Verfahrensgang
Thüringer OVG (Urteil vom 27.04.2004; Aktenzeichen 2 KO 30/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 27. April 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 41 902,98 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von der Klägerin in Anspruch genommenen Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Klägerin wirft insofern – sinngemäß – die Rechtsfrage auf, ob ein Gericht die Klage auf Erstattung gemeinschaftswidrig erhobener Gebühren mit der Begründung abweisen darf, dass der der Erhebung zugrunde liegende Gebührenbescheid bestandskräftig geworden sei. Diese Frage ist einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich. Inwiefern sie im vorliegenden besonderen Fall der höchstrichterlichen Klärung bedürfte, zeigt die Beschwerde nicht auf.
Für das nationale Recht ist geklärt, dass eine Erstattung von Gebühren, die durch einen rechtswidrigen Gebührenbescheid erhoben wurden, nur in Betracht kommt, wenn der Gebührenbescheid zuvor aufgehoben wird. Unter welchen Umständen der Betroffene dies verlangen kann, regeln grundsätzlich die §§ 48 ff. VwVfG bzw. die vergleichbaren Vorschriften des jeweiligen Landesrechts. Dabei verleiht das Gesetz dem Betroffenen unter den in § 51 Abs. 1 VwVfG bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Überprüfung des Gebührenbescheides. Darüber hinaus besteht im Rahmen des § 48 VwVfG mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit nur ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Gebührenbescheides, wenn dessen Aufrechterhaltung “schlechthin unerträglich” ist (Urteile vom 30. Januar 1974 – BVerwG 8 C 20.72 – BVerwGE 44, 333 ≪336≫ und vom 27. Januar 1994 – BVerwG 2 C 12.92 – BVerwGE 95, 86 ≪92≫). Ob dies anzunehmen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte ab (Beschluss vom 16. August 1989 – BVerwG 7 B 57.89 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 268).
Auch das Gemeinschaftsrecht verlangt grundsätzlich nicht, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen. Vielmehr sind vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung grundsätzlich mit Gemeinschaftsrecht vereinbar, weil sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit sind. Derartige Fristen machen die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich und erschweren sie nicht übermäßig, selbst wenn ihr Ablauf zur vollständigen oder teilweisen Abweisung der Klage führt (EuGH, Urteile vom 2. Dezember 1997 – Rs. C-188/95 – Fantask u.a., Slg. I-6783 ≪Rn. 45≫, und vom 13. Januar 2004 – Rs. C-453/00 – Kühne & Heitz, DVBl 2004, 373 ≪Rn. 24≫). Auch für das Gemeinschaftsrecht kann sich eine unbedingte Verpflichtung der Behörde zur Rücknahme eines bestandskräftigen Bescheides nur aus besonderen, zusätzlichen Gründen ergeben. Das wurde mit Blick auf das finanzielle Interesse der Gemeinschaft etwa für die Rücknahme gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen angenommen (EuGH, Urteil vom 16. Juli 1998 – Rs. C-298/96 – Ölmühle, Slg. I-4782 ≪Rnrn. 23 f.≫).
Inwiefern diese Grundsätze einer weiteren Klärung bedürften, macht die Beschwerde nicht deutlich. Ebenso wenig zeigt sie auf, inwiefern sich aus den Besonderheiten des Fleischhygienegebührenrechts und seiner gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen eine unbedingte Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung seiner Gebührenbescheide ergeben soll.
