Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 22.06.2021; Aktenzeichen 8 S 3419/20) |
VG Stuttgart (Urteil vom 27.05.2020; Aktenzeichen 3 K 7725/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 22. Juni 2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
1. Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf der Feststellung seiner luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit.
Rz. 2
Mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 hatte das Regierungspräsidium Stuttgart die Zuverlässigkeit des Klägers im Sinne von § 7 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) mit Gültigkeit bis zum 1. Dezember 2021 festgestellt. Am 28. Juni 2019 teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg dem Regierungspräsidium Stuttgart im Rahmen der Nachberichtspflicht unter Bezugnahme auf ein vom Kläger in "reichsbürgerlicher Diktion" verfasstes Schreiben an die Staatsanwaltschaft Ellwangen mit, dass er als "Reichsbürger" gespeichert sei. Auf Anfrage des Regierungspräsidiums Stuttgart teilte das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg unter dem 9. August 2019 mit, dass der Kläger vom Landesamt auf der Grundlage mehrerer von ihm verfasster Schreiben sowie einer "Lebenderklärung" und eines "Sicherungsabkommens", die er an das Bundesverwaltungsamt Köln übersandt habe, als "Reichsbürger" eingestuft werde.
Rz. 3
Daraufhin widerrief das Regierungspräsidium Stuttgart nach vorheriger Anhörung des Klägers gestützt auf § 7 der Luftsicherheits-Zuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung (LuftSiZÜV) i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG BW mit Bescheid vom 31. Oktober 2019 die am 1. Dezember 2016 getroffene Feststellung der Zuverlässigkeit im Sinne von § 7 LuftSiG. Nach § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 LuftSiG fehle es in der Regel an der Zuverlässigkeit, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Betroffene Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) verfolgt oder unterstützt oder in den letzten zehn Jahren verfolgt oder unterstützt hat. Es genügten bereits geringe Zweifel, um die Zuverlässigkeit zu verneinen. Solche Zweifel bestünden beim Kläger aufgrund seiner Schreiben an die Staatsanwaltschaft Ellwangen und das Regierungspräsidium Stuttgart sowie der "Lebenderklärung" und des "Sicherungsabkommens", die er an das Bundesverwaltungsamt Köln versandt habe. Die dort verwendete Diktion und die Vorgehensweise stellten typische Vorgehensweisen von Angehörigen des Reichsbürgermilieus dar. Diese Zweifel habe der Kläger auch durch seine im Rahmen der Anhörung abgegebene Stellungnahme nicht ausräumen können. Die von ihm vorgebrachten Argumente bezeichneten keine atypischen Umstände, die eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung nach § 7 LuftSiG rechtfertigten. Die festgestellten Verhaltensweisen ließen deshalb Zweifel am Rechts- und Pflichtbewusstsein des Klägers bestehen, insbesondere hinsichtlich der Gewissheit, dass er sich jederzeit für die Belange der Luftsicherheit einsetzen und sich dabei an die gesetzlichen Bestimmungen halten werde.
