Entscheidungsstichwort (Thema)
Erteilung einer Auskunftssperre wegen Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe
Leitsatz (amtlich)
Die Zugehörigkeit einer Person zu einer Berufsgruppe kann die Eintragung einer Auskunftssperre im Melderegister nur dann rechtfertigen, wenn aufgrund von in Einzelfällen verwirklichten Gefährdungen im Sinne von § 51 Abs. 1 BMG der Schluss gezogen werden kann, dass alle Angehörigen der Berufsgruppe sich in einer vergleichbaren Gefährdungslage befinden.
Normenkette
BMG § 51 Abs. 1
Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 21.06.2016; Aktenzeichen 3 A 500/15) |
VG Leipzig (Entscheidung vom 22.01.2015; Aktenzeichen 3 K 753/13) |
Gründe
I
Rz. 1
Die Klägerin, eine Bewährungshelferin, begehrt die Eintragung einer Auskunftssperre im Melderegister. Die Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, für die Klägerin eine Auskunftssperre im Melderegister einzutragen. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass das Vorliegen einer Gefahr i.S.d. § 51 Abs. 1 BMG von den individuellen Verhältnissen der jeweiligen Person abhänge, zu denen auch deren berufliche Tätigkeit gehöre. Ob aus der beruflichen Tätigkeit eine Gefahr erwachsen könne, werde sich nur ausnahmsweise abstrakt für eine Berufsgruppe feststellen lassen; vielmehr werde es regelmäßig auf die konkret ausgeübte Tätigkeit ankommen. Hier folge die Gefahr i.S.d. § 51 Abs. 1 BMG für die Klägerin schon aus ihrer Tätigkeit als Bewährungshelferin, die sich ausschließlich auf den persönlichen Umgang mit oftmals als defizitär zu bezeichnenden Delinquenten beschränke. Dazu hat das Berufungsgericht auf eine Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts zur Tätigkeit der Bewährungshelfer und der daraus resultierenden Gefahren Bezug genommen und daraus den Schluss gezogen, dass mit Blick auf den gesetzlichen Aufgabenkreis dieser Berufsgruppe sich ausnahmsweise bereits aus deren Tätigkeit ein für eine Auskunftssperre hinreichendes Gefährdungspotential ergebe. Ein Tätigkeitszuschnitt ohne unmittelbaren Außenkontakt, wie etwa bei einem Gruppenleiter mit vorwiegend administrativen Aufgaben, liege bei der Klägerin nicht vor. Sie sei in unmittelbarem Kontakt mit Probanden tätig und die von ihr geschilderten Bedrohungen belegten die sich immer wieder konkretisierenden Gefährdungen von Bewährungshelfern bei ihrer Berufsausübung. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Beklagten.
II
Rz. 2
Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg.
Rz. 3
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine abstrakte Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann (BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:270115B6B43.14.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8).
Rz. 4
a) Soweit die Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage aufwirft, ob die Bewährungshilfe zu den Berufsgruppen gehört, deren beruflicher Tätigkeit an sich bereits eine abstrakte Gefahr im Sinne des § 51 Abs.1 BMG innewohnt und damit für alle Angehörigen dieser Berufsgruppe faktisch von Berufs wegen eine Auskunftssperre in das Melderegister einzutragen ist, handelt es sich nicht um eine in einem Revisionsverfahren klärungsfähige Rechtsfrage. Die Fragestellung zielt vielmehr auf die tatsächlichen Grundlagen der berufungsgerichtlichen Gefahrenprognose als Tatsachenfeststellung. Ob die typische, gesetzlich in §§ 56d ff., §§ 68a ff. StGB umrissene Tätigkeit von Bewährungshelfern die Annahme rechtfertigt, dass diesem Personenkreis durch eine Melderegisterauskunft eine Gefahr für die in § 51 Abs. 1 BMG genannten Schutzgüter von Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnlich schutzwürdige Interessen erwachsen kann, ist in erster Linie von den Tatsacheninstanzen aufgrund tatrichterlicher Feststellung und Würdigung des Ausmaßes der berufsbedingten Risiken zu beantworten.
