Verfahrensgang
VG Leipzig (Urteil vom 16.01.1997; Aktenzeichen 3 K 623/95) |
Tenor
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 16. Januar 1997 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladenen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 750 000 DM festgesetzt.
Gründe
Der Rechtsvorgänger der Klägerin erwarb im Juni 1934 im Rahmen der Zwangsversteigerung ein mit einem Mietshaus bebautes Grundstück des Rechtsvorgängers der Beigeladenen, der polnischer Staatsbürger jüdischen Glaubens war und Deutschland im September 1933 unmittelbar vor seiner mit Steuerschulden aus den Jahren 1930 bis 1932 begründeten Ausweisung verlassen hatte. Dem auf § 1 Abs. 6 VermG gestützten Antrag der Beigeladenen auf Rückübertragung des Grundstücks gab die Widerspruchsbehörde mit der Begründung statt, der Vollstreckungsschuldner sei infolge seiner verfolgungsbedingten Ausweisung an der Wahrnehmung seiner Rechte im Zwangsvollstreckungsverfahren gehindert gewesen und gegenüber nichtjüdischen Schuldnern diskrimiert worden. Die gegen den Widerspruchsbescheid erhobene Klage hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beigeladenen ist unbegründet.
1. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Soweit die Beschwerde geklärt wissen will,
ob ein Eigentumsverlust aufgrund Zwangsversteigerung eine Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG darstellt, „wenn ein Bürger, der nach dem 30. Januar 1933 aus rassischen Gründen verfolgt wurde, wegen dieser Verfolgung Deutschland verlassen hatte und deshalb materiell nicht in der Lage war, die Zwangsversteigerung seines Grundstücks zu verhindern, sowie formell seine Rechte im Zwangsversteigerungsverfahren nicht geltend machen konnte”,
legt sie einen Sachverhalt zugrunde, der nicht durch entsprechende tatsächliche Feststellungen gedeckt ist. Das Verwaltungsgericht hat für nicht erwiesen gehalten, daß der Rechtsvorgänger der Beigeladenen wegen seiner Auswanderung außerstande war, die Zwangsvollstreckung durch Schuldentilgung abzuwenden und seine Rechte im Zwangsversteigerungsverfahren durch Dritte wahrnehmen zu lassen. Das in diese Richtung zielende Klagevorbringen vermochte das Verwaltungsgericht vor allem darum nicht zu überzeugen, weil die Tochter des Rechtsvorgängers der Beigeladenen bis 1938 in Berlin gewohnt habe und er selbst durch Rechtsanwalt Dr. J. als Zustellungsbevollmächtigten sowie bis Anfang Juni 1934 durch Rechtsanwalt Dr. H. als seinen Bevollmächtigten im Zwangsvollstreckungsverfahren vertreten gewesen sei. Da hiernach mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen in einem Revisionsverfahren davon auszugehen wäre, daß die gemäß § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG erforderliche kausale Verknüpfung zwischen Verfolgung und Vermögensverlust nicht bestand, rechtfertigt die aufgeworfene Frage nicht die Zulassung der Revision.
Die als rechtsgrundsätzlich bezeichnete weitere Frage,
ob deswegen, weil 1933 als „lästige” Ausländer im Sinne des § 361 Nr. 2 StGB a.F. Juden wegen ihrer Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben ausgewiesen worden seien, zumindest ein Beweis des ersten Anscheins dafür anzunehmen sei, daß die Ausweisung des Rechtsvorgängers der Beigeladenen verfolgungsbedingt gewesen sei,
würde sich in einem Revisionsverfahren schon deswegen nicht stellen, weil das angegriffene Urteil entscheidungstragend nicht auf der Annahme einer nicht verfolgungsbedingten Ausweisung, sondern darauf beruht, daß die verfolgungsbedingte Auswanderung den Rechtsvorgänger der Beigeladenen nicht daran gehindert hätte, seine Vermögensangelegenheiten mit Hilfe Dritter zu regeln.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache läßt auch nicht die weitere Frage der Beschwerde erkennen,
„ob es denn richtig sein kann, daß das Verwaltungsgericht akzeptiert, daß es ≪dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen≫ ‚angesichts der politischen Zustände’ in Deutschland nicht zuzumuten war, Zahlungen nach Deutschland zu leisten, ihn aber trotz dieser Unzumutbarkeit offensichtlich für verpflichtet hält, solche Zahlungen zu leisten”.
