Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 09.02.2010; Aktenzeichen 23 C 13/09) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Flurbereinigungsgerichts beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 9. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensfehler gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Rz. 2
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
Rz. 3
Als klärungsbedürftig wirft die Beschwerde folgende Fragen auf:
“Muss die Flurbereinigungsbehörde im Abwägungsprozess eines Flurbereinigungsverfahrens nach der Ermittlung des Werts der Einbringungsgrundstücke gemäß §§ 27 – 33 FlurbG bei der Zuteilungsentscheidung die Belange von Teilnehmern mit aktiven landwirtschaftlichen Betrieben in Hinblick auf die gesetzgeberischen Ziele einer Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen der Landwirtschaft (§ 1 FlurbG), einer Neugestaltung des Flurbereinigungsgebiets mit u.a. entsprechender Zielsetzung, einer Optimierung landwirtschaftlicher Betriebe (§ 37 Abs. 1 und § 44 Abs. 2 FlurbG) sowie einer Zusammenlegung des Grundbesitzes nach neuzeitlichen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen (§ 44 Abs. 4 FlurbG) besonders berücksichtigen? Oder muss sie gegenüber allen Teilnehmern und damit auch gegenüber Grundstückseigentümern, die keine aktive Landwirtschaft betreiben, keinerlei landwirtschaftliche Interessen haben und ihre Grundstücke nicht mehr landwirtschaftlich nutzen wollen, selbst dann nach vollständig gleichen Zuteilungskriterien entscheiden, wenn dadurch die genannten gesetzgeberischen Ziele des Flurbereinigungsverfahrens nicht oder jedenfalls nur in geringerem Umfang erreicht werden können?”
“Darf die Flurbereinigungsbehörde bei der Entscheidung über die Landabfindung eines Teilnehmers nach der rechnerischen Ermittlung wertgleicher Grundstücke gemäß §§ 27 – 33 FlurbG in der dieser Ermittlung folgenden Abwägung unter Hinzuziehung der von einem Teilnehmer eingebrachten Planwünsche und unter Berücksichtigung der in §§ 1, 37 Abs. 1, 44 Abs. 2 bis Abs. 4 FlurbG vorgegebenen Belange von einer Dokumentation der in die Abwägung eingestellten Belange und von deren Gewichtung Abstand nehmen, so dass eine Überprüfung der erfolgten Abwägung durch Dritte (Teilnehmer und Gerichte) objektiv nicht möglich erscheint?”
Rz. 4
Diese Fragen vermögen die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen, weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würden. Die mit der Klage angefochtene vorläufige Besitzeinweisung ist an § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG zu messen. Danach können Beteiligte eines Flurbereinigungsverfahrens in den Besitz der neuen Grundstücke vorläufig eingewiesen werden, wenn deren Grenzen in die Örtlichkeit übertragen worden sind und endgültige Nachweise für Fläche und Wert der neuen Grundstücke vorliegen sowie das Verhältnis der Abfindung zu dem von jedem Beteiligten Eingebrachten feststeht. Mit dem Erfordernis der Wertnachweise bezieht sich die Vorschrift auf die Ergebnisse der Bodenwertermittlung (Urteil vom 15. Dezember 1983 – BVerwG 5 C 120.81 – Buchholz 424.01 § 65 FlurbG Nr. 3 S. 2); mit dem weiteren Erfordernis, dass das Verhältnis der Abfindung zur Einlage feststehen muss, wird zusätzlich zur Wertermittlung der Einlage- und Abfindungsflächen der Landabzug nach § 47 FlurbG berücksichtigt (vgl. Urteil vom 17. August 1988 – BVerwG 5 C 78.84 – RzF – 86 – zu § 44 Abs. 1 FlurbG). Dagegen nimmt die Vorschrift nicht auf die weiteren Maßgaben des § 44 FlurbG für die Landabfindung Bezug. Dementsprechend geht das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die vorläufige Besitzeinweisung grundsätzlich nicht mit der Begründung angefochten werden kann, sie verletze die Bestimmung des § 44 FlurbG (Beschluss vom 24. Januar 1959 – BVerwG 1 B 167.58 – Buchholz 424.01 § 65 FlurbG Nr. 1; Urteil vom 15. Dezember 1983 a.a.O. S. 3 f.); Abfindungsmängel können vielmehr nur ausnahmsweise zur Rechtswidrigkeit einer vorläufigen Besitzeinweisung führen, wenn zwischen Einlage und Abfindung entgegen § 44 Abs. 1 FlurbG offensichtlich ein grobes Missverhältnis besteht oder die vorläufige Einweisung entgegen § 44 Abs. 4 FlurbG offensichtlich zu einem unzumutbaren Eingriff in die bisherige Struktur des betroffenen Betriebes führt (Urteile vom 4. Juli 1985 – BVerwG 5 C 7.82 – BVerwGE 71, 369 ≪372≫ und vom 17. August 1988 – BVerwG 5 C 78.84 – Buchholz 424.01 § 65 FlurbG Nr. 5 S. 10 f.).
