Verfahrensgang
VG Dresden (Aktenzeichen 4 K 3055/98) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 18. Juli 2001 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 511 292 EUR (entspricht 1 Million DM) festgesetzt.
Gründe
Die Kläger beanspruchen die Rückübertragung eines Grundstücks, das auf einer Enteignungsliste A des Landes Sachsen verzeichnet war, gemäß Beschluss der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) vom 21. September 1948 als „sonstiges Vermögen” enteignet und am 9. April 1949 im Grundbuch als Volkseigentum eingetragen wurde. Die Beklagte lehnte die Rückübertragung ab, weil das Grundstück im Sinne des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden sei. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage als unbegründet abgewiesen. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg.
Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
1. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die durch den DWK-Beschluss vom 21. September 1948 bestätigten Enteignungen des sonstigen Vermögens dem Willen der sowjetischen Besatzungsmacht zuzurechnen seien, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Diese Enteignungen beruhten auf besatzungshoheitlicher Grundlage und fallen damit nicht in den Regelungsbereich des Vermögensgesetzes. Der Beschluss vom 21. September 1948 vollzog den gemäß Nr. 4 des SMAD-Befehls Nr. 64 vom 17. April 1948 der DWK und entsprechend ihren Weisungen den Landesregierungen erteilten Auftrag, eine Entscheidung über den sonstigen sequestrierten Besitz zu treffen. Mit diesem Auftrag ermächtigte die Besatzungsmacht die genannten deutschen Stellen, in eigener Zuständigkeit und aufgrund eigenständiger Beurteilung über die Enteignung oder Freigabe der sequestrierten Vermögenswerte zu befinden. Die Besatzungsmacht billigte damit generell die von der DWK oder den Landesregierungen erlassenen Entscheidungen, ohne dass sie sich noch eine nachträgliche Kontrolle oder gar Bestätigung der einzelnen Enteignungs- oder Freigabebeschlüsse vorbehalten hätte (stRspr, s. zuletzt Beschluss vom 14. Januar 1998 – 7 B 339.97 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 134; Urteil vom 28. September 1999 – BVerwG 7 C 44.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 7; jeweils m.w.N.).
Das Beschwerdevorbringen gibt keinen Anlass, die Verantwortung der Besatzungsmacht für die durch den DWK-Beschluss vom 21. September 1948 bestätigten Enteignungen des sonstigen Vermögens in einem Revisionsverfahren erneut zu überprüfen. Soweit die Beschwerde ihre Annahme, DWK-Enteignungen hätten unter dem Vorbehalt ihrer ausdrücklichen Bestätigung durch die Besatzungsmacht gestanden, aus generellen Verlautbarungen der Besatzungsmacht über die „unter Kontrolle” der SMAD tätige DWK herleitet, ist das Vorbringen bereits unschlüssig, weil eine solche Kontrolle zwar Eingriffe im Einzelfall ermöglicht, aber weder den behaupteten Bestätigungsvorbehalt noch eine generelle Nachprüfung der Enteignungen durch die Besatzungsmacht voraussetzt. In der Tat war im gesamten Bereich der Wirtschaftsplanung und -verwaltung, die der DWK durch SMAD-Befehl Nr. 32 vom 12. Februar 1948 übertragen wurde, weitgehend offen, in welchem Maße die SMAD von ihren Kontrollkompetenzen Gebrauch machen würde (vgl. die von der Beschwerde eingereichte Erklärung des Präsidenten der DWK vom 9. März 1948). Befehle oder Verlautbarungen der Besatzungsmacht, nach denen Enteignungen sonstigen Vermögens der ausdrücklichen Bestätigung durch die Besatzungsmacht bedurft hätten, benennt die Beschwerde nicht. Ob die deutschen Stellen von der Notwendigkeit einer Bestätigung der von ihnen erstellten Enteignungslisten ausgegangen waren, ist unerheblich. Denn die Besatzungsmacht hat in Kenntnis dessen, dass sie die Enteignungen sonstigen Vermögens nicht ausdrücklich bestätigt hatte, für korrigierende Eingriffe keinen Anlass gesehen. Das folgt daraus, dass der DWK-Beschluss vom 21. September 1948, der „die Enteignungsbeschlüsse der Landesregierungen über die sequestrierten sonstigen Vermögen … bestätigt” hat, ebenso wie die am selben Tag von der DWK beschlossenen Richtlinien Nr. 3 über die Enteignung sonstiger Vermögen im Zentralverordnungsblatt veröffentlicht und die auf diese Beschlüsse gestützten Enteignungen im Regelfall tatsächlich durchgeführt wurden. Angesichts dessen ist nicht zweifelhaft, dass die unter der Oberhoheit der sowjetischen vorgenommenen Enteignungen deren Verantwortung zuzurechnen sind.
