Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 30.04.2002; Aktenzeichen 5 B 108/01) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. April 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 600 € festgesetzt.
Gründe
Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Als grundsätzlich bedeutsam wirft die Beschwerde folgende Fragen auf:
- Ist für die Zuerkennung der Behördeneigenschaft allein die tatsächliche Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts ausreichend, ohne dass auch die formalrechtlichen Gründungsvoraussetzungen erfüllt sein müssen? Ist insoweit etwa zusätzlich zu differenzieren zwischen einerseits fehlerhaft gebildeten unmittelbaren staatlichen Behörden und andererseits Stellen der mittelbaren Staatsverwaltung (Körperschaften)?
- Kann ein nicht wirksam gegründeter Zweckverband (öffentlich-rechtliche Körperschaft) nur Nichtakte oder auch Verwaltungsakte im Sinne von § 118 A0, § 35 VwVfG setzen und verliert ggf. ein zunächst als rechtmäßig angesehener Verwaltungsakt einer solchen Körperschaft jedenfalls zum späteren Zeitpunkt der “Offenkundigkeit” des Kompetenzmangels (hier durch Normenkontrollurteil) an Geltungskraft? Ist der Begriff “Offenkundigkeit” in diesem Zusammenhang allein nach dem Maßstab des “aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachters” oder auch aufgrund von objektiv-rechtlichen Elementen auszulegen?
- Hat sich der streitgegenständliche Beitragsbescheid – selbst wenn er für vormals bestandskräftig angesehen wird – dadurch “auf andere Weise im Sinne des § 124 Abs. 2 AO erledigt”, dass gegen ihn ein Normenkontrollurteil ergangen und der Beklagte daraufhin aufgelöst ist?
Diese Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
Sie betreffen zunächst die Auslegung und Anwendung von Vorschriften des irrevisiblen Landesrechts, dessen Nachprüfung dem Revisionsgericht versagt ist (§ 137 Abs. 1 VwGO) und das somit auch die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht begründen kann. Denn mit der in § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b Sächsisches Kommunalabgabengesetz (SächsKAG) enthaltenen Anordnung, bestimmte Vorschriften der Abgabenordnung – u.a. § 118, § 124 und § 125 Abgabenordnung (AO) – bei der Erhebung von Kommunalabgaben entsprechend anzuwenden, werden diese Vorschriften nicht als Bundesrecht in den landesrechtlichen Bereich übernommen. Vielmehr beruht ihre dortige Anwendung allein auf dem Gesetzesbefehl des Landesgesetzgebers ebenso, wie wenn das Land mit jenen Vorschriften wörtlich übereinstimmende Gesetzesbestimmungen erlassen hätte (stRspr; vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. Februar 2001 – BVerwG 11 C 9.00 – BVerwGE 114, 1 ≪4≫ m.w.N.).
Die aufgeworfenen Fragen werden auch nicht dadurch zu solchen des revisiblen Rechts, dass die Beschwerde die Vereinbarkeit der Auslegung und Anwendung der landesrechtlichen Vorschriften am Maßstab des Bundes(verfassungs)rechts geklärt wissen will. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Verletzung von Bundesrecht bei der Auslegung von Landesrecht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur zu rechtfertigen vermag, wenn die Beschwerde eine klärungsbedürftige Frage gerade des Bundesrechts darlegt, nicht aber dann, wenn nicht das Bundesrecht, sondern allenfalls das Landesrecht klärungsbedürftig ist (stRspr; vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 3. März 1997 – BVerwG 8 B 130.96 – Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 109 m.w.N.).
Es mag sein, dass sich – wie die Beschwerde im Zusammenhang mit den Fragen 1 und 2 annimmt – “aus dem Maßstab des Art. 20 Abs. 3 GG (Gesetzmäßigkeit der Verwaltung) und den Grundrechten” Grenzen für die Zuerkennung der Behördeneigenschaft im Sinne von § 118 AO sowie für die Abgrenzung von wirksamen zu nichtigen Verwaltungsakten und Nichtakten ergeben können. Sie sind aber im hier entscheidungserheblichen Zusammenhang eines unwirksam gegründeten Zweckverbandes jedenfalls nicht überschritten. Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht die – eine vergleichbare Konstellation regelnde – Vorschrift des § 14 Bundesbeamtengesetz, nach der trotz Nichtigkeit der Berufung eines Amtswalters die in seiner “Zuständigkeit” erlassenen Hoheitsakte gültig bleiben, nicht nur verfassungsrechtlich nicht beanstandet, sondern als Vorbild für die Entwicklung des allgemeinen Grundsatzes genommen, wonach die Unwirksamkeit der Bestellung von Organen bis zur Rechtskraft der Entscheidung hierüber deren Maßnahmen und Beschlüsse in ihrem Rechtsbestand und ihrer Verbindlichkeit nicht in Frage stellt (BVerfGE 1, 14 ≪38≫; 34, 81 ≪95 f.≫; vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Dezember 1998 – BVerwG 1 C 7.98 – Buchholz 451.45 § 113 HwO Nr. 4). Zum anderen hat das Oberverwaltungsgericht klargestellt, dass im Hinblick auf die an der Zweckverbandsgründung beteiligten Hoheitsträger und das hohe Maß der Rechtsförmlichkeit des Verfahrens, insbesondere unter Berücksichtigung der Genehmigung der Verbandssatzung durch das Landratsamt, nicht von einer die Annahme der Behördeneigenschaft und den Erlass eines zumindest der Bestandskraft fähigen Verwaltungsaktes hindernden Amtsanmaßung in der Art eines “Hauptmanns von Köpenick” auszugehen sei. Das lässt weder einen Verstoß gegen Bundesrecht noch einen weitergehenden Klärungsbedarf erkennen.
