Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 15.08.2006; Aktenzeichen 1 A 5227/04) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. August 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 893,03 € festgesetzt.
Gründe
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) und des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 127 Nr. 1 BRRG (Abweichung der Berufungsentscheidung von der Entscheidung eines anderen Oberverwaltungsgerichts) gestützte Beschwerde ist unbegründet.
I
Eine grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angaben voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr, vgl. bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ff.). Daran gemessen scheidet die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung aus.
1. Zur Beantwortung der Fragen, ob
a) “aufgrund des Wortlauts des Gesetzesvorbehalts des § 49 Abs. 3 BBesG, der die Landesregierungen ermächtigt, die den Gerichtsvollziehern ‘entstehenden’ Kosten abzugelten, eine rückwirkende Änderung der Abgeltung in Form einer rückwirkenden Änderung des Prozentsatzes i.S.d. § 2 Abs. 1 GVEntschVO und des Jahreshöchstbetrages i.S.d. § 3 Abs. 2 GVEntschVO nach Ablauf des Abrechnungsjahres 2001 unzulässig” ist,
b) “es für die rückwirkende Änderung des Prozentsatzes i.S.d. § 2 Abs. 1 GVEntschVO und des Höchstbetrages i.S.d. § 3 Abs. 2 GVEntschVO einer Ermächtigungsgrundlage in Form eines Gesetzes im materiellen Sinne” bedarf und
c) “§ 2 Abs. 2 GVEntschVO einen Vertrauenstatbestand dergestalt (begründet), dass die Gerichtsvollzieher nach Ablauf des Abrechnungsjahres mit einer rückwirkenden Absenkung des Prozentsatzes i.S.d. § 2 Abs. 1 GVEntschVO und des Jahreshöchstbetrages i.S.d. § 3 Abs. 2 GVEntschVO nicht mehr rechnen müssen”,
bedarf es keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Fragen lassen sich ohne weiteres auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 11. Oktober 2000 – BVerwG 6 B 47.00 – Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 10 m.w.N.).
Auf der Grundlage dieser Vorgaben lässt sich feststellen, dass der in § 49 Abs. 3 BBesG enthaltenen Ermächtigungsgrundlage weder dem Wortlaut noch dem Sinne nach ein bestimmtes Modell der Kostenabgeltung (Urteil vom 19. August 2004 – BVerwG 2 C 41.03 – NVwZ-RR 2005, 214) entnommen werden kann, wozu auch die Möglichkeit des Verordnungsgebers gehört, die Kosten rückwirkend zu ermitteln. Die mit einer rückwirkenden Entschädigungsregelung zusammenhängenden Rechtsfragen sind daher nach den allgemeinen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Verbot rückwirkender Regelungen zu beantworten. Danach verstößt ein Gesetz oder eine Verordnung gegen das Rechtsstaatsgebot, wenn es rückwirkend und belastend in abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift. Das grundsätzliche Verbot belastender Gesetze mit Rückwirkung beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes, der dem Rechtsstaatsprinzip innewohnt. Ausnahmen vom Rückwirkungsverbot gelten nur dann, wenn das Vertrauen auf die Fortgeltung einer bestimmten rechtlichen Regelung nicht schutzwürdig ist (vgl. u.a. BVerfG, Urteil vom 23. November 1999 – 1 BvF 1/94 – BVerfGE 101, 239 und Beschluss vom 23. März 1971 – 2 BvL 2/66, 2 BvR 168, 196, 197, 210, 472/66 – BVerfGE 30, 367 ≪385 ff.≫; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 – BVerwG 2 C 36.02 – BVerwGE 118, 277 jeweils m.w.N.). Das ist dann nicht der Fall, wenn in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit einer solchen Regelung zu rechnen war (BVerfG, Beschluss vom 23. März 1971 a.a.O. S. 387).