Zweifel an der Richtigkeit dieser Beurteilung ergeben sich auch nicht aus dem Protokoll der DWK-Sitzung vom 18. August 1948, das die Kläger im vorinstanzlichen Verfahren vorgelegt haben. Darin heißt es unter dem Tagesordnungspunkt 15, dass „die Beratung über den Entwurf eines Beschlusses betr. Enteignung ‚sonstiger Vermögen’ unterbleibt auf Bitte des Ausschusses zum Schutze des Volkseigentums, der die Vorlage zurückzieht, da die SMAD mit ihr nicht einverstanden ist”. Dieser Vorgang kann entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht zur Annahme eines besatzungshoheitlichen Enteignungsverbots führen. Aus dem Vergleich des im Beschwerdeverfahren vorgelegten Entwurfs eines „Beschluss(es) über die Enteignung der sequestrierten ‚Sonstigen Vermögen’” vom 9. August 1948, dessen Beratung in der DWK-Sitzung vom 18. August 1948 vertagt wurde, mit dem DWK-Beschluss vom 21. September 1948 geht hervor, dass die einzige inhaltliche Änderung darin bestand, die Beschlussüberschrift zu streichen und durch die Bezeichnung des Gegenstands mit „Betr.: Enteignung der sequestrierten ‚Sonstigen Vermögen’” zu ersetzen; im Übrigen ist der Beschlusstext mit demjenigen des vertagten Beschlussentwurfs identisch. Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich der Einwand der SMAD gegen den vorangegangenen Beschlussentwurf als bloße Korrektur einer Formulierung darstellte, die aus der Sicht der Besatzungsmacht Missverständnisse über den Inhalt des Beschlusses hätte hervorrufen können, bestand der von der Besatzungsmacht geäußerte Wille offenbar in Anregungen, die zu den ebenfalls am 21. September 1948 beschlossenen Richtlinien Nr. 3 und 4 zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64 geführt haben. Diese nahe liegende Folgerung drängt sich angesichts des in dem handschriftlich korrigierten Beschlussentwurf vom 9. August 1948 angebrachten Vermerks auf, in dem es heißt, dass „die anliegende 3. und 4. Anordnung … abgesprochen (sind) mit der SMAD”. Die Versagung des Einverständnisses der SMAD mit dem Beschlussentwurf hatte hiernach den Sinn, die Regelungen über die Enteignung des sonstigen Vermögens zu vervollständigen; diesem Wunsch ist die DWK dadurch nachgekommen, dass sie in den Richtlinien Nr. 3 die Enteignung sonstiger Vermögen über die in den Enteignungslisten bezeichneten Vermögenswerte hinaus auf das gesamte Vermögen der Enteignungsbetroffenen erstreckt und in den Richtlinien Nr. 4 die Verwertung der enteigneten sonstigen Vermögen geregelt hat. Dagegen bietet der Vorgang keinerlei Anhaltspunkt für die spekulative Annahme der Beschwerde, dass sich die Intervention der SMAD auf die dem Beschluss zugrunde liegenden, von den Landesregierungen beschlossenen Enteignungslisten gerichtet habe und damit als Enteignungsverbot anzusehen sei.
Da der von der SMAD erhobene Einwand gegen den Beschlussentwurf vom 9. August 1948 keinen Bezug zu den von den Landesregierungen beschlossenen Enteignungslisten hatte, ist auch der Vorwurf der Beschwerde unbegründet, das angegriffene Urteil beruhe auf einem Verstoß gegen die Denkgesetze. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Enteignungslisten keiner Bestätigung der Besatzungsmacht bedurften, ist mit seiner Feststellung, wonach der Beschlussentwurf vom 9. August 1948 mangels Einverständnisses der SMAD zurückgezogen wurde, angesichts der von der Auffassung der Beschwerde abweichenden Zielrichtung dieses Einwands ohne weiteres vereinbar.
