Verfahrensgang
OVG der Freien Hansestadt Bremen (Urteil vom 29.11.2022; Aktenzeichen 1 D 38/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 29. November 2022 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren und für das Klageverfahren - insoweit in Abänderung des Streitwertbeschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 22. Dezember 2022 - auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
I
Rz. 1
Der Kläger war Mitglied in dem nicht eingetragenen Verein... (...), den der Senator für Inneres und Sport der Beklagten mit Verfügung vom 30. April 2013 mit einer Verbotsverfügung nach § 3 VereinsG belegte. Die von dem... am 21. Juni 2013 gegen die Verbotsverfügung erhobene Anfechtungsklage wies das Oberverwaltungsgericht nach zeitweiser Aussetzung des Verfahrens mit Urteil vom 9. Juni 2020 ab und führte zur Begründung unter anderem aus, dem Verein fehle es an der Beteiligtenfähigkeit. Er habe im gerichtlichen Verfahren vorgetragen, sich am 13. April 2013 und damit vor Erlass der Verbotsverfügung aufgelöst zu haben. Damit sei er rechtlich nicht mehr existent. Die Behauptung der Auflösung sei im Rahmen der Prüfung der Klagezulässigkeit nicht detailliert zu hinterfragen oder gar durch Beweisaufnahme zu überprüfen.
Rz. 2
Der Kläger hat am 18. Dezember 2020 seinerseits Anfechtungsklage gegen die Verbotsverfügung vom 30. April 2013, hilfsweise Klage auf Feststellung der Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit der Verfügung sowie der Verpflichtung der Beklagten zur Rückgängigmachung der Vollziehung erhoben. Unter Bejahung seiner Zuständigkeit aus § 48 Abs. 2 VwGO nicht nur für den Hauptantrag, sondern auch für den Hilfsantrag hat das Oberverwaltungsgericht die Klage mit dem hier angegriffenen Urteil vom 29. November 2022 abgewiesen. Die mit dem Hauptantrag anhängig gemachte Anfechtungsklage sei unzulässig. Der Kläger habe mit der Klageerhebung die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO nicht eingehalten, die spätestens mit der in § 3 Abs. 4 Satz 2 VereinsG vorgesehenen, hier am 19. Juni 2013 vorgenommenen Bekanntgabe der Verbotsverfügung im Bundesanzeiger zu laufen begonnen habe. Überdies verfüge der Kläger nicht über die erforderliche Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Aus dem letztgenannten Grund sei die Klage auch mit dem hilfsweise gestellten Feststellungsantrag unzulässig.
II
Rz. 3
Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Aus den Darlegungen in der Beschwerdebegründung, die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO für die Entscheidung des Senats allein maßgeblich sind, ergibt sich nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (1.), die Voraussetzungen einer Divergenzrevision erfüllt sind (2.) oder ein Verfahrensmangel, auf dem die vorinstanzliche Entscheidung beruhen kann, vorliegt (3.).
Rz. 4
1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist. Dies kann auf der Grundlage der Darlegungen der Beschwerde nicht angenommen werden.
Rz. 5
a. Die Beschwerde wirft zunächst als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,
"ob für die Wirksamkeit der Bekanntgabe einer Vereinsverbotsverfügung die alleinige Bekanntmachung im Bundesanzeiger ausreicht und für die Wirksamkeit der Bekanntgabe nicht kumulativ weiter die amtliche Bekanntmachung im Mitteilungsblatt des Landes erforderlich ist."
Rz. 6
Diese Frage führt nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, weil sie nicht entscheidungserheblich ist und deshalb in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden kann. Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass der verfügende Teil der Verbotsverfügung des Senators für Inneres und Sport der Beklagten vom 30. April 2013 nicht nur - am 19. Juni 2013 - im Bundesanzeiger, sondern auch - am 14. Juni 2013 - im Amtsblatt der Freien Hansestadt Bremen bekanntgemacht wurde.
Rz. 7
b. Die Beschwerde möchte darüber hinaus grundsätzlich geklärt wissen,
"ob die maßgebliche Frist - hier die Jahresfrist gem. § 58 Abs. 2 VwGO - für die Erhebung der Anfechtungsklage auch dann gilt, wenn die Verbotsverfügung an einem Wirksamkeits- respektive Nichtigkeitsmangel leidet, also insbesondere das von der Verbotsverfügung getroffene Rechtssubjekt nicht mehr existent war und ist und damit ein Adressat gem. § 41 Abs. 1 VwVfG fehlt."
