Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 10.05.2022; Aktenzeichen 2 A 2108/20) |
VG Minden (Entscheidung vom 09.06.2020; Aktenzeichen 1 K 4101/16) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 112 500 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die die Beklagte ihr beimisst.
Rz. 2
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91≫ und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).
Rz. 3
1. Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen,
ob eine neue Abwägungsentscheidung bei der Fehlerbehebung nach § 214 Abs. 4 BauGB erforderlich ist, wenn es sich lediglich um eine Korrektur eines bei der Ausfertigung der Ursprungsurkunde sinnentstellend verwandten falschen, jedoch ähnlich klingenden Wortes "bauliche Anlagen" statt richtiger Weise "bauliche Änderungen" handelt.
Rz. 4
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie nicht entscheidungserheblich ist. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, es spreche "jedenfalls Überwiegendes" dafür, dass ein rückwirkendes Inkraftsetzen des Bebauungsplans durch eine einfache Neubekanntmachung bereits daran scheitere, dass eine erneute Abwägungsentscheidung des Rates erforderlich gewesen wäre (UA S. 20). Es hat die Frage aber nicht abschließend entschieden (UA S. 23), sondern die Unwirksamkeit des Bebauungsplans auf andere Gründe gestützt (vgl. UA S. 23 ff.).
Rz. 5
2. Die Frage,
ob bei der Fremdkörperfestsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO hinsichtlich der Frage, ob der Charakter des Baugebietes im Übrigen gewahrt bleibt, auf die tatsächliche Bebauung oder auf das nach den Festsetzungen des Bebauungsplans Zulässige abzustellen ist,
führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Das Oberverwaltungsgericht hat die Unwirksamkeit des Bebauungsplans auf zwei selbständig tragende Gründe gestützt: Die Fremdkörperfestsetzung unter B.1.2 des Bebauungsplans könne auf § 1 Abs. 10 BauNVO nicht gestützt werden (UA S. 23 ff.). Unbeschadet dessen sei die zentrale Fremdkörperfestsetzung in B.1.1.2 Buchst. a des Bebauungsplans nicht hinreichend bestimmt (UA S. 27 ff.). Jeder dieser Mängel führe jeweils für sich genommen zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans insgesamt (UA S. 31 ff.).
Rz. 6
Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere, jeweils selbständig tragende Gründe gestützt, kann eine Beschwerde nach § 132 Abs. 2 VwGO nur Erfolg haben, wenn ein Zulassungsgrund für jeden der Urteilsgründe zulässig vorgetragen und gegeben ist (stRspr, vgl. Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 3 B 38.16 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 3). In Bezug auf die Erwägung des Berufungsgerichts, der Bebauungsplan sei wegen der Unbestimmtheit der Fremdkörperfestsetzung unwirksam, hat die Beschwerde einen Zulassungsgrund nicht dargelegt. Schon aus diesem Grund führt die auf § 1 Abs. 10 BauNVO bezogene Grundsatzfrage nicht zur Zulassung der Revision.
Rz. 7
3. Die Beschwerde wirft die Frage auf,
ob die Grenze der Großflächigkeit eines Einzelhandelsbetriebes nach wie vor bei 800 qm Verkaufsfläche liegt oder diese seit dem Jahr 2005 geltende Grenze aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen darüber anzusiedeln ist.
Rz. 8
Die Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO sind großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können, außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats wird die Schwelle zur Großflächigkeit bei einer Verkaufsfläche von 800 qm überschritten (BVerwG, Urteile vom 24. November 2005 - 4 C 10.04 - BVerwGE 124, 364 ≪367≫ und vom 9. November 2016 - 4 C 1.16 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 220 Rn. 10 sowie Beschlüsse vom 16. Juli 2019 - 4 B 9.19 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 39 Rn. 6 und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 11). Diese Grundsätze hat das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt (vgl. UA S. 39 ff.).
Rz. 9
Einen neuerlichen Klärungsbedarf legt die - insoweit nur kursorisch begründete - Beschwerde nicht dar. Die Festlegung der Grenze von 800 qm in dem Urteil des Senats vom 24. November 2005 - 4 C 10.04 - (BVerwGE 124, 364) beruhte im Wesentlichen auf Tatsachenfeststellungen der damaligen Vorinstanz (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2005 - 4 C 10.04 - a. a. O. ≪368 f.≫) sowie auf gesetzessystematischen Erwägungen (vgl. S. 366), die weiterhin Bestand haben. Der Gesetzgeber hat von einer im Rahmen der Beratungen des Baulandmobilisierungsgesetzes vom 14. Juni 2021 (BGBl. S. 1802) für den Lebensmitteleinzelhandel vorgeschlagene Heraufsetzung der Grenze auf 1 200 qm abgesehen (vgl. BR-Drs. 686/5/20; BR-Plenarprotokoll 998 vom 18. Dezember 2020, S. 514). Der Wert von 800 qm findet in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur nach wie vor Zustimmung (vgl. aus neuerer Zeit etwa: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. März 2023 - OVG 10 B 12.18 - juris Rn. 32 und OVG Koblenz, Beschluss vom 7. Juli 2022 - 1 A 10962/20.OVG - BauR 2023, 49 ≪50≫; Bischopink, in: Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Aufl. 2018, § 11 Rn. 105 ff.; Köpfler, in: BeckOK BauNVO, Stand Januar 2023, § 11 Rn. 36 ff.; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2022, § 11 BauNVO Rn. 53 ff.; Schimpfermann/Stühler, in: Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2018, § 11 Rn. 19.3; Aschke, in: Kröninger/Aschke/Jeromin, BauGB, 4. Aufl. 2018, § 11 BauNVO Rn. 21 ff.; Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 5. Aufl. 2022, § 11 Rn. 56; Grigoleit/Otto, BauNVO, 8. Aufl. 2021, § 11 Rn. 20; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, Stand Januar 2023, § 11 BauNVO Rn. 159 ff.).
Rz. 10
Soweit es der Beschwerde der Sache nach vor allem um die Frage geht, ob der Pfandraum in die Berechnung der Verkaufsfläche einzubeziehen ist, kann auch dies nicht zur Zulassung der Revision führen. Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts beträgt die Verkaufsfläche bereits ohne den Pfandraum etwa 804 qm (vgl. UA S. 39).
Rz. 11
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15826257 |