dezember 2011 – BVerwG 5 B 24.11 – ZOV 2012, 98 m.w.N.). Ein einen Verfahrensfehler begründenden Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann aber ausnahmsweise insbesondere dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. Urteil vom 16. Mai 2012 – BVerwG 5 C 2.11 – BVerwGE 143, 119 Rn. 18 m.w.N.; Beschlüsse vom 14. Juli 2010 a.a.O. Rn. 4 und vom 16. Juni 2003 – BVerwG 7 B 106.02 – NVwZ 2003, 1132 ≪1135≫, jeweils m.w.N.). Das Gebot der freien Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangt, dass das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt. Ein Verstoß gegen dieses Gebot liegt vor, wenn ein Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätten aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die Überzeugungsbildung und sogleich für die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung darauf, ob die Grenzen einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie die allgemeinen Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschritten sind (vgl. Urteile vom 2. Februar 1984 – BVerwG 6 C 134.81 – BVerwGE 68, 338 ≪339 f.≫, vom 5. Juli 1994 – BVerwG 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 ≪209≫ und vom 28. Februar 2007 – BVerwG 3 C 38.05 – BVerwGE 128, 155 Rn. 59, jeweils m.w.N.; Beschluss vom 14. Januar 2010 – BVerwG 6 B 74.09 – Buchholz 402.41 Allg. Polizeirecht Nr. 87 Rn. 2 m.w.N.). Die für die richterliche Überzeugungsbildung maßgeblichen Gründe sind im Urteil anzugeben (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Im Allgemeinen genügt es, wenn der Begründung entnommen werden kann, dass das Gericht eine vernünftige und der jeweiligen Sache angemessene Gesamtwürdigung und Beurteilung vorgenommen hat. Nicht erforderlich ist, dass sich das Gericht mit allen Einzelheiten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich auseinandersetzt. Aus der Nichterwähnung einzelner Umstände kann daher regelmäßig nicht geschlossen werden, das Gericht habe sie bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen (vgl. Urteil vom 28. Februar 2007 – BVerwG 3 C 38.05 – a.a.O. Rn. 59 m.w.N.). Gemessen an diesen Grundsätzen liegt ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht vor.
aa) Soweit der Beklagte rügt, das Verwaltungsgericht habe unter Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz wesentliche Gesichtspunkte bei der Entscheidungsfindung unberücksichtigt gelassen und den Sachverhalt unzutreffend gewürdigt, ist dem nicht zu folgen.
Der Beklagte ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe nicht hinreichend begründet, warum es seine Entscheidung maßgeblich auf die Bekundungen des Klägers stützt (Beschwerdebegründung S. 6 Abs. 2). Dies rechtfertigt die Annahme einer Verletzung von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht. Das Verwaltungsgericht ist den Bekundungen des Klägers zur Verpflegung der Ostarbeiter in den von dem Rechtsvorgänger des Klägers geleiteten Unternehmen gefolgt, weil es auch mit Blick auf die Aussagen der Zeugen diese Bekundungen als glaubhaft angesehen hat. Diese Bewertung bewegt sich im Rahmen der dem Gericht zustehenden Überzeugungsbildung. Sie betrifft die Anwendung des sachlichen Rechts. Eine Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Vernachlässigung von wesentlichen Umständen, die sich dem Verwaltungsgericht hätten aufdrängen müssen, ist nicht erkennbar. Dies gilt unabhängig davon, ob die Zeugen die Bekundungen des Klägers zu bestätigen vermochten (Beschwerdebegründung S. 6 Abs. 2, S. 8 Abs. 4 bis 6, S. 9 Abs. 2). Indem der Beklagte die Zeugenaussagen dahin würdigt, dass sie die klägerischen Bekundungen entkräften, beanstandet er Mängel in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die die Annahme eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz nicht zu rechtfertigen vermögen. Soweit er im Zusammenhang mit den Zeugenaussagen auf Widersprüche hinweist (Beschwerdebegründung S. 6 Abs. 2), konkretisiert er dies in einer dem Begründungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise nicht.
Eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes ist auch nicht der Rüge des Beklagten zu entnehmen, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht der Behauptung des Klägers gefolgt, er habe an Wochenenden Essen in das Lager gebracht und sämtliche Mitarbeiter hätten zusätzliche Nahrung erhalten (Beschwerdebegründung S. 8 Abs. 2 und 3). Auch diese Beanstandung bezieht sich auf die die Grenzen des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO wahrende Tatsachen- und Beweiswürdigung. Dies gilt gleichermaßen für das Vorbringen der Beschwerde, der Bericht des Lagerführers S. vom 2. November 1943 sei unzutreffend gewürdigt worden (Beschwerdebegründung S. 9 Abs. 2) und das Gericht habe Verklärungstendenzen bei der Aussage des Klägers vernachlässigt (Beschwerdebegründung S. 6 Abs. 3 und 4).