Rz. 8
Diese Frage ist ebenfalls in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig und kann deshalb die Zulassung der Grundsatzrevision nicht rechtfertigen. Das Oberverwaltungsgericht hat keine Feststellungen über das Vorliegen der von der Beschwerde angesprochenen Tatsache - die Existenz des von der Verbotsverfügung betroffenen Rechtssubjekts in Gestalt des... - getroffen, sondern lediglich darauf verwiesen, dass der Kläger sich auf eine Selbstauflösung des... am 13. April 2013 berufen habe. Ist aber eine Tatsache, die vorliegen müsste, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochene Frage sich in einem Revisionsverfahren stellen könnte, von der Vorinstanz nicht festgestellt worden, kann die Revision mangels Klärungsfähigkeit dieser Frage nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden (BVerwG, Beschlüsse vom 17. März 2000 - 8 B 287.99 - BVerwGE 111, 61 ≪62≫ und vom 24. Oktober 2022 - 6 B 15.22 - NVwZ 2023, 1344 Rn. 15).
Rz. 9
c. Aus dem gleichen Grund fehlt die von der Beschwerde des Weiteren geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Frage,
"ob öffentlich-rechtliche (Gebiets-) Körperschaften sich auf den Ablauf der Rechtsbehelfsfrist, insbesondere der Jahresfrist gem. § 58 Abs. 2 VwGO berufen können respektive dieser Ablauf zu ihren Gunsten zu berücksichtigen ist, insbesondere dann, wenn diese Körperschaft einen Verwaltungsakt erlassen hat, der an einem Wirksamkeits- respektive Nichtigkeitsmangel leidet, insbesondere daran, dass ein Adressat des Verwaltungsaktes bereits im Zeitpunkt seines Erlasses nicht (mehr) existent ist, die Körperschaft dies hätte erkennen können und müssen und insoweit einen Verwaltungsakt (hier: die Verbotsverfügung) nicht hätte erlassen und/oder bekanntmachen dürfen, insbesondere auch um einen scheinwirksamen Verwaltungsakt zu vermeiden."
Rz. 10
Auch die in dieser Frage angesprochenen Tatsachen hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt.
Rz. 11
d. Grundsätzliche Bedeutung misst die Beschwerde außerdem der Frage zu,
"ob die durch eine vereinsrechtliche Verbotsverfügung direkt und unmittelbar ausgelösten allgemeinen gewerberechtlichen (§ 35 GewO) und spezialgesetzlichen Unzuverlässigkeitsanordnungen u. a. gem. §§ 14 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. 15 Abs. 1 Nr. 3 ProstSchG, § 5 Abs. 2 Nr. 2 WaffG eine Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO gewähren."
Rz. 12
Diese Frage kann nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision führen, weil ihr dogmatischer Gehalt in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt ist und mithin keiner Klärung in einem Revisionsverfahren mehr bedarf. Einzelne Mitglieder einer verbotenen Vereinigung können eine Verbotsverfügung nur insoweit gerichtlich überprüfen lassen, als sie geltend machen, sie bildeten keinen Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG, so dass das Vereinsverbot sie in ihrer von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit verletze. Maßnahmen, die auf eigenständigen Rechtsgrundlagen gegenüber Vereinsmitgliedern ergriffen werden, können diese in darauf bezogenen Verfahren zur verwaltungsgerichtlichen Überprüfung stellen (BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2020 - 6 A 1.19 - BVerwGE 167, 293 Rn. 15 ff.).
Rz. 13
e. Die Beschwerde sieht schließlich die Anlage einer grundsätzlichen Bedeutung in der Frage
"nach der Abgrenzung und der Reichweite des 'berechtigten Interesses' im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO zu dem 'rechtlichen Interesse' im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO".
Rz. 14
Die Beschwerde führt hierzu aus, nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2009 - 8 C 10.08 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 171 Rn. 24) genüge es für die Annahme eines berechtigten Interesses und damit einer Rechtsbeeinträchtigung im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO, dass
"der Kläger an dem durch die Verbotsverfügung feststellenden Rechtsverhältnis (u. a. Mitgliedschaft in einem verbotenen Verein) und an dem Rechtsverhältnis, in das die Verbotsverfügung eingreift (Mitgliedschaft zum... und seine Freiheitsrechte u. a. aus Art. 12 GG), selbst beteiligt ist, oder, weil von dem Rechtsverhältnis eigene Rechte (seine Freiheitsrechte u. a. gem. Art. 2 und 12 GG) abhängen, mithin andere und offenbar hinter den 'Höhen' des rechtlichen Interesses gem. § 42 Abs. 2 VwGO zurückbleibende Voraussetzungen aufgestellt werden und insoweit der Verweis des OVG im Rahmen von § 43 Abs. 1 VwGO auf die Anwendungen von § 42 Abs. 2 VwGO nicht - und schon gar nicht in der gebotenen Deutlichkeit - zur Abgrenzung der Voraussetzungen der Klagebefugnis nach diesen beiden Normen beiträgt und eine abschließende Klärung der Anwendungsvoraussetzungen beider Normen auch unter Abgrenzungsgesichtspunkten durch das BVerwG nicht geklärt ist."