Rz. 5
Diesen Prüfungsmaßstab hat die Vorinstanz ihrer Entscheidung zugrunde gelegt (UA S. 18 f.), ohne dass die Beschwerde dagegen Zulassungsgründe geltend gemacht hätte. Ihm zufolge kommt es auf die Frage, ob die Belange von Inhabern landwirtschaftlicher Betriebe gegenüber den Belangen sonstiger Teilnehmer mit dem Ziel einer Verbesserung der Arbeits- und Produktionsbedingungen besonders zu berücksichtigen sind, nicht an; denn insoweit geht es nicht um grobe Verstöße gegen die Gewährleistung wertgleicher Abfindung oder um offenkundig unzumutbare Eingriffe in bisherige Strukturen der betroffenen Betriebe, sondern um eine auf Stärkung dieser Betriebe gerichtete Abfindungsgestaltung. Ebenso wenig erstreckt sich die Kontrolle der Besitzeinweisung nach dem vorgenannten Maßstab auf die Gewichtung der für die Abwägung nach § 44 Abs. 2 Halbs. 1 FlurbG maßgeblichen Erwägungen. Daraus folgt zugleich, dass sich auch die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nach einer diesbezüglichen Dokumentationspflicht bei der Überprüfung der vorläufigen Besitzeinweisung nicht stellt.
Rz. 6
2. Die Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greifen gleichfalls nicht durch.
Rz. 7
a) Die Beschwerde rügt zunächst, das angefochtene Urteil habe sich mit dem in der Klage erhobenen Vorwurf, ein Bediensteter des Beklagten habe die vom Kläger im Planwunschtermin geäußerten Abfindungswünsche unzureichend protokolliert und vorsätzlich verfälscht, mittels einer logisch nicht nachvollziehbaren Argumentation auseinandergesetzt und aufgrund dessen für unerheblich gehalten. Damit seien wesentliche Bekundungen des Klägers unter Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO sowie den Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) übergangen worden. Verfahrensfehler sind insoweit jedoch nicht feststellbar.
Rz. 8
Der in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO normierte Überzeugungsgrundsatz betrifft die Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Fehler, die dem Gericht dabei unterlaufen, sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel deshalb grundsätzlich nicht begründen (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 19. Oktober 1999 – BVerwG 9 B 407.99 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 11 und vom 21. Juli 2010 – BVerwG 4 B 1.10 – juris Rn. 5). Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn das Gericht Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In einem solchen Fall fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts und zugleich für die Überprüfung der Entscheidung darauf, ob die Grenze einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie allgemeine Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschritten ist (vgl. Beschlüsse vom 18. Mai 1999 – BVerwG 7 B 11.99 – juris Rn. 4 und vom 21. Juli 2010 a.a.O., jeweils unter Bezugnahme auf Urteil vom 5. Juli 1994 – BVerwG 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 ≪208 f.≫). Dem Flurbereinigungsgericht ist kein derartiger Fehler unterlaufen, denn es hat sich mit dem Prozessstoff, dessen Vernachlässigung die Beschwerde beanstandet, ausdrücklich auseinandergesetzt. Ob die Erwägungen, aufgrund deren das Gericht den betreffenden Vortrag des Klägers für nicht entscheidungserheblich gehalten hat, tragfähig sind, ist keine Frage, die verfahrensrechtliche Maßgaben für die richterliche Überzeugungsbildung berührt.
Rz. 9
Da das Flurbereinigungsgericht den Vortrag des Klägers zur Protokollierung und Verfälschung seiner Abfindungswünsche im Verwaltungsverfahren zur Kenntnis genommen und erwogen hat, ist zugleich ein Verstoß gegen die Gewährleistung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) zu verneinen. Das Recht auf Gehör gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt lassen (stRspr; vgl. etwa Beschluss vom 2. September 2010 – BVerwG 9 B 12.10 – juris Rn. 5 m.w.N.).
Rz. 10
Das angefochtene Urteil widerspricht insoweit auch nicht dem Erfordernis, die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Diese Vorschrift verpflichtet das Gericht, in den Urteilsgründen die tatsächlichen Umstände und rechtlichen Erwägungen wiederzugeben, die es bestimmt haben, die Voraussetzungen für seine Entscheidung als erfüllt anzusehen (Urteil vom 18. Februar 1981 – BVerwG 6 C 159.80 – BVerwGE 61, 365 ≪368≫). Das Gericht muss sich zwar nicht mit allen Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des festgestellten Sachverhalts in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich auseinandersetzen (Urteil vom 5. Juli 1994 a.a.O. S. 209). Geht es wesentlichem Inhalt der Tatsachenbekundungen eines Beteiligten nicht nach, so hat es aber darzulegen, welche rechtlichen oder tatsächlichen Überlegungen es veranlasst haben, von einer Auseinandersetzung mit dem Vorbringen abzusehen (Urteil vom 18. Mai 1995 – BVerwG 4 C 20.94 – BVerwGE 98, 235 ≪238≫). Ob die hierzu angestellten Erwägungen widerspruchsfrei, logisch konsequent und rechtlich tragfähig sind, ist hingegen keine Frage der ordnungsgemäßen Begründung im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl. Urteil vom 23. Januar 1984 – BVerwG 6 C 131.81 – juris Rn. 11).
