Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 08.07.2014; Aktenzeichen 5 LB 199/13) |
Tenor
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Juli 2014 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 467,38 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat mit der Maßgabe Erfolg, dass das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 133 Abs. 6 VwGO). Das Berufungsurteil beruht auf einem Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Klägerin macht zu Recht geltend, dass das Oberverwaltungsgericht seine Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt hat.
Die 1943 geborene Klägerin stand als beamtete Ärztin im Dienst der Beklagten. Nach ihrer Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mit Wirkung ab 1. Juli 1996 blieb sie freiberuflich als Ärztin tätig, außerdem erzielte sie Einnahmen aus dem Betrieb von Windkraftanlagen.
Der Einkommensteuerbescheid für 2003 wies für die ärztliche Tätigkeit Einkünfte aus selbständiger Arbeit von 55 443 EUR sowie aus Gewerbebetrieb (Windkraftanlagen) von 41 713 EUR aus. Für diese Einkünfte war ein Verlustvortrag von 40 198 EUR berücksichtigt. Die Beklagte rechnete diese Einkünfte unter Berücksichtigung des Verlustvortrages als Erwerbseinkommen im Wege des Vorteilsausgleichs auf das Ruhegehalt der Klägerin an. Die Ruhensberechnung ergab eine Überzahlung von 467,38 EUR, dessen Erstattung die Beklagte verlangt. Die Anfechtungsklage gegen den Ruhens- und Rückforderungsbescheid ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. In dem Berufungsurteil heißt es im Wesentlichen:
Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb seien in die Ruhensberechnung nach dem übergangsweise anzuwendenden § 53a BeamtVG a.F. einzustellen. Es sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sie nicht auf der Arbeitskraft der Klägerin beruhten, sondern Erträge aus einer Kapitalanlage darstellten. Der Vortrag der Klägerin, es müsse ein höherer Verlustvortrag berücksichtigt werden, sei unbeachtlich. Die Beklagte habe die aus den Vorjahren stammenden Verluste aus dem Gewerbebetrieb zu Unrecht zugunsten der Klägerin einbezogen. Eine Berücksichtigung des einkommensteuerrechtlichen Verlustabzugs nach § 10d Abs. 4 EStG für folgende Kalenderjahre widerspreche Strukturprinzipien des beamtenversorgungsrechtlichen Vorteilsausgleichs. Nach dem Wortlaut des § 53a Abs. 6 Satz 2 BeamtVG in der Fassung vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S. 2218) – (§ 53 Abs. 7 Satz 4 und 5 BeamtVG n.F.) und dem Zweck des Vorteilsausgleichs setze die Anrechnung von Erwerbseinkommen auf die Versorgungsbezüge voraus, dass es in dem Zeitraum (Monat oder Kalenderjahr) zugeflossen sei, in dem die Versorgungsbezüge fällig geworden seien.
1. Mit der Aufklärungsrüge macht die Klägerin geltend, das Oberverwaltungsgericht habe nicht ohne Sachaufklärung annehmen dürfen, die Einkünfte aus dem Betrieb der Windkraftanlagen stellten keine Erträge aus einer Kapitalanlage, sondern anrechenbares Einkommen aus der Verwertung der Arbeitskraft dar. Das Oberverwaltungsgericht habe keine Bemühungen zur Aufklärung dieser Tatsachenfrage unternommen.
Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforscht das Tatsachengericht den Sachverhalt von Amts wegen. Es ist verpflichtet, alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Aufklärungsmöglichkeiten bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu nutzen. Dies schließt eine Bindung an die in anderen Verfahren, insbesondere im vorangegangenen Verwaltungsverfahren ermittelten tatsächlichen Feststellungen grundsätzlich aus. Auch das Gebot des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewähren, verpflichtet das Gericht, sich darum zu bemühen, seine Entscheidung auf eine möglichst vollständige und richtige Tatsachengrundlage zu stützen.
Das Gericht muss daher auch alle Aufklärungsbemühungen unternehmen, die sich unabhängig vom Vortrag, insbesondere von den Beweisangeboten, der Verfahrensbeteiligten nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies ist der Fall, wenn das Gericht auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung auch ohne Beweisantrag Anlass zu weiterer Aufklärung sehen muss. Hierfür muss nach Lage der Dinge deutlich erkennbar sein, dass die tatsächlichen Feststellungen eine Entscheidung nicht sicher tragen. Hinzukommen muss, dass auf der Hand liegt, welche zumutbare Aufklärungsmaßnahme in Betracht kommt (stRspr; vgl. nur Urteil vom 28. Juli 2011 – BVerwG 2 C 28.10 – BVerwGE 140, 199 Rn. 24 f.).
