Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 15.02.2007; Aktenzeichen 1 KN 16/06) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Antragstellerin beimisst.
1.1 Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob ein Bebauungsplan i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB erforderlich ist, wenn zur mangelnden Verkaufsbereitschaft des planunterworfenen Eigentümers weitere Komponenten (insbesondere: lange Zeitdauer von Realisierungsversuchen und faktische Funktionslosigkeit dieses Teilbereichs) hinzukommen. Die Frage könnte sich im vorliegenden Streitfall nur hinsichtlich der umstrittenen Festsetzung einer Verkehrsfläche besonderer Zweckbestimmung (“Marktplatz”) i.S.v. § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB stellen. Insoweit lässt sie keinen revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf erkennen.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass ein Bebauungsplan § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB verletzt, wenn er aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen auf Dauer oder auf unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt (Urteil vom 21. März 2002 – BVerwG 4 CN 14.00 – BVerwGE 116, 144 ≪147≫). Entschieden ist auch, dass ein planfeststellungsersetzender Bebauungsplan, der die Trasse einer Landesstraße festsetzt, grundsätzlich nicht erforderlich i.S.v. § 1 Abs. 3 BauGB a.F. ist, wenn die Verwirklichung des Vorhabens innerhalb eines Zeitraums von etwa zehn Jahren nach Inkrafttreten des Plans ausgeschlossen erscheint (Urteil vom 18. März 2004 – BVerwG 4 CN 4.03 – BVerwGE 120, 239). Ob dieser Zeitrahmen auf die Festsetzung eines Marktplatzes (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) übertragen werden kann, wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Der Bebauungsplan mit der umstrittenen Festsetzung trat im Jahr 2004 in Kraft. Zu den zeitlichen Grenzen seiner Realisierung hat das Normenkontrollgericht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Das Datum des Inkrafttretens des Plans gab dazu auch keinen Anlass.
Im Übrigen beurteilt sich die Frage, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen mit der Realisierung einer planerischen Festsetzung auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist, nach den Umständen des Einzelfalls. Die Beschwerde legt nicht dar, dass der vorliegende Streitfall dem beschließenden Senat in einem Revisionsverfahren Anlass geben könnte, seine Rechtsprechung zu § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB in rechtsgrundsätzlicher Weise fortzuentwickeln. Die in der Grundsatzrüge angesprochenen Beispiele für eine Vollzugsunfähigkeit sind auf besondere tatsächliche Umstände des vorliegenden Streitfalls zugeschnitten, die weder vom Normenkontrollgericht festgestellt worden sind noch einer verallgemeinerungsfähigen Klärung für eine Vielzahl von Fällen zugänglich wären.
1.2 Die Beschwerde wirft ferner eine Reihe von Grundsatzrügen zur Reichweite des Abwägungsgebots (§ 1 Abs. 7 BauGB) und seiner verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auf. Sie problematisiert die Frage, welche rechtlichen Anforderungen an die Festsetzung eines Marktplatzes zu stellen sind, wenn diese für den Eigentümer belastende Festsetzung bereits durch die Festsetzung von Geh- und Leitungsrechten in einem früheren Bebauungsplan “vorgegeben” bzw. “vorgeprägt” worden sei. Die Beschwerde möchte insbesondere geklärt wissen, ob in einem solchen Fall der Erweiterung einer bisherigen Festsetzung die neuen Belastungen für den planbetroffenen Eigentümer eine “neuerliche Erfassung, Untersuchung und dann Einstellung … in das Abwägungsprüfungsprogramm” erforderten. In diesem Zusammenhang wirft die Beschwerde auch die Frage nach der Erforderlichkeit einer Prognoseentscheidung für die Festsetzung des Marktplatzes auf.
