Verfahrensgang
VG Greifswald (Urteil vom 06.01.2006; Aktenzeichen 5 A 300/05) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 6. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Der Kläger beansprucht die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung seines Vaters wegen dessen Vertreibung von seinen Gütern. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Maßnahmen gegenüber dem Vater des Klägers nicht zu einem Eingriff in eines der in § 1 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes – VwRehaG – genannten Rechtsgüter, insbesondere nicht zu einem Eingriff in Vermögenswerte geführt habe. Zwar habe der Vater des Klägers den Besitz an den Gütern durch die Vertreibung verloren; das Eigentum daran habe er jedoch erst infolge der Aufsiedelung im Rahmen der Bodenreform eingebüßt. Diese Enteignung könne jedoch nach § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG i.V.m. § 1 Abs. 8a des Vermögensgesetzes – VermG – nicht zur Begründung einer verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung herangezogen werden.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht weder im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts ab (1.), noch weist die Rechtssache die hilfsweise geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (2.).
1. a) Der Kläger rügt zunächst eine Divergenz zu dem Urteil des Senats vom 3. Juli 1969 – BVerwG 3 C 26.67 – (BVerwGE 32, 287). Während das Verwaltungsgericht den Rechtssatz aufgestellt habe, dass das Eigentum des Vertriebenen nicht schon mit dem Verlust der Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache und deren Fremdverwaltung, sondern erst mit der Übertragung auf einen Dritten als neuem Eigentümer verloren gegangen sei, habe das Bundesverwaltungsgericht in der herangezogenen Entscheidung eine Wegnahme auch dann als Reparationsschaden anerkannt, wenn eine Verfügungsbeschränkung ausgesprochen worden sei, die in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen dem förmlichen Entzug entsprochen habe.
Die gerügte Abweichung besteht nicht. Abgesehen davon, dass die Rechtssätze, die der Kläger den einander gegenübergestellten Entscheidungen entnimmt, zu unterschiedlichen Rechtsnormen ergangen sind – einerseits zum Begriff der Entziehung eines Vermögenswerts im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG i.V.m. § 2 Abs. 2 VermG, andererseits zum Begriff des Reparationsschadens im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Reparationsschadensgesetzes – RepG – vom 12. Februar 1969 (BGBl I S. 105) – und schon deswegen die Voraussetzungen einer Divergenz nicht vorliegen, ist auch der vom Kläger aufgezeigte Widerspruch nicht erkennbar. Das Verwaltungsgericht hat keineswegs – wie der Kläger meint – in Abrede gestellt, dass der tatsächliche Verlust der Sachherrschaft Ausdruck einer Enteignung sein kann; es hat im Gegenteil ausdrücklich und unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 13. Februar 1997 – BVerwG 7 C 50.95 – BVerwGE 104, 84 ≪87≫) dargelegt, dass eine vermögensrechtliche Enteignung keine bestimmte Form des Eingriffs voraussetze, sondern eine faktische Entziehung ausreiche, wenn der Betroffene sich durch eine solche staatliche Maßnahme als vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt betrachten musste. Das Verwaltungsgericht hat im Falle des Klägers lediglich aus tatsächlichen Gründen die Endgültigkeit der Maßnahme und damit den Eigentumszugriff verneint, weil der weitere Status der Güter in der Zeit bis zu deren Aufsiedelung im Vollzug der Bodenreform unklar gewesen sei.
b) Ebenso wenig ist eine Abweichung des angegriffenen Urteils von dem Urteil des Senats vom 1. September 1988 – BVerwG 3 C 62.86 – (BVerwGE 80, 152) feststellbar. Auch insoweit macht der Kläger geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung Maßnahmen, die in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen dem förmlichen Entzug des Eigentums entsprochen hätten, als Wegnahme im Sinne des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes – BFG – und damit als Vermögensschaden betrachtet habe, während das Verwaltungsgericht nur die förmliche Eigentumsentziehung als eine Wegnahme und somit als Enteignung ansehe. An dieser Stelle gilt ebenfalls, dass die gegenübergestellten Rechtssätze unterschiedliche Vorschriften betreffen und – ungeachtet dessen – dem Verwaltungsgericht ein Rechtssatz unterstellt wird, den es so nicht aufgestellt hat.
c) Schließlich liegt auch die gerügte Divergenz zu dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Oktober 2000 – 2 BvR 36/00 – (VIZ 2001, 33) und dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Oktober 2000 – BVerwG 8 C 23.99 – (BVerwGE 112, 106) nicht vor. Auch jenen Entscheidungen liegt der so genannte faktische Enteignungsbegriff zugrunde, dem das Verwaltungsgericht in seinen Ausführungen ausdrücklich gefolgt ist. Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht aus tatsächlichen Gründen die Endgültigkeit des Zugriffs auf das Eigentum verneint hat, stellt dies nicht in Frage.
2. Dem Vortrag des Klägers zur Begründung seiner Divergenzrüge lässt sich auch keine Rechtsfrage entnehmen, die der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verleiht. Der Kläger meint, durch sein Beschwerdevorbringen werde die klärungsbedürftige und klärungsfähige Frage aufgeworfen,
ob die Verdrängung eines Eigentümers aus seinem Besitz aufgrund einer Vertreibung durch eine deutsche Behörde während der sowjetischen Besatzung einen Eingriff in Vermögenswerte im Sinne der § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 7 VwRehaG bedeute oder ob es hierzu der Zuordnung des Vermögenswerts an einen neuen Eigentümer bedürfe.
Diese Frage kann schon deswegen nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen, weil ihre Beantwortung von den jeweiligen tatsächlichen Umständen abhängig ist und daher nicht über den Einzelfall hinausweist. Nach der ständigen, bereits oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich das Verwaltungsgericht angeschlossen hat, setzt der so genannte faktische Enteignungsbegriff voraus, dass der Eigentümer durch die staatliche Maßnahme vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt wurde (BVerwG, Urteil vom 13. Februar 1997, a.a.O. m.w.N.). Ob eine Vertreibung des Eigentümers durch eine deutsche Behörde während der sowjetischen Besatzung diese Voraussetzungen erfüllte, ist eine Tatfrage, die das Verwaltungsgericht verneint hat, weil es wegen der Einzelumstände mit der Vertreibung allein noch keinen endgültigen Eigentumsverlust verbunden gesehen hat. In derselben Weise hängt es von den tatsächlichen Umständen ab, ob die Annahme einer faktischen Enteignung über den staatlichen Zugriff hinaus die Zuordnung des Vermögenswerts an einen neuen Eigentümer voraussetzt. Zwar liegt es auf der Hand, dass spätestens mit einer solchen Zuordnung – wie im Falle der Aufsiedelung im Vollzug der Bodenreform – die Eigentumsentziehung in der Rechtswirklichkeit greifbar zum Ausdruck kommt. Damit ist aber keineswegs ausgeschlossen, dass der enteignende Charakter einer staatlichen Maßnahme aufgrund der damit verbundenen Umstände schon vorher deutlich werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Unterschriften
Kley, van Schewick, Dr. Dette
Fundstellen