Das Oberverwaltungsgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass die Einkünfte der Klägerin aus dem Betrieb der Windkraftanlagen nur dann als Erwerbseinkommen aus Gewerbebetrieb im Sinne von § 53a Abs. 6 Satz 1 BeamtVG a.F. (§ 53 Abs. 7 Satz 1 BeamtVG) nach § 53a Abs. 1 BeamtVG a.F. (§ 53 Abs. 1 BeamtVG) auf das Ruhegehalt der Klägerin angerechnet werden und ein Auszahlungshindernis begründen können, wenn die Klägerin ihre Arbeitskraft eingesetzt hat, um die Einkünfte zu erzielen.
Diese Rechtsauffassung entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: Danach gehören Erträge aus der Anlage des Kapitalvermögens nicht zum anrechenbaren Erwerbseinkommen, auch wenn es sich bei der Anlage um eine Kapitalbeteiligung an einem Gewerbebetrieb handelt. Einkünfte aus Gewerbebetrieb stellen nur dann anrechenbares Erwerbseinkommen im Sinne von § 53a Abs. 6 Satz 1 BeamtVG a.F. (§ 53 Abs. 7 Satz 1 BeamtVG) dar, wenn der Ruhestandsbeamte seine Arbeitskraft in den Gewerbebetrieb einbringt. Er muss die Einkünfte als Gegenleistung für seine Arbeit in dem Gewerbebetrieb erhalten.
Diese einschränkende Auslegung des gesetzlichen Begriffs der Einkünfte aus Gewerbebetrieb folgt aus dem Zweck des in § 53a BeamtVG a.F. (§ 53 BeamtVG) geregelten Vorteilsausgleichs. Der vorzeitig in den Ruhestand versetzte Beamte muss die Anrechnung desjenigen Einkommens auf das Ruhegehalt hinnehmen, das er im Ruhestand durch den Einsatz seiner Arbeitskraft erzielt, der durch den Wegfall seiner Dienstleistungspflicht vor Erreichen der allgemeinen gesetzlichen Altersgrenze ermöglicht wird. Dagegen scheidet im Hinblick auf den Alimentationsgrundsatz nach Art. 33 Abs. 5 GG eine Anrechnung desjenigen Einkommens aus, das nicht das Ergebnis der vorzeitig anderweitig einsetzbaren Arbeitskraft des Ruhestandsbeamten, sondern Ertrag seines privaten Vermögens ist. Hierzu zählen Einkünfte aus Kapitalvermögen, etwa aus Kapitalbeteiligungen an Gewerbebetrieben, in denen der Ruhestandsbeamte nicht mitarbeitet (Urteil vom 25. August 2011 – BVerwG 2 C 31.10 – Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 22 Rn. 13; vgl. bereits OVG Münster, Urteil vom 20. Juni 2007 – 21 A 2664/05 – IÖD 2007, 213).
Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung hätte sich dem Oberverwaltungsgericht die Aufklärung aufdrängen müssen, ob die Einkünfte der Klägerin aus dem Betrieb der Windkraftanlagen auf dem Einsatz ihrer Arbeitskraft beruhten oder Erträge einer Kapitalbeteiligung waren. Zweifel an einer Arbeitsleistung der Klägerin für das Windkraftunternehmen lagen wegen deren Berufstätigkeit als Ärztin auf der Hand; dass die Klägerin daneben ihre Arbeitskraft noch für ein Windkraftunternehmen hätte einsetzen können, war eher fernliegend. Um dies aufzuklären hätte es ausgereicht, die Klägerin aufzufordern, die vertraglichen Unterlagen ihres Engagements vorzulegen, sowie bei Bedarf ergänzend nachzufragen. In Anbetracht dessen durfte das Oberverwaltungsgericht die Angaben im Einkommensteuerbescheid nicht ungeprüft zugrunde legen. Sie können lediglich bei Fehlen anderweitiger Anhaltspunkte als Indiz herangezogen werden (Urteil vom 28. Juni 2012 – BVerwG 2 C 58.11 – Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 25 Rn. 12). Solche Anhaltspunkte lagen hier, wie dargestellt, auf der Hand.