Auch dieses Vorbringen führt nicht zur Zulassung der Revision. Es liegt auf der Hand und bedarf nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass die Festsetzung einer besonderen Verkehrsfläche i.S.v. § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB (mit der Zweckbestimmung “Marktplatz”) in allen ihren Auswirkungen auf den betroffenen Grundeigentümer dem Abwägungsgebot in § 1 Abs. 7 BauGB und der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle auch dann unterliegt, wenn die für den Marktplatz vorgesehene Fläche nach der bisherigen Bauleitplanung bereits außerhalb festgesetzter Baugrenzen lag und mit Geh- und Leitungsrechten vorbelastet war. Ebenso selbstverständlich ist, dass planerische Vorbelastungen dieser Art bei der Gewichtung der Eigentümerbelange zu berücksichtigen sind. Nach den Ausführungen des Normenkontrollgerichts hat die Antragsgegnerin das Abwägungsgebot hinsichtlich der Ermittlung, Bewertung und Gewichtung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange nicht verletzt (UA S. 7). Rechtsfragen von fallübergreifender, verallgemeinerungsfähiger Natur wirft die Beschwerde hierzu nicht auf. In der Sache erschöpft sie sich in einer Kritik der vorinstanzlichen Tatsachenfeststellung und Sachverhaltswürdigung. Mit derartigen Angriffen gegen die tatrichterliche Rechtsanwendung kann die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nicht dargelegt werden.
1.3 Die Beschwerde möchte ferner geklärt wissen, “wie die Schranken der enteignenden Vorwirkung” zu ziehen seien und ob unter diesem Gesichtspunkt auch hätte geprüft werden müssen, ob für den Marktplatz geeignete Ersatzgrundstücke zur Verfügung gestanden hätten. Auch insoweit handelt es sich um eine einzelfallbezogene Entscheidungskritik.
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine enteignungsrechtliche Vorwirkung des Bebauungsplans grundsätzlich nicht besteht (BVerfG, Urteil vom 24. März 1987 – BVerfG 1 BvR 1046/85 – BVerfGE 74, 264 ≪282≫; BVerwG, Urteil vom 14. März 1985 – BVerwG 5 C 130.83 – BVerwGE 71, 108 ≪117, 121≫; Beschluss vom 21. Februar 1991 – BVerwG 4 NB 16.90 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 51). Ob der Vollzug der Festsetzung es auch erfordert, das Grundstück seinem bisherigen Eigentümer hoheitlich zu entziehen, ist erst in einem etwaigen Enteignungsverfahren zu entscheiden (Beschluss vom 25. August 1997 – BVerwG 4 BN 4.97 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 94). Auch ein Bebauungsplan, der sich auf die Festsetzung einer öffentlichen Verkehrsfläche (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) beschränkt, hat keine enteignungsrechtliche Vorwirkung (Beschluss vom 11. März 1998 – BVerwG 4 BN 6.98 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 95). Allerdings sind bei der Aufstellung eines Bebauungsplans alle betroffenen und schutzwürdigen privaten Interessen, insbesondere soweit sie sich aus dem Eigentum und seiner Nutzung herleiten lassen, zu berücksichtigen (Urteil vom 1. November 1974 – BVerwG 4 C 38.71 – BVerwGE 47, 144 ≪154≫). Das ist hier nach den Ausführungen des Normenkontrollgerichts zur Abwägung der Antragsgegnerin geschehen. Einer gesonderten, vorgezogenen Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine spätere Enteignung der Grundstücke der Antragstellerin erfüllt sind, bedurfte es nicht.
Das Bundesverwaltungsgericht hat ferner entschieden, dass die Festsetzung eines privaten Grundstücks als Fläche für den Gemeinbedarf in einem Bebauungsplan abwägungsfehlerhaft ist, wenn dafür im Rahmen der planerischen Konzeption der Gemeinde gleichgeeignete Grundstücke der öffentlichen Hand zur Verfügung stehen (Urteil vom 6. Juni 2002 – BVerwG 4 CN 6.01 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 111). Hierzu hat das Normenkontrollgericht festgestellt, angesichts der städtebaulichen Zielsetzung der Antragsgegnerin und der konkreten örtlichen Situation könne dahingestellt bleiben, ob ein Marktplatz auch an anderer Stelle im Stadtgebiet der Antragsgegnerin sinnvoll betrieben werden könne. Von seinem Rechtsstandpunkt aus war die Frage nach der Existenz von Ersatzgrundstücken daher nicht entscheidungserheblich. Die Kritik der Antragstellerin an der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung führt nicht zur rechtsgrundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.
