Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsnachfolge. Erwerb eines die Klagebefugnis vermittelnden Gegenstandes. Widerspruchsverfahren des Rechtsvorgängers. Übernahme der Verfahrensposition
Leitsatz (amtlich)
Der Erwerber eines die Klagebefugnis gegen einen Verwaltungsakt vermittelnden Gegenstandes braucht vor der Klageerhebung kein eigenes Widerspruchsverfahren durchzuführen, soweit die auf den Erwerbsgegenstand bezogene Beschwer bereits Gegenstand eines Widerspruchs seines Rechtsvorgängers war. Insoweit rückt er in die Verfahrensposition seines Rechtsvorgängers ein.
Normenkette
VwGO § 68
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Teilbeschluss vom 27.09.2005; Aktenzeichen 11 B 01.918) |
VG Regensburg (Entscheidung vom 14.02.2001; Aktenzeichen 9 K 00.1324) |
Tenor
Der Teilbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. September 2005 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Die Klägerin wendet sich gegen eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung, aufgrund derer auf einer Verbindungsstraße zwischen zwei Ortsteilen der Beklagten unter anderem das Zeichen 262 der Straßenverkehrsordnung mit der Aufschrift “3,5t” aufgestellt worden ist. Auf den Widerspruch der früheren Eigentümerin des nunmehr der Klägerin gehörenden Gewerbebetriebes hin hatte das Landratsamt die Anordnung zunächst aufgehoben. Einwendungen der Beklagten führten dazu, dass das Landratsamt am 7. Juli 1999 einen Änderungsbescheid erließ, mit dem der stattgebende Widerspruchsbescheid aufgehoben und der Widerspruch zurückgewiesen wurde. Eine ausschließlich gegen diesen zweiten Widerspruchsbescheid gerichtete Klage der Klägerin (RN 9 K 99.1907) hat das Verwaltungsgericht Regensburg als unzulässig abgewiesen, weil der Bescheid gegenüber der Ausgangsentscheidung – der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung – keine zusätzliche Beschwer enthalte. Das Urteil ist rechtskräftig geworden.
Die gegen die straßenverkehrsrechtliche Anordnung in der Gestalt des zweiten Widerspruchsbescheides gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht ebenfalls als unzulässig abgewiesen, weil das Widerspruchsverfahren nicht von der Klägerin, sondern von der früheren Eigentümerin des Gewerbebetriebes und damit von einem Dritten durchgeführt worden sei. Auf die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren in erster Instanz gestellten Klageantrag weiterverfolgt hat, hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts im Wege eines “Teilbeschlusses” nach § 130a VwGO geändert und den am 7. Juli 1999 erlassenen Widerspruchsbescheid aufgehoben, soweit der zuvor ergangene stattgebende Widerspruchsbescheid aufgehoben worden war.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Teilbeschluss hat Erfolg. Zwar weist die Rechtssache weder die nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung auf, noch gibt es die nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerügten Abweichungen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (1.); der angegriffene Teilbeschluss beruht jedoch auf der von der Beklagten als Verfahrensfehler beanstandeten Missachtung der Rechtskraft des Urteils vom 14. Februar 2001, mit dem das Verwaltungsgericht Regensburg die Klage gegen den zweiten Widerspruchsbescheid als unzulässig abgewiesen hat (2.).
1.a) Die Beklagte hält für klärungsbedürftig,
ob “ein Verkehrszeichen, das als Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung ergeht, Rechtswirkungen auch gegenüber einer juristischen Person erzeugen (kann) mit der Folge, dass die juristische Person des Privatrechts eine Rechtsverletzung durch diesen Verwaltungsakt behaupten kann”.
Diese Frage verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil ihre Bejahung auf der Hand liegt. Da eine juristische Person rechtsfähig ist, kann sie ebenso wie eine natürliche Person von durch Verkehrszeichen getroffenen Anordnungen in ihrem Rechtskreis betroffen sein. Ein davon abweichender Rechtssatz lässt sich dem durch die Beklagte herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 1979 – BVerwG 7 C 46.78 – (BVerwGE 59, 221) nicht entnehmen. Der Umstand, dass eine juristische Person sich natürlicher Personen bedienen muss, um handlungsfähig zu sein, und auch für die Wahrnehmung von Verkehrszeichen notwendigerweise auf natürliche Personen angewiesen ist, ändert nichts daran, dass auf diesem Wege getroffene Anordnungen geeignet sind, ihr gegenüber Rechtswirkungen zu erzeugen. Ihre Rechtsfähigkeit setzt im Gegenteil geradezu voraus, dass sie das ihr zurechenbare Verhalten ihrer Organe, Vertreter und deren Hilfspersonen gegen sich gelten lassen muss.
b) Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt ebenso wenig für die von der Beklagten sinngemäß aufgeworfene weitere Frage in Betracht,
ob die Entscheidung einer Behörde im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens für einen unbeteiligten Dritten dazu führen kann, dass für diesen der Rechtsweg wieder eröffnet wird, obwohl der Rechtsbehelfsführer selbst keine Klage erhoben hat.
