Entscheidungsstichwort (Thema)
Normenkontrollverfahren. Bebauungsplan. fehlende Bekanntmachung. Statthaftigkeit. Planreife. Nachbarklage
Leitsatz (amtlich)
Ein Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO gegen einen als Satzung beschlossenen, aber noch nicht bekannt gemachten Bebauungsplan ist auch dann nicht statthaft, wenn der Planentwurf Grundlage für Genehmigungen nach § 33 BauGB sein kann. Etwas anderes kommt allenfalls dann in Betracht, wenn der Antragsteller durch Nachbarklagen gegen derartige Baugenehmigungen keinen hinreichenden Rechtsschutz erlangen könnte.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; VwGO § 47; BauGB § 10 Abs. 3, § 33
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Zwischenurteil vom 26.06.2001; Aktenzeichen 1 C 10722/01) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Juni 2001 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Das Normenkontrollgericht hat den Antrag der Antragstellerin, den Bebauungsplan „O.” der Antragsgegnerin für nichtig zu erklären, als derzeit unzulässig abgelehnt, weil der Bebauungsplan noch nicht bekannt gemacht und demgemäß noch nicht in Kraft getreten sei. Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
Entscheidungsgründe
II.
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund, der die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.
1. Dass eine Satzung nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO noch nicht erlassen ist und deshalb nicht Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens sein kann, wenn der Normgeber sie zwar beschlossen und die Genehmigungsbehörde sie genehmigt hat, sie aber noch nicht bekannt gemacht worden ist, bedarf nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren. Denn in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass eine Satzung im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO erst erlassen ist, wenn sie aus der Sicht des Normgebers bereits Geltung für sich in Anspruch nimmt; Rechtsvorschriften, die erst im Stadium ihrer Entstehung sind, können nicht Gegenstand einer Normenkontrolle sein (BVerwG, Beschluss vom 2. Juni 1992 – 4 N 1.90 – NVwZ 1992, 1088 = ZfBR 1992, 238). Die Satzung muss also als Rechtsnorm mit formellem Geltungsanspruch veröffentlicht worden sein. Dies setzt eine förmliche Verkündung oder eine sonstige tatsächliche Handlung voraus, aus der sich ergibt, dass die Satzung als Rechtsnorm gelten soll (BVerwG, Beschluss vom 10. April 1996 – 4 NB 8.96 – ZfBR 1996, 231 ≪232≫). Dabei ist es allerdings unerheblich, ob die Bekanntmachung korrekt vorgenommen worden ist; die Normenkontrolle kann gerade der Klärung dienen, ob die Norm rechtsgültig erlassen worden ist (BVerwG, Beschluss vom 2. Juni 1992 – 4 N 1.90 – a.a.O.). Fehlt es jedoch – wie im vorliegenden Fall – an der Bekanntmachung des Bebauungsplans und geht dementsprechend auch die Gemeinde davon aus, dass der Plan noch nicht in Kraft gesetzt worden sei, so kann er nicht Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens sein.
Daran würde sich auch nichts ändern, wenn die Antragsgegnerin – wie die Antragstellerin geltend macht – den Bebauungsplan nicht gemäß § 10 Abs. 3 BauGB bekannt machen will, sondern beabsichtigt, Baugesuche unter Zugrundelegung des Bebauungsplans über § 33 BauGB zuzulassen. Eine derartige Praxis – möglicherweise sogar mit dem Ziel, den Betroffenen den Rechtsschutz durch ein Normenkontrollverfahren abzuschneiden – wäre allerdings rechtswidrig. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens eines Bebauungsplans grundsätzlich nicht zur Disposition der Gemeinde steht. Die gesetzliche Regelung, nach der der Bebauungsplan mit seiner Bekanntmachung in Kraft tritt, geht davon aus, dass mit dem Satzungsbeschluss der Gemeinde regelmäßig die Erwartung verbunden ist, der Bebauungsplan werde nun auch alsbald in Kraft gesetzt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. August 2000 – 4 CN 2.99 – DVBl 2000, 1861 = BauR 2001, 71). Zwar darf die Gemeinde ihr Planungsverfahren abbrechen, etwa wenn sie nachträglich Rechtsmängel der Planung erkennt. Das schlichte Unterlassen der Bekanntmachung ist hierfür jedoch nicht das richtige Mittel; vielmehr sollte die Gemeinde aus Gründen der Rechtsklarheit den Satzungsbeschluss wieder aufheben (BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1977 – 4 C 51.75 – BVerwGE 54, 211 ≪217≫). Sieht die Gemeinde dagegen lediglich davon ab, den Bebauungsplan in Kraft zu setzen, obwohl die Planung sachlich abgeschlossen ist, so läuft sie Gefahr, dass mit zunehmendem zeitlichen Abstand die materielle Planreife im Sinne des § 33 Abs. 1 Nr. 2 BauGB fraglich wird und damit die Möglichkeit entfällt, Vorhaben auf der Grundlage dieser Vorschrift zuzulassen (BVerwG, Beschluss vom 25. November 1991 – 4 B 212.91 – Buchholz 406.11 § 33 BBauG/BauGB Nr. 7). Aber auch in diesem Fall wäre ein Normenkontrollverfahren hinsichtlich des Planentwurfs nicht statthaft. Denn eine Bekanntmachung des Bebauungsplans würde in der – rechtmäßigen oder rechtswidrigen – Zulassung von Bauvorhaben nach § 33 BauGB nicht liegen. Auch würde der Bebauungsplan nicht etwa „ohne Bekanntmachung bereits in Vollzug gesetzt”. § 33 BauGB ist nur anwendbar, wenn der neue Bebauungsplan noch nicht förmlich in Kraft getreten ist; die Vorschrift gilt für Vorhaben während der Planaufstellung und setzt gerade voraus, dass sich der Bebauungsplan noch im Entwurfsstadium befindet.
