Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Mai 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 70 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund für eine Zulassung der Revision.

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Kläger beimisst.

1.1 Die Beschwerde wirft hinsichtlich des im Berufungsverfahren gestellten Hauptantrags (Verpflichtungsantrag) Rechtsfragen in zweierlei Hinsicht auf. Sie möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob der Wechsel von einer Verpflichtungsklage zu einer Fortsetzungsfeststellungsklage und ggf. der „Rückwechsel” von einem Fortsetzungsfeststellungsantrag zu einem Verpflichtungsantrag eine Klageänderung darstellt, und wirft ferner eine Reihe von Fragen zur Verwirkung des Klagerechts auf. Mit dieser doppelten Fragestellung trägt die Beschwerde dem Umstand Rechnung, dass das Berufungsgericht die Berufung mit dem Hauptantrag zurückgewiesen hat, weil es in der „Rückkehr” zum Verpflichtungsantrag eine unzulässige Klageänderung gesehen und diese zugleich als einen Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben gewertet hat. Ist die vorinstanzliche Entscheidung wie hier in je selbständig tragender Weise doppelt begründet, so kann der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur stattgegeben werden, wenn im Hinblick auf jeden der beiden Begründungsteile ein Zulassungsgrund vorgetragen worden ist und auch vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 1. Februar 1990 – BVerwG 7 B 19.90 – Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 22; stRspr). Daran fehlt es hier, weil die Grundsatzrügen, die die Beschwerde zu dem vom Berufungsgericht angenommenen Verstoß gegen Treu und Glauben erhebt, nicht durchgreifen:

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass auch die Ausübung prozessualer Rechte den Geboten von Treu und Glauben unterliegt und dass deshalb die Befugnis zur Anrufung der Gerichte unter bestimmten Voraussetzungen unzulässig sein kann. So hat der beschließende Senat mehrfach ausgesprochen, dass in die Prüfung eines Klageantrages nicht mehr eingetreten werden kann, wenn der Antragsteller dadurch, dass er zur Durchsetzung eines geltend gemachten Rechts das Gericht anruft, sich zu seinem eigenen früheren Verhalten in einen mit Treu und Glauben unvereinbaren Widerspruch setzt (BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 1989 – BVerwG 4 NB 14.89 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 44 = NVwZ 1990, 554; Beschluss vom 23. Januar 1992 – BVerwG 4 NB 2.90 – NVwZ 1992, 974 ≪975≫ m.w.N.). Diese schrankensetzende Funktion der Grundsätze von Treu und Glauben besteht unabhängig davon, ob der Vorwurf der Treuwidrigkeit an ein Verhalten des Klägers vor oder nach Einleitung eines Klageverfahrens anknüpft. Es liegt ferner auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung, dass ein Kläger auch dann den Vorwurf eines treuwidrigen (rechtsmissbräuchlichen) Verhaltens ausgesetzt sein kann, wenn er zunächst im Rahmen von Vergleichsgesprächen die Bereitschaft der beklagten Gemeinde ausnutzt, einen (ebenfalls angegriffenen) Bebauungsplan den Vorschlägen des Klägers entsprechend zu dessen Gunsten zu ändern und auf dieser Grundlage eine vom Kläger begehrte Baugenehmigung zu erteilen, ausnutzt und nach Erhalt dieser Baugenehmigung zu einem ursprünglich gestellten Verpflichtungsantrag zurückkehrt, der die Erteilung eines Bauvorbescheides für ein anderes Bauvorhaben (hier: Achtfamilienhaus anstelle eines „Dreispänners”) zum Inhalt hat. Ob bei einer solchen Fallkonstellation der Vorwurf eines treuwidrigen Verhaltens berechtigt und einem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis wegen missbräuchlicher Prozessführung abzusprechen ist, entscheidet sich jedoch nach den besonderen Umständen des Einzelfalls. Diese festzustellen und zu würdigen, ist Aufgabe der Tatsachengerichte. Allgemeingültige Grundsätze lassen sich hierzu nicht aufstellen. Die mit der Beschwerde zur Verwirkung des Klagerechts aufgeworfenen weiteren Rechtsfragen lassen ebenfalls keinen revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf erkennen. Sie sind so stark auf die nach Ansicht des Klägers entscheidungserheblichen Umstände des vorliegenden Streitfalls zugeschnitten, dass sie einer verallgemeinerungsfähigen Antwort nicht zugänglich sind.

