Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 11.12.2014; Aktenzeichen 2 BV 13.789) |
Tenor
Der Richter am Bundesverwaltungsgericht … ist von der Ausübung des Richteramtes in diesem Verfahren ausgeschlossen.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
I. Über die Beschwerde entscheidet der Senat ohne die Mitwirkung des Richters am Bundesverwaltungsgericht …, zu dessen engerem Freundeskreis eine Beteiligte gehört. Dieser Grund ist geeignet, im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Denn es reicht aus, wenn vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit eines Richters zu zweifeln (stRspr, BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975 – 6 C 129.74 – BVerwGE 50, 36 ≪38≫ und Beschluss vom 25. Juni 2015 – 9 B 31.15 – juris Rn. 3). Dies ist jedenfalls bei nahen persönlichen Beziehungen zwischen einem Richter und einem Beteiligten der Fall (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2005 – II ZR 304/03 – BGHReport 2005, 1350).
Rz. 2
II. Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.
Rz. 3
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Rz. 4
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫ und vom 9. April 2014 – 4 BN 3.14 – ZfBR 2014, 479 Rn. 2).
Rz. 5
a) Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26. Juni 2014 – 7 A 2725/12 – BauR 2014, 1919) entwickelten und vom Verwaltungsgerichtshof übernommenen Kriterien für den bauplanungsrechtlichen Begriff des Doppelhauses mit Bundesrecht in Übereinstimmung stehen. Dies führt nicht zur Zulassung der Revision, weil der Senat die von der Beschwerde insoweit angesprochenen Fragen in dem nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist veröffentlichten Revisionsurteil vom 19. März 2015 (– 4 C 12.14 – BauR 2015, 1309 zu OVG Münster, Urteil vom 26. Juni 2014 – 7 A 1276/13 –) beantwortet hat. Danach lässt sich weder abstrakt-generell noch mathematisch-prozentual bestimmen, ob zwei grenzständig errichtete Baukörper ein Doppelhaus bilden. Es bedarf vielmehr einer Würdigung des Einzelfalls unter Betrachtung quantitativer und qualitativer Gesichtspunkte (BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 – 4 C 12.14 – BauR 2015, 1309 = juris Rn. 19). Für den Begriff der Hausgruppe gelten diese Grundsätze entsprechend (BVerwG, Beschluss vom 19. März 2015 – 4 B 65.14 – juris Rn. 6).
Rz. 6
b) Die Revision ist auch nicht zur Klärung der Frage zuzulassen, ob die Grundstücksgröße, die Länge der einseitigen Bebauung der gemeinsamen Grenze sowie das Verhältnis dieser Länge zur unbebaut bleibenden gemeinsamen Grenze für das Gebot der Rücksichtnahme von Bedeutung sind.
Rz. 7
Für die Begriffe der Hausgruppe und des Doppelhauses ist in der Rechtsprechung bereits geklärt, dass es allein auf die wechselseitige Verträglichkeit der grenzständigen Gebäude ankommt. Bestehende oder fehlende Bebauungsmöglichkeiten sind danach unbeachtlich (BVerwG, Beschluss vom 19. März 2015 – 4 C 12.14 – BauR 2015, 1309), ebenso die Größe der jeweiligen Grundstücke. Die Länge der einseitig grenzständigen Bebauung hat der Verwaltungsgerichtshof in Übereinstimmung mit der Senatsrechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 C 12.98 – BVerwGE 110, 355 ≪361≫) in den Blick genommen (UA Rn. 28). Das Verhältnis der Länge der einseitigen Grenzbebauung zur verbleibenden unbebauten Grenze ist dagegen für die Verträglichkeit der Gebäude nicht von Bedeutung.
Rz. 8
Sollte die Frage auf das Gebot der Rücksichtnahme im Übrigen gemünzt sein, so ist in der Rechtsprechung geklärt, dass ein Vorhaben, das in jeder Hinsicht den aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmen wahrt, sich dann in die Eigenart der näheren Umgebung nicht einfügt, wenn dieses Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige, also vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lässt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 – 4 C 9.77 – BVerwGE 55, 369 ≪378≫). Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an (BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 4 C 11.11 – BVerwGE 145, 290 Rn. 32). Von diesen Grundsätzen ausgehend hat der Verwaltungsgerichtshof unter Berücksichtigung der Größe der verbleibenden Freiflächen auf dem klägerischen Grundstück sowie Länge und Höhe der einseitigen grenzständigen Bebauung einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme verneint (UA Rn. 29 f.). Die Kläger legen nicht dar, inwiefern eine Berücksichtigung des Verhältnisses von einseitig grenzständiger Bebauung zur Länge der verbleibenden unbebauten Grenze dieses Ergebnis in Zweifel ziehen könnte, namentlich, welchen nachbarlichen Belang sie insoweit beeinträchtigt sehen.
Rz. 9
c) Die Kläger halten für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob allein die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit eines Bauvorhabens dieses zwangsläufig rücksichtsvoll im Sinne des Bauplanungsrechts und im Sinne des nachbarrechtlichen Ausgleichsverhältnisses macht. Auch dies führt nicht zur Zulassung der Revision.
Rz. 10
Die Frage ist weder klärungsbedürftig noch klärungsfähig. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme auch verletzt sein kann, wenn etwa die landesrechtlichen Vorschriften über die Abstandsflächen gewahrt sind (BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 1999 – 4 B 128.98 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 159 S. 2 m.w.N.). Der Verwaltungsgerichtshof legt seiner Entscheidung keinen hiervon abweichenden Rechtssatz zugrunde, sondern verneint tatrichterlich eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme (UA Rn. 29 f.). Die in diesem Zusammenhang angeführten bauordnungsrechtlichen Vorschriften illustrieren seine Argumentation, gehen aber nicht auf den von der Beschwerde angenommenen Rechtssatz zurück. Ob die Wirkungen des streitgegenständlichen Anbaus auf dem klägerischen Grundstück einer Grenzgarage oder einem Sichtschutzzaun vergleichbar sind, ist eine Tatfrage, die keiner revisionsgerichtlichen Kontrolle unterliegt.