Dass sich das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich mit den Gesichtspunkten auseinandergesetzt hat, dass der Kläger und die Zeugen zu der Zeit, auf die sich ihre Bekundungen beziehen, vergleichsweise jung waren und seitdem ein langer Zeitraum verstrichen ist (Beschwerdebegründung S. 6 Abs. 3), rechtfertigt nicht die Annahme, diese Umstände seien vernachlässigt worden. Es drängt sich auch nicht auf, dass die Zeugenaussagen deshalb nicht verwertbar sind, weil sie auf Beeinflussungen zurückzuführen wären (Beschwerdebegründung S. 6 Abs. 6 und S. 7 Abs. 1). Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz liegt nicht darin, dass das Verwaltungsgericht entgegen der Auffassung des Beklagten das Schreiben vom 9. Februar 1944 an das Arbeitsamt G. nicht als Hinweis auf eine menschenunwürdige Behandlung angesehen hat (Beschwerdebegründung S. 9 Abs. 6 und S. 10 Abs. 1). Der Überzeugungsgrundsatz gebietet nicht eine bestimmte Würdigung des Sachverhalts.
Auch im Übrigen ist nicht erkennbar, dass das Verwaltungsgericht unter Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO wesentliche Gesichtspunkte vernachlässigt oder fehlerhaft gewürdigt hat.
bb) Der Überzeugungsgrundsatz ist nicht wegen eines Verstoßes gegen Denkgesetze verletzt.
Ein Tatsachengericht verstößt dann gegen Denkgesetze, wenn es einen Schluss zieht, der aus Gründen der Logik schlechterdings nicht gezogen werden kann und deshalb willkürlich ist. Dafür genügt es nicht, dass das Tatsachengericht nach Meinung eines Beteiligten unrichtige oder gar fernliegende Schlüsse gezogen hat. Ebenso wenig reichen objektiv nicht überzeugende oder gar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen aus (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 15 f., vom 6. März 2008 – BVerwG 7 B 13.08 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 Rn. 8 und vom 28. Juni 2013 – BVerwG 5 B 79.12 – juris Rn. 13, jeweils m.w.N.). Daran gemessen hat der Beklagte eine Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht dargetan.
Der Beklagte erachtet die Würdigung der Aussage des russischen Zwangsarbeiters S. durch das Verwaltungsgericht als denkgesetzwidrig. Das Verwaltungsgericht hat insoweit angenommen, die Bekundungen jenes Zwangsarbeiters zu Art und Umfang seiner Ernährung könnten deshalb nicht als Beleg für eine menschenunwürdige Behandlung der in den Firmen des G. T. beschäftigten Zwangsarbeiter herangezogen werden, weil S. zwar aus dem Ostarbeiterlager in W. gestammt habe, er jedoch für die Firma R. R. Maschinenfabrik G. GmbH tätig und räumlich getrennt von den Ostarbeitern der Firmen des G. T. gewesen sei. Der Beklagte hält diese Annahme für einen Verstoß gegen Denkgesetze, weil auch mit Blick auf allgemeinkundige geschichtliche Erkenntnisse ausgeschlossen sei, dass die in einem gemeinschaftlich betriebenen und verwalteten Lager unter derselben Lagerleitung untergebrachten Ostarbeiter des einen Unternehmens schlechter behandelt worden seien, als diejenigen, die in einer anderen Firma tätig gewesen seien (Beschwerdebegründung S. 7 Abs. 2 und 3). Damit zieht der Beklagte die sachliche Richtigkeit von Feststellungen und Würdigungen des Verwaltungsgerichts in Zweifel. Dies rechtfertigt hingegen nicht den Schluss, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts aus logischen Gründen schlechterdings ausgeschlossen ist.
Soweit in dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen wird, die Bekundung von S., er sei auf dem Weg zur Arbeit von Polizisten begleitet worden, sei von den Zeugen für die Ostarbeiter der Firmen von G. T. nicht bestätigt worden, liegt darin entgegen der Auffassung des Beklagten (Beschwerdebegründung S. 7 Abs. 3) keine Missachtung der Regeln der Logik. Auch insoweit ist es unerheblich, ob die tatrichterliche Feststellung und Würdigung unwahrscheinlich oder sachlich fehlerhaft ist.
Aus Sicht des Beklagten ist es nach den Gesetzen der Logik ausgeschlossen, dass die Ostarbeiter der Firmen von G. T. in dem Lager nicht bewacht worden seien und sich hätten frei bewegen können (Beschwerdebegründung S. 7 Abs. 4). Da sich in dem angefochtenen Urteil eine solche Feststellung nicht findet, scheidet ein Verstoß gegen Denkgesetze insoweit schon deshalb aus.
Der Beklagte sieht eine Verletzung von Denkgesetzen auch darin, dass das Verwaltungsgericht zwar auf den Prüfungsbericht über den Rechnungsabschluss des Gemeinschaftslagers W. vom 30. April 1943 hinweist, diesen Bericht hingegen nicht als Beleg für eine schlechte Versorgung der Ostarbeiter angesehen hat, weil der Lagerführer S. und andere Personen die schlechte Versorgung in einem Schreiben vom November 1943 „offiziell” beanstandet haben (Beschwerdebegründung S. 9 Abs. 3 bis 5). Es kann dahinstehen, ob diese Schlussfolgerung zwingend ist. Sie erweist sich jedoch nicht als aus logischen Gründen schlechterdings ausgeschlossen und deshalb willkürlich.
cc) Schließlich ist der Überzeugungsgrundsatz auch nicht deshalb verletzt, weil die Beweiswürdigung objektiv willkürlich wäre, allgemeine Erfahrungssätze missachte oder gesetzliche Beweisregeln verletze. Solche Verstöße hat der Beklagte auch nicht substantiiert beanstandet.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Vormeier, Stengelhofen, Dr. Störmer
Fundstellen