Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 22.11.2011; Aktenzeichen 28 A 1944/10.D) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. November 2011 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 40 029,60 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 73 HDG) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Der 1950 geborene Beklagte ist Amtsinspektor (Besoldungsgruppe A 9 Z) und seit 1984 bei der Klägerin als Vollstreckungsbeamter tätig, seit 2000 im Außendienst zum Ausgleich städtischer Forderungen gegen Schuldner. Eine Sonderprüfung im Kassen- und Steueramt der Klägerin ergab einen Fehlbetrag in Höhe von 7 787 € für Mai 2000 bis März 2003, den der Beklagte alsbald zurückzahlte. Mit der im September 2008 erhobenen Disziplinarklage legt die Klägerin dem Beklagten u.a. zur Last, im fraglichen Zeitraum im Dienst erhaltene Schuldnerbarleistungen in einer Höhe von insgesamt 5 055 € nicht durch Einzahlung auf das Dienstgirokonto abgeliefert, sondern behalten zu haben. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Im Berufungsverfahren hat der Beklagte die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu mehreren Beweisthemen beantragt, denen nicht entsprochen worden ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Beklagte habe Schuldnerbarleistungen in Höhe von insgesamt 5 055 € nicht auf sein Dienstgirokonto eingezahlt, sondern für sich behalten. Die Klägerin habe im Ermittlungsbericht sämtliche Eintragungen auf den Ablieferungsblättern mit den Einzahlungsbelegen verglichen, woraus sich der Fehlbetrag in der vom Senat nachvollzogenen Höhe ergebe, ohne dass es hierfür eines Sachverständigengutachtens bedürfe. Der Beklagte habe auch schuldhaft gehandelt, von einer Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit könne nicht ausgegangen werden. Der Senat folge insoweit dem psychiatrischen Fachgutachten des Amtsarztes, weil ihm als amtsärztlichem Gutachten ein erhöhter Beweiswert zukomme und weil der Amtsarzt anders als der Hausarzt zugleich Facharzt der hier relevanten Fachrichtung sei.
Rz. 3
2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 73 HDG wegen Verstoßes gegen § 63 Abs. 1 HDG durch Ablehnung der beantragten Einholung von (weiteren) Sachverständigengutachten liegt nicht vor.
Rz. 4
Gemäß § 63 Abs. 1 HDG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind. Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Soweit dem Gericht die für die Sachverhaltsermittlung erforderliche Sachkunde fehlt, muss es sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen. Dies gilt gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 HDG auch für die Berufungsinstanz (Beschluss vom 26. Oktober 2011 – BVerwG 2 B 69.10 – juris Rn. 11; vgl. zu den wortgleichen Vorschriften der § 58 Abs. 1, § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG: Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 – BVerwG 2 B 34.07 – juris Rn. 5 m.w.N. und vom 4. September 2008 – BVerwG 2 B 61.07 – Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 4 Rn. 7; vgl. auch zu § 86 Abs. 1 VwGO Urteil vom 28. Juli 2011 – BVerwG 2 C 28.10 – BVerwGE 140, 199 = Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 60, jeweils Rn. 24 ff.). Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, einem Beweisangebot nachzugehen, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache zu einem Rechtsstandpunkt erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. Beschluss vom 29. Mai 2009 – BVerwG 2 B 3.09 – Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 5 = NJW 2009, 2614, zuletzt Beschluss vom 26. Oktober 2011 a.a.O. Rn. 20 m.w.N.).
Rz. 5
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze sind die Verfahrensrügen des Beklagten wegen der Ablehnung der Beweisanträge durch den Verwaltungsgerichtshof unbegründet.
Rz. 6
a) Zur Feststellung des Fehlbetrags bedurfte es nicht der beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens, weil hierfür keine besondere, beim Gericht nicht vorhandene Sachkunde erforderlich war. Der Fehlbetrag errechnet sich aus der Differenz der vom Beklagten von den Schuldnern erhaltenen Geldbeträge mit den von ihm auf sein Dienstgirokonto eingezahlten Geldbeträgen im fraglichen Zeitraum. Die erhaltenen Geldbeträge sind in Ablieferungsblättern, die eingezahlten Geldbeträge sind in Einzahlungsbelegen dokumentiert. Der Fehlbetrag ergibt sich aus der Differenz der Summe aller erhaltenen Geldbeträge und der Summe aller eingezahlten Geldbeträge. Diese einfachen Rechenoperationen konnte das Gericht aufgrund eigener Sachkunde vornehmen bzw. nachvollziehen; es konnte deshalb den auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gerichteten Beweisantrag verfahrensfehlerfrei ablehnen. Das gilt unabhängig davon, dass die Klägerin bei ihrer ersten Berechnung zu einem anderen, für den Beklagten ungünstigeren Ergebnis gekommen ist.
