Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens wegen rechtswidrig festgesetzter Stundungszinsen bei der Rückforderung von Bundeswehr-Ausbildungskosten
Leitsatz (amtlich)
1. Das der zuständigen Behörde der Bundeswehr eingeräumte Ermessen hinsichtlich des Wiederaufgreifens des Verfahrens bei einem bestandskräftigen rechtswidrigen Verwaltungsakt (§ 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) ist nicht deswegen auf Null reduziert, weil bei der Rückforderung von Ausbildungskosten gemäß § 56 Abs. 4 SG a.F. Stundungszinsen festgesetzt worden waren, für die es nach der neueren Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 12. April 2017 - 2 C 16.16 - BVerwGE 158, 364 Rn. 64 ff.) an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehlte.
2. Vertretung i.S.v. § 54 Abs. 3 VwGO sind Bundes- und Landesparlamente sowie Vertretungsgremien von (kommunalen und sonstigen) Selbstverwaltungskörperschaften.
3. § 22 Nr. 4 VwGO erfasst nur aktive Beamte und Soldaten, nicht solche im Ruhestand.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; SG § 56 Abs. 4; VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 132 Abs. 2, § 22 Nr. 4, § 54 Abs. 3; VwVfG § 48 Abs. 1 S. 1, § 51 Abs. 5
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 18.10.2019; Aktenzeichen 10 A 10579/19) |
VG Koblenz (Urteil vom 27.02.2019; Aktenzeichen 2 K 719/18.KO) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 27 805,49 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Rz. 2
1. Der Kläger absolvierte während seines Dienstverhältnisses als Soldat auf Zeit in den Jahren von 2000 bis 2006 das Studium der Humanmedizin. Anschließend war er als Stabsarzt tätig. Dabei wurde er als Assistenzarzt an einem Bundeswehrkrankenhaus beschäftigt, zunächst in der Neurochirurgie und später im Bereich Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Am 30. Dezember 2008 berief die Universität B. den Kläger als Akademischen Rat in das Beamtenverhältnis. Mit Ablauf des 29. Dezember 2008 war er deshalb kraft Gesetzes aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit entlassen.
Rz. 3
Nachdem der Kläger auf die Anhörung nicht reagiert hatte, zog die Beklagte ihn mit Leistungsbescheid von Oktober 2011 zur Rückzahlung von Ausbildungsentgelt und Kosten seiner ärztlichen Aus- und Weiterbildung von ca. 140 000 € heran. Mit Widerspruchsbescheid vom November 2015 gewährte die Beklagte dem Kläger dabei Ratenzahlung gegen eine Verzinsung von 2 v.H. über dem jeweiligen Basiszinssatz. Die Stundungszinsen würden nach Erledigung der Hauptforderung eingezogen. Die Zeit von der Approbation bis zum Ausscheiden aus der Bundeswehr könne nicht als effektive Stehzeit auf die Abdienquote angerechnet werden. Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit nach Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht rechtskräftig gewordenem Urteil vom 22. Juni 2016 ab.
Rz. 4
Im April 2017 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 12. April 2017 - 2 C 16.16 - (BVerwGE 158, 364), das Verfahren zur Festsetzung der Aus- und Weiterbildungskosten wiederaufzugreifen und den im Oktober 2011 ergangenen Leistungsbescheid der infolge der neuen Rechtsprechung geänderten Sach- und Rechtslage anzupassen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid von Januar 2018 mit der Begründung ab, eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung bedeute weder eine Änderung der Rechtslage noch sei daraus eine allgemeine Rechtsauffassung abzuleiten. Bei der Ermessensausübung sei berücksichtigt worden, dass keine Umstände vorgetragen worden seien, die eine Aufrechterhaltung des Bescheids als außergewöhnliche Härte erscheinen ließen. Das dagegen gerichtete Vorverfahren blieb für den Kläger erfolglos.
Rz. 5
Auf seine Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verpflichtet, die im Leistungsbescheid vorgenommene Festsetzung von Stundungszinsen im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens zurückzunehmen. Auf die vom Verwaltungsgericht zugelassene und von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens und teilweise Rücknahme des Leistungsbescheids von 2011. Ebenso wenig stehe ihm ein Anspruch auf erneute Entscheidung über seinen Wiederaufnahmeantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu.
