Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 11.02.2015; Aktenzeichen 13 LB 180/13) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. Februar 2015 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Rz. 1
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
Rz. 2
I. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Rz. 3
1. Die Kläger sehen als grundsätzlicher Klärung bedürftig folgende Rechtsfragen an:
„Sind die Einbürgerungsbehörden in Deutschland verpflichtet, die Behauptung der Repräsentanten der ‚Republika Srbija’, alle Bewohner des Kosovo besäßen die serbische Staatsangehörigkeit, (gemeint wird insoweit die Staatsangehörigkeit der gegenwärtig von Belgrad aus betriebenen ‚Republika Srbija’, nicht die Staatsangehörigkeit der früheren ‚Sozialisticka Republika Srbija’ – vgl. den Lagebericht des Auswärtigen Amtes betreffend die Republik Kosovo 17.06.2012) ernst zu nehmen und berechtigt, aus dieser Behauptung herzuleiten, ein Einbürgerungsbewerber mit kosovarischer Staatsangehörigkeit müsse auch dann eine Ausbürgerung aus der (gegebenenfalls zuvor auch eine ‚Registrierung’ in die) Staatsangehörigkeit der Republika Srbija betreiben – auch dann, wenn der Einbürgerungsbewerber niemals zuvor einen individuellen biographischen Bezug zum Territorium dieser ‚Republika Srbija’, also zu Zentralserbien oder der Vojvodina hatte?
Wenn die Frage mit ‚ja’ zu beantworten wäre, wie wäre eine solche Verpflichtung mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.06.2006 * 5 C 5.03 *, in der das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt hat, die staatsangehörigkeitsrechtliche Inanspruchnahme eines fremden Staatsvolkes ohne sachlich anerkannten Grund sei völkerrechtswidrig, zu vereinbaren?
Wenn die Frage mit ‚ja’ zu beantworten wäre, wie wäre eine solche Verpflichtung mit der Auffassung des Verwaltungsgerichts Göttingen in seinem Urteil vom 21.05.2008 * 1 A 390/07 * zu vereinbaren, wonach für Kosovaren wie den Kläger zu 1. und seine Kinder die ‚Republika Srbija’ ein ‚fremder’ Staat sei.”
und formulieren diese Fragen auch wie folgt:
„Kann dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg in dem angefochtenen Urteil gefolgt werden, die ‚genuine connection’ jedes Kosovaren zum Staat ‚Republika Srbija’ im Sinne des Nottebohm-Urteils des IGH ergebe sich ‚zweifelsohne’ schon daraus, daß der Kosovo früher als autonome Provinz ein Bestandteil der jugoslawischen Teilrepublik Serbien gewesen sei?
Kann mit dieser Argumentation (alle Kosovaren hätten allein durch die gemeinsame Zeit in einer gemeinsamen sozialistischen Republik Serbien) heute die ‚Annexion’ annähernd des gesamten Staatsvolkes der Republik Kosovo begründet werden? (…)
Kann anderes gelten, wenn (dieser Fall wird vom Oberverwaltungsgericht nicht erwähnt), wenn ein kosovarischer Staatsangehöriger nicht im Kosovo geboren worden ist und auch niemals dort gelebt hat? Würde dann eine ‚genuine connection’ fehlen?
Kann dem Oberverwaltungsgericht darin gefolgt werden, daß eine ‚genuine connection’ im Sinne des Nottebohm-Urteils des IGH vom 06.04.1955 bzw. ein sachlich anerkannter Grund im Sinne des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.06.2006 * 5 C 3.05 * dann vorliegt, wenn der jeweilige Kosovare sich vor der Staatsgründung der Republik Kosovo einen Paß der ‚SFRJ’ (der Sozialisticka Federativna Republika Jugoslavija) oder einen Paß der ‚Bundesrepublik Jugoslawien’ oder einen Paß mit dem Aufdruck ‚Serbija i Crna Gora’ (Serbien und Montenegro) auf Druck deutscher Ausländerbehörden hat ausstellen lassen? Kann etwas anderes gelten, wenn er einen solchen Paß sich freiwillig hat ausstellen lassen?”
