Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG. Bund-Länder-Streitigkeit. nicht rechtsfähige Sondervermögen des Bundes
Leitsatz (amtlich)
Die alleinige Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist nicht gegeben bei Streitigkeiten zwischen einem Land und einem nicht rechtsfähigen Sondervermögen des Bundes, das im Rechtsverkehr unter seinem Namen handeln, klagen und verklagt werden kann.
Normenkette
VwGO § 50 Abs. 1 Nr. 1; BENeuglG § 1; GG Art. 93 Abs. 1 Nr. 3
Tenor
Das Bundesverwaltungsgericht erklärt sich für sachlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit an das sachlich und örtlich zuständige Verwaltungsgericht Köln.
Gründe
Der Rechtsstreit ist nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 83 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 17a des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) von Amts wegen an das zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen. Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Entscheidung in diesem Verfahren nicht nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO sachlich zuständig.
Danach besteht die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und einem Land oder zwischen verschiedenen Ländern. Hier geht es um die erste Alternative des Bund-Länder-Streits, der nur dann vorliegt, wenn es sich bei den am Streit Beteiligten um den “Bund” und ein “Land” handelt. Darüber hinaus wird § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO in ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 30. Juli 1976 – BVerwG 4 A 1.75 – NJW 1977, 163 sowie vom 28. Mai 1980 – BVerwG 7 A 2.79 – BVerwGE 60, 162, 173) einschränkend dahin ausgelegt, dass nur bestimmte, in ihrer Eigenart gerade durch die Beziehung zwischen dem Bund und einem Land geprägte Streitigkeiten erfasst und hierdurch von den ansonsten geltenden Zuständigkeitsregelungen ausgenommen werden; entspricht die Stellung eines Beteiligten in allen wesentlichen Punkten derjenigen eines Staatsbürgers im Allgemeinen, fehlt es an der Rechtfertigung, ihn einem Sonderrecht zu unterwerfen.
Eine solche Bund-Länder-Streitigkeit ist vorliegend schon deshalb nicht gegeben, weil es sich bei dem Beklagten nicht um den “Bund” im Sinne des § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO handelt. Das beklagte Bundeseisenbahnvermögen ist gemäß § 1 des Gesetzes zur Zusammenführung und Neugliederung der Bundeseisenbahnen vom 27. Dezember 1993 (BGBl I S. 2378) ein nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes, das nach § 4 Abs. 1 dieses Gesetzes im Rechtsverkehr unter seinem Namen handeln, klagen und verklagt werden kann. Derartige Sondervermögen unterfallen nicht der in Rede stehenden Zuständigkeitsvorschrift. Darauf deutet schon der Wortlaut hin. Wenn dort vom “Bund” als Prozessbeteiligtem die Rede ist, liegt es nahe, dass er auch als solcher in Erscheinung treten muss. Daran fehlt es aber bei nicht rechtsfähigen Sondervermögen, die unter eigenem Namen klagen und verklagt werden können.
Unterstützt wird diese Auslegung durch das Erfordernis, dass es sich um Streitigkeiten “nicht verfassungsrechtlicher Art” handeln muss. Dieses Erfordernis ist nicht lediglich als eine bloße Wiederholung einer Voraussetzung für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 VwGO anzusehen. Ihr kommt eine eigenständige Bedeutung zur Begriffsbestimmung der am Bund-Länder-Streit Beteiligten insofern zu, als diese im Umkehrschluss jedenfalls prinzipiell in der Lage sein müssen, auch verfassungsrechtliche Streitigkeiten miteinander führen zu können. Das ist bei einem nicht rechtsfähigen Sondervermögen nicht der Fall.
