Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 22.05.2014; Aktenzeichen 1 B 14.196) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 40 000 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
Der Verwaltungsgerichtshof hat in der angefochtenen Entscheidung die Genehmigungsfähigkeit des klägerischen Vorhabens aus bauplanungsrechtlichen Gründen verneint. Dieses verstoße gegen § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB, weil es die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lasse (UA Rn. 27). Werde – dem Vortrag des Klägers folgend – „nur” von einer Verfestigung einer Splittersiedlung ausgegangen, ändere sich am Ergebnis der bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit des klägerischen Vorhabens nichts, weil sich dieses dem vorhandenen Bestand nicht deutlich unterordne (UA Rn. 28). Ausweislich der Entscheidungsgründe soll dabei jeder dieser Gründe die Entscheidung selbständig tragen. Ist die vorinstanzliche Entscheidung aber auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund dargelegt wird und vorliegt (stRspr; vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2014 – 4 B 50.13 – juris Rn. 2 m.w.N.). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (BVerwG, Beschluss vom 9. September 2009 – 4 BN 4.09 – ZfBR 2010, 67 = juris Rn. 5). Vorliegend scheitert die Beschwerde daran, dass jedenfalls in Bezug auf die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, das Vorhaben des Klägers lasse die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten, Zulassungsgründe nicht gegeben sind.
Rz. 3
1. Die Sache hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
Rz. 4
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, so bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011 – 7 B 45.10 – juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.
Rz. 5
a) Die Beschwerde hält zunächst folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:
Nach welchen Kriterien ist der Begriff „Splittersiedlung” in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB auszulegen bzw. wann zerfällt eine Bebauung im Außenbereich in mehrere Splittersiedlungen bzw. in einzelne Gebäude außerhalb einer Splittersiedlung?
Ist bei § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB zu unterscheiden zwischen einer „im Zusammenhang bebauten Splittersiedlung” und einer „nicht im Zusammenhang bebauten Splittersiedlung”?
Finden die Begriffe des „Bebauungszusammenhangs” oder der „Baulücke” bei § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB Anwendung?
Kann die Anwendung der einzelnen Tatbestandsalternativen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB – Entstehung, Erweiterung und Verfestigung – davon abhängen, ob eine Splittersiedlung im Zusammenhang bebaut ist?
Rz. 6
Diese Fragen, die trotz unterschiedlicher Formulierungen inhaltlich identisch sind, führen, soweit auf sie überhaupt in verallgemeinerungsfähiger Form geantwortet werden kann, nicht zur Zulassung der Revision. Der in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB verwendete Begriff der „Splittersiedlung” ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt. Danach ist eine Splittersiedlung eine Ansammlung von baulichen Anlagen, die zum – wenn auch eventuell nur gelegentlichen – Aufenthalt von Menschen bestimmt sind (BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1976 – 4 C 42.74 – Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 128 = juris Rn. 15); das schließt gewerbliche Anlagen ein (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1983 – 4 C 19.81 – BVerwGE 67, 33 ≪38≫). Der Charakter einer Ansiedlung als Splittersiedlung ergibt sich dabei vor allem aus der Entgegensetzung zum Ortsteil (BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1977 – 4 C 37.75 – BVerwGE 54, 73 ≪76≫; ebenso Urteile vom 10. November 1978 – 4 C 24.78 – Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 154 = juris Rn. 23 und vom 18. Mai 2001 – 4 C 13.00 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 347 = juris Rn. 13). Während unter einem Ortsteil jeder Bebauungszusammenhang zu verstehen ist, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, Urteile vom 6. November 1968 – 4 C 31.66 – BVerwGE 31, 22 ≪26 f.≫ und vom 3. Dezember 1998 – 4 C 7.98 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 193 S. 82), ist eine Splittersiedlung eine bloße Anhäufung von Gebäuden (vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 19. April 2012 – 4 C 10.11 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 386 Rn. 19). Auch Splittersiedlungen können nach Art des § 34 Abs. 1 BauGB „im Zusammenhang bebaut” sein (BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1977 – 4 C 37.75 – BVerwGE 54, 73 ≪76≫); sie müssen es aber nicht. Die Splittersiedlung ist folglich dadurch gekennzeichnet, dass ihr mangels einer angemessenen (Bau-)Konzentration das für die Annahme eines Ortsteils notwendige Gewicht fehlt und sie damit Ausdruck einer unorganischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 4 C 13.00 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 347 = juris Rn. 13). Ob diese Voraussetzungen, von denen sich der Verwaltungsgerichtshof hat leiten lassen (UA Rn. 24), im Einzelfall erfüllt sind, entzieht sich einer rechtsgrundsätzlichen Klärung.
Rz. 7
b) Die weiteren, in ihrem Sinngehalt mindestens schwer erfassbaren Fragen,
ob für die Tatbestandsalternativen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB – „Erweiterung” und „Verfestigung” – nur auf den tatsächlich vorhandenen Gebäudebestand abzustellen ist, oder
ob bei der Auswahl der Tatbestandsalternativen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB – „Erweiterung” und „Verfestigung” – rechtliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen sind,
sind auf die Fragestellung zum Tatbestandsmerkmal der Erweiterung zu reduzieren, weil die Erwägung des Verwaltungsgerichtshofs, das Vorhaben des Klägers lasse die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten, die Entscheidung selbständig trägt.