2. Auch die weiteren Fragen,
- ob es „gegen Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), insbesondere deren Art. 14, Art. 6 sowie Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur Konvention (verstößt), dass deutsche Gerichte der sowjetischen Besatzungsmacht über den Begriff der ‚besatzungshoheitlichen Enteignung’ auch die Enteignungsmaßnahmen des sog. ‚sonstigen Vermögens’ zurechnen und sich über die hierdurch ermöglichte Berufung auf § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ihrer rechtlich bestehenden Wiedergutmachungsverantwortung entziehen”,
- und ob „ein Verstoß gegen die o.g. Vorschriften in Fällen der Enteignung bloßen Privatbesitzes nicht selbst dann vor(liegt), wenn man diese Enteignungen, wie die Ausgangsinstanz dies tut, der sowjetischen Besatzungsmacht zurechnet, weil es sich dann um gegen die HLKO verstoßende Konfiskationen handelt”,
rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Soweit das entsprechende Vorbringen der Beschwerde auf einen vermeintlichen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK) zielt, beruht es auf der unzutreffenden Annahme, dass die in Rede stehende Enteignung nicht der Verantwortung der sowjetischen Besatzungsmacht zuzurechnen sei. Soweit die Beschwerde mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK an eigentumsrechtliche Ansprüche anknüpft, bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass diese Bestimmung keine Rückwirkung entfaltet und darum auf vor In-Kraft-Treten der EMRK und vor Ratifizierung des Protokolls durchgeführte Maßnahmen, durch die ein Eigentümer vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt wurde, keine Anwendung findet. Im Übrigen verkennt die Beschwerde, dass nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane ein Eigentumsschutz bei öffentlich-rechtlichen Ansprüchen nur unter besonderen Voraussetzungen, nämlich insbesondere dann in Betracht kommt, wenn der Anspruch auf einer eigenen Leistung des Anspruchsberechtigten beruht (vgl. Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl. 1996, Art. 1 des 1. ZP, Rn. 10 ff.; Gelinsky, Der Schutz des Eigentums gemäß Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 1996, S. 29 ff.; jeweils m.w.N.); diese Voraussetzung ist bei vermögensrechtlichen Rückübertragungsansprüchen nicht erfüllt, da sie ausschließlich der Wiedergutmachung erlittenen Unrechts dienen, ihre Wurzeln damit im Rechts- und Sozialstaatsprinzip haben und nicht unmittelbar auf einer eigenen Leistung der Berechtigten, sondern auf staatlicher Gewährung beruhen. Davon abgesehen vernachlässigt die Beschwerde, dass die Enteignung der Rechtsvorgänger der Kläger unter der Verantwortung der sowjetischen Besatzungsmacht vorgenommen wurde, die Hoffnung auf den Fortbestand des früheren Eigentumsrechts oder auf eine Rückgabe der auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteigneten Vermögenswerte vor der Wiedervereinigung Deutschlands keine eigentumsrechtlich relevante „berechtigte Erwartung” war und der Restitutionsausschluss im Sinne des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG nach wie vor durch den Zweck gerechtfertigt ist, die Sowjetunion von einem Unrechtsvorwurf freizustellen. Auch der Einwand, die der Besatzungsmacht zuzurechnende Enteignung habe Art. 46 Abs. 2 der Haager Landkriegsordnung (HLKO) verletzt, geht daran vorbei, dass selbst bei einem unterstellten Verstoß gegen diese Bestimmung keine durchsetzbare und damit werthaltige, vom Eigentumsschutz erfasste Rechtsposition bestand, in die durch die Regelung des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG hätte eingegriffen werden können (vgl. BVerfGE 94, 12 ≪46 f.≫). Der Vorwurf der Beschwerde, dieser Restitutionsausschlusstatbestand sowie seine Auslegung und Anwendung zielten im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK darauf ab, die Durchsetzung gegen den Staat gerichteter Restitutionsansprüche zu vereiteln, liegt neben der Sache.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 73 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Franßen, Kley, Herbert
Fundstellen