Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 24.02.2004; Aktenzeichen 7 K 1486/00) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 24. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
Gründe
Die allein auf die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Dies betrifft die Aufklärungsrüge sowohl in Verbindung mit der Gehörsrüge (1.), als auch in Verbindung mit der Rüge einer fehlerhaften Beweiswürdigung (2.), aber auch die isoliert erhobene Rüge einer fehlerhaften Beweiswürdigung (3.).
1. Einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit einem Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) sieht der Kläger in der Würdigung der ihm ärztlich bescheinigten “reaktiven Depression” durch das Verwaltungsgericht. Es habe sich mit dem entsprechenden Vorbringen des Klägers in keiner Weise auseinander gesetzt. Das Verwaltungsgericht habe nichts unternommen, um die Krankenunterlagen der Bundeswehr beizuziehen und die damaligen Vorgesetzten des Klägers sowie den Truppenarzt und später behandelnden Arzt des Bundeswehrkrankenhauses zu kontaktieren. Die psychische Verfassung und insbesondere die “reaktive Depression” des Klägers seien für die Entscheidung von großer Bedeutung gewesen. Das Verwaltungsgericht habe nämlich – unter anderem – tragend darauf abgestellt, dass der Kläger den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erst einen Tag vor Beginn des Grundwehrdienstes gestellt habe, obwohl er vorgetragen habe, die Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe bereits in den 90er Jahren getroffen zu haben. Die intensive Erforschung des Sachverhalts hätte weiteren Aufschluss in der Weise erbringen können, dass genau die von der Bundeswehr und zivilen Ärzten attestierte “reaktive Depression” eine sehr plausible Erklärung für das zögerliche Verhalten des Klägers bei der Antragstellung gewesen sei. Dieses Vorbringen genügt den Anforderungen nicht.
Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. Beschluss vom 10. November 1992 – BVerwG 3 B 52.92 – Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5; Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, 1971, Rn. 222 m.w.N.). Hinsichtlich des von der Beschwerde behaupteten Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss dementsprechend substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 6. März 1995 – BVerwG 6 B 81.94 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265). Die Rüge, das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) sei verletzt, erfordert regelmäßig die substantiierte Darlegung dessen, was die Prozesspartei bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (vgl. Beschluss vom 19. März 1991 – BVerwG 9 B 56.91 – Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25 ≪S. 12≫ m.w.N.; Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26).
Die Rüge bleibt – gleichermaßen hinsichtlich des behaupteten Aufklärungsmangels wie auch der Verletzung des rechtlichen Gehörs – ohne Erfolg, weil nicht ersichtlich ist, dass die hypothetisch unter Beweis gestellten Tatsachen das Urteil im Sinne des Klägers hätten beeinflussen können. Zutreffend weist die Beschwerde darauf hin, dass das Urteil u.a. auf der Erwägung beruht, der Kläger habe den Anerkennungsantrag erst einen Tag vor Beginn des Grundwehrdienstes gestellt, obwohl er auch angegeben habe, die Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe bereits während des Studiums in den 90er Jahren getroffen zu haben (Urteil S. 5). Selbst wenn eine Beweisaufnahme erbringen würde, dass die dem Kläger am 2. Juni 2000 attestierte “reaktive Depression” im Zeitpunkt der Antragstellung bereits bestanden hat, wäre damit nicht die vom Verwaltungsgericht für beachtlich gehaltene Länge des Zeitraums von der behaupteten Entstehung der Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe seit dem Studium in den 90er Jahren bis zur Antragstellung zu erklären; auf diese Zeitdifferenz aber hat das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Verweigerung durch den Kläger maßgeblich abgestellt. Hinzu kommt, dass ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung (dort S. 4) die “reaktive Depression” vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Zusammenhang mit der verzögerlichen Antragstellung zwar angesprochen, aber weder mit einem Beweisantrag noch mit einer Beweisanregung verbunden wurde. Das Verwaltungsgericht musste sich vor diesem Hintergrund auch nicht von Amts wegen zu einer weitergehenden Sachverhaltsaufklärung gehalten sehen. Es wäre insofern auch an dem anwaltlich vertretenen Kläger selbst gewesen, das angebliche Ausmaß der depressiven Erkrankung und seine Bedeutung für das Verständnis der Verweigerungsentscheidung darzutun. Die Art und Weise, wie der Kläger laut Protokoll der mündlichen Verhandlung die psychische Erkrankung eingeführt hat, weist eher in die Richtung einer Tauglichkeitsfrage, welche aber nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist. Das Verwaltungsgericht hatte schließlich aber auch deshalb keine Veranlassung, einen dahin gehenden Aufklärungsbedarf zu sehen, weil der Kläger immerhin gemustert worden ist, ohne dass eine entsprechende psychische Erkrankung festgestellt oder das Fehlen ihrer Feststellung vom Kläger angegriffen worden ist.
