Verfahrensgang
VG Leipzig (Aktenzeichen 3 K 430/96) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 11. November 1999 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 33 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Kläger beanspruchen die vermögensrechtliche Restitution eines Hausgrundstücks an eine Erbengemeinschaft, der neben ihnen auch der Beigeladene angehört. Dieser hatte das Grundstück im Jahre 1972 aufgrund eines Erbauseinandersetzungsvertrages vom 14. September 1972 erworben. Für die übrigen Erben handelte dabei der staatliche Treuhänder, der Rat der Stadt Bad L. Er wurde bei Vertragsabschluss durch Frau Gertraude S. vertreten, die in der Vertragsurkunde als „amtierender Bürgermeister” der Stadt Bad L. bezeichnet wird. Der Restitutionsantrag wurde vom Beklagten mit der Begründung abgelehnt, der Beigeladene habe das Grundstück redlich erworben. Die anschließend erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Nachdem der Tenor des nicht verkündeten Urteils bei der Geschäftsstelle niedergelegt worden war, übermittelten die Kläger dem Verwaltungsgericht eine von der Klägerin zu 3 nach Schluss der mündlichen Verhandlung erbetene Auskunft der Stadtverwaltung Bad L. und baten zugleich um Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Aus der Auskunft ging hervor, dass Frau Gertraude S. „die Funktion des Bürgermeisters in der Stadt Bad L. nicht ausgeübt hat”. Daraufhin holte auch das Verwaltungsgericht eine von der Stadtverwaltung durch ein späteres Schreiben und Abschriften von Ratsprotokollen ergänzte Auskunft ein und lehnte sodann die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung durch Beschluss vom 8. Februar 2000 mit der Begründung ab, das Urteil sei bereits wirksam geworden; im Übrigen hätten die vorgelegten Ratsprotokolle „zur Überzeugung der Kammer” ergeben, „dass Frau Gertraude S. im streitgegenständlichen Zeitraum als hauptberufliche Stadträtin amtierende Bürgermeisterin war”. Von nichts anderem sei die Kammer bei der Urteilsfindung ausgegangen.
Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete und mit der Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör begründete Verfahrensrüge der Kläger zu 3 und 4 hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils gemäß § 133 Abs. 6 VwGO.
Nach § 108 Abs. 2 VwGO darf das verwaltungsgerichtliche Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Entscheidet das Gericht – wie es die Regel ist – aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 101 Abs. 1 VwGO), so muss den Beteiligten die Gelegenheit sich zu äußern auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung gegeben werden. Hiergegen hat das Verwaltungsgericht verstoßen. Es hat nach Schluss der mündlichen Verhandlung Ermittlungen zur Vertretungsbefugnis der Frau Gertraude S. und damit zu einem Umstand angestellt, der nach der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Rechtsauffassung von entscheidungserheblicher Bedeutung sein konnte. Solche nachträglichen Ermittlungen, die keinen anderen Zweck haben können, als einem zunächst nicht erkannten Aufklärungsbedarf zu genügen, sind grundsätzlich unzulässig, wenn die nachträgliche Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht mehr möglich ist, denn die Ergebnisse einer derartigen Aufklärung können in diesem Fall nicht mehr in einer prozessual einwandfreien Weise in das Verfahren eingeführt werden. Damit haben derartige Ermittlungen stets einen vom Verwaltungsgericht nicht mehr behebbaren Gehörsverstoß zur Folge. Sie führen zur Fehlerhaftigkeit des daraufhin erlassenen Urteils und zwar unabhängig davon, ob die Beteiligten des Verfahrens vor Absetzung der Urteilsgründe Gelegenheit zur Äußerung im Blick auf die nachträglich angestellten Ermittlungen hatten oder nicht.
Nichts anderes gilt, wenn die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung noch möglich ist, aber unterbleibt. Auch in diesem Fall wird das rechtliche Gehör der Beteiligten verletzt, es sei denn, sie verzichteten in der gebotenen Weise auf die Durchführung einer erneuten mündlichen Verhandlung. Ersichtlich rechtsirrig ist die in diesem Zusammenhang vom Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 8. Februar 2000 geäußerte Auffassung, eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung habe im vorliegenden Fall jedenfalls deshalb unterbleiben können, weil die nachträglich vorgenommenen Ermittlungen die zunächst von der Kammer für zutreffend erachteten Sachverhaltsannahmen bestätigt hätten. Gerade darüber kann und soll das Verwaltungsgericht nur aufgrund einer mündlichen Verhandlung befinden, und zwar auch dann, wenn ihm selbst aufgrund der nachträglichen Ermittlung alles (wieder) so klar erscheint, dass sich die ursprüngliche, vorübergehend verloren gegangene Überzeugungsgewissheit wieder einstellt.
Die Beschwerdeführer haben nicht vorgetragen, was sie bei Gewährung rechtlichen Gehörs ausgeführt hätten und inwiefern dieser Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre. Ein solcher Vortrag war aber auch nicht erforderlich. Durch das Vorgehen des Verwaltungsgerichts ist den Klägern (unter der eingangs gemachten Voraussetzung, dass die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung noch möglich war) eine zwingend gebotene mündliche Verhandlung vorenthalten worden. In diesem Fall reicht es zur schlüssigen Darlegung der Gehörsrüge aus, dass das Gericht seine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verletzt hat (vergleiche dazu BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1992 – BVerwG 8 C 58.90 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 248 ≪S. 98 f.≫). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung.
Im Interesse einer beschleunigten Erledigung des Rechtsstreits hat der Senat von seiner Befugnis gemäß § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch gemacht, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG und berücksichtigt, dass das im Beschwerdeverfahren verfolgte Interesse der Kläger sich auf ihren Anteil an der Erbengemeinschaft und damit auf ein Drittel des Gegenstandswerts der Klage beschränkt.
Unterschriften
Dr. Franßen, Kley, Neumann
Fundstellen