1.2 Die von der Beschwerde ferner aufgeworfene Frage, ob der Erlass einer Baugenehmigung für ein Grundstück ein erledigendes Ereignis in Bezug auf einen Vorbescheidsantrag für ein anderes Bauvorhaben für dasselbe Grundstück darstelle, kann nicht rechtsgrundsätzlich geklärt werden, da insoweit stets die Umstände des konkreten Einzelfalls maßgeblich sind. Insoweit erschöpft die Beschwerde sich in einer Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall, die nicht geeignet ist, eine Grundsatzrüge zu begründen.

1.3 Hinsichtlich des ersten Hilfsantrages möchte der Kläger rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, welche Anforderungen an die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrages zu stellen sind, soweit die Erfolgsaussichten eines Schadensersatzanspruchs wegen schuldhaften Verhaltens eines Amtsträgers zu bewerten sind. Auch die hierzu aufgeworfenen Rechtsfragen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Das Berufungsgericht hat auch den ersten Hilfsantrag aus zwei Gründen für unzulässig gehalten: Der Antrag verletze ebenfalls die Grundsätze von Treu und Glauben; außerdem fehle dem Kläger das erforderliche Feststellungsinteresse. Das Berufungsgericht hat also seine Auffassung, dass der erste Hilfsantrag des Klägers unzulässig ist, wiederum selbständig tragend doppelt begründet. Zum Vorwurf der Treuwidrigkeit des ersten Hilfsantrags wirft die Beschwerde keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Ergänzend wird auf die vorstehenden Ausführungen zum Hauptantrag verwiesen (vgl. oben 1.1). Da im Hinblick auf die eine der beiden selbständig tragenden Begründungen (Verstoß gegen Treu und Glauben) ein Zulassungsgrund nicht vorgetragen worden ist und nach den vorstehenden Ausführungen zum Hauptantrag auch nicht vorliegt, könnten die zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse aufgeworfenen Fragen selbst dann nicht die Zulassung der Revision rechtfertigen, wenn sie grundsätzliche Bedeutung hätten.

1.4 Die Beschwerde wirft zum zweiten Hilfsantrag die Rechtsfrage auf, ob ein prozessual widersprüchliches Verhalten vorliegt, wenn ein Kläger nach der Stellung von Sachanträgen hilfsweise den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Auch diese Frage ist in einem Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass jedenfalls der Übergang zu einem Fortsetzungsfestellungsantrag (in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) es ausschließt, gleichzeitig eine Erledigungserklärung nach § 161 Abs. 2 VwGO abzugeben. Die auf den Feststellungsantrag zu treffende Sachentscheidung lässt keinen Raum für eine hilfsweise begehrte Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO; denn ein vorrangig zur Entscheidung gestellter Fortsetzungsfeststellungsantrag schließt es aus, die Hauptsache für erledigt zu erklären (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1981 – BVerwG 8 C 39.80 – Buchholz 448.0 § 9 WPflG Nr. 7 = NVwZ 1982, 560 ≪561≫; Urteil vom 6. März 1987 – BVerwG 8 C 65.84 – NVwZ 1988, 155 ≪156≫; Urteil vom 20. April 1994 – BVerwG 11 C 60.92 – NVwZ-RR 1995, 172 ≪174≫). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass zur Vereinbarkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrages und einer hilfsweisen Erledigungserklärung noch ein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht. Der Beschwerde lassen sich insbesondere keine Anhaltspunkte entnehmen, die Anlass für eine Überprüfung der vorbezeichneten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geben könnten.

2. Die Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greifen nicht durch.

2.1 Die Aufklärungsrügen (§ 86 Abs. 1 VwGO) sind unzulässig. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO; denn die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, aus welchem Grund sich dem Berufungsgericht ausgehend von seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Der Sache nach zielen die Aufklärungsrügen zur Verwirkung des Haupt- und des Hilfsantrages sowie zum fehlenden Feststellungsinteresse für eine Amtshaftungsklage auf eine Kritik der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall. Das Beschwerdevorbringen greift im Wesentlichen die Ansicht des Berufungsgerichts an, der Kläger habe durch seine Erklärungen beim Augenschein und durch die Einreichung des Bauantrages für einen Dreispänner, den er zudem als Tektur bezeichnet habe, eindeutig zu erkennen gegeben, dass er an dem ursprünglichen Vorhaben eines Achtfamilienhauses nicht mehr festhalte. Der Umstand, dass das Berufungsgericht den von ihm festgestellten Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht anders würdigt als der Kläger, kann einer Aufklärungsrüge nicht zum Erfolg verhelfen.