Rz. 4
2. Diese Fragen rechtfertigen schon deswegen nicht die Zulassung der Revision, weil sie – entgegen der weitergehenden – Beschwerdebegründung nicht auf eine klärungsbedürftige abstrakte Rechtsfrage des revisiblen Rechts gerichtet sind.
Rz. 5
2.1 Es fehlt schon die konkrete Bezeichnung der Normen revisiblen Rechts, in Bezug auf die diese Rechtsfragen zu klären seien. Diese Fragen zielen der Sache nach auf eine Klärung der Anwendung geklärter und unbestrittener Rechtssätze durch das Berufungsgericht, dessen Rechtsanwendung die Kläger deswegen für grundlegend unzutreffend halten, weil die (heutige) „Republik Serbien” mit der früheren „Sozialistischen Republik Serbien”, zu der die frühere Autonome Provinz Kosovo gehört hatte, nicht identisch sei, so dass die Kläger entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht die Staatsangehörigkeit der (heutigen) „Republik Serbien” hätten, sondern staatenlos seien. Grundlage dieser Bewertung ist eine eingehende Schilderung und rechtliche Einordnung des sog. „Kosovo”-Konflikts (in den Jahren ab 1974 über die Auflösung des Parlaments der Autonomen Republik Kosovo im Jahre 1989, die nachfolgende Eskalation der innerstaatlichen Konflikte, das Eingreifen der NATO im sog. Kosovokrieg im Jahre 1999, der nachfolgenden Mission der Vereinten Nationen ≪UNMIK≫ bis hin zur einseitigen Proklamation der Unabhängigkeit des Kosovo ≪2008≫ und deren Anerkennung durch zahlreiche Staaten). Die von den Klägern geltend gemachten Rechtsfehler des Berufungsurteils gründen damit vorrangig in einer grundlegend abweichenden Bewertung der Tatsachengrundlage. Dies ist bereits im Ansatz nicht geeignet, die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu bewirken.
Rz. 6
2.2 Dies gilt auch, soweit sich die Kläger auf das Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 6. April 1955 (Nottebohm) (s.a. Makarov ZaöRV 1955/56, 407) berufen, nach dem es für den Erwerb der Staatsangehörigkeit bzw. der „Inanspruchnahme” einer Person als Staatsangehörigen eines bestimmten Staates einer hinreichenden Verbindung („genuine link” bzw. „genuine connection”) bedarf. Abgesehen davon, dass die Grundsätze der Nottebohm-Entscheidung inzwischen völkervertragsrechtlich weiter ausgeformt sind, u.a. durch das Europäische Übereinkommen über Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997 (BGBl. 2004 II, 578; BGBl. 2006 II, 1351), und daher diese Entscheidung selbst auch nicht unter dem Aspekt der Revisibilität der allgemeinen Regeln des Völkerrechts zur Revisionszulassung führen könnte, hat das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der (auch) vom Internationalen Gerichtshof aufgestellten Grundsätze im Anschluss an die Rechtsprechung anderer Obergerichte dargelegt, dass und aus welchen Gründen die durch Ausstellung und Entgegennahme eines Reisepasses durch die Republik Serbien auch betätigte Inanspruchnahme des im Gebiet des heutigen Kosovo geborenen Klägers zu 1 als deren Staatsangehörigen gerechtfertigt ist und weder die Unabhängigkeitserklärung der Republik Kosovo noch deren Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland zum Verlust dieser serbischen Staatsangehörigkeit geführt haben. Dies mögen die Kläger aufgrund ihrer Bewertung der historischen Ereignisse und der dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Auslegung des serbischen Rechts, die von der des Berufungsgerichts nachhaltig abweicht, für unvertretbar halten; auf eine klärungsfähige Rechtsfrage weist dies nicht.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
II. Soweit das Vorbringen der Kläger die Vereinbarkeit des Berufungsurteils mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2006 – 5 C 5.03 – (gemeint wohl: Urteil vom 27. Juli 2006 – 5 C 3.05 – ≪Voraussetzungen des Staatsangehörigkeitserwerbs auf der Grundlage der Volkslistenverordnung Ukraine≫) sowie dem Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 21. Mai 2008 – 1 A 390/07 – in Frage stellt, kann offenbleiben, ob damit die Nichtzulassungsbeschwerde auch auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) hat gestützt werden sollen. Insoweit fehlte es bereits an der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Darlegung. Denn eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 15. April 2013 – 1 B 22.12 – Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 66 = NVwZ-RR 2013, 774, jeweils Rn. 21).
