Verfahrensgang
OVG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 23.05.2012; Aktenzeichen 1 L 94/08) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 23. Mai 2012 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.
Rz. 2
1. Die Klägerin wirft dem Oberverwaltungsgericht vor, ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt und dadurch gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verstoßen zu haben. In seinem Beschluss vom 10. August 2005 – 1 M 74.05 – (NordÖR 2006, 34) habe es die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die vom Beklagten verfügte Nutzungsuntersagung hinsichtlich des Wohnhauses wiederhergestellt. Entscheidungstragende Erwägungen habe sie, die Klägerin, im Berufungsverfahren aufgegriffen. Das Oberverwaltungsgericht habe sich von ihnen aber in der Berufungsentscheidung gelöst, ohne die Gründe dafür aufzuzeigen (Beschwerdebegründung Nr. 2 und Nr. 3).
Rz. 3
Die Rüge greift nicht durch.
Rz. 4
Das Oberverwaltungsgericht hat im Eilverfahren ein Interesse des Beklagten an der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung mit der Begründung verneint, der Antragsgegner habe einer Instandsetzung und Sanierung des Wohnhauses zugestimmt (Beschlussabdruck S. 10) und es sei nicht erkennbar, dass der Neubau des Wohnhauses sowie die mit ihm verbundene Nutzung sich als stärkerer Eingriff in Natur und Landschaft darstellen könnten als die zugelassenen Maßnahmen (BA S. 11). Im Tatbestand des Berufungsurteils ist die darauf Bezug nehmende Ansicht der Klägerin wiedergegeben, die Nutzungsuntersagung sei rechtswidrig, weil im Sinne einer Differenzbetrachtung nicht erkennbar sei, dass das tatsächlich errichtete Gebäude bzw. die mit ihm verbundene Nutzung einen stärkeren Eingriff in Natur und Landschaft mit sich bringen würden als die beantragte und genehmigte Instandsetzung und Sanierung (UA S. 8). Aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ergibt sich, dass das Oberverwaltungsgericht dem – ausweislich des Tatbestandes zur Kenntnis genommenen – rechtlichen Ansatz der Klägerin nicht gefolgt ist. Richtiger Bezugspunkt einer Vergleichsbetrachtung sei der Zustand des Grundstücks nach Abriss des Wohnhauses und damit verbundenem Wegfall seines Bestandsschutzes. So betrachtet liege eine Störungsintensivierung durch Errichtung und Nutzung eines – sozusagen neuen – Wohnhauses im Schutzgebiet auf der Hand (UA S. 18). Auf seinen abweichenden rechtlichen Standpunkt oder wenigstens die in Betracht kommenden Entscheidungsalternativen brauchte das Oberverwaltungsgericht die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht hinzuweisen. Es besteht keine allgemeine Pflicht der Gerichte, den Beteiligten vor Erlass eines Urteils die gerichtliche Rechtsauffassung und die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs mitzuteilen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. April 1987 – 1 BvR 883/86 – DB 1987, 2287 ≪2288≫).
Rz. 5
Unzulässig sind allerdings “Überraschungsentscheidungen”, die auf Erwägungen gestützt werden, mit denen auch ein gewissenhafter und sachkundiger Prozessbeteiligter nicht rechnen konnte (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 – 1 BvR 1383/90 – BVerfGE 84, 188 ≪190≫). Eine solche Entscheidung stellt das Berufungsurteil nicht dar. Die Ansicht der Klägerin, das Oberverwaltungsgericht hätte zur Vermeidung einer Gehörsverletzung darlegen müssen, warum es seinen eigenen Ausführungen im Eilbeschluss nicht mehr folge, beruht auf der Fehlvorstellung, dass das Oberverwaltungsgericht im Eilbeschluss eine andere Rechtsauffassung vertreten hat als im Berufungsurteil. Das Oberverwaltungsgericht hat im Eilbeschluss nicht die im Berufungsverfahren revidierte Ansicht geäußert, die Nutzungsuntersagung sei rechtswidrig, weil sich der Neubau des Wohnhauses sowie die mit ihm verbundene Nutzung nicht als stärkerer Eingriff in Natur und Landschaft erweisen könnten als die zugelassene Instandsetzung und Sanierung. Vielmehr hat es sich zur Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung nicht verhalten und die von der Klägerin für geboten erachtete Differenzbetrachtung nur bei der Prüfung angestellt, ob ein Interesse daran besteht, dass die Nutzungsuntersagung sofort und nicht erst nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens vollzogen wird.