Rz. 8
Auf die erste Frage ist zu antworten, dass eine Splittersiedlung erweitert wird, wenn sie räumlich ausgedehnt wird (BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1977 – 4 C 37.75 – BVerwGE 54, 73 ≪76 f.≫). Das setzt ihre Existenz voraus. Die zweite Frage hat den Hintergrund, dass der nördliche Teil des Baugrundstücks ebenso wie die weitere unbebaute Umgebung durch eine Landschaftsschutzverordnung mit einem Bauverbot belegt sein soll. Sie stellt sich nicht, weil das Vorhaben des Klägers am vorgesehenen Standort wegen des weitgehenden Verlusts der Bausubstanz wie ein Neubau zu behandeln ist und die aus den drei Wohnhäusern auf den Grundstücken FlNr. 1359/4, 1359/2 und 1359/6 bestehende Splittersiedlung vergrößert. Auf die Bebaubarkeit der Umgebung der vom Vorhaben in Anspruch genommenen Fläche kommt es nicht an.
Rz. 9
c) Schließlich besteht auch in Bezug auf die Fragen,
ob eine städtebaulich zu missbilligende Siedlungsentwicklung im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB auch dann zu befürchten ist, wenn aufgrund von Rechtsnormen – hier Landschaftsschutzgebietsverordnung – eine weitere Bebauung ausgeschlossen ist, oder
ob ein sonstiges Vorhaben die Verfestigung einer Splittersiedlung im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB auch dann befürchten lässt, wenn es sich aufgrund der Rechtslage um das letzte verwirklichbare Vorhaben in einer Splittersiedlung handelt,
kein grundsätzlicher Klärungsbedarf. Das folgt bereits daraus, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt hat, die Landschaftsschutzgebietsverordnung stehe einer weiteren Bebauung auf dem klägerischen Grundstück oder in dessen näherer Umgebung entgegen. Hieran wäre der Senat in einem Revisionsverfahren gebunden (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO, vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2014 – 4 CN 6.12 – BVerwGE 149, 373 Rn. 24). Im Übrigen ist geklärt, dass ein bestehender Landschaftsschutz für eine Außenbereichsfläche kein Garant ist, der eine Vorbildwirkung für weitere Bebauung, die aus der baurechtlichen Genehmigung eines Bauvorhabens entstehen kann, dauerhaft ausschlösse (BVerwG, Beschluss vom 2. September 1999 – 4 B 27.99 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 340 = juris Rn. 7).
Rz. 10
2. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.
Rz. 11
Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlich, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung u.a. des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 und vom 13. Juli 1999 – 8 B 166.99 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 9). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Rz. 12
Die Beschwerde rügt, der Verwaltungsgerichtshof sei in seinem Urteil von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 1976 – 4 C 42.74 – (Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 128) und vom 3. Juni 1977 – 4 C 37.74 – (BVerwGE 54, 73) in entscheidungserheblicher Weise abgewichen. Es kann offenbleiben, ob die Beschwerde den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt und ob der Vorwurf sachlich zutreffend ist. Denn in der Sache bezieht sich die Divergenzrüge ausschließlich auf den zweiten Begründungsstrang des Urteils „unerwünschte Verfestigung einer Splittersiedlung”). 37.74
Da aber hinsichtlich der primären Begründung des Verwaltungsgerichtshofs, das klägerische Vorhaben führe zu einer unerwünschten Erweiterung einer Splittersiedlung, Revisionszulassungsgründe nicht vorliegen, kann das Urteil nicht auf der geltend gemachten Divergenz beruhen (vgl. oben). Ergänzend sei lediglich angemerkt, dass der Senat im Urteil vom 18. Mai 2001 – 4 C 13.00 – (Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 347 = juris Rn. 14) entschieden hat, dass es für die Frage der Unterordnung der hinzutretenden baulichen Anlage auf ihr Verhältnis zu der bereits vorhandenen Splittersiedlung ankomme. Handele es sich bei dem hinzutretenden Vorhaben um ein Wohngebäude, so sei dieses Verhältnis grundsätzlich anhand der Zahl der Wohngebäude zu beurteilen. Zu dieser Rechtsprechung hat sich der Verwaltungsgerichtshof nicht in Widerspruch gesetzt.
Rz. 13
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Dr. Decker
Fundstellen
KomVerw/LSA 2016, 105 |
UPR 2015, 312 |
BBB 2015, 61 |
FuBW 2016, 25 |
FuHe 2016, 150 |
FuNds 2016, 268 |
FuNds 2016, 536 |
KomVerw/B 2016, 104 |
KomVerw/MV 2016, 108 |
KomVerw/S 2016, 103 |
KomVerw/T 2016, 98 |