Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 21.12.2005; Aktenzeichen 6 B 28.03) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung. Die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Rechtsfragen
“1.) Ersetzen Schiedssprüche nach § 94 BSHG, die von beiden Parteien angefochten worden sind, Vergütungsvereinbarungen i.S.d. § 93 Abs. 2 BSHG und schließen eine Anwendbarkeit der im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.10.1994 zur Bedarfsdeckung aufgestellten Grundsätze eines Hilfebedürftigen in einer Behinderteneinrichtung mit der Folge aus, dass es auf das unstreitig wirksam zwischen dem Kläger und dem Einrichtungsträger vereinbarte Entgelt – s. Urt. des OVG Lüneburg vom 15.11.2000, Az.: 7 L 3691/95 – nicht ankommt?
2.) Wirkt die ab dem 01.01.1999 geltende Neufassung des § 93b Abs. 1 Satz 3 u. 4 BSHG, wonach Klagen gegen Schiedssprüche aufschiebende Wirkung haben, sich entsprechend des Beschlusses des 5. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.02.2002 – BVerwG 5 C 21.01 – dahingehend aus, dass Klagen gegen Schiedssprüche für die Jahre 1994 bis 1998 rückwirkend gleichfalls zur aufschiebenden Wirkung führen?
3.) Können geltend gemachte Übernahmeansprüche eines Hilfebedürftigen Schiedsstellenentscheidungen entgegengehalten werden, die angeblich weiter gelten sollen, wenn diese Schiedssprüche zwischenzeitlich aufgehoben worden sind? – Für die streitgegenständlichen Jahre 1995 bis 1998 sind die ergangenen Schiedssprüche zwischenzeitlich durch Urteile des VG Hannover vom 27. Feb. 2006 – Az.: 9 A 94/06; 9 A 107/06; 9 A 137/06; 9 A 138/06 – aufgehoben worden. Die Klagen des Einrichtungsträgers gegen die Schiedssprüche für die Jahre 1999 bis 2003, mit welchen die Festsetzungen von Vergütungen in Ermangelung einer Leistungsvereinbarung abgelehnt worden sind, sind durch Urteile des VG Hannover vom 30. März 2006 abgewiesen worden.”
sind nach dem Urteil des Senats vom 4. August 2006 – BVerwG 5 C 13.05 – juris (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) nicht (mehr) klärungsbedürftig oder stellen sich auf der Grundlage dieses Urteils nicht (mehr) in entscheidungserheblicher Weise.
Wie der Senat in diesem Urteil näher ausgeführt hat, liegt – auch im Verhältnis zu ortsfremden Sozialhilfeträgern – ein “anderer Fall” i.S.d. § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994 bzw. ein Fall des § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG F. 1999 nicht vor, solange gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1994 bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1999 eine Vereinbarung bzw. eine sie gestaltende Schiedsstellenentscheidung zwischen einer Einrichtung und dem örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe tatsächlich und rechtlich möglich ist. Vorläufig festgesetzte oder vereinbarte Entgelte bzw. Vergütungen stehen zwar den endgültig vereinbarten oder festgesetzten Entgelten bzw. Vergütungen nicht gleich. Die Gewährung von Sozialhilfe ohne Bezug zu einer Vereinbarung ist aber “gesperrt”, solange der angestrebte Abschluss einer Vereinbarung bzw. eine vereinbarungsgestaltende Schiedsstellenentscheidung rechtlich und tatsächlich möglich ist (Urteil vom 4. August 2006 a.a.O. juris Rn. 23).
Durch das Urteil des Senats vom 4. August 2006 (a.a.O.) ist – wie in der Sache bereits das Berufungsgericht erkannt hat – weiter geklärt, dass die Bemühungen des Einrichtungsträgers und des für den Sitz der Einrichtung örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers um den Abschluss von Vereinbarungen auch in Bezug auf einen selbst nicht vertragschließenden Sozialhilfeträger wirken, weil die Abschlusszuständigkeit bei dem Sozialhilfeträger liegt, in dessen Bereich die Einrichtung gelegen ist; bei dieser Sachlage stellen sich Fragen einer treuwidrigen Berufung auf die Unwirksamkeit eines Vertrages bereits im Ansatz nicht.
Unter diesen Umständen bedarf ferner keiner weiteren Erörterung, inwieweit die Erwägungen in dem Beschluss des Senats vom 22. März 2005 – BVerwG 5 B 55.04 – im vorliegenden Fall hätten Geltung beanspruchen können.