Rz. 15
Dieser nach seinem Wortlaut unbehelfliche Vortrag kann zu Gunsten der Beschwerde dahingehend verstanden werden, dass geltend gemacht werden soll, eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergebe sich daraus, dass das Oberverwaltungsgericht angenommen habe, die Voraussetzungen für die Annahme eines berechtigten Interesses nach § 43 Abs. 1 VwGO stimmten mit denen für die Bejahung einer Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO überein, während nach dem - nicht das Vereinsrecht, sondern die Organisation eines Weihnachtsmarktes betreffenden - Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nahe liege, aber nicht geklärt sei, dass für § 43 Abs. 1 VwGO weniger strenge Voraussetzungen bestünden. Indes führen die Darlegungen der Beschwerde auch in dieser rechtsschutzfreundlichen Auslegung nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, weil sich aus ihnen keine in einem Revisionsverfahren klärungsfähige oder klärungsbedürftige Rechtsfrage ergibt. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in dem bezeichneten Urteil ausgeführt, über das in § 43 Abs. 1 VwGO geforderte berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung hinaus sei nach ständiger Rechtsprechung § 42 Abs. 2 VwGO entsprechend anzuwenden. Eine Feststellungsklage sei damit nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen könne, in seinen Rechten verletzt zu sein, entweder weil er an dem festzustellenden Rechtsverhältnis selbst beteiligt sei oder weil von dem Rechtsverhältnis eigene Rechte abhingen (BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2009 - 8 C 10.08 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 171 Rn. 24). Das Oberverwaltungsgericht hat hieran in den Gründen des angegriffenen Urteils ausdrücklich angeknüpft und den Standpunkt eingenommen, das berechtigte Interesse im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO sei zwar umfassender als ein rechtliches Interesse, der Verwaltungsakt, dessen Nichtigkeit oder Unwirksamkeit festgestellt werden solle, müsse die eigene Rechtsstellung des Klägers aber zumindest berühren können. Dies sei im vorliegenden Fall zu verneinen.
Rz. 16
2. Die Beschwerde stützt sich ferner zu Unrecht auf den Revisionszulassungsgrund der Divergenz. Eine Zulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder das Bundesverfassungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt haben. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die eines der genannten divergenzfähigen Gerichte aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht. Nach diesem Maßstab ergibt sich aus dem Beschwerdevortrag kein Anknüpfungspunkt für eine Zulassung der Divergenzrevision.
Rz. 17
Die Beschwerde macht geltend, das Oberverwaltungsgericht sei von dem bereits genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2009 - 8 C 10.08 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 171 Rn. 24) abgewichen, weil es anders als das Bundesverwaltungsgericht von einer identischen Bedeutung des berechtigten Interesses nach § 43 Abs. 1 VwGO und des rechtlichen Interesses im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO ausgegangen sei. Dass dies nicht zutrifft, ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen (II. 1. e.). Eine etwaige fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Oberverwaltungsgericht vermag die Zulassung der Divergenzrevision nicht zu rechtfertigen.
Rz. 18
3. Schließlich lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen, dass ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die vorinstanzliche Entscheidung beruhen kann. Die Rüge der Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe Feststellungen zu einer Bekanntmachung der den... betreffenden Verbotsverfügung im Mitteilungsblatt des Landes bzw. zur Wirksamkeit einer solchen Bekanntmachung und derjenigen im Bundesanzeiger nicht getroffen, geht ausweislich der obigen Darlegungen (II. 1. a.) ins Leere. Gleiches gilt für den Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe keine Abgrenzung der Zulässigkeitsvoraussetzungen aus § 43 Abs. 1 und § 42 Abs. 2 VwGO vorgenommen (dazu II. 1. e. und II. 2.)
Rz. 19
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Rz. 20
5. Die Festsetzung des Streitwerts auf 10 000 € beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 45 Abs. 1 Satz 2 sowie § 52 Abs. 1 und 2 GKG i. V. m. Nr. 45.2 und Nr. 1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht der ständigen Praxis des Senats bei Klagen von einzelnen Vereinsmitgliedern gegen ein Vereinsverbot. Die auf der Grundlage von § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 45.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgenommene Festsetzung des Streitwerts auf 15 000 € war nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen zu ändern.
Fundstellen
Dokument-Index HI15989263 |