Soweit es um die auf den Jahresbeginn rückwirkende Herabsetzung des Prozentsatzes geht, hätte der Kläger als Beamter schon nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 GVEntschVO bereits am Anfang eines jeden Rechnungsjahres erkennen können, dass es zu einer auf den 1. Januar des jeweils maßgeblichen und nicht allein des laufenden Jahres rückwirkenden Änderung des in § 2 Abs. 1 Satz 2 GVEntschVO festgesetzten Prozentsatzes der Gebührenanteile kommen würde, falls sich hierzu im Nachhinein die Notwendigkeit ergeben sollte. Sprachlich kommt dieses Normverständnis durch die Verwendung der Worte “des entsprechenden Jahres” zum Ausdruck. Hätte der Verordnungsgeber eine nachträgliche Anpassung der Bürokostenentschädigung nur für das laufende Rechnungsjahr zulassen wollen, in dem sich der nachträgliche Anpassungsbedarf herausstellt, hätte er dies etwa mit den Worten “dieses Jahres” statt mit den Worten “des entsprechenden Jahres” zum Ausdruck gebracht. Zudem entspricht diesem Normverständnis nach der vom Kläger nicht gerügten und deshalb gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellung des Berufungsgerichts auch die langjährig unverändert gebliebene Praxis des Beklagten bei der Bürokostenentschädigung (S. 5, 20 UA). Davon abgesehen könnte eine nachträgliche Anpassung der Entschädigung trotz ihrer Notwendigkeit nicht selten wegen Zeitablaufs nur in dem Jahr realisiert werden, in dem die tatsächlichen Grundlagen vorliegen, deren Kenntnis eine Anpassung erst ermöglicht. Die Ermittlung dieser Grundlagen, die nach der Rechtsprechung des Senats (u.a. Urteil vom 19. August 2004 a.a.O.) auf verschiedenen empirischen Erhebungen beruhen muss, lässt sich jedoch häufig in weniger als einem Jahr kaum bewerkstelligen.
Auch hinsichtlich der Absenkung des Höchstbetrages der Gebührenanteile nach § 3 Abs. 2 GVEntschVO, deren rückwirkende Zulässigkeit sich zwar nicht bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, wohl aber aus deren Normzusammenhang erschließt, besteht kein Schutz des Vertrauens in den Bestand der bereits erfolgten Abrechnungen. In beiden Fällen musste der Kläger wegen der offensichtlichen Vorläufigkeit der im jeweiligen Geschäftsjahr ratenweise erfolgten Abrechnungen damit rechnen, dass eine später notwendig werdende endgültige Bewertung durch den Dienstherrn auch zu für ihn belastenden Festsetzungen führen konnte.
2. Die Frage, ob
“bei der Berechnung des – dem Höchstbetrag i.S.d. § 3 Abs. 2 GVEntschVO zugrundeliegenden – Jahreskostenbetrages NRW nicht nur der Personalkostenanteil, sondern auch der Sachkostenanteil um das 100 % übersteigende (durchschnittliche) Arbeitspensum eines Gerichtsvollziehers erhöht werden” muss,
ist nicht rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig, weil sie höchstrichterlich bereits entschieden ist.
§ 3 GVEntschVO ist eine Vorschrift des Landesrechts, die jedoch der revisionsgerichtlichen Kontrolle (§ 126 Abs. 1, § 127 Nr. 1 BRRG) unterliegt, weil sie auf der Grundlage des § 49 Abs. 3 BBesG einen Teil der Alimentation des im Beamtenverhältnis stehenden Gerichtsvollziehers regelt (Urteil vom 19. August 2004 a.a.O.).
In diesem Urteil hat der Senat entschieden, dass die den Gerichtsvollziehern entstehenden Kosten nach § 49 Abs. 3 Satz 1 BBesG in dem Umfang typisierend und pauschalierend abzugelten sind, in dem sie durch die Einrichtung und Unterhaltung eines Büros entstehen. Zwar sei bundesrechtlich kein bestimmtes Entschädigungsmodell vorgeschrieben, so dass der Verordnungsgeber in den in dieser Entscheidung umrissenen Grenzen grundsätzlich frei ist. Er muss sich aber, da er lediglich zum Kostenersatz verpflichtet ist, realitätsnah an den tatsächlich entstehenden Kosten orientieren. Daraus folgt ohne weiteres, dass ein mehr als 100 %iges Pensum im Einzelfall auch Einfluss auf die Festlegung des Sachkostenanteils als Bestandteil des Jahreskostengrundbetrages haben kann.
