Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 21.12.2004; Aktenzeichen 29 A 249.99) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 173 021 € festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin begehrt die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Grundstücks in Berlin-Hohenschönhausen. Das Grundstück wurde im Jahre 1978 auf der Grundlage von § 10 des Verteidigungsgesetzes der DDR im Zusammenhang mit einem Wohnbauvorhaben des Ministeriums für Staatssicherheit enteignet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Kern mit der Begründung abgewiesen, obwohl die Anwendung des Verteidigungsgesetzes der DDR in Berlin möglicherweise gegen Besatzungsrecht verstoßen habe, stelle die Inanspruchnahme des Grundstücks keine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG dar. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.
a) Die Klägerin hält für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage,
ob bei Enteignungen nach § 10 des Verteidigungsgesetzes der DDR zu Gunsten des Ministeriums für Staatssicherheit grundsätzlich von Machtmissbrauch im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG auszugehen ist, oder ob es bei der rechtlichen Beurteilung solcher Enteignungen noch zusätzlich einer an den Gesamtumständen orientierten Prüfung bzw. einer kritischen Gesamtschau aller Umstände des Eigentumszugriffs bedarf, um festzustellen, ob eines der Hauptrepressionsorgane der ehemaligen DDR die DDR auch auf der Grundlage des Verteidigungsgesetzes der DDR und der Leistungsverordnung gegen innere Feinde verteidigen konnte.
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt ist.
Danach betrifft der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 3 VermG Vorgänge, bei denen im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf bestimmte Vermögenswerte zugegriffen wurde. Ein derartiges qualifiziertes Einzelfallunrecht liegt deshalb nicht vor, wenn bei dem Erwerbsvorgang – gemessen an den in der DDR gültigen Rechtsvorstellungen und den sie tragenden ideologischen Grundsätzen – “alles mit rechten Dingen zugegangen” ist. Die einfache Rechtswidrigkeit eines Eigentumsentzugs unterhalb der Schwelle der Willkürlichkeit reicht demgemäß für die Annahme einer unlauteren Machenschaft nicht aus. Hiervon ausgehend stellen Enteignungen eine unlautere Machenschaft zum einen dann dar, wenn der geltend gemachte Enteignungszweck nur vorgeschoben war, also die bereits von vornherein beabsichtigte zweckwidrige Verwendung verschleiert werden sollte. Enteignungen stellen zum anderen dann eine unlautere Machenschaft dar, wenn der wahrheitsgemäß angegebene Zweck der Inanspruchnahme offenkundig von keiner Rechtsgrundlage gedeckt sein konnte, der Enteignungsbeschluss also nur den äußeren Schein einer gesetzmäßigen Vermögensentziehung begründen sollte. Wurde ein Grundstück zu Gunsten des Ministeriums für Staatssicherheit enteignet, besteht wegen dessen häufig konspirativer Tätigkeit Anlass zur Prüfung, ob der Enteignungszweck nur vorgeschoben wurde und damit eine unlautere Machenschaft vorliegt. Dabei ist eine kritische Gesamtschau aller Umstände des Eigentumszugriffs im Hinblick auf den Nutzer des Grundstücks und dessen systembedingte Möglichkeiten geboten. Die Enteignung eines Vermögenswertes für dienstliche Zwecke des Ministeriums für Staatssicherheit stellt aber als solche noch kein qualifiziertes Einzelfallunrecht dar, das die Rückgabe des Vermögenswertes nach § 1 Abs. 3 VermG rechtfertigt (so unter Zusammenfassung und Nachweis der früheren Rechtsprechung: Urteil vom 25. Juli 2001 – BVerwG 8 C 3.01 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 28).
Die Beschwerde bietet keinen Anlass, diesen Fragen in einem Revisionsverfahren erneut nachzugehen. Die Klägerin verweist auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2004 – BVerwG 2 C 5.03 – (Buchholz 240 § 30 BBesG Nr. 2). Sie entnimmt diesem Urteil die (zutreffende) Aussage, das Ministerium für Staatssicherheit sei eines der Hauptrepressionsorgane der DDR gewesen. Diese Erkenntnis und Einschätzung ist indes nicht neu. Sie liegt der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 1 Abs. 3 VermG zu Grunde, indem sie bei Enteignungen zu Gunsten des Ministeriums für Staatssicherheit eine kritische Gesamtschau aller Umstände des Eigentumszugriffs verlangt.
b) Die Klägerin möchte ferner die Fragen geklärt wissen,
ob die Vertragsparteien des Einigungsvertrages befugt waren, mit Art. 19 EV über das vor der Beendigung des Besatzungsstatus in Ost-Berlin gültige Recht zu disponieren und ob sie es getan haben,
ob die Vertragsparteien des Einigungsvertrages auf der Grundlage von Art. 7 des Vertrages über die abschließenden Rechte in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990, BGBl II S. 1318 (Zwei-Plus-Vier-Vertrag) in Art. 19 EV besatzungsrechtswidrige Verwaltungsakte der DDR in Ost-Berlin rückwirkend (ex tunc) für rechtswirksam/-beständig erklären und in § 1 Abs. 3 VermG hieran anknüpfen konnten.