Rz. 6
2. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache danach dann, wenn die Beschwerde eine konkrete Frage des revisiblen Rechts bezeichnet und aufzeigt, dass die Frage sowohl im konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist. Klärungsbedarf besteht, wenn eine von der Beschwerde aufgeworfene Frage vom Bundesverfassungs- oder Bundesverwaltungsgericht weder beantwortet worden ist noch auf der Grundlage ihrer Rechtsprechung eindeutig beantwortet werden kann (stRspr; vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4).
Rz. 7
Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufgeworfenen Rechtsfragen,
- ob und gegebenenfalls in welchem Fall ein von Anfang an rechtswidriger, bestandskräftiger Verwaltungsakt im Rahmen der Regelung des § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 49 Abs. 1 VwVfG (Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinn) aufgehoben bzw. zurückgenommen werden muss,
und
- wie die Frage der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rechtssicherheit (insbesondere nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts) auf der einen und an der Beseitigung der (grund-)rechtswidrigen Entscheidung auf der anderen Seite zu beantworten ist,
sind - soweit sie den Darlegungsanforderungen nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügen - bereits durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.
Rz. 8
Hinsichtlich der in § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 VwVfG normierten Rechtsgrundlage für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Korrektur bestandskräftig gewordener inhaltlich unrichtiger Entscheidungen besteht für den Betroffenen ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (BVerwG, Urteile vom 21. Juni 2017 - 6 C 43.16 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 196 Rn. 9 m.w.N. und vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 - BVerwGE 163, 370 Rn. 25). Der Gesetzgeber räumt bei der Aufhebung bestandskräftiger belastender Verwaltungsakte weder dem Vorrang des Gesetzes noch der Rechtssicherheit als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander. Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht nur ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung "schlechthin unerträglich" ist, was von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt (BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 - NVwZ 2007, 709 Rn. 13, vom 24. Februar 2011 - 2 C 50.09 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 58 Rn. 11 und vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 - BVerwGE 163, 370 Rn. 26).
Rz. 9
Ein Festhalten an dem Verwaltungsakt ist danach insbesondere dann "schlechthin unerträglich", wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme beansprucht wird, kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei "schlechthin unerträglich" (BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 - NVwZ 2007, 709 Rn. 13 und vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 - BVerwGE 163, 370 Rn. 26).
Rz. 10
Solche oder vergleichbare Umstände hat das Berufungsgericht im Fall des Klägers rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Sie sind insbesondere nicht in einer generellen finanziellen Belastung mit den Stundungszinsen und dem Umstand zu sehen, dass die Zinsforderung mit § 56 Abs. 4 SG a.F. auf einer nach der Auslegung des Senats im Urteil vom 12. April 2017 - 2 C 16.16 - (BVerwGE 158, 364 Rn. 64 ff.) im Hinblick auf den damit verbundenen Eingriff in das Eigentumsrecht unzureichenden Rechtsgrundlage beruht hat. Denn bis zu der vorgenannten Entscheidung des Senats im April 2017 ist die Härtefallregelung in § 56 Abs. 4 Satz 3 SG a.F. von der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung als hinreichende Rechtsgrundlage für die Frage der Erhebung von Stundungszinsen für rückzahlbare Ausbildungsentgelte anerkannt gewesen (vgl. etwa OVG Hamburg, Urteil vom 18. Juli 1997 - Bf I 23/95 - juris Rn. 38; VGH München, Beschluss vom 19. Mai 2015 - 6 ZB 14.1841 - juris Rn. 21; OVG Münster, Urteile vom 24. Februar 2016 - 1 A 335/14 - juris Rn. 73 und - 1 A 1991/14 - juris Rn. 84; OVG Koblenz, Urteil vom 10. Juni 2016 - 10 A 11136/15 - NVwZ-RR 2017, 243 Rn. 44; VGH Mannheim, Urteil vom 6. Juli 2016 - 4 S 2237/15 - Rn. 46). Schon im Hinblick darauf lässt sich die Rechtswidrigkeit der Erhebung von Stundungszinsen durch einen bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakt nicht als offensichtlich und damit "schlechthin unerträglich" beurteilen.
