Leitsatz (amtlich)
Unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr kann eine Fortsetzungsfeststellungsklage gegen einen Vorausleistungsbescheid auch dann zulässig sein, wenn sich dieser wegen eines bestandskräftigen endgültigen Gebührenbescheides erledigt hat.
Verfahrensgang
Hessischer VGH (Beschluss vom 16.10.2018; Aktenzeichen 5 A 1307/17) |
VG Kassel (Urteil vom 27.03.2017; Aktenzeichen 6 K 1347/12.KS) |
Gründe
I
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid über die Vorauszahlung von Wassergebühren. Nach Ergehen des endgültigen Festsetzungsbescheides, den der Kläger bestandskräftig werden ließ, will er mit seiner Klage nunmehr die Feststellung erreichen, dass der Vorausleistungsbescheid rechtswidrig gewesen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat das stattgebende erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage wegen Unzulässigkeit abgewiesen, weil sich der Vorausleistungsbescheid durch den endgültigen Heranziehungsbescheid erledigt habe und die Fortsetzungsfeststellungsklage wegen Subsidiarität nicht statthaft sei.
II
Rz. 2
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Die Revision ist zwar weder wegen einer Divergenz (1.) noch wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (2.) zuzulassen, der Beschluss beruht jedoch auf einem vom Kläger dargelegten Verfahrensmangel (3.). Dies führt zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an den Verwaltungsgerichtshof (4).
Rz. 3
1. Die Revision ist nicht wegen einer Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund ist nur dann gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem die Bezugsentscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Der Hinweis auf eine vermeintlich fehlerhafte Anwendung der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung formulierten Rechtssätze genügt dagegen nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2016 - 9 B 65.15 - Buchholz 406.254 UmwRG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.). Diesen Darlegungsanforderungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht.
Rz. 4
Mit seiner Rüge, der Verwaltungsgerichtshof weiche von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab, bezieht sich der Kläger offenbar auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Juli 1978 - 7 B 118-124.78 - (Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 40). Er macht dabei jedoch nicht die Anwendung divergierender Rechtssätze geltend, sondern wendet sich gegen die konkrete Rechtsanwendung in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs insbesondere im Hinblick auf etwaige Fortwirkungen des Vorausleistungsbescheides und ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr. Im Ergebnis beanstandet er eine unzureichende Würdigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Darauf lässt sich die Divergenzrüge nicht stützen.
Rz. 5
Soweit der Kläger darüber hinaus eine Abweichung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs von seiner eigenen früheren Rechtsprechung rügt und auf das Urteil vom 7. Dezember 1978 - V OE 95/77 - (HessVGRspr 1979, 33, Leitsätze auch in juris) hinweist, bezieht er sich auf ein Gericht, dessen Entscheidungen nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO divergenzfähig sind.
Rz. 6
2. Der Kläger hat auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) dargelegt. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Eine solche Rechtsfrage wird in der Beschwerde nicht bezeichnet.
Rz. 7
Der Sache nach will der Kläger grundsätzlich geklärt wissen, ob die Möglichkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage besteht, wenn der Vorausleistungsbescheid durch einen endgültigen Bescheid abgelöst wird, der bestandskräftig geworden ist, und ob es einen Rechtsgrundsatz gibt, wonach die Fortsetzungsfeststellungsklage gegenüber der Anfechtungsklage bezüglich eines anderen Verwaltungsakts subsidiär ist. Die damit angesprochenen Fragestellungen rechtfertigen nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil sie entweder bereits höchstrichterlich geklärt sind oder sich jedenfalls auf der Grundlage des Gesetzes und der dazu ergangenen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lassen.
Rz. 8
Das Verhältnis zwischen Vorausleistungsbescheid und endgültigem Gebührenbescheid ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach erledigt sich ein Vorausleistungsbescheid durch den endgültigen Gebührenbescheid und wird in jeder Hinsicht gegenstandslos, wenn der Rechtsgrund für die Heranziehung nunmehr ausschließlich durch den endgültigen Bescheid vermittelt wird und dieser den Vorausleistungsbescheid als Rechtsgrund vollständig "ablöst". Für eine Anfechtungsklage besteht dann kein Rechtsschutzinteresse mehr. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach dem irrevisiblen Landesrecht (BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1997 - 8 B 244.97 - Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 251 S. 47 f.).