Die Revision ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer nachträglichen Abweichung von dem Urteil des Senats vom 4. August 2006 (a.a.O.) zuzulassen. Das Berufungsgericht ist von den in diesem Urteil aufgestellten Rechtssätzen schon nicht in entscheidungserheblicher Weise abgewichen. Es hat im Einklang mit der Entscheidung des Senats vom 4. August 2006 (a.a.O.) angenommen, dass “ein Anspruch auf höhere Leistungen (…) auch nicht (besteht), weil eine Entscheidung über das nach der niedersächsischen Regelung endgültig geschuldete Entgelt noch aussteht” (UA S. 10 Abs. 1; s.a. S. 17 Abs. 3: “… bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Klärung der die Schiedssprüche betreffenden Verfahren keine Ansprüche … auf weitere Zahlungen”; S. 20 Abs. 2: “… derzeit keine Ansprüche des Klägers …”), und auch entschieden, dass ein Sozialhilfeträger die zwischen einem Heimbewohner und dem Einrichtungsträger vereinbarten höheren Tagespflegesätze nicht übernehmen müsse, “solange das Klinikum … nach wie vor an dem Abschluss einer Vereinbarung mit dem zuständigen niedersächsischen Träger interessiert und um Schiedsentscheidungen im Umfang mangelnder Einigung bemüht war” (UA S. 20) und eine grundsätzlich erklärte Einigungsbereitschaft fortbesteht; insoweit hat das Berufungsgericht auch einen “fortbestehende(n) Wille(n) zu einer Einigung” festgestellt (S. 22 Abs. 2, s.a. UA S. 19 Abs. 2, S. 20 Abs. 1). Es hat weiterhin erkannt, dass ein Anspruch auf höhere Leistungen lediglich derzeit nicht besteht und damit für den Fall der noch ausstehenden Entscheidung über das endgültig geschuldete Entgelt eine weitere Leistung noch in Betracht kommt; daraus ergibt sich für den umgekehrten Fall, dass eine Vereinbarung bzw. eine sie gestaltende Schiedsstellenentscheidung zwischen einer Einrichtung und dem örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe tatsächlich und rechtlich nicht mehr möglich ist, dass ein “anderer Fall” i.S.d. § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG (F. 1994) bzw. ein Fall des § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG (F. 1999) vorliegt, aufgrund dessen eine weitere Leistung in Betracht kommen kann.
Jedenfalls steht die Ergebnisrichtigkeit des Berufungsurteils der Zulassung der Revision in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO (stRspr; vgl. etwa Beschlüsse vom 17. März 1998 – BVerwG 4 B 25.98 – Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 66 und vom 22. August 1996 – BVerwG 8 B 100.96 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 62 m.w.N.) entgegen.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (Divergenz) zuzulassen.
2.1 Die geltend gemachte Abweichung von dem Urteil des Senats vom 20. Oktober 1994 (– BVerwG 5 C 28.91 – BVerwGE 97, 53) liegt schon deswegen nicht vor, weil die vermeintlich divergierenden Entscheidungen nicht zu derselben Regelung ergangen sind. § 93 BSHG ist durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (vom 21. Dezember 1993, BGBl I, 2374) zum 1. Juli 1994 grundlegend umgestaltet worden.
2.2 Die Revision ist auch nicht wegen einer Abweichung des Berufungsgerichts von früheren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (vom 28. Februar 2002 – BVerwG 5 C 25.01 – BVerwGE 116, 78) oder des Bundesverfassungsgerichts (vom 31. Mai 1960 – 2 BvL 4/59 – BVerfGE 11, 139) zuzulassen.
Nach dem Urteil des Senats vom 4. August 2006 (a.a.O.) kommt es nicht darauf an, ob einer Klage gegen eine Schiedsstellenentscheidung aufschiebende Wirkung zukommt oder nicht. Die Sperrwirkung für eine endgültige Sozialhilfegewährung ohne Bezug zu einer Vereinbarung tritt unabhängig davon mit der Aufnahme von Verhandlungen zum Vereinbarungsabschluss ein und dauert an, solange der angestrebte Abschluss einer Vereinbarung bzw. eine vereinbarungsgestaltende Schiedsstellenentscheidung rechtlich und tatsächlich möglich ist. Es kann daher in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO offenbleiben, ob dem Berufungsurteil der Rechtssatz entnommen werden kann, dass neue Prozessvorschriften nur eingeschränkt auf bereits anhängige Streitsachen anwendbar sind, sich insbesondere für eine prozessuale Rückwirkung neuer Verfahrensvorschriften aus dem Sinn und Zweck der Neuregelung entnehmen lassen muss, dass der neuen Regelung rückwirkende Wirkung zukommen soll, und ob ein solcher Rechtssatz von den benannten Entscheidungen abweicht. Ebenso kann offenbleiben, ob das Berufungsgericht mit seiner Erwägung, der Grundsatz, dass neue Prozessvorschriften grundsätzlich auch für bereits anhängige Streitsachen gelten, nicht gelte, wenn sich aus Sinn und Zweck der neuen Vorschriften etwas anderes ergebe, von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2002 (a.a.O.) abweicht.
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Hund, Dr. Franke, Dr. Brunn
Fundstellen