Dieses Verständnis wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. Bereits die dem § 50 VwGO vorangegangene Vorschrift des § 9 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVerwGG) enthielt umfangreiche Regelungen über die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts. Die Regelung über den Bund-Länder-Streit knüpfte dabei an die Vorschrift des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 Grundgesetz (GG) an, die die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts betrifft. In der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 10 Abs. 1 Buchst. c BVerwGG, der als § 9 BVerwGG in Kraft getreten ist, heißt es insoweit: “Außerdem weist das Grundgesetz dem Bundesverwaltungsgericht für erstinstanzliche Entscheidungen die Zuständigkeiten des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 (Entscheidungen in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern und zwischen verschiedenen Ländern) zu. Die Zuständigkeit sollte primär das Bundesverfassungsgericht haben, subsidiär aber einem anderen Gericht zugewiesen werden. Soweit es sich bei diesen Streitigkeiten um typisch öffentlich-rechtliche, für die Verwaltungsgerichte in Frage kommende Klagen nicht verfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern sowie zwischen verschiedenen Ländern handelt, wird das Bundesverwaltungsgericht an die Stelle des Bundesverfassungsgerichts zu treten haben, wie es dem Sinne des Artikels 93 des Grundgesetzes entspricht.” (BTDrucks 1/1844 S. 27). Dieser Gedanke wird dann auch im schriftlichen Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht aufgegriffen und vertieft (BTDrucks 1/3420 S. 7). Im Gesetzgebungsverfahren zur Verwaltungsgerichtsordnung wurde die vormalige Gesetzesbegründung zum Bund-Länder-Streit wortwörtlich wiederholt (BTDrucks 3/55 S. 34), während andere Regelungen der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts aus rechtspolitischen Erwägungen wieder aufgegeben wurden (BTDrucks 3/1094 S. 6). Hieraus ergibt sich, dass der Begriff “Bund” in § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO dem des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG entspricht. Diese Vorschrift erfasst aber Sondervermögen des Bundes nicht, was sich ohne weiteres aus einem Vergleich mit Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG ergibt, auf den die Nr. 4 dieser Vorschrift Bezug nimmt. Der Begriff “Bund” und “Länder” ist daher in beiden Vorschriften derselbe. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG behandelt “Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder”. Der “Bund” im Sinne dieser Vorschrift ist also in der Lage, sich aus der Verfassung ergebende Rechte und Pflichten zu haben. Derartige Rechte und Pflichten hat der Beklagte aber nicht, der lediglich die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben wahrzunehmen hat.
Darüber hinaus legt die Tatsache, dass es sich bei der Regelung des § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO um eine Ausnahmebestimmung handelt und dass nach dem Willen des Gesetzgebers die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit aus verfassungs- und rechtspolitischen Gründen auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben soll (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1958 – 2 BvF 1/56 – BVerfGE 8, 174 zu § 9 BVerwGG; BVerwG, Beschlüsse vom 25. November 1963 – BVerwG 6 A 1.62 – Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 1 und vom 27. Juni 1984 – BVerwG 9 A 1/84 – Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 11), eine enge Auslegung nahe. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch die Einrichtung eines Sondervermögens, das im Rechtsverkehr unter seinem Namen handeln, klagen und verklagt werden kann, deutlich gemacht hat, dass er eine Verselbständigung des davon betroffenen Vermögens und Aufgabenbereichs gegenüber der sonstigen Bundesverwaltung will. Der Grad der Verselbständigung ist zwar nicht generell vergleichbar mit demjenigen öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten des Bundes, die einhelliger Auffassung nach nicht unter den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen (Bier in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 50 Rn. 8; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl., § 50 Rn. 2a; Schmidt in Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 50 Rn. 4). Im Rahmen des § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO rechtfertigt er aber eine Gleichstellung mit ihnen. Allein das Fehlen der Rechtsfähigkeit des Sondervermögens vermag eine unterschiedliche Behandlung dieser Fälle nicht zu begründen (so aber wohl Bier in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 13. Aufl., § 50 Rn. 8; kritisch hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. München 2000, § 50 Rn. 3).
Selbst wenn – entgegen den vorstehenden Darlegungen – der Bund auch über ein Sondervermögen an einem (verfassungsrechtlichen) Bund-Länder-Streit beteiligt sein könnte, müsste davon ausgegangen werden, dass sich im Streitfall die Beteiligten lediglich als Vermögensträger auf fiskalischer Ebene gegenüberstehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. November 1982 – 2 BvH 1/79 – BVerfGE 62, 295 ≪313≫), was gleichfalls einer erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts entgegensteht; im Streitfall geht es im Kern nämlich darum, ob ein nach den Maßstäben des Urteils vom 16. Dezember 1999 – BVerwG 3 A 2.99 – (BVerwGE 110, 180) an sich gegebener Anspruch auf Freistellung verjährt ist.
Da das Bundesverwaltungsgericht somit nicht gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO sachlich zuständig ist, ist der Rechtsstreit gemäß § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das sachlich und örtlich zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen. Sachlich zuständig ist nach § 45 VwGO das Verwaltungsgericht erster Instanz. Örtlich zuständig ist im vorliegenden Fall das Verwaltungsgericht Köln, da der Beklagte seinen Sitz in Bonn hat (§ 52 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 2 Buchst. e AG VwGO NW).
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten (§ 173 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 2 GVG).
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Brunn
Fundstellen
Haufe-Index 886242 |
BVerwGE 2003, 244 |
NVwZ 2003, 620 |
ZAP 2003, 385 |
DÖV 2003, 378 |
DVBl. 2003, 416 |