Rz. 4
Auf die daraufhin vom Kläger erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Stuttgart den Bescheid aufgehoben. Dieses Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg geändert und die Klage abgewiesen. Die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit des Klägers sei zwar entgegen der Auffassung des Beklagten nicht bereits deshalb zu verneinen, weil tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestünden, dass er Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG verfolge oder unterstütze oder in den letzten zehn Jahren verfolgt oder unterstützt habe (§ 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 LuftSiG). Solche tatsächlichen Anhaltspunkte ließen sich, wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt habe, beim Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung nicht feststellen (UA S. 18 ff.). Es hätten jedoch sonstige Erkenntnisse gemäß § 7 Abs. 1a Satz 3 LuftSiG vorgelegen, die bei der Gesamtwürdigung ausreichende Zweifel an dessen Zuverlässigkeit begründeten. Aus den zu berücksichtigenden Sachverhalten hätten sich ohne Weiteres nicht nur geringe Zweifel am Bekenntnis des Klägers zur freiheitlich demokratischen Grundordnung ergeben (§ 7 Abs. 1a Satz 4 Nr. 3 LuftSiG), die zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufs auch nicht ausgeräumt gewesen seien (UA S. 21 ff.). Der Kläger habe - in Übereinstimmung mit der Ideologie der sog. "Reichsbürger" - die Existenz und die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland sowie die Verbindlichkeit von deren Rechtsordnung - u.a. des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten - verneint. Er gebe damit - auch als Einzelperson - Anlass zu der Befürchtung, dass er aus den von ihm angeführten Gründen auch die die Sicherheit des Luftverkehrs gewährleistenden Vorschriften nicht strikt befolgen werde. Soweit der Kläger behaupte, die schriftlich zum Ausdruck gebrachten Vorstellungen seinerzeit nicht geteilt zu haben, sei dies nicht glaubhaft, sondern eine verfahrensorientierte Schutzbehauptung, nachdem ihm die Konsequenzen insbesondere für seine Privatpilotenlizenz klargeworden seien. Wie das Verwaltungsgericht demgegenüber zu der Feststellung habe gelangen können, dass er die in seine Schreiben übernommenen Inhalte nicht im Detail gekannt, ihnen keine ernsthafte Bedeutung beigemessen, sich nicht ernsthaft mit ihnen auseinandergesetzt und auch die darin vertretene Auffassung nicht als innere Überzeugung angeeignet hätte, erschließe sich dem Senat nicht. Dass der Kläger sich mit den Inhalten befasst und deren Richtigkeit zumindest in Betracht gezogen habe, ließen auch seine Einlassungen in der mündlichen Verhandlung erkennen, in denen er sich - wiederum "reichsbürgertypisch" - auf (aus dem Zusammenhang gerissene) Aussagen deutscher Spitzenpolitiker berufen habe (UA S. 24). Dass der Kläger die Ideologie der "Reichsbürger" verinnerlicht habe, zeige auch der Umstand, dass er einen Urlaub eigens unterbrochen habe, um nach Vaduz/Lichtenstein zu fahren, um dort eine "Lebenderklärung" und ein "Sicherheitsabkommen" beurkunden zu lassen, deren Bedeutung sich allein auf der Grundlage der Vorstellung der "Reichsbürger" oder sog. "Selbstverwalter" erschließe (UA S. 25).
Rz. 5
2. Die Rechtssache hat nicht die vom Kläger allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Rz. 6
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Regelung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das ist in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise darzulegen und setzt die Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 29. August 2018 - 3 B 24.18 - VRS 134, 157 ≪159≫ m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gerecht.
Rz. 7
a) Der Kläger nimmt grundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage an, wie wenig bzw. wie viel Tun oder auch nur Denken genüge, um als Voraussetzung für die Regelvermutung des § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 LuftSiG auszureichen. Es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob ein einzelner Handelnder bereits als sog. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" eingeordnet werden könne, nur weil er diverse Briefe aus dem Internet ziehe und versende. Könne allein die Verwendung von frei verfügbaren Musterschreiben ein "Unterstützen" von entsprechenden Bestrebungen darstellen? Diese Fragen können eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht rechtfertigen, weil ihre Beantwortung nicht entscheidungserheblich ist. Das Berufungsgericht hat der Berufung des Beklagten nicht deshalb stattgegeben, weil es die Voraussetzungen der Regelvermutung des § 7 Abs. 1a Satz 3 LuftSiG als erfüllt angesehen hat. Es hat die Anwendbarkeit dieser Regelung vielmehr - wie auch bereits das Verwaltungsgericht - ausdrücklich verneint (UA S. 18 ff.). Stattdessen hat das Berufungsgericht seine Entscheidung darauf gestützt, dass sonstige Erkenntnisse im Sinne von § 7 Abs. 1a Satz 3 LuftSiG vorlägen, aus denen sich im Wege einer Gesamtwürdigung ausreichende Zweifel an der Zuverlässigkeit des Klägers ergeben (UA S. 21 ff.). Diese Zweifel hat es nicht allein aus der Verwendung von "Musterschreiben" hergeleitet, sondern daraus, dass aus der konkreten Vorgehensweise des Klägers und weiteren Begleitumständen zu schließen sei, dass er sich die Ideologie der "Reichsbürger" zu eigen gemacht habe (UA S. 24 f.).