Soweit diese Frage sich im vorliegenden Fall stellt, bedarf sie keiner Beantwortung in einem Revisionsverfahren. Die Frage zielt darauf, dass der Widerspruch gegen die straßenverkehrsrechtliche Anordnung von der Gesellschaft erhoben worden ist, die seinerzeit noch Eigentümerin der von der Verkehrsregelung betroffenen Betriebsstätte war, die Klage aber von der Erwerberin dieses Betriebes, der Klägerin, erhoben worden ist, die selbst kein Widerspruchsverfahren durchführen konnte. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die Erwägungen, mit denen der Verwaltungsgerichtshof den Verzicht auf ein eigenes Vorverfahren der Klägerin für zulässig hält, tragfähig sind; denn unabhängig davon ist ein zusätzliches Widerspruchsverfahren jedenfalls dann entbehrlich, wenn der die Beschwer und damit die Klagebefugnis vermittelnde Gegenstand vom Widerspruchsführer an den Kläger veräußert worden ist. So verhielt es sich hier. Nach dem Verkauf des Betriebes konnte seine bisherige Trägerin keine Rechte aus ihrer Eigentümerstellung mehr ableiten, die sie der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung hätte entgegenhalten können. Eine von ihr erhobene Klage wäre von vornherein unzulässig gewesen. An ihre Stelle war die Klägerin getreten; sie war in die dingliche Rechtsstellung der Verkäuferin eingerückt. Damit war auch die Beschwer auf sie übergegangen, die in einem Verwaltungsverfahren zu rügen ihr bisher verschlossen war. In einer solchen Situation entspricht es der Verfahrensökonomie und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass der Erwerber des die Klagebefugnis vermittelnden Gegenstandes auch in die darauf bezogene Verfahrensposition des bisherigen Eigentümers eintritt, es sei denn, die maßgebliche Verfahrensordnung enthält Regelungen, die es dem Veräußerer erlauben, das auf den Verkaufsgegenstand bezogene Verfahren fortzusetzen, wie es beispielsweise bei der Veräußerung einer streitbefangenen Sache nach Rechtshängigkeit in § 265 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 173 VwGO vorgesehen ist. Das bedeutet, dass der Erwerber sich im Falle der Klageerhebung darauf berufen kann, dass die auf den Verkaufsgegenstand bezogene Beschwer bereits Gegenstand eines Widerspruchs seines Rechtsvorgängers war. Insoweit rückt er in dessen Verfahrensposition ein.
Insoweit ergibt sich auch keine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Januar 1972 – BVerwG 4 C 41.70 – (Buchholz 406.11 § 30 BBauG Nr. 5). Die Beklagte sieht eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO darin, dass die Klägerin nach der dem angegriffenen Urteil zugrunde liegenden Rechtsauffassung das Unterlassen einer Klageerhebung durch ihre Rechtsvorgängerin nicht gegen sich gelten lassen müsse, während in der herangezogenen Entscheidung der gegenteilige Rechtssatz aufgestellt worden sei.
In dem erwähnten Urteil des 4. Senats ist der Sache nach entschieden worden, dass der von einer Baugenehmigung in seinen Rechten Betroffene, der selbst keinen Widerspruch eingelegt hat, sich nicht auf das Widerspruchsverfahren eines Mitbetroffenen berufen kann, ohne gleichzeitig dessen Versäumung der Klagefrist gegen sich gelten lassen zu müssen. Einer solchen Säumnis eines Mitbetroffenen kann das Unterlassen einer Klageerhebung durch die Rechtsvorgängerin der Klägerin jedoch nicht gleichgestellt werden; denn ihre Beschwer war bereits mit dem Verkauf ihres Betriebes während des Widerspruchsverfahrens entfallen, sodass sie eine zulässige Klage gar nicht mehr hätte erheben können. Betroffen war nur noch die Klägerin, der der Widerspruchsbescheid nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs hätte zugestellt werden müssen. Insoweit scheidet auch der in diesem Zusammenhang von der Beklagten geltend gemachte Verfahrensmangel aus.
2. Die Beklagte rügt jedoch zu Recht, dass der Verwaltungsgerichtshof seinen Teilbeschluss unter Missachtung der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg zu der isolierten Klage gegen den zweiten Widerspruchsbescheid erlassen hat. Mit der rechtskräftigen Abweisung dieser Klage steht unter den seinerzeitigen Beteiligten und damit auch für die in jenem Verfahren beigeladene Beklagte bindend fest, dass dieser zweite Widerspruchsbescheid weder eine erstmalige Beschwer im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO noch eine gegenüber dem Ausgangsbescheid zusätzliche selbstständige Beschwer im Sinne des § 79 Abs. 2 VwGO enthält und daher nicht alleiniger Gegenstand einer Anfechtungsklage sein kann. Zulässigerweise angegriffen werden konnte daher nur noch der Ausgangsbescheid in der Gestalt, die er durch den zweiten Widerspruchsbescheid gefunden hat. Dementsprechend hat die Klägerin ihren Klageantrag in der vorliegenden Sache formuliert. Indem der Verwaltungsgerichtshof diesen Streitgegenstand geteilt und vorab ausschließlich über die Nr. 1 des Widerspruchsbescheides befunden hat, hat er sich in Widerspruch zu dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts gesetzt, das eine eigenständige Beschwer durch den Widerspruchsbescheid und damit eine Teilbarkeit des Streitgegenstandes gerade verneint hat. Das Berufungsgericht hätte daher über den zum Streit gestellten Antrag, also über den Ausgangsbescheid befinden und dessen sachliche Berechtigung prüfen müssen. Es kann sich dieser Pflicht auch nicht unter Hinweis auf die Ermessensfehlerhaftigkeit des zweiten Widerspruchsbescheides entziehen; denn diese bezieht sich nur auf die Rücknahme der ersten Widerspruchsentscheidung und hat keinen Einfluss auf die rechtliche Beurteilung der mit der Klage angegriffenen straßenverkehrsrechtlichen Anordnung.
Der Senat nimmt den geschehenen Verfahrensfehler zum Anlass, den angegriffenen Teilbeschluss nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 72 Nr. 1 GKG.
Unterschriften
Kley, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen
Haufe-Index 1550927 |
ZAP 2006, 1200 |
DÖV 2006, 964 |
VR 2006, 359 |
DVBl. 2006, 1246 |