Rz. 7
b) Was den Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens betrifft zum Beweis dafür, dass für den Fehlbetrag nicht nur vorsätzliches Handeln, sondern auch Fehler bei der Erfassung, Buchung und Meldung der Zahlungen ursächlich sein können, war eine Beweisaufnahme nicht erforderlich. Gegenstand des Beweisantrags war vielmehr ein allgemeiner Erfahrungssatz, den das Gericht bei der Frage, ob im Streitfall vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten vorlag, in seine Erwägungen einzubeziehen hatte. Die Beschwerde rügt damit der Sache nach die Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte vorsätzlich gehandelt hat. Ein Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist – wenn er denn vorläge – revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen (Beschlüsse vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266, vom 24. Mai 1996 – BVerwG 8 B 98.96 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 270, vom 18. April 2012 – BVerwG 8 B 94.11 – juris Rn. 2 f. und vom 1. Juni 2012 – BVerwG 2 B 123.11 – juris Rn. 18 m.w.N). Die tatrichterliche Beweiswürdigung ist aufgrund des § 137 Abs. 2 VwGO revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob Beweiswürdigungsgrundsätze wie etwa Auslegungsregeln, Denkgesetze und allgemein Erfahrungssätze verletzt sind (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 26. Februar 2008 – BVerwG 2 B 122.07 – ZBR 2008, 257 ≪260≫ ≪insoweit nicht in Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 2 abgedruckt≫, vom 29. März 2012 – BVerwG 9 B 88.11 – juris Rn. 3 und vom 1. Juni 2012 a.a.O. Rn. 19 m.w.N.). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das angefochtene Urteil derartige Mängel aufweist. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liegt nur vor, wenn eine Schlussfolgerung aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann. Die Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs, dass der Beklagte über einen langen Zeitraum immer wieder andere Beträge als die von den Schuldnern erhaltenen auf das Dienstkonto eingezahlt hat, wodurch ständig ein Saldo in drei- bis vierstelliger Höhe zu seinen Gunsten entstanden sei, trägt seine Schlussfolgerung, dass der Beklagte vorsätzlich gehandelt hat; sie widerspricht weder der Logik noch dem zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemachten allgemeinen Erfahrungssatz.
Rz. 8
c) Auch den Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zum Beweis, dass der Beklagte im Tatzeitraum aufgrund seelischer Störungen unfähig gewesen sei, das Unrecht der ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen einzusehen, hat der Verwaltungsgerichtshof verfahrensfehlerfrei abgelehnt.
Rz. 9
Kommt es maßgeblich auf den Gesundheitszustand einer Person an, ist regelmäßig die Inanspruchnahme ärztlicher Fachkunde erforderlich. Für medizinische Fachfragen gibt es keine eigene, nicht durch entsprechende medizinische Sachverständigengutachten vermittelte Sachkunde des Richters (stRspr, vgl. zuletzt etwa Beschluss vom 25. Februar 2013 – BVerwG 2 B 57.12 – juris Rn. 4 m.w.N.). Liegt aber zum Gesundheitszustand bereits ein Sachverständigengutachten vor, entscheidet das Gericht über die Einholung eines weiteren Gutachtens nach seinem Ermessen (§ 98 VwGO, §§ 63, 6 HDG i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO). Die unterlassene Einholung zusätzlicher Gutachten kann deshalb nur dann verfahrensfehlerhaft sein, wenn die vorliegenden Gutachten ihren Zweck nicht zu erfüllen vermögen, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Liegen dem Gericht bereits sachverständige Äußerungen zu einem Beweisthema vor, muss es ein zusätzliches Gutachten deshalb nur einholen, wenn die vorhandene Stellungnahme von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, inhaltliche Widersprüche oder fachliche Mängel aufweist oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters besteht. Die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter ein bereits vorliegendes Gutachten für unzureichend hält (stRspr; vgl. nur Beschlüsse vom 26. Februar 2008 a.a.O. S. 259 f., vom 4. November 2008 – BVerwG 2 B 19.08 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 370 Rn. 11, vom 29. Mai 2009 a.a.O. Rn. 7 m.w.N. und vom 25. Februar 2013 a.a.O. Rn. 5 m.w.N.).