Abgesehen davon, daß das Verwaltungsgericht eine derart subjektive, von ihm als „nachvollziehbar” bezeichnete Beeinflussung des Eigentumsverlusts durch die Verfolgungsgründe für nicht ausreichend gehalten hat, den erforderlichen Nachweis der Kausalität zwischen Verfolgung und Eigentumsverlust aufgrund Zwangsversteigerung zu erbringen, genügt das Beschwerdevorbringen jedenfalls nicht den nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gestellten Darlegungserfordernissen. Danach ist zur Darlegung der Rechtsgrundsätzlichkeit im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden, allgemeinen Bedeutung herauszuarbeiten (vgl. BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫). Demgegenüber beschränkt sich die Beschwerde in diesem Zusammenhang auf Angriffe gegen die dem vorinstanzlichen Urteil zugrunde liegende rechtliche Würdigung, mit denen sich die Zulassung der Grundsatzrevision nicht erreichen läßt.
Die weitere Frage,
„ob ein hinreichender Anhaltspunkt für die Verfolgungsbedingtheit der Zwangsversteigerung nicht bereits darin zu sehen ist, daß nachgewiesenermaßen deutsche Gerichte bereits unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, wann immer sie angerufen wurden, auf jüdische Bürger die geltenden Vorschriften in diskriminierender Weise anwandten, so daß davon auszugehen ist, daß ≪der Rechtsvorgänger der Beigeladenen≫ durch die vom Verwaltungsgericht zitierten Schuldnerschutzvorschriften geschützt worden wäre, wenn er nicht Jude gewesen wäre”,
bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie sich, soweit sie der Verallgemeinerung zugänglich ist, bereits nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten läßt. Wie der Senat in seinem Beschluß vom 14. November 1996 – BVerwG 7 B 286.96 – unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien (BTDrucks 12/2944, S. 49 f.) dargelegt hat, hat der Gesetzgeber bei der Einfügung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG bewußt davon abgesehen, die Vermutungsregel des Art. 3 der Anordnung BK/O (49) 180 auf den Vermögensverlust aufgrund von Zwangsversteigerungen zu erstrecken; ein Anscheinsbeweis und die damit verbundene Beweiserleichterung bei einem derartigen Vermögensverlust kämen daher allenfalls für besondere Fallgruppen in Betracht. Demgegenüber läuft das Beschwerdevorbringen, soweit es nicht im konkreten Fall die Würdigung des Verwaltungsgerichts durch eine abweichende Würdigung ersetzen möchte, darauf hinaus, ganz allgemein die Vermutungsregel auch bei Zwangsversteigerungen anzuerkennen. Dieser Weg ist durch die ausdrückliche Ablehnung des Gesetzgebers verschlossen; daß die Kausalität zwischen Verfolgung und Vermögensverlust bei Zwangsversteigerungen nicht vermutet werden darf, sondern im Einzelfall nach den allgemeinen Beweisregeln nachzuweisen ist, ergibt sich zweifelsfrei aus dem auf „Veräußerung” und „Aufgabe” von Vermögensgegenständen beschränkten Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 der Anordnung BK/O (49) 180, wird durch die Entstehungsgeschichte des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG bestätigt und entspricht dem Normzweck, die Kausalitätsvermutung auf den rechtsgeschäftlichen oder aufgabebedingten Vermögensverlust zu beschränken, bei dem im Gegensatz zu den Fällen der Zwangsversteigerung regelmäßig vermutet werden kann, daß dem Restitutionsinteresse kein schutzwürdiges Drittinteresse entgegensteht.