2. Die mit den Grundsatzrügen aufgeworfenen Rechtsfragen sind nur entscheidungserheblich, wenn das Oberverwaltungsgericht nach Aufklärung des Sachverhalts zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Einkünfte aus der Beteiligung an dem Windkraftunternehmen auf dem Einsatz der Arbeitskraft beruhen und deshalb anrechenbares Erwerbseinkommen im Sinne von § 53a Abs. 6 BeamtVG a.F. (§ 53 Abs. 7 Satz 1 BeamtVG) darstellen. Die Rechtsfragen sind nicht rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entweder bereits ausdrücklich geklärt sind oder sich ohne weiteres daraus ergeben (vgl. zum Begriff der grundsätzlichen Bedeutung: Beschluss vom 24. Januar 2011 – BVerwG 2 B 2.11 – NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4).
a. Die Frage, ob bei der Bestimmung des Erwerbseinkommens aus Gewerbebetrieb Verlustvorträge einkommensmindernd berücksichtigt werden können, hat das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 28. Juni 2012 (a.a.O.) beantwortet. Danach ergibt sich die Summe der anzurechnenden Einkünfte aus einer Saldierung. Maßgebend sind die Einkünfte, die ein Ruhestandsbeamter durch die Arbeitsleistung in einem Gewerbebetrieb erzielt, nach Abzug der Verluste, die auf diese Betätigung zurückzuführen sind. Auch dies folgt aus dem Zweck des Vorteilsausgleichs nach § 53a BeamtVG a.F. (§ 53 BeamtVG n.F.): Dem Ruhestandsbeamten fließen nur in Höhe der um die Verluste bereinigten Einkünfte aus seiner erwerbswirtschaftlichen Betätigung Mittel zu, die er zur Deckung des Lebensunterhalts verwenden kann. Nur insoweit besteht ein Hindernis für die Auszahlung des Ruhegehalts (Urteil vom 28. Juni 2012 a.a.O. Rn. 20 f.).
b. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen steuerliche Verlustvorträge nach § 10d Abs. 4 EStG einkommensmindernd zu berücksichtigen sind, kann aufgrund des Gesetzeswortlauts und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres beantwortet werden. Nach § 53a Abs. 6 BeamtVG a.F. (§ 53 Abs. 7 Satz 4 und 5 BeamtVG) erfolgt die Berücksichtigung des Erwerbseinkommens monatsbezogen oder, wenn es nicht in Monaten erzielt wird, jahresbezogen. In diesem Fall ist das Einkommen des Kalenderjahres, geteilt durch zwölf Kalendermonate, anzusetzen.
Für die jahresbezogene Anrechnung von Erwerbseinkommen ist der Zeitraum maßgebend, in dem der Ruhestandsbeamte die Arbeitsleistung erbringt, die durch das Einkommen abgegolten wird. Eine jährliche Einmalzahlung ist auf das jeweilige Kalenderjahr umzulegen (Urteile vom 31. Mai 2012 – BVerwG 2 C 18.10 – Buchholz 449.4 § 53 SVG Nr. 1 Rn. 20 und vom 26. November 2013 – BVerwG 2 C 17.12 – Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 27 Rn. 13). Daraus folgt zwangsläufig, dass nur solche Verluste das anrechenbare Erwerbseinkommen mindern können, die in demselben Zeitraum entstanden sind. Auch das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Einbeziehung von steuerrechtlich relevanten Verlustvorträgen aus vorangegangenen Kalenderjahren mit dem Zweck des Vorteilsausgleichs nach § 53a BeamtVG a.F. (§ 53 BeamtVG) nicht zu vereinbaren ist. Danach ist das in einem bestimmten Zeitraum erzielte Erwerbseinkommen auf das Ruhegehalt anzurechnen. Da dieses Einkommen der Differenzbetrag aus der Vergütung für den Einsatz der Arbeitskraft und den darauf zurückzuführenden Verlusten ist, müssen Vergütung und Verluste aus einer Tätigkeit in einem Gewerbebetrieb im gleichen Zeitraum anfallen.
Die geltend gemachte Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO des Berufungsurteils von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2012 – BVerwG 2 C 58.11 – (Buchholz 239.11 § 53 BeamtVG Nr. 25) liegt schon deshalb nicht vor, weil sich dieses Urteil nicht mit der Berücksichtigung steuerlicher Verlustvorträge aus einem vorangegangenem Zeitraum bei der Ermittlung des anrechenbaren Erwerbseinkommens befasst.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Domgörgen, Dr. Heitz, Dr. von der Weiden
Fundstellen
Haufe-Index 7490913 |
ZTR 2015, 169 |
IÖD 2015, 62 |