3. Nicht rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig ist auch die Frage, ob
“es für eine realitätsnahe Bemessung einer typisierenden und pauschalierenden Aufwandsentschädigung i.S.d. Art. 33 Abs. 5 GG i.V.m. § 49 Abs. 3 BBesG im Rahmen der Festsetzung einer Bürokostenentschädigung der Gerichtsvollzieher aus(reicht), Daten einer Erhebung unter bundesweit 8 % aller Gerichtsvollzieher und in Nordrhein-Westfalen unter 7 % der nordrhein-westfälischen Gerichtsvollzieher zugrunde zu legen”.
Nach der zitierten Senatsentscheidung vom 19. August 2004 (a.a.O.) muss der Kostenersatz realitätsnah erfolgen. Er darf pauschalieren, typisieren und sogar regional staffeln. Es ist daher keine rechtliche, in einem Revisionsverfahren zu klärende, sondern eine tatsächliche, von den Tatsachengerichten zu prüfende Frage, ob eine Erhebung sich auf eine empirische Kostenbasis in der von der Beschwerde bezeichneten Breite stützen kann.
4. In der zitierten Senatsentscheidung vom 19. August 2004 (a.a.O.) ebenfalls bereits entschieden ist die Frage, ob
“Kosten” i.S.d. § 49 Abs. 3 BBesG auch fiktive Personalkosten (sind), die zur Einrichtung und Unterhaltung eines durchschnittlichen und ordnungsgemäß geführten Gerichtsvollzieherbüros erforderlich sind, sofern tatsächlich ein entsprechender Arbeitseinsatz durch den Gerichtsvollzieher oder aber unentgeltlich mitarbeitende Familienangehörige erbracht wird”.
Da bundesrechtlich kein bestimmtes Entschädigungsmodell vorgeschrieben ist, verbietet es sich, so der Senat, auf einen – wie immer definierten – für erforderlich gehaltenen Bedarf abzustellen. Denn der Einsatz eines fiktiven Aufwandes sei keine Abgeltung eines tatsächlich entstandenen Aufwandes.
II
Auch die von der Beschwerde geltend gemachte Abweichung der Berufungsentscheidung von dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2005 – 2 D 7/04 – (DGVZ 2006, 8) kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil die Entscheidung, von der abgewichen worden sein soll, sich grundsätzlich auf dieselbe Rechtsvorschrift beziehen muss, die auch der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt. Eine bloße Gleichartigkeit der Rechtsfrage in verschiedenen Normen bei im Wesentlichen gleichem Wortlaut der in Frage stehenden Bestimmungen genügt nicht (stRspr, vgl. bereits Beschluss vom 10. April 1963 – BVerwG 8 B 16.62 – BVerwGE 16, 53). Das ist hier der Fall, weil Gegenstand der Normenkontrollentscheidung im Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts u.a. § 3 Abs. 2 Satz 1 SächsGVEntschVO war, eine Vorschrift des sächsischen Landesrechts, während Gegenstand des mit der Beschwerde angegriffenen Berufungsurteils § 3 Abs. 2 Satz 1 GVEntschVO ist, eine Vorschrift des nordrhein-westfälischen Landesrechts.
Etwas anderes kann auch nicht deshalb gelten, weil die auf der Grundlage des § 49 Abs. 3 Satz 1 BBesG ergangenen Landesvorschriften über die Bürokostenentschädigung der Gerichtsvollzieher auf einer bundeseinheitlichen Abstimmung beruhen. Denn Auslegungsfragen zum Landesrecht, die zugleich bundesrechtlich bedeutsame grundsätzliche Rechtsfragen aufwerfen, können mit dem Ziel, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sichern, mit der Grundsatzbeschwerde des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO angegriffen werden. Einer Ausnahme von der in ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geforderten Identität der Rechtsfrage sowie der Identität der Rechtsnorm bedarf es daher in diesen Fällen nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes ergibt sich aus § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Albers, Prof. Dawin, Dr. Kugele
Fundstellen