2. Die gerügte Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nicht hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist nur gegeben, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben (revisiblen) Rechtsvorschrift mit einem ihrer Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem ebensolchen Rechtssatz in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Widerspruch tritt (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 35.95 – NVwZ-RR 1996, 712; stRspr). Eine solche Divergenz zeigt die Beschwerde nicht auf.
Einen entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz des Normenkontrollurteils, der von dem im Senatsurteil vom 18. März 2004 – BVerwG 4 CN 4.03 – (BVerwGE 120, 239) aufgestellten Zeitrahmen für die Verwirklichung eines (planfeststellungsersetzenden) Bebauungsplans (Planung einer Landesstraße) abweicht, legt die Beschwerde nicht dar.
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Februar 1991 – BVerwG 4 NB 16.90 – (Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 51 = NVwZ 1991, 873) wird von der Beschwerde missverstanden. Der vorgenannte Beschluss stellt den Rechtssatz auf, dass ein Bebauungsplan, der für ein bisher privat genutztes Grundstück mit Baulandqualität eine öffentliche Grünfläche und eine Fläche für Gemeinbedarf festsetzt, auch mit Rücksicht auf etwaige Entschädigungsansprüche nach § 40 BauGB im Rahmen der Abwägung grundsätzlich keiner (vorgezogenen) Prüfung bedarf, ob die Voraussetzungen für eine spätere Enteignung des Grundstücks erfüllt sind. In dieser Entscheidung wird entgegen der Beschwerde nicht der Rechtssatz aufgestellt, ein Bebauungsplan sei jedenfalls dann nichtig (unwirksam), wenn die Notwendigkeit einer möglichen künftigen Enteignung vollständig übersehen worden sei. Für die von der Beschwerde gerügte Divergenz ist deshalb von vornherein kein Raum.
Das Normenkontrollgericht weicht entgegen der Beschwerde auch nicht von dem im Senatsurteil vom 6. Juni 2002 – BVerwG 4 CN 6.01 – (Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 111) aufgestellten Rechtssatz ab, die Festsetzung eines privaten Grundstücks als Fläche für den Gemeinbedarf sei abwägungsfehlerhaft, wenn dafür im Rahmen der planerischen Konzeption gleichgeeignete Grundstücke der öffentlichen Hand zur Verfügung stünden. Das Normenkontrollgericht führt aus, dass die Anlage des geplanten Marktplatzes am vorgesehenen Standort aus den von der Antragsgegnerin angeführten städtebaulichen Gründen sowie angesichts der konkreten örtlichen Situation nicht abwägungsfehlerhaft sei. Die Vorinstanz billigt ausdrücklich das Ziel der Antragsgegnerin, durch die Schaffung eines öffentlichen Platzes und den zeitweisen Betrieb eines Marktes am vorgesehenen Standort (“Eingang” zu dem neuen Stadtquartier an der Georg-Sasse-Straße) einen besonderen städtebaulichen Akzent zu schaffen. Das Normenkontrollgericht beurteilt also die Frage nach Ersatzgrundstücken für einen Marktplatz auf der Grundlage der städtebaulichen Konzeption der Antragsgegnerin. Das steht im Einklang mit dem Senatsurteil vom 6. Juni 2002.
3. Die Beschwerde rügt, das Normenkontrollgericht habe auch das festgesetzte “Gehrecht für die Allgemeinheit” materiellrechtlich überprüfen müssen. Das sei nicht geschehen, weil das Normenkontrollgericht den Normenkontrollantrag insoweit bereits für unzulässig gehalten habe. Die Beschwerde sieht darin einen Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Mit dieser Rüge zeigt die Beschwerde keinen Verfahrensfehler auf. Sie rügt nicht den vorinstanzlichen Verfahrensablauf, sondern den materiellrechtlichen Standpunkt der Vorinstanz, die hinsichtlich des festgesetzten Gehrechts das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin verneint hat (UA S. 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Prof. Dr. Rojahn, Gatz
Fundstellen