Tenor
Als zuständiges Gericht des ersten Rechtszuges wird das Verwaltungsgericht Gießen bestimmt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Notarzt- und Krankentransportkosten für einen Rettungsdiensteinsatz im September 2011 in Anspruch. Der Rechtsstreit ist im Juli 2012 beim Amtsgericht Gießen anhängig geworden, nachdem der Beklagte gegen den vom Amtsgericht Hünfeld – Mahnabteilung – auf Antrag der Klägerin erlassenen Vollstreckungsbescheid Einspruch eingelegt hatte. Nach Anhörung der Beteiligten hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 14. August 2012 den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit nach § 17a Abs. 2 GVG an das Verwaltungsgericht Gießen verwiesen. Zur Begründung hat es auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 2009 (– III ZB 47/09 – GesR 2010, 271) Bezug genommen.
Rz. 2
Das Verwaltungsgericht Gießen hat den Verwaltungsrechtsweg mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit dem Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 3
Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Verwaltungsgericht Gießen und dem Amtsgericht Gießen in entsprechender Anwendung von § 53 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 VwGO zuständig. Danach entscheidet bei negativen rechtswegübergreifenden Zuständigkeitskonflikten dasjenige oberste Bundesgericht, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angerufen wird (vgl. Beschlüsse vom 17. Februar 2012 – BVerwG 6 AV 2.11 – Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 93 ≪Rn. 3≫, vom 31. Mai 2011 – BVerwG 8 AV 1.11 – Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 35 ≪Rn. 9≫ und vom 15. April 2008 – BVerwG 9 AV 1.08 – Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 32 ≪Rn. 1≫, jeweils m.w.N.).
Rz. 4
Für die Klage auf Zahlung von Kosten für den Rettungsdiensteinsatz der Klägerin am 18. September 2011 ist das Verwaltungsgericht Gießen zuständig. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Gießen, den die Beteiligten nicht mit der Beschwerde angefochten haben, ist für das Verwaltungsgericht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG hinsichtlich des Rechtsweges bindend. Die Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG besteht selbst bei einer rechtsfehlerhaften Verweisung. In Anbetracht der durch § 17a Abs. 4 GVG eröffneten Überprüfungsmöglichkeit kommt eine Durchbrechung der gesetzlich bestimmten Bindungswirkung des rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses lediglich in extremen Ausnahmefällen in Betracht, etwa wenn sich die Verweisungsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann jedoch allenfalls ausgegangen werden, wenn die Verweisung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. Beschlüsse vom 17. Februar 2012 a.a.O. Rn. 6 und vom 31. Mai 2011 a.a.O. Rn. 10 f. m.w.N.; BGH, Beschluss vom 8. Juli 2003 – X ARZ 138/03 – NJW 2003, 2990 m.w.N.).
Rz. 5
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Es mögen zwar vertretbare Gründe für die Annahme des Verwaltungsgerichts sprechen, dass nicht der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO), sondern der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten (§ 13 GVG) gegeben sei, weil der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung für die Erbringung von Rettungsdienstleistungen nach dem Hessischen Rettungsdienstgesetz zivilrechtlicher Natur sei. Das Verwaltungsgericht stützt sich hierfür auf Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, der in Bezug auf das seit 1. Januar 2011 gültige Hessische Rettungsdienstgesetz (HRDG) vom 16. Dezember 2010 (GVBl I S. 646) ausgeführt hat, dass es sich bei dem von einem privaten Leistungserbringer gegenüber dem Leistungsempfänger (Geretteten) erhobenen Benutzungsentgelt für einen Rettungsdiensteinsatz um ein privatrechtliches Entgelt handele. Das bestätige § 10 Abs. 1 HRDG, der den Leistungserbringern ausdrücklich ermögliche, für die ihnen im Rahmen der bedarfsgerechten rettungsdienstlichen und notärztlichen Aufgabenerfüllung entstehenden Kosten im eigenen Namen privatrechtliche Benutzungsentgelte zu erheben (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 22. März 2012 – 8 A 2255/10 – juris Rn. 31).
Rz. 6
Das rechtfertigt jedoch keine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG. Selbst wenn die vom Amtsgericht vorgenommene rechtliche Beurteilung fehlerhaft sein sollte, kann sie doch nicht im Sinne eines extremen Rechtsverstoßes als nicht mehr verständlich oder offensichtlich unhaltbar angesehen werden. Das Amtsgericht hat sich für seine Verweisungsentscheidung auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 2009 (– III ZB 47/09 – a.a.O.) gestützt, mit dem dieser entschieden hat, dass für Streitigkeiten über das Entgelt für die Notfallversorgung nach dem Hessischen Rettungsdienstgesetz vom 24. November 1998 (HRDG a.F., GVBl I S. 499) nicht der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten, sondern zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei. Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Notfallversorgung eine Aufgabe der Gefahrenabwehr sei und daher die Rechtsbeziehung zwischen dem Leistungserbringer und dem Leistungsempfänger auch hinsichtlich der Zahlungsansprüche öffentlich-rechtlicher Natur sei. Die Benutzungsentgelte nach § 8 HRDG a.F. würden einheitlich bestimmt und einheitlich für alle Benutzer gelten (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 9 ff., Rn. 17 ff.).
Rz. 7
Vor diesem Hintergrund erscheint der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts weder als schlechthin unverständlich noch als völlig abwegig. Dem steht nicht entgegen, dass sich der Beschluss nicht ausdrücklich zu der Novellierung des § 8 HRDG a.F. (nunmehr § 10 HRDG n.F.) und der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. März 2012 (– 8 A 2255/10 –) verhält. Dies ist schon deshalb nicht geeignet, die in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordnete Bindungswirkung zu beseitigen, weil der bodengebundene Rettungsdienst auch nach der Gesetzesnovelle eine öffentliche, von den Landkreisen und kreisfreien Städten als Selbstverwaltungsangelegenheit wahrzunehmende Aufgabe ist (vgl. § 1 und § 5 Abs. 1 HRDG) und die einheitliche Geltung der Benutzungsentgelte beibehalten wird (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und Abs. 5 HRDG). Damit hat der rechtliche Ausgangspunkt, den der Bundesgerichtshof seiner Rechtswegbeurteilung zugrunde gelegt und den sich das Amtsgericht zu eigen gemacht hat, nach wie vor Bestand. Dass der Gesetzgeber den Leistungserbringer nunmehr in § 10 Abs. 1 HRDG ausdrücklich ermächtigt, in eigenem Namen privatrechtliche Nutzungsentgelte zu erheben, stellt diese Beurteilung zwar in Frage, rechtfertigt aber nicht den gegenüber dem Amtsgericht erhobenen Vorwurf objektiver Willkür.
Unterschriften
Kley, Liebler, Dr. Kuhlmann
Fundstellen