Abgesehen davon enthält die ärztliche Bescheinigung vom 2. Juni 2000 keinen greifbaren Anhaltspunkt für die Annahme, der Kläger sei aus psychischen Gründen nicht in der Lage gewesen, sein Anerkennungsbegehren frühzeitig geltend zu machen und zu den sittlichen Maßstäben seiner Entscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe in den Verwaltungsinstanzen substantiiert vorzutragen. Vielmehr verhielt sich das Attest ausschließlich dazu, ob dem Kläger die Rückkehr zu seiner Einheit zuzumuten sei. Zu abweichender Bewertung gab auch der Vortrag des Klägers im Widerspruchs- und Klageverfahren keinen Anlass. Unter diesen Umständen war das Verwaltungsgericht nicht gehalten, sich mit der psychischen Lage des Klägers während der Ableistung seines Wehrdienstes in den Entscheidungsgründen auseinander zu setzen oder dazu den Sachverhalt weiter aufzuklären.
2. Einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) in Verbindung mit einer fehlerhaften Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) sieht die Beschwerde darin, dass das Verwaltungsgericht nicht weiter aufgeklärt habe, warum der Kläger während seines Dienstes bei der Bundeswehr vom Dienst mit der Waffe und dem Waffenunterricht befreit gewesen sei. Vielmehr führe es im Urteil (S. 6) die Befreiung ausschließlich auf medizinische Gründe zurück. Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätten aber die damaligen Vorgesetzten des Klägers bei der Bundeswehr und der Arzt befragt und Krankenunterlagen beigezogen werden können. In der mündlichen Verhandlung habe er nämlich ausgeführt, “Ich habe weder am Waffenunterricht noch am Waffengebrauch teilgenommen. Dies habe ich ausdrücklich beantragt. Von sich aus wurde mir dies nicht angeboten.” Selbst wenn medizinische Gründe mitursächlich gewesen seien, hätte das Gericht dem Umstand weiter nachgehen müssen.
Der Aufklärungsmangel ist nicht schlüssig dargetan, denn der Kläger hat nicht ausgeführt, welches Beweisthema mit welchen Erkenntnismitteln nach seiner Ansicht durch das Gericht hätte untersucht werden müssen. Insbesondere wird nicht etwa die Behauptung unter Beweis gestellt, die unterbliebene Ausbildung an Waffen sowie das unterbliebene Tragen von Waffen während des Grundwehrdienstes beruhten auf einer ethisch motivierten Weigerung des Klägers. Nicht einmal die von ihm selbst gegebene Ursachenbeschreibung – “Ich habe weder am Waffenunterricht noch am Waffengebrauch teilgenommen. Dies habe ich ausdrücklich beantragt. Von sich aus wurde mir dies nicht angeboten.” – geht von einer definitiven ethisch motivierten Verweigerung des Tragens und der Ausbildung an Waffen aus. Der bloße Hinweis, “das Gericht (hätte) diesem Umstand weiter nachgehen müssen” ist zur Substantiierung der Aufklärungsrüge nicht ausreichend.