Rz. 5
b) Die der Beschwerdebegründung zu entnehmende Rechtsfrage, ob die bloße Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe Grundlage für die Eintragung einer Auskunftssperre gemäß § 51 Abs. 1 BMG sein kann, lässt sich ohne weiteres anhand des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats beantworten, weshalb es der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht bedarf.
Rz. 6
§ 51 Abs. 1 BMG fordert für die Eintragung einer Auskunftssperre im Melderegister, dass Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der betroffenen oder einer anderen Person durch eine Melderegisterauskunft eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen erwachsen kann. Nach dem Gesetzeswortlaut hängt das Vorliegen einer Gefahr i.S.d. § 51 Abs. 1 BMG für eine Person von deren individuellen Verhältnissen ab; die Überschreitung der maßgeblichen Gefahrenschwelle lässt sich nur in Bezug auf eine konkrete Person durch Darlegung ihrer Verhältnisse belegen. Zu den individuellen Verhältnissen gehört auch die berufliche Tätigkeit der betroffenen Person (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. März 2016 - 6 B 11.16 [ECLI:DE:BVerwG:2016:070316B6B11.16.0] - juris Rn. 6). Allein die berufliche Tätigkeit und damit die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe kann hiernach eine Gefahr im Sinne des § 51 Abs. 1 BMG allerdings nur in seltenen Ausnahmefällen begründen. Dazu muss die Gefahrenschwelle, die das Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes verlangt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2006 - 6 C 5.05 - BVerwGE 126, 140 Rn. 17), allein durch die berufstypischen Risiken überschritten werden, denen sich die betroffene Berufsgruppe ausgesetzt sieht. Das setzt hinreichend dichte Tatsachenfeststellungen voraus, aus denen sich abstrakt das Vorliegen einer Gefahr für alle Angehörigen dieser Berufsgruppe ergibt. Denn die Gefahrenschwelle liegt bei einer abstrakten Gefahr nicht niedriger als im Falle der individuellen Prognose einer konkreten Gefahr. Das ergibt sich aus den Zwecken des Melderegisters, der Melderegisterauskunft sowie dem Ausnahmecharakter der Auskunftssperre gemäß § 51 BMG.
Rz. 7
Aufgaben der Meldebehörde sind nach § 2 BMG, in einem Melderegister die in ihrem Zuständigkeitsbereich wohnhaften Personen (Einwohner) zu registrieren, um deren Identität und deren Wohnungen feststellen und nachweisen zu können, sowie Melderegisterauskünfte zu erteilen, bei der Durchführung von Aufgaben anderer öffentlicher Stellen mitzuwirken und Daten zu übermitteln. Gerade die letztgenannte Pflicht zur Erteilung von Melderegisterauskünften wird in beachtlichem Umfang beeinträchtigt, wenn Angehörige ganzer Berufsgruppen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit eine Auskunftssperre beanspruchen könnten oder diese für sie von Amts wegen einzutragen wäre. Allerdings ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, die Überschreitung der Gefahrenschwelle des § 51 Abs. 1 BMG ausnahmsweise auch für eine ganze Berufsgruppe festzustellen. Das entspricht auch dem in den Gesetzesmaterialien zur melderechtlichen Auskunftssperre zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers. Denn der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens geht davon aus, dass die Regelung des § 51 Abs. 1 BMG im Wesentlichen der Vorgängerregelung des § 21 Abs. 5 Satz 1 MRRG entspreche (BT-Drs. 17/7746 S. 46) und zu § 21 Abs. 5 MRRG hatte die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf folgendermaßen begründet (BT-Drs.8/3825 S. 25):
"Die Auskunftssperre nach Absatz 5 soll für jede Art der Melderegisterauskunft gelten und unbeschadet des etwaigen Vorliegens der Voraussetzungen nach § 6 Satz 1 und 2 insbesondere dann eingreifen, wenn der Meldebehörde einer der genannten Gefährdungstatbestände vom Betroffenen - auch unabhängig vom Vorliegen eines konkreten Auskunftsersuchens - mitgeteilt worden ist. Derartige Gefährdungstatbestände und somit ein die Auskunftssperre auslösender Sachverhalt werden auch dann anzunehmen sein, wenn etwa die in § 18 Abs. 3 genannten Behörden dies für eigene Bedienstete pauschal oder im Einzelfall dartun."