Rz. 10
Ausgehend von diesem Maßstab musste der Verwaltungsgerichtshof kein drittes ärztliches Gutachten zu etwaigen Krankheitsursachen für die Dienstpflichtverletzungen im fraglichen Zeitraum einholen.
Rz. 11
Der Verwaltungsgerichtshof hat zum einen im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats dem amtsärztlichen Gutachten des Facharztes höheres Gewicht beigemessen als dem privatärztlichen Gutachten. Der medizinischen Beurteilung des Amtsarztes kommt wegen des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 6 HDG zwar kein unbedingter, sondern nur ein eingeschränkter Vorrang vor der Beurteilung des behandelnden Privatarztes zu. Wenn beide Beurteilungen zum selben Krankheitsbild des Beamten voneinander abweichen, können sich die Tatsachengerichte dann auf die Beurteilung des Amtsarztes stützen, wenn keine Zweifel an der Sachkunde des Amtsarztes bzw. eines von ihm hinzugezogenen Facharztes bestehen, seine Beurteilung auf zutreffenden Tatsachengrundlagen beruht und in sich stimmig und nachvollziehbar ist. Hat der Privatarzt seinen medizinischen Befund näher erläutert, so muss der Amtsarzt auf diese Erwägungen eingehen und nachvollziehbar darlegen, warum er ihnen nicht folgt. Dieser eingeschränkte Vorrang im Konfliktfall findet seine Rechtfertigung in der Neutralität und Unabhängigkeit des Amtsarztes. Im Gegensatz zu einem Privatarzt, der womöglich bestrebt ist, das Vertrauen des Patienten zu ihm zu erhalten, nimmt der Amtsarzt seine Beurteilung von seiner Aufgabenstellung her unbefangen und unabhängig vor. Er steht Beamten und Dienststelle gleichermaßen fern (Beschlüsse vom 15. Februar 2010 – BVerwG 2 B 126.09 – Buchholz 232.0 § 96 BBG 2009 Nr. 1 und vom 28. Dezember 2012 – BVerwG 2 B 105.11 – juris Rn. 8).
Rz. 12
Der Verwaltungsgerichtshof hat zum anderen zutreffend darauf abgestellt, dass der Amtsarzt zugleich Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und damit für die vom Beklagten aufgeworfene Frage seines Krankheitsbildes in besonderer Weise kompetent ist, während dem Hausarzt als Internisten eine vergleichbare Kompetenz auf dem fraglichen Gebiet nicht zukommt.
Rz. 13
Schließlich hat der Verwaltungsgerichtshof rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass der Hausarzt des Beklagten erst im August 2004 einen Zusammenhang von gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der Dienstausübung des Beklagten festgestellt und diese Feststellung bei seiner gerichtlichen Vernehmung nicht wiederholt habe. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof hat er sogar ausdrücklich angegeben, dass man als Arzt bei der Erwähnung von Konzentrationsstörungen bei unspezifischen Blutdruckerhöhungen zwangsläufig an ischämische Attacken im Sinne einer kurzfristigen Blutleere im Gehirn denke, der Beklagte aber hierüber nicht geklagt habe. Unabhängig davon, inwieweit ein solches Krankheitsbild angesichts der sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Pflichtverletzungen des Beklagten überhaupt von Bedeutung wäre, konnte deshalb der Verwaltungsgerichtshof vom Nichtvorhandensein dieses Krankheitsbildes ausgehen, ohne ein weiteres Sachverständigengutachten einholen zu müssen.
Rz. 14
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 4 HDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG.
Unterschriften
Domgörgen, Dr. von der Weiden, Thomsen
Fundstellen