Rz. 11
Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich, dass der Streitfall mit dem hier inmitten stehenden einmaligen Rückforderungsbescheid gemäß § 56 Abs. 4 SG a.F. nicht zu vergleichen ist mit einem Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens betreffend einen bestandskräftigen Ruhensbescheid; denn dessen beamtenversorgungsrechtliche Besonderheit besteht darin, dass es sich bei einem Ruhensbescheid um einen feststellenden Verwaltungsakt mit sich monatlich neu aktualisierender Wirkung handelt (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Oktober 2020 - 2 C 1.19 - LS 1 und Rn. 16 sowie - 2 C 18.19 - Rn. 17 und 51 ≪beide zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwG bestimmt≫).
Rz. 12
Die weiter von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rechtssicherheit (insbesondere nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts) auf der einen und an der Beseitigung der rechtswidrigen Entscheidung auf der anderen Seite ist eine solche des Einzelfalls. Sie lässt sich nicht allgemeinverbindlich beantworten. Abgesehen davon ist die vom Berufungsgericht für rechtmäßig gehaltene Abwägungsentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Denn die Beklagte hat - auch jenseits einer möglichen Ermessensreduzierung auf Null - das ihr eingeräumte Rechtsfolgeermessen erkannt und ausgeübt. Dabei hat sie rechtsfehlerfrei berücksichtigt, dass der Kläger besondere individuelle Belange - etwa besondere Lebensumstände, Notlagen - gegenüber der Rückforderung nicht eingewandt hat. Ist die Aufrechterhaltung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts nicht "schlechthin unerträglich" und das Wiederaufgreifensermessen deshalb auf Null reduziert, bedarf es keiner weitergehenden Ermessenserwägungen (BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 - BVerwGE 163, 370 Rn. 30).
Rz. 13
Wie Zeiten der fachärztlichen Weiterbildung im Dienst der Bundeswehr bei der Bemessung der Rückforderung von Kosten der Aus- und Weiterbildung zu berücksichtigen sind, ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt (BVerwG, Urteil vom 12. April 2017 - 2 C 16.16 - BVerwGE 158, 364 Rn. 51 ff.). Soweit der Kläger hiergegen einwendet, die fraglichen Zeiten seien im Rahmen einer Abdienquote zu berücksichtigen, rügt er die aus seiner Sicht unrichtige Rechtsanwendung im Einzelfall, die mit der Grundsatzrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht angegriffen werden kann.
Rz. 14
3. Auch die vom Kläger darüber hinaus nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ausdrücklich gerügten Verfahrensmängel greifen nicht durch.
Rz. 15
a) Das Berufungsgericht hat das Gebot der rechtsfehlerfreien Überzeugungsbildung nicht verletzt. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Daraus folgt die Verpflichtung, der Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen. Das Gericht darf nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse nicht in die rechtliche Würdigung einbezieht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2013 - 2 B 35.13 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 21 Rn. 19 m.w.N.).
Rz. 16
Die Beschwerde rügt insoweit allein eine aus ihrer Sicht rechtsfehlerhafte Beurteilung des festgestellten Sachverhalts - der Tätigkeit des Klägers als Stabsarzt - durch das Berufungsgericht. Sie macht geltend, diese Tätigkeit habe keine Fachausbildung beinhaltet; das Berufungsgericht hat diese Frage offengelassen (UA S. 11 unten, S. 13 unten) und den fraglichen Sachverhalt im Hinblick auf das o.a. Merkmal "schlechthin unerträglich " lediglich rechtlich abweichend gewürdigt, als es der Kläger für richtig hält. Damit zeigt die Beschwerde kein Defizit richterlicher Überzeugungsbildung auf.