Vereinzelt wird in der Literatur gefordert, in erweiternder oder analoger Auslegung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auch gegen noch nicht existente Bebauungspläne die Normenkontrolle zuzulassen, wenn von ihnen wegen ihrer materiellen Planreife Wirkungen wie von einem bekannt gemachten Bebauungsplan ausgehen (Jäde, BayVBl 1985, 225 und BayVBl 1986, 499, sowie in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO, 2. Aufl. 1999, § 30 Rn. 53; Uechtritz, BauR 1999, 572 ≪587≫; vgl. auch OVG Schleswig, Beschluss vom 29. März 1994 – 1 M 14/94 – NVwZ 1994, 916; a.A. die herrschende Lehre, vgl. Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 47 Rn. 63 f.; Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn. 16; Jörg Schmidt, in: Eyermann/Fröhler, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 47 Rn. 12 und 23; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 47 Rn. 15 und 22; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl. 2000, § 47 Rn. 10; ferner OVG Bautzen, Beschluss vom 22. Januar 1998 – 1 S 770/97 – NVwZ 1998, 527; VGH München, Beschluss vom 15. Dezember 1999 – 1 NE 99.3162 – NVwZ-RR 2000, 469). Einer abschließenden Entscheidung des Senats hierzu bedarf es im vorliegenden Verfahren nicht. Denn eine erweiternde Auslegung wäre jedenfalls nur dann in Betracht zu ziehen, wenn anderenfalls hinreichender Rechtsschutz nicht gewährt werden könnte (so auch OVG Schleswig, Beschluss vom 29. März 1994 – 1 M 14/94 – NVwZ 1994, 916). An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Wenn eine nach § 33 BauGB erteilte Baugenehmigung Rechte eines Dritten verletzt, kann dieser nämlich eine öffentlich-rechtliche Nachbarklage erheben. Auch wenn der Rechtsschutz durch ein Normenkontrollverfahren im Einzelfall möglicherweise weiter reichen kann als der Rechtsschutz durch eine Nachbarklage (vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 1994 – 4 B 94.94 – NVwZ 1995, 598 = ZfBR 1995, 53) und zudem einfacher zu praktizieren ist, weil der Nachbar nur ein einziges Verfahren anhängig zu machen braucht, so steht dem Nachbarn doch zumindest im Regelfall auch über das Institut der Nachbarklage effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) zur Verfügung. Dass es hier anders sein könnte, ist nicht ersichtlich; auch die Beschwerde trägt nicht substantiiert vor, weshalb ihre subjektiven Rechte allein in einem Normenkontrollverfahren gewahrt sein könnten.
2. Die geltend gemachte Abweichung von dem Beschluss des Senats vom 2. Juni 1992 – 4 N 1.90 – (a.a.O.) besteht nicht. Das Normenkontrollgericht hat nicht in Zweifel gezogen, dass eine Norm im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO erlassen ist und Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens sein kann, wenn sie aus der Sicht des Normgebers bereits Geltung für sich in Anspruch nimmt. Soweit es die Genehmigung von Bauvorhaben im Plangebiet für möglich gehalten hat, ist es nicht von der Normqualität des noch nicht bekannt gemachten Bebauungsplans ausgegangen, sondern hat § 33 BauGB als Rechtsgrundlage genannt.
3. Die Normenkontrollentscheidung beruht auch nicht auf einem Verfahrensfehler.
Die Rüge, das Normenkontrollgericht habe nicht auf der Grundlage von § 47 Abs. 6 VwGO durch Beschluss entscheiden dürfen, geht ins Leere. Zwar ist der in der Entscheidung zitierte Absatz 6 nicht einschlägig. Hinreichende Rechtsgrundlage für die Entscheidung durch Beschluss ist jedoch § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Das Normenkontrollgericht hat auch seine Aufklärungspflicht nicht verletzt. Nach der für den Umfang seiner Aufklärungspflicht maßgeblichen – und, wie oben ausgeführt, auch zutreffenden – materiellen Rechtsanschauung kam es nämlich auf die Frage, weshalb die Antragsgegnerin den Bebauungsplan nicht bekannt gemacht hat, nicht an.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Den Streitwert setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Unterschriften
Paetow, Lemmel, Gatz
Fundstellen
Haufe-Index 660223 |
BauR 2002, 445 |
NVwZ-RR 2002, 256 |
ZAP 2002, 142 |
ZfBR 2002, 172 |
BRS 2002, 249 |
DVBl. 2002, 281 |
UPR 2002, 110 |
BRS-ID 2002, 20 |
FSt 2002, 411 |