Rz. 9
Der Rechtsschutz gegen einen erledigten Verwaltungsakt richtet sich nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und setzt ein berechtigtes Interesse an der Feststellung voraus, dass der erledigte Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Es besteht typischerweise in den anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses, kann sich aber auch aus anderen besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben, sofern die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die klägerische Position in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht zu verbessern (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 29. März 2017 - 6 C 1.16 - BVerwGE 158, 301 Rn. 29 m.w.N.). In Bezug auf die vom Kläger hier geltend gemachte Wiederholungsgefahr ist anerkannt, dass diese ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO dann begründet, wenn die hinreichende Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2006 - 4 C 12.04 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23 Rn. 8 m.w.N.). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Rz. 10
Diese Grundsätze gelten auch für die Beurteilung einer Fortsetzungsfeststellungsklage bei einem erledigten Vorauszahlungsbescheid. Der Umstand, dass der die Erledigung auslösende endgültige Heranziehungsbescheid bestandskräftig geworden ist, wirft keine Fragen auf, die sich nicht nach Maßgabe der nachfolgenden Erwägungen aufgrund der allgemeinen prozessrechtlichen Vorschriften beantworten ließen.
Rz. 11
3. Der Beschluss beruht jedoch auf einem vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Rz. 12
Mit seiner Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und weitere Rechtsprechung nicht berücksichtigt und deshalb zu Unrecht die Fortsetzungsfeststellungsklage für unstatthaft gehalten, macht der Kläger der Sache nach geltend, ihm sei fehlerhaft eine Entscheidung zur Sache verweigert worden. In der Entscheidung durch Prozessurteil statt durch Sachurteil liegt ein Verfahrensmangel, wenn ihr eine fehlerhafte Anwendung der prozessualen Vorschriften zugrunde liegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. September 2010 - 6 B 29.10 - Buchholz 310 § 127 VwGO Nr. 16 Rn. 6, speziell zur fehlerhaften Verneinung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses etwa Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 6 B 133.18 - NVwZ 2019, 649 Rn. 9, jeweils m.w.N.).
Rz. 13
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Fortsetzungsfeststellungsklage vorliegend wegen ihrer Subsidiarität für unstatthaft gehalten. Er ist davon ausgegangen, dass das System der Klagearten von der Subsidiarität der Feststellungsklage geprägt sei und eine Fortsetzungsfeststellungsklage voraussetze, dass ein Vorgehen gegen den endgültigen Bescheid nicht möglich gewesen wäre. Da der Kläger gegen den endgültigen Bescheid hätte Widerspruch einlegen können, sei die Fortsetzungsfeststellungsklage aufgrund ihrer Subsidiarität nicht statthaft, auf ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse komme es nicht mehr an.
Rz. 14
Diese Klageabweisung durch Prozessurteil ist verfahrensfehlerhaft. Der Verwaltungsgerichtshof misst dem für die allgemeine Feststellungsklage geltenden Subsidiaritätsgrundsatz des § 43 Abs. 2 VwGO und dem Vorrang der Erhebung einer Gestaltungsklage hier im Rahmen des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine Bedeutung zu, die ihnen nicht zukommt. Die Fortsetzungsfeststellungsklage setzt eine zunächst erhobene und später unzulässig gewordene Anfechtungsklage voraus, bezogen auf den streitgegenständlichen Bescheid ist damit dem Vorrang der Gestaltungsklage Genüge getan. Ein allgemeines Subsidiaritätsverhältnis gegenüber Klagen, die weitere Bescheide betreffen, lässt sich weder den gesetzlichen Regelungen noch übergeordneten Grundsätzen entnehmen. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine ausnahmsweise fortbestehende Klagemöglichkeit trotz Erledigung des angefochtenen Verwaltungsakts sind in § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geregelt. Bei der Beurteilung, ob hier ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Vorauszahlungsbescheides besteht, kann auch das Verhältnis zum endgültigen Heranziehungsbescheid Bedeutung erlangen.