2.2 Die Rüge, das Berufungsgericht habe § 86 Abs. 2 VwGO verletzt, geht fehl. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 16. Mai 2000 hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof keinen (unbedingten) Beweisantrag gestellt, über den in der mündlichen Verhandlung zu beschließen gewesen wäre. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat lediglich „vorsorglich” beantragt, erneut einen Augenschein durchzuführen. In den Urteilsgründen (S. 9) wird dargelegt, aus welchem Grund von einer erneuten Beweisaufnahme abgesehen wurde.

2.3 Die Rüge, das Berufungsgericht habe § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt, greift ebenfalls nicht durch. Das Beschwerdevorbringen ergibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsgericht gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Überzeugungsgrundsatz) verstoßen haben könnte. Es ist insbesondere nicht dargelegt, dass das Berufungsgericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen wäre. Die Beschwerde beschränkt sich insoweit auf eine Kritik der rechtlichen Würdigung des festgestellten Sachverhalts. Entsprechendes gilt für die weitere Rüge eines Verstoßes gegen § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, in welchem Punkt das Normenkontrollgericht nicht die Gründe angegeben hätte, die für seine richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

2.4 Für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nichts ersichtlich.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist die Rechtsfrage, ob der im Berufungsverfahren gestellte Verpflichtungsantrag des Klägers und sein Fortsetzungsfeststellungsantrag die Grundsätze von Treu und Glauben verletzt, im Berufungsverfahren von den Beteiligten erörtert worden. Der Kläger ist insoweit auf den Schriftsatz seines damaligen Prozessbevollmächtigten vom 10. Februar 1998 (S. 2) sowie auf den Schriftsatz des Beklagten vom 23. Dezember 1997 zu verweisen.

Angesichts der das Berufungsurteil tragenden Begründung hatte der Verwaltungsgerichtshof ferner keinen Anlass, noch auf den Vortrag des Klägers zur Wirksamkeit der Veränderungssperre, zur Verbescheidung des Vorbescheidsantrages und zur Bekanntmachung des Bebauungsplans einzugehen. Die vom Kläger vermissten Ausführungen zur Möglichkeit eines Anspruchs aus enteignungsgleichem Eingriff finden sich auf S. 10 des Berufungsurteils. Ausgehend von seiner Rechtsauffassung, dass der Hauptantrag (Verpflichtungsantrag) des Klägers mit der Erteilung der Baugenehmigung vom 20. Oktober 1997 für den Dreispänner unzulässig geworden ist (Berufungsurteil S. 8), hatte das Berufungsgericht auch keinen Anlass mehr, sich mit den Ausführungen des Klägers zur Rechtmäßigkeit der 7. Änderung des Bebauungsplans und dem Vorwurf einer sog. Negativplanung durch die Beigeladene auseinanderzusetzen.

Mit den Ausführungen des Klägers zur Klageänderung (Umstellung eines Fortsetzungsfeststellungsantrags auf einen Verpflichtungsantrag) und zu den Erfolgsaussichten eines Fortsetzungsfeststellungsantrags („Kollegialgerichtsrichtlinie”) in seinem Schriftsatz vom 29. Mai 2000 hat sich das Berufungsgericht in der Sache ausführlich befasst (vgl. S. 7 f., 9 f. des Urteils). Die in der Beschwerdebegründung unter I 6. aufgeworfene Frage zur Änderung eines ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter beschlossenen Urteils bei nachgereichtem Vortrag eines Beteiligten würde sich daher in einem Revisionsverfahren nicht stellen.

3. Das Berufungsurteil weicht auch nicht von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Oktober 1991 – BVerwG 3 C 45.90 – (BVerwGE 89, 121 ≪138≫) ab. In dem vorbezeichneten Urteil vom 17. Oktober 1991 wird zwar ausgeführt, dass der Übergang von einer Verpflichtungs- zu einer Fortsetzungsfeststellungsklage keine Klageänderung darstelle. Hierzu setzt sich das Berufungsgericht jedoch nicht in Widerspruch, wenn es auf S. 7 seines Urteils ausführt, dass jedenfalls der im vorliegenden Streitfall zu beurteilende Übergang des Klägers von einem Fortsetzungsfeststellungsantrag zu einem nunmehr in erster Linie verfolgten Verpflichtungsantrag eine Klageänderung im Sinne von § 91 Abs. 1 VwGO darstelle.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Gaentzsch, Halama, Rojahn

 

Fundstellen

Dokument-Index HI544020

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