Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von § 154 Abs. 1 und 2 BauGB. Ausgleichsbeitrag für sanierungsbedingte Erhöhung des Bodenwerts
Normenkette
BauGB § 154 Abs. 2, 1 Sätze 2, 1
Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 10.07.2017; Aktenzeichen OVG 2 B 7.16) |
VG Berlin (Entscheidung vom 10.03.2016; Aktenzeichen 19 K 260.13) |
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Beklagte beimisst.
Rz. 3
a) Der Beklagte wirft die Frage auf,
ob § 154 Abs. 2 BauGB einen Qualitätsstichtag für die Bestimmung des Anfangswerts dergestalt fixiert, dass maßgeblich für die Anfangswertbestimmung die Qualität des Grundstücks am Tag vor Beginn des Sanierungseinflusses ist.
Rz. 4
Die Antwort soll der Klärung der Frage dienen,
ob in der Legaldefinition des Anfangswerts in § 154 Abs. 2 BauGB das Wort "wenn" temporal oder konditional zu verstehen ist.
Rz. 5
Dem Beklagten geht es letztlich um die Klärung der Frage,
ob für die Ermittlung der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwerts des Grundstücks bei der Bestimmung des Anfangswertes darauf abzustellen ist, wie die qualitative Entwicklung des Sanierungsgebiets ohne Sanierung verlaufen wäre.
Rz. 6
In eine andere Formulierung gekleidet lautet die Frage,
ob § 154 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BauGB für die Bestimmung des Anfangswertes die Berücksichtigung eines dynamisierten Anfangswertes fordert, also des Anfangswertes, der sich zum Wertermittlungsstichtag (Abschluss der Sanierung/Abgeschlossenheitserklärung) für das Grundstück ohne Durchführung der Sanierung ergäbe.
Rz. 7
Im Übrigen möchte der Beklagte geklärt wissen,
ob 'wendebedingte Effekte' für die Ermittlung gesetzeskonformer Anfangswerte nach § 154 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BauGB durch die Verwendung dynamischer Anfangswerte berücksichtigt werden müssen.
Rz. 8
Der Fragenkomplex führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sich auf ihn ohne weiteres im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde antworten lässt.
Rz. 9
Nach § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB hat der Eigentümer eines im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücks zur Finanzierung der Sanierung an die Gemeinde einen Ausgleichsbetrag in Geld zu entrichten, der der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwerts eines Grundstücks entspricht. Nach § 154 Abs. 2 BauGB besteht die durch die Sanierung bedingte Erhöhung des Bodenwerts des Grundstücks aus dem Unterschied zwischen dem Bodenwert, der sich für das Grundstück ergeben würde, wenn eine Sanierung weder beabsichtigt noch durchgeführt worden wäre (Anfangswert), und dem Bodenwert, der sich für das Grundstück durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets ergibt (Endwert).
Rz. 10
Aus § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB ergibt sich, dass allein die Erhöhung des Bodenwerts abzuschöpfen ist, die kausal auf die Sanierung zurückzuführen ist. Daraus folgt zwanglos, dass das Wort "wenn" in § 154 Abs. 2 BauGB als ergänzender Bestimmung zu § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB (Kleiber/Fieseler, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2017, § 154 Rn. 92) konditional zu verstehen ist.
Rz. 11
Die Werte, die nach § 154 Abs. 2 BauGB einander gegenüberzustellen sind, sind der Bodenwert ohne Aussicht auf Sanierung (Anfangswert) und der Bodenwert nach und aufgrund der Sanierung (Endwert). Beide Werte sind auf denselben Zeitpunkt zu ermitteln (BVerwG, Urteil vom 27. November 2014 - 4 C 31.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:271114U4C31.13.0] - NVwZ 2015, 531 Rn. 6). Von dem Stichtag für die Ermittlung des Anfangswertes ist der Qualitätsstichtag zu unterscheiden. Er bezeichnet den Zeitpunkt, auf den sich der für die Wertermittlung maßgebliche Grundstückszustand bezieht (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 Immobilienwertermittlungsverordnung - ImmoWertV).