Rz. 15
Vorliegend kommt eine Fortsetzungsfeststellungsklage wegen Wiederholungsgefahr in Betracht. Diese Klagemöglichkeit soll den Betroffenen davor schützen, in Zukunft nochmals der geltend gemachten Rechtsverletzung ausgesetzt zu werden. Unter dem Aspekt der Prozessökonomie sollen zudem die Gerichte von zukünftigen Verfahren zu denselben Rechtsfragen entlastet werden und dem Betroffenen die "Früchte" der bisherigen Prozessführung erhalten bleiben. Hat sich die Wiederholungsgefahr bereits in einem nachfolgenden Verwaltungsakt realisiert, kann eine erneute Rechtsbeeinträchtigung insoweit nicht mehr verhindert werden. Daher entfällt das Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr (im engeren Sinne) und der Betroffene ist auf die Rechtsschutzmöglichkeit der Anfechtung des neuen Verwaltungsakts zu verweisen (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. September 1984 - 3 C 20.83 - Buchholz 427.6 § 12 BFG Nr. 20 S. 24 und vom 2. November 2017 - 7 C 26.15 - juris Rn. 18; Beschluss vom 31. Januar 2019 - 8 B 10.18 - juris Rn. 9). Diese Grundsätze gelten auch im Verhältnis zwischen Vorausleistungsbescheid und endgültigem Heranziehungsbescheid. Inwieweit in dieser Fallkonstellation noch Raum für eine Fortsetzungsfeststellungsklage unter dem Aspekt der Prozessökonomie und des Interesses an der Erhaltung des bisher erreichten Prozessstandes in Betracht kommt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, weil der Heranziehungsbescheid bestandskräftig geworden ist und eine Entscheidung über den Fortsetzungsfeststellungsantrag insoweit keine Präjudizwirkung mehr entfalten könnte.
Rz. 16
Die Frage einer etwaigen Wiederholungsgefahr beschränkt sich jedoch nicht nur auf den vom Vorausleistungsbescheid abgedeckten Veranlagungszeitraum und das Verhältnis zum endgültigen Heranziehungsbescheid, sondern betrifft auch zukünftige Zeiträume, die Gegenstand weiterer vorläufiger und endgültiger Bescheide sein können. Insoweit steht die Möglichkeit künftiger neuer Rechtsbeeinträchtigungen weiter im Raum. Bezogen auf diese späteren Zeiträume und weiteren Bescheide besteht die vom Verwaltungsgerichtshof angeführte Gefahr der Umgehung der Bestandskraft des Heranziehungsbescheides und einer ungerechtfertigten Besserstellung des Klägers nicht.
Rz. 17
Ob im vorliegenden Fall eine das Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründende Wiederholungsgefahr, also die hinreichend bestimmte Gefahr künftiger gleichartiger Verwaltungsakte bei im Wesentlichen unveränderten Umständen, tatsächlich besteht, lässt sich nicht abschließend beurteilen, weil der Verwaltungsgerichtshof - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - hierzu keine Feststellungen getroffen hat. Die Bejahung einer Wiederholungsgefahr erscheint aber durchaus möglich, weil das Verwaltungsgericht eine solche angenommen hat und sich auch der Kläger auf eine unveränderte Sach- und Rechtslage und das Ergehen weiterer Bescheide beruft. Danach lässt sich nicht feststellen, dass die Abweisung der Klage durch Prozessurteil jedenfalls im Ergebnis richtig ist.
Rz. 18
4. Der Senat macht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung von der ihm nach § 133 Abs. 6 VwGO eröffneten Befugnis Gebrauch, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
Rz. 19
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 13676195 |
DÖV 2020, 444 |
JZ 2020, 173 |
VR 2020, 216 |