Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwasserabgabe. Verrechnung. Schadstofffracht. Konzentrationswert. Überwachungswert
Leitsatz (amtlich)
Die Verrechnungsmöglichkeit nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG ist nur bei einer Minderung der nach § 4 Abs. 1 bzw. § 6 Abs. 1 AbwAG zu ermittelnden Schadstofffracht, nicht schon bei einer bloßen Minderung der im Überwachungswert zum Ausdruck kommenden Konzentration eines Schadstoffes oder einer Schadstoffgruppe eröffnet.
Normenkette
AbwAG § 10 Abs. 3
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.04.2003; Aktenzeichen 12 A 11670/02) |
VG Mainz (Entscheidung vom 25.06.2002; Aktenzeichen 3 K 509/02.MZ) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. April 2003 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 201 108,17 € festgesetzt.
Gründe
Die allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Grundsätzliche Bedeutung misst die Beschwerde der Frage bei,
ob die Verrechnung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG bzw. ein Rückzahlungsanspruch zur Voraussetzung hat, dass die den jeweiligen Abwasserabgabebescheiden für die Zeit vor und nach der Inbetriebnahme einer Abwasseranlage entnommenen Zahlen der Schadeinheiten (ZSE) nach Inbetriebnahme der Abwasserbehandlungsanlage um mindestens 20 % niedriger liegen als die ZSE vor deren Inbetriebnahme oder ob eine Verrechnung/Rückzahlung unabhängig von einem solchen Vergleich der den jeweiligen Abwasserabgabebescheiden entnommenen ZSE zu gewähren ist, wenn feststeht, dass durch die Inbetriebnahme der Abwasserbehandlungsanlage tatsächlich eine Minderung der Fracht einer der bewerteten Schadstoffe und Schadstoffgruppen in einem zu behandelnden Abwasserstrom um mindestens 20 % sowie eine Minderung der Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das Gewässer im Vergleich der Einleitsituation vor und nach Inbetriebnahme eingetreten ist.
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO jedoch nicht, denn sie lässt sich, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte, auf der Grundlage der gesetzlichen Regelungen des Abwasserabgabengesetzes und der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres – nämlich im (verneinenden) Sinn des Oberverwaltungsgerichts – beantworten.
Voraussetzung für die Verrechnungsmöglichkeit nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG ist unter anderem eine Minderung der Fracht einer der bewerteten Schadstoffe und Schadstoffgruppen um 20 %. Wie sich aus § 4 Abs. 1 AbwAG ergibt, errechnet sich die Schadstofffracht, die wiederum der Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten zugrunde zu legen ist, aus dem Überwachungswert und der Jahresschmutzwassermenge. Eine bloße Verminderung der im Überwachungswert zum Ausdruck kommenden Konzentration eines bestimmtes Schadstoffes oder einer Schadstoffgruppe im Abwasser reicht deswegen entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht aus. Das entspricht dem Sinn und Zweck der Verrechnungsmöglichkeit: Mit ihr wollte der Gesetzgeber nicht beliebige umweltverbessernde Maßnahmen abgaberechtlich privilegieren, sondern nur solche, denen im Rahmen der Lenkungswirkung des Abwasserabgabengesetzes Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 2003 – BVerwG 9 C 1.03 – NVwZ-RR 2004, 64). Das ist im Fall einer investitionsbedingten Verringerung des Überwachungswertes nur dann gegeben, wenn sich hierdurch die Schadstofffracht und somit auch die abgaberelevanten Schadeinheiten verringern, nicht jedoch dann, wenn – wie hier – die Verringerung des Überwachungs-wertes mit einer Erhöhung der Jahresschmutzwassermenge in der Weise einhergeht, dass die in § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG vorausgesetzte Verringerung der Schad-stofffracht um 20 % nicht erreicht wird. Der von der Beschwerde angesprochenen Sonderproblematik der Zuführung neuer Abwasserströme aus Anlass der Inbetriebnahme einer neuen Abwasserbehandlungsanlage kann durch eine Gesamtbetrachtung der betreffenden Abwasserströme hinreichend Rechnung getragen werden.
Die Bezogenheit der in § 10 Abs. 3 AbwAG geregelten Verrechnungsmöglichkeit auf das Gesamtsystem des Abwasserabgabengesetzes und seine Lenkungswirkung schließt es auch aus, die Beurteilung, ob eine Minderung der Schadstofffracht um 20 % vorliegt, auf der Grundlage beliebiger “tatsächlicher”, möglicherweise auch “unstreitiger” Vergleichswerte vorzunehmen, wie es der Beschwerde offenbar vorschwebt. Vielmehr kann es auch im Rahmen von § 10 Abs. 3 AbwAG nur auf solche Konzentrationswerte und Abwassermengen ankommen, die für die Ermittlung und Festsetzung der Abwasserabgabe relevant sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 2003 – a.a.O.). Deswegen ist ausschließlich auf die in dem die Abwassereinleitung zulassenden Bescheid (§ 4 Abs. 1 AbwAG) genannten Werte bzw. auf die in § 6 Abs. 1 AbwAG geregelten Ersatzlösungen abzustellen (vgl. wiederum BVerwG, Urteil vom 8. September 2003 – a.a.O.). Anderenfalls würde das spezifische Anreizsystem das Abwasserabgabengesetz verlassen.