Rz. 12
Das angefochtene Urteil nimmt für sich in Anspruch, nicht von der bisherigen Dogmatik und Systematik des Sanierungsrechts abzuweichen (UA S. 21). Vermutlich geht das Oberverwaltungsgericht deshalb mit dem Beklagten davon aus, dass der Qualitätsstichtag grundsätzlich der Zeitpunkt des beginnenden Sanierungseinflusses und damit dem Wertermittlungsstichtag vorgelagert ist (vgl. dazu Kleiber, ZfBR 1996, 131; Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 8. Aufl. 2017, VI Rn. 354 ff., ders./Fieseler in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2017, § 153 Rn. 56 f.). Wegen der Besonderheiten des Einzelfalls hat es bei der Ermittlung des sanierungsunbeeinflussten Werts des klägerischen Grundstücks aber dessen fiktive qualitative Weiterentwicklung berücksichtigt, wie sie ohne die städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen zu seiner Überzeugung eingetreten wäre (UA S. 20). Sein rechtlicher Ansatz, den Ausgleichsbetrag um diejenigen Bodenwertsteigerungen zu reduzieren, die mit Gewissheit (und nicht nur spekulativ) auch ohne Sanierungsmaßnahmen zu erwarten gewesen wären (UA S. 21), steht mit § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB im Einklang (siehe auch Freise, in: Brügelmann, BauGB, Stand September 2017; § 154 Rn. 47). Zur Überzeugung des Oberverwaltungsgerichts steht fest, dass sich das Sanierungsgebiet "Mitte-Spandauer Vorstadt" wegen wendebedingter Effekte sowie seiner zentralen Lage in der Mitte von Berlin und seiner besonderen städtebaulichen Qualitäten auch ohne die förmliche Sanierung mit Hilfe privater Investoren qualitativ fortentwickelt hätte (UA S. 18, 20). Ob diese Einschätzung, an die der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, zutrifft, ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
Rz. 13
b) Der Beklagte hält ferner die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob in Fällen, in denen ein Ausgleichsbetragsbescheid rechtswidrig ist, weil die Behörde den ihr zustehenden Wertermittlungsspielraum fehlerhaft ausgenutzt hat und zur Festsetzung der zutreffenden Höhe des Ausgleichsbetrages eine wertermittelnde Feststellung der Behörde notwendig ist, eine Entscheidung des Gerichts nach § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO statthaft bzw. geboten ist.
Rz. 14
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil der Beklagte ihre grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit nicht darlegt. Der Beklagte beschränkt sich darauf, Rechtsausführungen des angefochtenen Urteils zu § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO, die im Wesentlichen auf die Darlegungen zu § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO Bezug nehmen, in Frageform zu kleiden. Mit der Lösung und der Argumentation in dem angefochtenen Urteil setzt er sich nicht auseinander. Damit verfehlt er die Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. November 2017 - 4 B 62.17 [ECLI:DE:BVerwG:2017:021117B4B62.17.0] - juris Rn. 9).
Rz. 15
Mit dem bloßen Hinweis auf die angeblich gegenläufigen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Januar 1991 - 8 C 14.89 - (BVerwGE 87, 288) sowie vom 4. September 2008 - 9 B 2.08 - (Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 32) und des OVG Hamburg vom 14. November 2016 - 3 Bf 207/15 - (BauR 2017, 1336) einerseits und des OVG Koblenz vom 14. September 2004 - 6 A 10530/04 [ECLI:DE:OVGRLP:2004:0914.6A10530.04.0A] - (juris) andererseits ist es nicht getan. Wegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist es nicht Aufgabe des Senats, die Entscheidungen daraufhin auszuwerten, ob sie etwas für die Nichtzulassungsbeschwerde Verwertbares enthalten.
Rz. 16
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.
Rz. 17
Der Beklagte wirft dem Oberverwaltungsgericht vor, es habe gegen seine aus § 86 Abs. 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgende Pflicht verstoßen, die Sache spruchreif zu machen, und entgegen § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO die für die Berechnung des sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrags maßgeblichen Gesichtspunkte nicht geklärt. Er zeigt indes nicht auf, dass die Vorinstanz die prozessuale Bedeutung der Vorschriften verkannt hat. Vielmehr beanstandet er, dass das Oberverwaltungsgericht seine Verpflichtung zur Spruchreifmachung und die Möglichkeit, Berechnungsvorgaben zu machen, wegen einer unzutreffenden Erfassung des Bewertungsspielraums der Behörde bei der Bemessung des sanierungsrechtlichen Ausgleichsbetrags verneint habe. Mit dieser Kritik sind die geltend gemachten Verfahrensfehler nicht schlüssig dargelegt; denn die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an Verfahrensmängeln leidet, ist vom materiellrechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts aus zu beurteilen, auch wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (stRspr; vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1996 - 11 B 150.95 - Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1 S. 1).
Rz. 18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Fundstellen