Soweit die Beschwerde Fragen des Zeitpunktes und des Maßstabes der Offenkundigkeit im Sinne von § 125 AO thematisiert, fehlt es bereits an einem bundesrechtlichen Bezug. Aus einem “Beitrag zum bundesrechtlichen Begriff des Verwaltungsakts” bzw. zu bundeseinheitlichen Kategorien des Verwaltungsverfahrens, den die Beschwerde hervorhebt, kann er sich jedenfalls nicht ergeben, weil das Oberverwaltungsgericht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht an solche Kategorien nicht gebunden wäre. Der Vorwurf der Beschwerde, nach der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts sei “kein Rechtsweg eröffnet, um die unwirksam gebildete ‘Behörde’ zur Rechenschaft über die (gesetzliche) Verwendung des auf einen KAG-Beitragsbescheid bereits geleisteten Betrags zu veranlassen und ggf. eine Rückforderung betreiben zu können”, ist bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht nachvollziehbar. Der Kläger hat es vielmehr versäumt, den gegen den Beitragsbescheid eröffneten Rechtsweg rechtzeitig zu beschreiten.
Auch hinsichtlich der dritten Frage vermag die Beschwerde einen bundesrechtlichen Bezug nicht aufzuzeigen. Er kann sich weder aus einem von anderen Bundesländern abweichenden sächsischen Beitragsbegriff noch aus dessen mangelnder “Konformität” mit dem “bundesrechtlichen Maßstab des Beitragsbegriffes” ergeben, weil ein solcher Maßstab nicht besteht (vgl. bereits Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. Februar 1977 – BVerwG 7 B 161.75 – Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 9). Andere bundesrechtliche Maßstäbe für ihre “verfassungsrechtlichen Bedenken” gegenüber dem landesrechtlichen Beitragsbegriff und für die These, das Oberverwaltungsgericht hätte richtigerweise von einer anderweitigen Erledigung des Beitragsbescheides aufgrund des ergangenen Normenkontrollurteils ausgehen müssen, nennt die Beschwerde nicht.
2. Auch die erhobenen Verfahrensrügen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
Soweit die Beschwerde eine “unzulässige Doppelvertretung” des Beklagten und des Beigeladenen vor dem Oberverwaltungsgericht rügt, kann offen bleiben, ob und unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt ein etwaiger Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO überhaupt als Verfahrensmangel gerügt werden kann. Das Oberverwaltungsgericht ist jedenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass der gemeinsame Prozessbevollmächtigte des Beklagten und der Beigeladenen im konkreten Fall “keine widerstreitenden Interessen” im Sinne dieser Vorschrift vertreten hat. Dass ein späterer “Auseinandersetzungsprozess” zwischen diesen Beteiligten und ein hieraus erkennbarer Interessengegensatz, auf den die Beschwerde hinweist, Auswirkungen für das vorliegende Verfahren haben könnten, die sich zudem “zu Lasten des Klägers” auswirken könnten, ist weder erkennbar noch von der Beschwerde dargelegt. Ebenso wenig ist dargelegt oder erkennbar, dass das Oberverwaltungsgericht, selbst wenn es die Doppelvertretung beanstandet hätte, hierdurch zu einem dem Kläger sachlich günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl. zu diesem Erfordernis bereits Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. August 1962 – BVerwG 5 B 83.61 – BVerwGE 14, 342 ≪346≫; stRspr) und mithin die Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel “beruht” (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Als weiteren Verfahrensfehler rügt die Beschwerde, das Berufungsgericht habe umfangreichen Sachvortrag “zur Maßstäblichkeit des Art. 20 GG (Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung) bei der Auslegung der Begriffe ‘Behörde’ und ‘Verwaltungsakt’ mit keinem Wort erwähnt” und sich “ohne verfassungsrechtliche Würdigung seines Ergebnisses” ausschließlich auf die einfach-rechtliche Auslegung beschränkt. Auch diese Rüge greift nicht durch. Zwar verlangen Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO, dass das Gericht den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht; daraus folgt jedoch keine Pflicht des Gerichts, jedes Vorbringen der Beteiligten zu bescheiden (stRspr des Bundesverfassungsgerichts, vgl. etwa BVerfGE 86, 133 ≪146≫; 87, 363 ≪392≫). Ein Verfahrensmangel ist deswegen nur anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das tatsächliche Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen worden ist (BVerfGE 65, 293 ≪295 f.