Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerspruchsfrist. Rechtsbehelfsbelehrung, unrichtige. Zusatz, irreführender. Form Rechtsmittel. Widerspruch zur Niederschrift
Leitsatz (amtlich)
Eine dem Restitutionsbescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung, daß der Widerspruch „schriftlich oder zur Niederschrift” eingelegt werden könne, setzt die Widerspruchsfrist nicht in Lauf.
Normenkette
VermG § 31 Abs. 7, § 32 Abs. 4 S. 1, § 36 Abs. 1 S. 2; VwGO §§ 58, 70; VwZG § 8 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
VG Chemnitz (Entscheidung vom 07.09.1999; Aktenzeichen 1 K 478/95) |
Tenor
Dem Kläger wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 7. September 1999 Prozeßkostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt … beigeordnet.
Der Kläger hat ab dem 1. März 2000 Monatsraten in Höhe von 190 DM an die Bundeskasse zu zahlen.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 7. September 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 150 000 DM festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist in dem aus dem Entscheidungsausspruch ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger kann nach seinen Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nur in Raten aufbringen (vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 115 Abs. 1, § 120 Abs. 1 und 2 ZPO). Die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet im Sinne des § 114 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ergibt, daß auf seine Verfahrensrüge das angegriffene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6 VwGO).
1. Die Rechtssache hat allerdings nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimißt (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Die Beschwerde wirft die Frage auf, ob der in der Rechtsbehelfsbelehrung eines Restitutionsbescheids enthaltene Hinweis, daß der Widerspruch „schriftlich oder zur Niederschrift” eingelegt werden könne, ein unrichtiger oder irreführender Zusatz sei, der geeignet sei, die Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren. Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, da sie sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten läßt. Wie sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (§ 36 Abs. 1 Satz 2 VermG), ist der Hinweis auf die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruchs zur Niederschrift fehlerhaft. Da dieser Fehler die Form des Widerspruchs und damit keine der in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben betrifft, ist die Rechtsbehelfsbelehrung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wenn der fehlerhafte Zusatz irreführend, d.h. objektiv geeignet ist, die Rechtsmitteleinlegung zu erschweren (Urteil vom 27. Mai 1981 – BVerwG 8 C 49.81 – Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 42 m.w.N.). Das ist der Fall, wenn sie den Adressaten davon abhalten kann, das Rechtsmittel überhaupt, rechtzeitig oder formgerecht einzulegen (Beschluß vom 27. August 1997 – BVerwG 1 B 145.97 – Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 67; Beschluß vom 14. Oktober 1997 – BVerwG 1 B 164.97 – NVwZ 1998, 170 ≪171 f.≫; jeweils m.w.N.). Die vom Verwaltungsgericht für seine gegenteilige Auffassung in Anspruch genommene Entscheidung (Urteil vom 22. April 1982 – BVerwG 3 C 71.81 – Buchholz 427.3 § 350 a LAG Nr. 43) betrifft die Frage, ob ein fehlerhafter Zusatz in der Rechtsmittelbelehrung die Einlegung der Revision erschweren konnte. Sie ist darum hier nicht unmittelbar einschlägig; im Unterschied zu diesem Urteil sind übrigens in neueren Entscheidungen vergleichbare Rechtsmittelbelehrungen als unrichtig im Sinn des § 58 Abs. 2 VwGO beurteilt worden (vgl. Beschlüsse vom 27. August 1997 – BVerwG 1 B 145.97 – und vom 14. Oktober 1997 – BVerwG 1 B 164.97 –, a.a.O.; Urteil vom 31. März 1995 – BVerwG 4 A 1.93 – BVerwGE 98, 126 ≪128≫).
Da die in dem angefochtenen Bescheid erteilte Rechtsbehelfsbelehrung dahin belehrt, daß der Widerspruch auch zur Niederschrift eingelegt werden könne, ist sie angesichts des gesetzlichen Ausschlusses dieser Möglichkeit objektiv geeignet, die Einlegung des Widerspruchs zu erschweren. Sie kann dazu führen, daß der Adressat die Einlegung des Widerspruchs zur Niederschrift vorzieht und infolgedessen das formgerechte Rechtsmittel nicht fristgerecht einlegt. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn das Amt, das die Belehrung verfaßt hat und bei dem der Widerspruch einzulegen ist (§ 36 Abs. 1 Satz 2 VermG), die Einlegung des Widerspruchs zur Niederschrift zuläßt und deshalb die vorgeschriebene schriftliche Einlegung innerhalb der Frist unterbleibt. Daran ändert nichts, daß ein solches Fristversäumnis unverschuldet wäre und darum die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigte; denn die Erschwernis läge unter diesen Umständen in der Pflicht, die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung zu erfüllen (vgl. § 60 Abs. 2 VwGO). Ob der fehlerhafte Zusatz im konkreten Fall tatsächlich einen Irrtum hervorgerufen und die verspätete Einlegung des Widerspruchs bewirkt hat, ist für die Anwendung des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO unerheblich.
b) Auch die weitere Frage, ob „ein schlüssiger Widerruf der erteilten Vollmacht gegenüber einer Behörde … schon dann vor(liegt), wenn der Beteiligte nach Mitteilung der Vollmacht Rechtshandlungen selbst vornimmt und die Behörde eine ihr zumutbare Überprüfung nicht durchführt”, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Diese Frage würde in einem Revisionsverfahren nicht zu entscheiden sein. Sie könnte allenfalls im Zusammenhang mit der Rechtzeitigkeit des Widerspruchs rechtserheblich sein. Unter diesem Gesichtspunkt kommt es jedoch auf die Voraussetzungen eines Widerrufs der Vollmacht deswegen nicht an, weil der zum Zeitpunkt der Zustellung des Restitutionsbescheids angeblich noch bevollmächtigte Rechtsanwalt Dr. R. nach den revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts der Beklagten keine schriftliche Vollmacht vorgelegt hatte und der Bescheid schon aus diesem Grund nicht dem Bevollmächtigten zugestellt werden mußte (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 1 und § 31 Abs. 7 VermG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 2 SächsVwZG, der mit § 8 Abs. 1 Satz 2 VwZG übereinstimmt).
2. Das Beschwerdevorbringen führt jedoch zugleich auf einen Verfahrensmangel, auf dem das angegriffene Urteil beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Beschwerde macht sinngemäß geltend, das Verwaltungsgericht hätte wegen der unrichtigen und irreführenden Rechtsbehelfsbelehrung den am Tag nach Ablauf der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch nicht als verspätet ansehen und die Klage darum nicht als unzulässig abweisen dürfen. Diese Rüge ist, wie sich aus den unter 1 a) dargelegten Erwägungen ergibt, begründet. Die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung des Restitutionsbescheids hat die Widerspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt. Ob die weiteren Verfahrensrügen der Beschwerde Erfolg haben könnten, bedarf daher keiner Entscheidung.
3. Der Senat nimmt den dem angegriffenen Urteil zugrundeliegenden Verfahrensfehler zum Anlaß, das Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluß aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Franßen, Gödel, Herbert
Fundstellen
Haufe-Index 566610 |
ZAP-Ost 2000, 336 |
OVS 2000, 200 |