Die Klägerin wirft damit Fragen auf, die nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, entscheidungserheblich waren und die deshalb in dem angestrebten Revisionsverfahren voraussichtlich nicht geklärt werden könnten. Sie knüpft mit ihren Fragen an den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Januar 1996 – BVerwG 7 B 4.96 – (Buchholz 111 Art. 41 EV Nr. 2) an, der im Wesentlichen wortgleich mit dem von der Klägerin erwähnten Beschluss vom selben Tag – BVerwG 7 B 2.96 – ist. Diese Beschlüsse betrafen Ansprüche auf Rückübertragung von Grundstücken außerhalb des Vermögensgesetzes. Sie behandeln die hier nicht entscheidungserhebliche Frage, ob Enteignungen auf der Grundlage des Verteidigungsgesetzes der DDR wegen dessen möglicherweise besatzungsrechtswidriger Anwendung im Ost-Sektor von Berlin in jedem Falle rückabzuwickeln sind, also unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des Vermögensgesetzes oder des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes im Einzelfall erfüllt sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage verneint und angenommen, Art. 19 Satz 1 EV schließe die Rückabwicklung von Enteignungen grundsätzlich auch dann aus, wenn sie unter Verstoß gegen Besatzungsrecht ausgesprochen worden seien. Danach können auch besatzungsrechtswidrige Enteignungen nur nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes oder des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes rückabgewickelt werden (Art. 19 Satz 2 EV).
Hier geht es indes um die Rückgabe eines Grundstücks nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes, die nach Art. 19 Satz 2 EV gerade ermöglicht wird. Abgesehen davon werfen weder das Urteil des Verwaltungsgerichts noch die Angriffe der Klägerin gegen dieses Urteil in diesem Zusammenhang Rechtsfragen auf, die einer Klärung im Revisionsverfahren bedürften. Nach den erwähnten Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts konnten die Vertragsparteien des Einigungsvertrages mit dem Einigungsvertrag über das im vereinten Deutschland nach Beendigung des Besatzungsstatus geltende Recht disponieren. Sie waren deshalb frei darin, zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen Enteignungen rückabgewickelt werden sollen, die unter Verstoß gegen das bis dahin geltende Besatzungsrecht zustande gekommen waren. Soweit danach Enteignungen trotz ihres Verstoßes gegen Besatzungsrecht nicht rückabzuwickeln sind, liegt darin entgegen dem Missverständnis der Klägerin keine rückwirkende Heilung des Verstoßes gegen Besatzungsrecht. Die Klägerin verkennt, dass der Gesetzgeber die Folgen fehlerhaften Verwaltungshandelns regeln und dabei auch (nach wie vor) rechtswidrige Verwaltungsentscheidungen einer Aufhebung entziehen kann.
Im Übrigen ergibt sich aus der bereits angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass ein Verstoß gegen Besatzungsrecht nicht schon für sich genommen eine Enteignung als unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG erscheinen lässt. Ob bei der Enteignung “alles mit rechten Dingen zugegangen” ist, beurteilt sich nach dem in der DDR maßgebenden Rechtsverständnis. Nach dem Rechtsverständnis der DDR war sie aber nicht durch Besatzungsrecht gehindert, das Verteidigungsgesetz im Ost-Sektor von Berlin anzuwenden. Eine Enteignung auf seiner Grundlage stellt deshalb keinen Zugriff auf einen Vermögenswert dar, bei dem im Einzelfall in manipulativer Weise gegen die Rechtsordnung der DDR verstoßen wurde.
2. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf den geltend gemachten Verfahrensfehlern im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat weder den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, noch gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen. Die Klägerin stützt beide Vorwürfe im Kern darauf, das Verwaltungsgericht habe sich nicht oder nicht hinreichend mit ihren Ausführungen zur Besatzungsrechtswidrigkeit der streitigen Enteignung und den hieraus zu ziehenden Folgen für die Rückübertragung des Grundstücks sowie zur Bedeutung des Ministeriums für Staatssicherheit als Repressionsorgan der DDR und ihrer Auswirkung auf die Annahme einer unlauteren Machenschaft auseinander gesetzt. Dies trifft indes nicht zu. Das Verwaltungsgericht ist auf diese Gesichtspunkte, soweit es nach der hierzu bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch erforderlich war, in dem notwendigen Umfang eingegangen. Aus der Begründung des angefochtenen Urteils ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hätte.
Soweit die Klägerin darüber hinaus die Verletzung der Denkgesetze rügt, ist ihr Vorwurf unzutreffend; er betrifft im Übrigen nur angeblich denkgesetzlich ausgeschlossene rechtliche Schlussfolgerungen und damit die Anwendung materiellen Rechts. Damit kann ein Verfahrensfehler nicht begründet werden.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Sailer, Neumann, Guttenberger
Fundstellen