Rz. 6
2. Die Klägerin sieht einen weiteren Gehörsverstoß darin, dass das Oberverwaltungsgericht nicht auf ihren Vortrag eingegangen sei, die Hofstelle Kranichhof werde nach dem genehmigten Gesamtkonzept mit einer Festlegung auf 22 Betten auch ohne das Wohnhaus nicht anders genutzt als mit dem Wohnhaus (Beschwerdebegründung Nr. 4). Ihre Kritik trifft nicht zu. Das Oberverwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen des Urteils den Einwand der Klägerin referiert, die Nutzung des Wohnhauses stelle vor dem Hintergrund des Gesamtkonzeptes der Anlage mit einer zulässigen Nutzung im Umfange von 22 Gästebetten keine Intensivierung der Störungen dar (UA S. 17 f.), und zu ihm dahingehend Stellung genommen, dass die für die Frage einer Störung der Schutzgebietsziele nunmehrige – illegale, weil nicht durch eine Befreiung gedeckte – Nutzung des Wohnhauses nicht mit der Nutzung des Wohnhauses nach – genehmigter – Sanierung und Modernisierung verglichen werden dürfe (UA S. 18). Das ihr nachteilige Ergebnis kann die Klägerin nicht zum Gegenstand einer Verfahrensrüge machen, weil die tatrichterliche Überzeugungsbildung regelmäßig und auch hier dem sachlichen Recht zuzuordnen ist (vgl. Beschluss vom 12. Januar 1995 – BVerwG 4 B 197.94 – NVwZ-RR 1995, 310; stRspr). Auch mit den Rügen, das Oberverwaltungsgericht habe zu Unrecht einen störenden Einfluss durch Gäste des Wohnhauses und andere Personen angenommen (Beschwerdebegründung Nr. 5) und hätte § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NationalparkVO nicht als Rechtsgrundlage für ein Nutzungsverbot ansehen dürfen (Beschwerdebegründung Nr. 6), wendet sich die Klägerin gegen die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch die Vorinstanz.
Rz. 7
Nicht eingegangen ist das Oberverwaltungsgericht auf das Vorbringen der Klägerin, der Beklagte hätte im Rahmen der Ermessensbetätigung zu ihren Gunsten in Rechnung stellen müssen, durch die Erteilung einer naturschutzrechtlichen Befreiung einen Vertrauenstatbestand geschaffen zu haben (Beschwerdebegründung Nr. 7). Das ist indes unschädlich. Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO folgt keine Pflicht des Gerichts, jedes Vorbringen zu bescheiden (Urteil vom 1. Dezember 2005 – BVerwG 10 C 4.04 – NVwZ 2006, 589 ≪590≫). Einer Auseinandersetzung bedarf es nur mit wesentlichem Vortrag. Das Vorbringen der Klägerin zum Vertrauensschutz liegt jedoch erkennbar neben der Sache. Ein schutzwürdiges Vertrauen in die Legalität des Neubaus des Wohnhauses konnte die naturschutzrechtliche Befreiung nicht erzeugen, weil sie für die Instandsetzung und Sanierung des Wohnhauses erteilt worden ist.
Rz. 8
3. Die Klägerin hält dem Oberverwaltungsgericht ferner vor, von einem aktenwidrigen Sachverhalt ausgegangen zu sein (Beschwerdebegründung Nr. 4). Die Feststellung, dass mit der Nutzung des Wohnhauses jedenfalls ein in flächenmäßiger Sicht gesteigerte Inanspruchnahme des Schutzgebiets für schutzgebietsfremde Zwecke verbunden sei (UA S. 17), sei unzutreffend, weil das Wohnhaus nicht außerhalb, sondern inmitten der Hofstelle Kranichhof liege.
Rz. 9
Auch diese Rüge ist unberechtigt. Das Oberverwaltungsgericht hat keine Tatsache festgestellt, die im Widerspruch zum Akteninhalt steht, sondern hat aus einer zutreffend festgestellten Tatsache eine Schlussfolgerung gezogen, die die Klägerin für unrichtig hält. Das ist kein Fall der Aktenwidrigkeit.
Rz. 10
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Petz
Fundstellen