Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 25.01.2018; Aktenzeichen 4 A 1418/16) |
VG Wiesbaden (Entscheidung vom 02.05.2016; Aktenzeichen 6 K 1362/13.W) |
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Rz. 2
I. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Rz. 3
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr; BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 -BVerwGE 13, 90 ≪91≫).
Rz. 4
Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen,
ob ein Nutzer eines bestandsgeschützten wohnbaulichen Vorhabens, der indessen auf die Verfolgung seiner Abwehrrechte verzichtet, überhaupt noch Ansprüche aus dem Rücksichtnahmegebot herleiten kann.
Rz. 5
Dies führt nicht zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde legt nicht dar, inwieweit die aufgeworfene Frage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig sein könnte, sondern beschränkt sich darauf, die Entscheidung der Vorinstanz im Stil eines zulassungsfreien oder zugelassenen Rechtsmittels zu kritisieren. Dies genügt den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht. Hiervon unabhängig geht die Beschwerde an dem angegriffenen Urteil vorbei. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass die Nutzer der Wohnhäuser P-Straße Nr. 6 und 4a auf die Verfolgung von Abwehrrechten verzichtet haben. Auch die Beschwerde behauptet einen solchen Verzicht nicht, sondern erwägt allein die Möglichkeit einer Verfristung.
Rz. 6
II. Die Beschwerde bezeichnet keinen Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs beruhen kann.
Rz. 7
1. Die Beschwerde rügt eine Überraschungsentscheidung und damit einen Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO. Dem Kläger werde erstmals in den Urteilsgründen entgegengehalten, dass die von ihm errichtete Gesamtanlage aus Rinderboxenstall und Güllegrube von der Baugenehmigung abweiche und daher formell baurechtswidrig sei. Der Kläger habe nicht erkennen können, dass es auf diesen Gesichtspunkt ankomme, der in der mündlichen Verhandlung nicht angesprochen worden sei.
Rz. 8
Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat das Berufungsgericht den Kläger indes darauf hingewiesen, dass er den Boxenlaufstall und den Güllebehälter nicht wie ursprünglich genehmigt errichtet hat und dass diese Abweichungen von der Baugenehmigung auch nicht im Nachhinein genehmigt worden sind. Inwieweit dies Einfluss auf den Anspruch des Klägers auf Rücksichtnahme haben kann, ist erörtert worden (GA Bl. 581 R). Dem Vorwurf einer Überraschungsentscheidung ist damit der Boden entzogen.
Rz. 9
2. Erfolglos bleibt die Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe den Grundsatz der Amtsermittlung aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt, weil er Abweichungen der Gebäude von der erteilten Genehmigung zu intensiv nachgegangen sei und sich damit auf "ungefragte Fehlersuche" begeben habe (in Anschluss an BVerwG, Urteil vom 17. April 2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188 ≪196 f.≫).
Rz. 10
Diese Rüge greift schon deshalb nicht durch, weil die Mahnung vor einer ungefragten Fehlersuche keinen Rechtssatz darstellt, sondern eine Maxime richterlichen Handelns umschreibt, welche die Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 86 Abs. 1 VwGO nicht in Frage stellt (BVerwG, Beschluss vom 4. Oktober 2006 - 4 BN 26.06 - Buchholz 406.11 § 1a BauGB Nr. 6 Rn. 7). Hiervon unabhängig ist für die Beurteilung, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, stets von der materiellen Rechtsauffassung der Vorinstanz auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 ≪119≫; stRspr). Nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs zum Ausschluss eines Abwehranspruchs bei formell und materiell baurechtswidrigen Vorhaben (UA S. 23 f.) oblag es der Vorinstanz aber nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Abweichungen der errichteten Gesamtanlage von der erteilten Genehmigung nachzugehen.
Rz. 11
3. Die Beschwerde wirft dem Oberverwaltungsgericht vor, auf Rücksichtnahmepflichten gegenüber der bestehenden Wohnbebauung nicht ausreichend hingewiesen zu haben. Diese "Aufklärungsrüge" beanstandet in der Sache eine Verletzung der Hinweispflichten aus § 86 Abs. 3 VwGO. Sie bleibt aber erfolglos, weil dieser Gesichtspunkt in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist und sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht ergibt, warum der Kläger zu diesem Gesichtspunkt nicht hätte vortragen können. Es genügt insoweit nicht die Behauptung, der Fall sei zu komplex.
Rz. 12
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GKG, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13849004 |