Die Klägerin beruft sich in erster Linie auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 29. April 1999 (Rs. C-224/97, Ciola, Slg. I-2517). Darin hatte es der Gerichtshof für unzulässig erklärt, wenn sich der Mitgliedstaat Österreich auf die Bestandskraft eines mit Gemeinschaftsrecht unvereinbaren Verwaltungsakts beruft, den er vor seinem Beitritt zur Gemeinschaft erlassen hatte. Diese Entscheidung findet ihren Grund in der Besonderheit der Beitrittssituation; bei Erlass des Verwaltungsakts galt das europäische Gemeinschaftsrecht in Österreich noch nicht, und der Betroffene hatte daher keine Möglichkeit, ihn vor Eintritt der Bestandskraft unter Berufung auf Gemeinschaftsrecht anzufechten (vgl. Beschluss vom 8. Juli 2003 – BVerwG 3 B 14.03 –). Anders liegt es im vorliegenden Fall: Die Klägerin hatte es in der Hand, die ergangenen Gebührenbescheide durch rechtzeitigen Widerspruch auf ihre Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht hin überprüfen zu lassen.
Auch aus dem bereits erwähnten Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Januar 2004 (C-453/00, Kühne & Heitz) ergibt sich der von der Klägerin behauptete Klärungsbedarf nicht. Dort hat der Gerichtshof einen Mitgliedstaat für verpflichtet erachtet, einen bestandskräftigen Verwaltungsakt erneut zu überprüfen, wenn sich zwischenzeitlich seine Unvereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht herausgestellt hat; dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Betroffene ihn unter Berufung auf das Gemeinschaftsrecht angefochten hatte, das Gericht die Klage aber abgewiesen hatte, ohne eine nach Art. 234 EG gebotene Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs herbeizuführen. Auch diese Entscheidung betrifft einen Sonderfall und gibt für den vorliegenden Rechtsstreit nichts her. Dort hat der Betroffene alles ihm Mögliche unternommen, um die Unvereinbarkeit des Verwaltungsakts mit Gemeinschaftsrecht im Wege des Widerspruchs und der Klage geltend zu machen, war aber aus Gründen erfolglos, die nicht in seiner Macht lagen. Im vorliegenden Falle hingegen hat die Klägerin die in Rede stehenden Gebührenbescheide unangefochten gelassen.
Schließlich beruft sich die Klägerin ohne Erfolg auf die – erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist ergangenen – Vorlagebeschlüsse des 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 2004 (BVerwG 6 C 23.03 und BVerwG 6 C 24.03). Der 6. Senat geht ebenfalls davon aus, dass das Gemeinschaftsrecht nicht gebietet, einen gemeinschaftsrechtswidrigen Gebührenbescheid in allen Fällen oder auch nur im Regelfall zurückzunehmen, selbst wenn er unanfechtbar geworden sei. Vielmehr hält der 6. Senat eine Rücknahme nur dann für geboten, wenn sich dies im konkreten Fall aus dem jeweils anzuwendenden Gemeinschaftsrecht ergibt. Dementsprechend hat er dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob sich aus Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Lizenzierungsrichtlinie, insbesondere aus der dort verankerten Pflicht der Mitgliedstaaten, die Einhaltung für die Bemessung der Gebühr “sicherzustellen”, eine Pflicht zur Rücknahme gemeinschaftsrechtswidriger Telekommunikationsgebühren ergibt. Inwiefern das europäische Fleischhygienegebührenrecht dem vergleichbar ist, legt die Klägerin nicht dar. Es ist auch nicht ersichtlich.
2. Die Revision kann auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen werden. Die behauptete Abweichung zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 2000 (2 BvR 1210/98, NJW 2000, 2015) liegt nicht vor. Diese Entscheidung betraf die Befugnis des Betroffenen, sich gegenüber der Rücknahme einer ihn begünstigenden – gemeinschaftsrechtswidrigen – Entscheidung auf die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG zu berufen. Damit hat sich das Berufungsgericht nicht in Widerspruch gesetzt. Bei seiner Entscheidung geht es vielmehr um die Befugnis der Behörde, eine Erstattung vereinnahmter Gebühren unter Berufung auf die Bestandskraft eines – unterstellt: gemeinschaftsrechtswidrigen – Gebührenbescheides abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen
Haufe-Index 1338562 |
DÖV 2005, 651 |
AuUR 2005, 273 |