Als grundsätzlich bedeutsam wirft die Beschwerde darüber hinaus die Frage auf,
“ob eine Verrechnungserklärung eines Abgabepflichtigen, die auf einem für die Verrechnung gegen Schmutzwasserabgabe geschaffenen Behördenformular abgegeben wurde, ausgelegt werden muss als möglichst weitgehende Verrechnung, also auch auf Verrechnung gegen Niederschlagswasserabgabe, es sei denn, der Abgabepflichtige hat seine Verrechnungserklärung ausdrücklich auf die Verrechnung gegen Schmutzwasserabgabe beschränkt”.
Auch diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie stellt sich bei der Auslegung und Anwendung von § 6 Abs. 5, § 10 Abs. 2 Landesabwasserabgabengesetz und betrifft mithin irrevisibles Landesrecht. Das gilt auch, soweit allgemeine Grundsätze des Bundesrechts, wie sie etwa in § 133 BGB zum Ausdruck kommen, zur Ergänzung solcher Normen herangezogen werden (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 14. Oktober 1994 – BVerwG 1 B 153.93 – Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 27 S. 10 und vom 28. Dezember 1994 – BVerwG 8 B 201.94 – Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 78 S. 17, jeweils m.w.N.). Die – revisible – Norm des § 62 Satz 2 Landesverwaltungsverfahrensgesetz, auf die die Beschwerde die Anwendbarkeit von § 133 BGB stützen will, ist im vorliegenden Zusammenhang schon deswegen nicht anwendbar, weil sie sich ausschließlich auf öffentlich-rechtliche Verträge bezieht, um die es hier ersichtlich nicht geht. Selbst wenn sich die Frage der Auslegung öffentlich-rechtlicher Willenserklärungen im vorliegenden Fall als solche des Bundesrechts darstellen würde, könnte sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht begründen, weil diese Frage bereits in dem Sinn geklärt ist, dass für die Auslegung einer empfangsbedürftigen Willenserklärung nach den auch im öffentlichen Recht entsprechend anzuwendenden §§ 133, 157 BGB maßgebend ist, wie diese vom Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsauffassung verstanden werden musste (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 13. September 1999 – BVerwG 11 B 14.99 – NVwZ-RR 2000, 135). Ob das Oberverwaltungsgericht auf dieser Grundlage eine zutreffende Auslegung der Verrechnungserklärung der Klägerin vom 18. Dezember 1996 vorgenommen hat, was die Beschwerde bestreitet, ist eine Frage der Tatsachenwürdigung, die den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht begründen kann. Im Übrigen lässt die Auslegung der Verrechnungserklärung durch das Oberverwaltungsgericht einen Verstoß gegen die genannten bundesrechtlichen Grundsätze nicht erkennen.
Schließlich vermag auch die dritte der von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen,
“ob ein Verstoß gegen die Hinweispflicht aus § 25 VwVfG/LVwVfG Rheinland-Pfalz auf das Erfordernis einer ausdrücklichen gesonderten Verrechnungserklärung gegen Niederschlagswasserabgabe dazu führt, dass der Abgabeschuldner so zu stellen ist, als hätte er diesen ausdrücklichen Antrag rechtzeitig im Sinne des § 10 Abs. 2 Satz 2 Landesabwasserabgabengesetz gestellt”,
eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu begründen, weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Ob die in der Frage vorausgesetzte Beratungspflicht der Behörde im konkreten Fall bestanden hat und ob sie hiergegen verstoßen hat, hat das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich offen gelassen. Es fehlt mithin an tatsächlichen Feststellungen, die die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage im Revisionsverfahren begründen könnten. Hat das Oberverwaltungsgericht aber Tatsachen nicht festgestellt, die vorliegen müssten, damit sich die mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Rechtsfragen in einem Revisionsverfahren stellen würden, und besteht lediglich die Möglichkeit, dass sie nach Zurückweisung der Sache aufgrund weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden könnten, kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Revision nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden (Beschluss vom 5. September 1996 – BVerwG 9 B 387.96 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 12 m.w.N.). Ein Ausnahmefall der im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 2000 – BVerwG 8 B 287.99 – (BVerwGE 111, 61 f.) behandelten Art liegt hier nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 2, § 14 GKG.
Unterschriften
Hien, Dr. Storost, Prof. Dr. Rubel
Fundstellen
Haufe-Index 1120995 |
ZKF 2005, 46 |
NuR 2005, 535 |
UPR 2004, 314 |
ZfW 2005, 101 |
ZfW 2005, 37 |