Rz. 8
III. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Rz. 9
3.1 Die Beschwerde erhebt die Aufklärungsrüge gemäß § 86 Abs. 1 VwGO, da es das Berufungsgericht versäumt habe, die Frage, welche Staatsangehörigkeit der Kläger zu 1 und seine Kinder haben, in einer dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. September 2011 – 5 C 27.10 – (BVerwGE 140, 311 ≪Notwendigkeit einer Identitätsprüfung im Einbürgerungsverfahren≫) genügenden Weise aufzuklären, und es insbesondere unterlassen habe, zur Frage, wie die Behauptung des serbischen Staates, alle Bewohner des Kosovo seien ihre Staatsangehörigen, völkerrechtlich zu bewerten sei, ein Gutachten einzuholen und dies auch zu erstrecken auf die Frage, ob die „dahinterstehende Behauptung, die Republik Serbien sei mit der vorangegangenen ‚Sozialistischen Republik Serbien’ identisch, sachlich zutreffend ist und welche Konsequenzen aus dem nach Beweiserhebung klaren Ergebnis zu ziehen gewesen wären, daß eine solche Kontinuität eben nicht besteht, sondern daß die internationale Staatengemeinschaft im Interesse des Weltfriedens und die Europäische Union im Interesse ihrer ordnungsgemäßen Fortentwicklung sogar gewaltsam eingreifen mußten, um die dortige Bevölkerung vor den immer unerträglicher werdenden Folgen des Putsches vom 23.03.1989 gegen die Verfassung der Sozialistischen Republik Serbien zu schützen.”
Rz. 10
Dieses Vorbringen lässt keine Verletzung des § 86 VwGO erkennen. Die Kläger haben ausweislich der Sitzungsniederschrift eine entsprechende Sachaufklärung weder ausdrücklich beantragt noch durch einen hilfsweise gestellten Beweisantrag auch nur angeregt. Das Berufungsgericht hat seine Feststellung, dass der Kläger zu 1 die Staatsangehörigkeit der Republik Serbien besitzt, aufgrund einer eigenen Prüfung anhand des Gesetzes über die Staatsbürgerschaft der Republik Serbien vom 20. Dezember 2004 getroffen und sich hierin auch dadurch bestätigt gesehen, dass sich der Kläger zu 1 mit Beantragung eines serbischen Reisepasses auch selbst dem (konsularischen) Schutz dieses Staates unterstellt hat. Auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung, dass auch die Unabhängigkeitserklärung der Republik Kosovo und deren Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland nicht zum Verlust der serbischen Staatsangehörigkeit des Klägers zu 1 geführt habe, ist die Vorgehensweise des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden. Die Beschwerde lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen es angesichts dieser Vorgehensweise bei der Ermittlung der Staatsangehörigkeit des Klägers zu 1 für die getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts einer verlässlichen Tatsachengrundlage ermangelt und aus welchem Grund ein Sachverständigengutachten einen tauglichen Beitrag zu einer weiteren gerichtlichen Vergewisserung hätte leisten können oder aus welchen Gründen sich dem Berufungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2014 – 1 B 6.14 – juris Rn. 3). Ihr vorangehendes, sinngemäßes Vorbringen, völkerrechtliche Bedenken stünden der Annahme der serbischen Staatsangehörigkeit entgegen, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich. Denn dieser normative Einwand der Beschwerde betrifft eine Rechtsfrage des revisiblen materiellen Rechts, die auf dem Ergebnis der Auslegung und Anwendung ausländischen Rechts aufbaut und deshalb in revisionsrechtlicher Sicht nicht zur Tatsachenfeststellung gehört. Es ist daher nicht darauf einzugehen, inwieweit die geltend gemachten völkerrechtlichen Bedenken substantiiert dargelegt sind, sie sich mit den bestehenden Gegenargumenten auseinandersetzen oder diese Bedenken gar zutreffen.
Rz. 11
IV. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 12
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Unterschriften
Prof. Dr. Berlit, Prof. Dr. Dörig, Prof. Dr. Kraft
Fundstellen