≫; 70, 288 ≪293≫; 79, 51 ≪61≫; 96, 205 ≪217≫). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Abgesehen davon, dass sich die Rüge der Beschwerde auf rechtliches, nicht jedoch tatsächliches Vorbringen des Klägers bezieht, ist festzustellen, dass das Oberverwaltungsgericht die verfassungsrechtliche Argumentation des Klägers in den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung aufgenommen (UA S. 8) und mithin zur Kenntnis genommen hat. Der Sache nach hat sich das Oberverwaltungsgericht auch mit der Argumentation des Klägers auseinander gesetzt, wenn es sich unter Einbeziehung der vom Kläger eingebrachten Beispiele (Hauptmann von Köpenick; Maut erhebender Bergbauer) die rechtsstaatlichen Grenzen für die Annahme der Behördeneigenschaft und mithin der Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten beleuchtet hat. Ob das Oberverwaltungsgericht diese Grenzen zutreffend erkannt hat, ist eine Frage des materiellen Rechts, die nicht in Form einer Gehörsrüge aufgeworfen werden kann.
Auch die Rügen der Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) greifen nicht durch.
Soweit sich diese Rügen auf entsprechende angebliche Verfahrensmängel im erstinstanzlichen Verfahren beziehen, kann ihnen im Rahmen von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur Bedeutung zukommen, wenn diese Mängel in der Berufungsinstanz fortgewirkt haben (vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30. Juli 1990 – BVerwG 7 B 104.90 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 289). Das kann jedenfalls nur dann der Fall sein, wenn die Abweisung der klägerischen, auf Rückzahlung bzw. Vollstreckungsschutz gerichteten Hilfsanträge im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gerade auf die Nichtstellung entsprechender Anträge in der ersten Instanz zurückgeht. Das ist jedoch nicht der Fall. Nach der insoweit maßgeblichen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. März 1989 – BVerwG 2 B 27.89 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 38 m.w.N.) und im Übrigen auch nicht zu beanstandenden Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts steht dem Erfolg des Rückzahlungsbegehrens die Bestandskraft des Beitragsbescheides, demjenigen auf Vollstreckungsschutz das Fehlen des für die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes erforderlichen Rechtsschutzinteresses entgegen. Daran würde sich nichts ändern, wenn der Kläger diese Anträge bereits in der ersten Instanz gestellt hätte.
Soweit die Beschwerde als weiteren Verfahrensfehler rügt, das Oberverwaltungsgericht habe zu Unrecht den Antrag auf Feststellung, dass die Vollstreckung aus dem Beitragsbescheid unzulässig ist, als Klageänderung behandelt, kann dies einen Revisionszulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO schon deswegen nicht begründen, weil die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auf diesem angeblichen Verfahrensmangel nicht beruhen kann. Denn nach dem wiederum maßgeblichen und auch zutreffenden Standpunkt des Oberverwaltungsgerichts ist der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, so dass er auch wenn er nicht als Klageänderung anzusehen gewesen wäre, jedenfalls nicht zum Erfolg hätte führen können.
Dasselbe gilt für die Rüge, der erstinstanzliche Klageantrag des Klägers hätte bereits als (Hilfs-) Antrag auf Erlass eines “Zweitbescheides” aufgefasst werden müssen und hätte deswegen vom Oberverwaltungsgericht nicht als Klageänderung behandelt werden dürfen. Das Oberverwaltungsgericht ist aufgrund der Würdigung der entsprechenden Schreiben des Klägers davon ausgegangen, dass er keinen solchen Antrag gestellt hat und sein Klageantrag deswegen mangels Vorverfahrens unzulässig sei. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Beschwerde betreffen die dem sachlichen Recht zuzurechnende Sachverhalts- und Beweiswürdigung und können einen Verfahrensmangel nicht begründen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 2, § 14 GKG.
Unterschriften
Hien, Dr. Storost, Prof. Dr. Rubel
Fundstellen