Eine andere Frage ist es, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen im Wege des Anscheinsbeweises davon auszugehen wäre, daß die Schuldnerschutzvorschriften der §§ 5 ff. der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 26. Mai 1933 (RGBl I 302) in der gerichtlichen Praxis zu Lasten von Verfolgten nicht angewendet wurden, die Nichteinstellung der Zwangsversteigerung also typischerweise verfolgungsbedingt war. Auch diese Frage würde indessen in einem Revisionsverfahren nicht zu beantworten sein; denn nach den zugrunde zu legenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts war der Anwendungsbereich dieser Verordnung deswegen nicht eröffnet, weil die Nichterfüllung der Verbindlichkeiten schon nach den eigenen Angaben des Rechtsvorgängers der Beigeladenen in einem Schreiben vom 18. November 1933 an das Amtsgericht Leipzig, denen zufolge das streitbefangene Grundstück „immer einen Überschuß von 1 200 RM” gehabt habe, nicht im Sinne des § 5 Abs. 1 der Verordnung „auf Umständen beruht≪e≫, die in der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung begründet sind und die abzuwenden der Schuldner nicht in der Lage war”. Unter diesen Umständen kommt es auf die Frage, ob bei der Anwendung der Schuldnerschutzvorschriften der Verordnung eine diskriminierende Praxis anzunehmen ist, nicht an. Auch im übrigen gibt die Sache keinen Anlaß zu revisionsgerichtlichen Erwägungen, unter welchen Voraussetzungen in Fällen des Eigentumsverlusts infolge Zwangsversteigerung Beweiserleichterungen zugunsten des Verfolgten oder seiner Rechtsnachfolger in Betracht zu ziehen sein könnten; denn angesichts der Tatsache, daß dem für das Grundstück angegebenen jährlichen Mietzinsüberschuß von 1 200 RM allein wegen der Grundpfandrechte, die vor Anordnung der Zwangsversteigerung am 23. Oktober 1933 bestellt waren, jährliche Zinsverpflichtungen in Höhe von 2 731,87 RM gegenüberstanden, erscheint die vorinstanzliche Annahme, bereits die auf unabsehbare Zeit fortbestehende Unterdeckung habe den nach Auswanderung des Eigentümers gestellten Antrag auf Zwangsversteigerung rechtfertigen können, plausibel.
Die weiteren von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen zeigen keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf, sondern erweisen sich allesamt als Angriffe gegen die verfahrensfehlerfrei gewonnene Überzeugung des Verwaltungsgerichts, ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust des Rechtsvorgängers der Beigeladenen sei nicht erwiesen. Derart in das Gewand einer Grundsatzrüge gekleidetes, in Wahrheit gegen die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung gerichtetes Vorbringen ermöglicht nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
2. Die Revision ist auch nicht wegen der gerügten Abweichungen zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Abgesehen davon, daß die von der Beschwerde vorgenommene Gleichsetzung von ausreisebedingter Grundstücksveräußerung im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG und Zwangsversteigerung des Grundstücks eines NS-Verfolgten schon im Ansatz verfehlt ist, hat das Verwaltungsgericht keinen Rechtssatz aufgestellt, der von den bezeichneten Entscheidungen (Urteil vom 28. Juni 1995 – BVerwG 7 C 52.93 – Buchholz 112 § 1 VermG Nr. 48; Urteil vom 29. Februar 1996 – BVerwG 7 C 59.94 – BVerwGE 100, 310; Urteil vom 26. September 1996 – BVerwG 7 C 14.95 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 88) abweicht. Auch das Beschwerdevorbringen legt eine solche Abweichung nicht dar, sondern läuft auf die Rüge hinaus, das Verwaltungsgericht habe die in der genannten Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Anscheinsbeweis bei durch die Ausreise aus der DDR bedingten Grundstücksveräußerungen im vorliegenden Fall entsprechend anwenden müssen. Damit macht die Beschwerde allenfalls eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts geltend, die die Divergenzrevision nicht eröffnet. Im Ergebnis nichts anderes gilt für die Rüge, das angegriffene Urteil weiche von dem Beschluß des Senats vom 22. Oktober 1996 – BVerwG 7 B 254.96 – ab, in dem der Senat ausgesprochen hat, auch ohne Anwendung der Vermutungsregel des Art. 3 der Anordnung BK/O (49) 180 könne unter näher bestimmten Umständen im Wege des Anscheinsbeweises davon auszugehen sein, daß im Sommer 1938 erfolgte Grundstücksveräußerungen durch Bürger jüdischer Herkunft verfolgungsbedingt waren. Von dieser Entscheidung weicht das angegriffene Urteil schon deswegen nicht ab, weil es über die Verfolgungsbedingtheit eines Eigentumsverlusts infolge Zwangsversteigerung zu befinden hatte und der Gesetzgeber die Vermutungsregel aus nachvollziehbaren Gründen gerade nicht auf Zwangsversteigerungen erstreckt hat.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Kley, Herbert
Fundstellen