Rz. 11
Diesen Maßstäben werden die Gründe des angefochtenen Urteils gerecht. Das Flurbereinigungsgericht hat zwar knapp, aber doch nachvollziehbar ausgeführt, aufgrund welcher Erwägungen es den Vortrag des Klägers zur angeblich unzureichenden Protokollierung und nachträglichen Verfälschung seiner Abfindungswünsche für nicht entscheidungserheblich gehalten hat. Sein Hinweis auf die dem Kläger eröffnete Gelegenheit, “alle seine Wünsche im Widerspruchsverfahren zu äußern”, in dem der als befangen abgelehnte Bedienstete des Beklagten nicht tätig geworden sei, lässt nur den Schluss zu, dass das Gericht die angeblich unterlaufenen, als Verfahrensfehler verstandenen Mängel aufgrund der Äußerungsmöglichkeiten des Klägers in dem gegen die vorläufige Besitzeinweisung durchgeführten Widerspruchsverfahren als geheilt betrachtet hat. Ob und inwieweit Abfindungswünsche in diesem Verfahren noch mit heilender Wirkung nachgeholt werden konnten und ob ggf. dafür allein deren Äußerung unabhängig von ihrer Behandlung durch die Widerspruchsbehörde ausreichte, bedarf hier keiner Prüfung. Selbst wenn man die Begründung des Flurbereinigungsgerichts in dieser Hinsicht als rechtlich nicht tragfähig ansehen wollte, betrifft dies – unabhängig von der Bedeutung des geltend gemachten Protokollierungsmangels für die rechtliche Beurteilung der vorläufigen Besitzeinweisung – nur die sachliche Richtigkeit der Urteilsbegründung, nicht deren ordnungsgemäße Abfassung.
Rz. 12
b) Soweit die Beschwerde einen Verstoß gegen § 108 VwGO bei der Behandlung des Vortrags des Klägers zur Vorgehensweise der Flurbereinigungsbehörde im Zusammenhang mit der Landverzichtserklärung einer Erbengemeinschaft geltend macht, kann ihr gleichfalls nicht gefolgt werden. Das Flurbereinigungsgericht hat diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und erwogen (UA S. 18 f.). Seine Ausführungen in den Urteilsgründen legen nachvollziehbar dar, welche Erwägungen zu dem Ergebnis geführt haben, eine fehlerhafte Behandlung der Verzichtserklärung durch den Beklagten stelle die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Besitzeinweisung nicht in Frage. Das Gericht stützt seine Argumentation entscheidend auf seine oben dargestellte Auffassung zu den rechtlichen Voraussetzungen der vorläufigen Besitzeinweisung: Mängel der Abfindung ließen die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Besitzeinweisung unberührt, da zwischen Einlage und Abfindung kein grobes Missverhältnis bestehe und die Besitzeinweisung nicht offensichtlich zu einem unzumutbaren Eingriff in die bisherige Betriebsstruktur führe. In Anbetracht dessen könnten Auswirkungen der Vorgänge um die erfolgte Landverzichtserklärung der Erbengemeinschaft auf die Abfindungsentscheidung die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Besitzeinweisung nicht in Zweifel ziehen. Warum diese Argumentation “logisch unergründbar” sein sollte, erschließt sich aus der Beschwerdebegründung nicht.
Rz. 13
c) Soweit die Beschwerde der Vorinstanz ferner eine selektive, objektiv willkürliche Sachverhaltswürdigung vorwirft und daraus eine Verletzung von § 108 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO herleitet, führt auch dies nicht auf einen die Zulassung der Revision rechtfertigenden Verfahrensfehler. Die zahlreichen Einwände, deren Aufgreifen in den Entscheidungsgründen die Beschwerde vermisst, mögen für die Abfindungsentscheidung von Bedeutung sein. Legt man die Auffassung des Flurbereinigungsgerichts über die rechtlichen Voraussetzungen der vorläufigen Besitzeinweisung (UA S. 18 f.) und seine Annahme zum Vorliegen dieser Voraussetzungen (UA S. 19) zugrunde, so konnte es auf all diese Einwände für die Beurteilung der gegen die vorläufige Besitzeinweisung gerichteten Anfechtungsklage nicht ankommen.
Rz. 14
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Dr. Storost, Dr. Nolte, Domgörgen
Fundstellen