Rz. 8
b) Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO für die Zulassung der Revision sind gleichfalls nicht erfüllt, soweit der Kläger grundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage geltend macht, ob Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handelten, nach § 4 Abs. 1 Satz 4 BVerfSchG auch Bestrebungen in diesem Sinne darstellten, wenn sie nicht auf Gewalt gerichtet und auch nicht aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet seien, ein Schutzgut erheblich zu beeinträchtigen. Auch diese Frage zielt, wie u.a. die Bezugnahme auf § 4 Abs. 1 Satz 4 BVerfSchG zeigt, auf die - nicht entscheidungserhebliche - Klärung der rechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Regelvermutung des § 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LuftSiG. Unabhängig hiervon ist das Berufungsgericht zur Feststellung gelangt, dass beim Kläger Anlass zu der Befürchtung bestehe, dass er aus den Gründen, die er in von ihm selbst individualisierten und eigenhändig unterzeichneten Schreiben angeführt habe, auch die die Sicherheit des Luftverkehrs gewährleistenden Vorschriften nicht strikt befolgen werde (UA S. 22). Damit hat das Berufungsgericht entgegen der vom Kläger formulierten Fragestellung die Gefahr der erheblichen Beeinträchtigung eines Schutzgutes angenommen.
Rz. 9
c) Was die Voraussetzungen von § 7 Abs. 1a Satz 3 und Satz 4 Nr. 3 LuftSiG betrifft, deren Vorliegen das Berufungsgericht bejaht hat, zeigt die Beschwerde ebenfalls keinen Klärungsbedarf im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.
Rz. 10
Die Frage, ob es im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung darauf ankomme, ob sich der Betroffene bewusst in die Nähe von verfassungsfeindlichen Ideologien begibt, oder eventuell unbewusst oder gar ungewollt oder nur fahrlässig, stellt sich auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht. Es ist auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen und deren Bewertung davon ausgegangen, dass sich der Kläger die Ideologie der "Reichsbürger" zu eigen gemacht hat (UA S. 24). Da der Kläger hiergegen keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben hat, wäre dieser Sachverhalt auch im Revisionsverfahren zugrunde zu legen (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Rz. 11
Ebenso wenig wäre in einem Revisionsverfahren die Frage zu beantworten, ob die Wiedergabe allgemein zugänglicher Informationen nach der Frage eines Gerichts ausreiche, ohne weitere Hinweise eine Gesinnung des Antwortenden zu vermuten und daraus auf seine Unzuverlässigkeit zu schließen. Diese Frage würde sich nicht stellen, weil das Berufungsgericht aus den Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung keineswegs - wie die vom Kläger formulierte Frage unterstellt - "ohne weitere Hinweise" auf eine Übernahme der Ideologie der "Reichsbürger" durch ihn geschlossen hat, sondern in diesen Einlassungen nur eine weitere Bestätigung für die aus anderen Umständen hergeleitete Wertung gesehen hat, dass sich der Kläger die Ideologie der "Reichsbürger" zu eigen gemacht habe (UA S. 24).
Rz. 12
Schließlich führt auch die Frage, wieviel "milieutypische Formulierungen" zwingend den Schluss zuließen, dass sich jemand eine bestimmte Ideologie zu eigen macht, nicht zu einer Revisionszulassung auf der Grundlage von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Diese Frage ist im Rahmen der für die Anwendung von § 7 Abs. 1a Satz 3 LuftSiG vorzunehmenden Gesamtwürdigung auf der Grundlage der konkreten Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls zu beantworten; der fallübergreifenden Klärung in einem Revisionsverfahren ist diese Frage nicht zugänglich.
Rz. 13
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14906606 |