Auch die im selben Zusammenhang erhobene Rüge der fehlerhaften Beweiswürdigung bleibt ohne Erfolg. Eine Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung als solche ist nicht als Verfahrensmangel rügefähig (Beschluss vom 2. November 1999 – BVerwG 4 BN 41.99 – UPR 2000, 226-227). In diesem Zusammenhang in Betracht kommt aber die Rüge sogenannter aktenwidriger Feststellungen im angegriffenen Urteil. Die Verfahrensrüge, das Gericht habe den Sachverhalt “aktenwidrig” festgestellt, betrifft das Gebot der sachgerechten Ausschöpfung des vorhandenen Prozessstoffs (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die entsprechende Verfahrensrüge enthält die schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss dieser Widerspruch offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf; der Widerspruch muss also “zweifelsfrei” sein (vgl. Beschluss vom 19. November 1997 – BVerwG 4 B 182.97 – Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1; Urteil vom 2. Februar 1984 – BVerwG 6 C 134.81 – BVerwGE 68, 338). Die Verfahrensrüge der “Aktenwidrigkeit” verlangt eine genaue Darstellung des Verstoßes, und zwar durch konkrete Angaben von Textstellen aus dem vorinstanzlichen Verfahren, aus denen sich der Widerspruch ergeben soll. Diese Voraussetzungen sind erforderlich, da eine Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung als solche nicht als Verfahrensmangel rügefähig ist (Beschluss vom 2. November 1999 – BVerwG 4 BN 41.99 – UPR 2000, 226-227). Der Kläger hält dem Urteil entgegen, das Gericht habe “einfach eine ihm genehme Schlussfolgerung gezogen, ohne den Sachverhalt näher aufzuklären”. Darin liegt noch nicht einmal schlüssig die Behauptung eines offenkundigen Widerspruchs zwischen den feststehenden Tatsachen sowie denjenigen, welche dem Urteil zu Grunde liegen. Allein die sinngemäße Behauptung, das Gericht habe aufgrund unzureichend ermittelter Tatsachen entschieden, weist zwar in den Anwendungsbereich der Aufklärungsrüge, ist aber daneben nicht geeignet, die Rüge einer aktenwidrigen Entscheidung zu begründen.
Im Übrigen bleiben die Rügen in der Sache ohne Erfolg. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angeführt, seinem – offenbar unter Vorlage eines ärztlichen Attests gestellten – Antrag auf Befreiung vom Waffengebrauch habe “der Arzt stattgegeben”, weil er Kriegsdienstverweigerer sei. Die Weigerung des Verwaltungsgerichts, daraus zwingende Rückschlüsse auf das Vorliegen einer Gewissensentscheidung herzuleiten, ist daher nicht aktenwidrig. Auch musste sich dem Verwaltungsgericht mit Rücksicht auf die diesbezüglichen Angaben des Klägers nicht aufdrängen, den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären. Schließlich gehen diese Rügen deswegen ins Leere, weil sie sich lediglich auf eine Hilfserwägung des Verwaltungsgerichts beziehen (Urteil S. 6: “Zudem …”), die hinweggedacht werden kann, ohne dass sich am Ergebnis der Beurteilung etwas ändert.
3. Eine Verletzung von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO sieht die Beschwerde in einer fehlerhaften Beweiswürdigung. Das Gericht habe sich mit zahlreichen für den Kläger positiven Umstände nicht in der durch § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgeschriebenen Form auseinander gesetzt. Auch diese Rüge bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat sich mit dem angefochtenen Urteil in den Grenzen der Befugnis gehalten, “nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung” entscheiden zu dürfen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die “Freiheit”, die dieser sogenannte Überzeugungsgrundsatz dem Tatsachengericht zugesteht, bezieht sich auf die Bewertung von Tatsachen und Beweisergebnissen, d.h. auf die Bewertung der für die Feststellung des Sachverhalts maßgebenden Umstände (Urteil vom 17. Januar 1980 – BVerwG 5 C 7.79 – Buchholz 431.1 Architekten Nr. 5, S. 16 ≪17≫). Sie ist nach der einen Seite hin begrenzt durch das jeweils anzuwendende Recht und dessen Auslegung. Alles, was (noch) Rechtsfindung ist, entzieht sich – eben deshalb – einer Deckung durch den Überzeugungsgrundsatz (vgl. dazu die Hinweise etwa in den Beschlüssen vom 11. Februar 1976 – BVerwG VI C 3.76 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 84 S. 8 ≪9≫ und vom 6. Februar 1978 – BVerwG 6 C 17.77 – Buchholz 310 § 139 VwGO Nr. 46 S. 3 ≪6≫). Nach der anderen Seite hin ergibt sich die Grenze daraus, dass der Überzeugungsgrundsatz nicht für eine Würdigung in Anspruch genommen werden kann, die im Vorgang der Überzeugungsbildung an einem Fehler leidet, z.B. an der Missachtung gesetzlicher Beweisregeln oder an der Berücksichtigung von Tatsachen, die sich weder auf ein Beweisergebnis noch sonst wie auf den Akteninhalt stützen lassen (Urteil vom 25. Mai 1984 – BVerwG 8 C 108.82 – Buchholz 448.0 § 11 WehrPflG Nr. 35). Anhaltspunkte für solche Verstöße sind dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen.
4. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf Art. 1 § 72 Nr. 1 KostRModG i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F.
Unterschriften
Bardenhewer, Büge, Graulich
Fundstellen