Rz. 11
2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.
Rz. 12
Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlich, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n. F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14). Ferner muss dargelegt werden, inwiefern das angefochtene Urteil auf dieser Abweichung beruht (BVerwG, Beschluss vom 11. Juni 1974 – 6 B 42.74 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 122 S. 70).
Rz. 13
a) Die Revision ist nicht wegen einer Divergenz zum Senatsurteil vom 24. Februar 2000 – 4 C 12.98 – (BVerwGE 110, 355 ≪360≫) oder einer nachträglichen Divergenz zu dem Senatsurteil vom 19. März 2015 – 4 C 12.14 – (BauR 2015, 1309 = juris Rn. 14 f.) zuzulassen.
Rz. 14
Nach diesen Urteilen lässt sich weder abstrakt-generell noch mathematischprozentual festlegen, in welchem Umfang bei einem Doppelhaus die beiden Haushälften aneinander gebaut sein müssen. Der Verwaltungsgerichtshof legt hiervon abweichend den Rechtssatz zugrunde, ein einheitlicher Baukörper könne jedenfalls dann nicht mehr angenommen werden, wenn sich auch nur eines der Merkmale Geschosszahl, Gebäudehöhe, Bebauungstiefe und -breite sowie das Brutto-Raumvolumen um mehr als die Hälfte unterscheide (UA Rn. 27 a.E.). Die Revision ist dennoch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen, weil das Urteil auf dieser Abweichung nicht beruht.
Rz. 15
Der Rechtssatz des Verwaltungsgerichtshofs stellt – in negativer Formulierung – notwendige Bedingungen für das Vorliegen eines einheitlichen Baukörpers auf, deren mangelnde Erfüllung das Bestehen einer Hausgruppe oder eines Doppelhauses ausschließt. Der so verstandene Rechtssatz trägt das Urteil schon deshalb nicht, weil der Verwaltungsgerichtshof das Bestehen einer Hausgruppe bejaht und nicht etwa – in Anwendung dieses Rechtssatzes – verneint hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Entscheidung dagegen nicht den darüber hinausgehenden Rechtssatz zugrunde gelegt, die angeführten Bedingungen seien hinreichende Bedingungen, bei deren Erfüllung stets ein einheitlicher Baukörper vorliege (vgl. zu dieser Unterscheidung BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 – 4 C 12.14 – BauR 2015, 1309 = juris Rn. 14). Seine Annahme, es bestehe weiterhin eine Hausgruppe, beruht nicht auf einer vom Senat als bundesrechtswidrig beanstandeten mathematisch-prozentualen Bestimmung. Dies zeigen die weiteren Ausführungen: Als maßgeblich hat der Verwaltungsgerichtshof die konkreten Umstände des Einzelfalls angesehen, die angeführten quantitativen Kriterien sind nach seiner Auffassung nicht abschließend (UA Rn. 27 a.E. „insbesondere”). Er hat ergänzend die absolute Gebäudehöhe betrachtet, das Maß der jeweiligen Abweichung gewichtet „deutlich weniger als die Hälfte”; „Unterordnung”), die absolute Höhe des grenzständigen Anbaus in den Blick genommen und durch den Vergleich der Kubatur mit einem typischen Garagenanbau qualitativ bewertet, die Bausituation im Übrigen gewürdigt und abschließend eine Wahrung des Charakters als Hausgruppe bejaht (UA Rn. 28).
Rz. 16
b) Die Beschwerde entnimmt im Übrigen dem Senatsurteil vom 24. Februar 2000 – 4 C 12.98 – (BVerwGE 110, 355) den Rechtssatz, bei der Beurteilung eines Doppelhauses oder einer Hausgruppe dürften absolute oder relative Größenangaben nicht in Rechnung gestellt werden. Einen solchen Rechtssatz hat der Senat indes weder in dem genannten Urteil noch in seinem Urteil vom 19. März 2015 – 4 C 12.14 – (BauR 2015, 1309) aufgestellt.
Rz. 17
c) Die weiter behauptete Divergenz zu den Senatsurteilen vom 24. Februar 2000 – 4 C 12.98 – (BVerwGE 110, 355 ≪359≫) und vom 5. Dezember 2013 – 4 C 5.12 – (BVerwGE 148, 290 Rn. 21) ist nicht dargelegt. Dies gilt sowohl für das (grundsätzliche) Verbot eines einseitigen Grenzanbaus in der offenen Bauweise (UA Rn. 26) als auch für die geforderte Rücksicht auf die Bebauung in unmittelbarer Nähe (vgl. UA Rn. 29). Der bloße Vorwurf, der Verwaltungsgerichtshof habe Rechtssätze des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft angewendet, führt nicht zur Zulassung wegen Divergenz (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14).
Rz. 18
3. Die Revision ist schließlich nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG verfehlt die Darlegungsanforderungen, weil die Kläger nicht – wie erforderlich – vortragen, was sie auf den von ihnen vermissten rechtlichen Hinweis noch vorgetragen hätten (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. März 2013 – 4 B 15.12 – BauR 2013, 1248 Rn. 14 und vom 19. Februar 2014 – 4 B 40.13 – juris Rn. 15 ≪insoweit nicht abgedruckt in BayVBl. 2014, 477≫).
Rz. 19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Dr. Külpmann
Fundstellen