Rz. 8
Der Verweis in den Gesetzesmaterialien auf die Bediensteten der "in § 18 Abs. 3 genannten Behörden" (Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst, Bundeskriminalamt, Bundespolizei, Zollfahndungsdienst, Generalbundesanwalt sowie die in den Ländern für Sicherheitsaufgaben und die Strafverfolgung zuständigen Behörden) erhellt, dass bereits der Gesetzgeber des Melderechtsrahmengesetzes davon ausgegangen ist, die für eine melderechtliche Auskunftssperre relevanten Gefährdungstatbestände könnten auch für Gruppen von Personen erfüllt sein (im Ergebnis ebenso BVerwG, Beschluss vom 7. März 2016 - 6 B 11.16 - juris Rn. 6).
Rz. 9
Für die Annahme einer abstrakten Gefahr, die für eine Eintragung einer Auskunftssperre nach § 51 Abs. 1 BMG allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe ausnahmsweise ausreicht, ist erforderlich, dass Tatsachen festgestellt werden, die eine Gefahrenprognose rechtfertigen, dass aufgrund von in Einzelfällen verwirklichten Gefährdungen der Schluss gezogen werden kann, dass alle Angehörigen der Berufsgruppe sich in einer vergleichbaren Gefährdungslage befinden. Hierzu reicht die Feststellung einzelner Vorfälle nicht aus. Die Vorfälle müssen in einer Anzahl und Häufigkeit auftreten, das der Schluss berechtigt ist, jeder Angehörige der jeweiligen Berufsgruppe sei einer berufstypischen Gefährdung ausgesetzt. Eine derartige berufsgruppentypische Gefährdungslage dürfte in aller Regel nur durch statistische Angaben oder Ergebnisse repräsentativer Umfragen belegt werden können.
Rz. 10
Danach drängt es sich auf, dass die Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht geeignet sind, eine berufsbedingte Gefährdungslage für alle Bewährungshelfer zu tragen. Dies hat jedoch keine Auswirkungen auf die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde, weil der Senat im Beschwerdeverfahren nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO auf die Prüfung der geltend gemachten Zulassungsgründe beschränkt ist. Die Beklagte hat die Tatsachenfeststellungen als Grundlage für die Gefährdungsprognose des Oberverwaltungsgerichts nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen. Sie hat weder eine unzulängliche Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) noch einen Verstoß gegen Beweiswürdigungsgrundsätze (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gerügt.
Rz. 11
2. Die Zulassung der Revision kommt nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO in Betracht, da das Oberverwaltungsgericht nicht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in dem genannten Beschluss vom 7. März 2016 - BVerwG 6 B 11.16 - abgewichen ist. Die Vorinstanz hat vielmehr dem Berufungsurteil die Rechtssätze dieser Entscheidung zugrunde gelegt und ist auch nicht der Sache nach davon abgewichen. Das Berufungsgericht hat für Bewährungshelfer, deren konkrete Tätigkeit auf den persönlichen Umgang "mit oftmals als defizitär zu kennzeichnenden" Delinquenten beschränkt ist (UA Rn. 17 ff.), eine tatsächliche Regelvermutung für das Vorliegen hinreichender Risiken begründet, die die Gefahrenschwelle des § 51 Abs. 1 BMG erreichen. Die Möglichkeit, dass die Tatsacheninstanzen ausnahmsweise - wenn auch nur aufgrund einer hinreichend verdichteten tatsächlichen Grundlage - zu einer solchen abstrakten tatrichterlichen Würdigung für Angehörige einer bestimmten Berufsgruppe gelangen, ist in der Rechtsprechung des Senats zu § 51 Abs. 1 BMG nach dem oben Gesagten angelegt.
Rz. 12
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Fundstellen
NJW 2017, 10 |
DÖV 2017, 560 |
JZ 2017, 317 |
LKV 2017, 281 |
ZD 2017, 240 |
FuBW 2017, 728 |
FuHe 2018, 150 |
FuNds 2018, 169 |