Rz. 17
b) Auch die weitere Rüge, der Spruchkörper des Berufungsgerichts sei fehlerhaft besetzt gewesen - Verstoß gegen den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) -, weil der an der Entscheidung mitwirkende ehrenamtliche Richter M., ein Soldat im Ruhestand, es unterlassen habe, auf seine Mitgliedschaft in einer Vertretung der Körperschaft der Beklagten hinzuweisen und damit seine Pflicht zur Anzeige eines Befangenheitsgrundes verletzt habe, greift nicht durch. Den ehrenamtlichen Richter M. hat keine Pflicht zur Anzeige eines Befangenheitsgrundes nach § 54 Abs. 3 VwGO und im Übrigen auch keines Ausschlussgrundes nach § 22 Nr. 4 VwGO getroffen.
Rz. 18
Der ehrenamtliche Richter M. gehört zum einen nicht der Vertretung einer Körperschaft an, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden. Mit "Vertretung einer Körperschaft" sind (da Parlamentsmitglieder auf Bundes-, Landes- oder -Europa-Ebene bereits gemäß § 22 Nr. 1 VwGO von einer Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter ausgeschlossen sind) vor allem Mitglieder von Vertretungsgremien auf der kommunalen Ebene (z.B. eines Gemeinderats, Stadtrats oder Kreistags) oder dessen Vertretungsgremiums einer anderen Selbstverwaltungskörperschaft (z.B. Universität) gemeint (vgl. Meissner/Schenk, in: Schoch/Bier/Schmidt-Aßmann, VwGO, Bd. I, Stand: Januar 2020, § 54 Rn. 30a). Der Beschwerde ist schon nicht zu entnehmen, welchem Vertretungsgremium der ehrenamtliche Richter angehören soll. Sofern sie meint, dafür reiche bereits das (frühere) Soldatenverhältnis des ehrenamtlichen Richters zur Beklagten aus, verfehlt die Beschwerde ersichtlich den Wortlaut des § 54 Abs. 3 VwGO.
Rz. 19
Zum anderen oblag dem ehrenamtlichen Richter auch keine Anzeigepflicht mit Blick auf den Ausschlussgrund des § 22 Nr. 4 VwGO. Nach dieser Vorschrift können zwar Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit nicht zu ehrenamtlichen Richtern berufen werden. Bei dem ehrenamtlichen Richter M. handelt es sich aber weder um einen Berufssoldaten noch um einen Soldaten auf Zeit, sondern um einen Soldaten im Ruhestand.
Rz. 20
§ 22 VwGO bezweckt als Ausprägung des Gewaltenteilungsprinzips den Schutz der Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichte und der richterlichen Neutralität. Personen, bei denen allgemein und abstrakt Interessen- und Pflichtenkollisionen auftreten können, werden vom Amt des ehrenamtlichen Richters ausgeschlossen. Das ist bei Beamten und Soldaten im Ruhestand nicht (mehr) der Fall (vgl. BT-Drs. 3/1094 S. 4; BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1956 - 5 C 46.55 - DVBl 1957, 323 ≪324≫; OVG Saarlouis, Beschluss vom 10. Mai 2001 - 1 T 7/01 - NVwZ-RR 2002, 7; VGH Kassel, Beschluss vom 2. Juni 2005 - 1 Y 1382/05 - ESVGH 55, 247 = juris Rn. 3; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 22 Rn. 12, 17; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 22 Rn. 8). Denn das Beamten- oder Soldatenverhältnis endet durch den Eintritt oder die Versetzung in den Ruhestand (vgl. § 30 Nr. 4 BBG, § 21 Nr. 4 BeamtStG, § 43 Abs. 1 SG).
Rz. 21
c) Aus dem gleichen Grund hat das Berufungsgericht gegenüber dem Kläger auch nicht das rechtliche Gehör - Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO - verletzt. Da dem ehrenamtlichen Richter M. keine Pflicht zur Selbstanzeige nach § 54 VwGO getroffen hat, hat für das Berufungsgericht auch keine Hinweispflicht gegenüber den Verfahrensbeteiligten bestanden.
Rz. 22
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus den § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 3 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 14312184 |
JZ 2021, 177 |