Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 24.05.2012; Aktenzeichen 29 K 422.10) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Mai 2012 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf den Zulassungsgrund der Grundsatzbedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 30. Mai 2012 – BVerwG 6 B 6.12 – juris Rn. 2). Daran gemessen führt die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage nicht zur Zulassung der Revision.
Rz. 3
Die Beschwerde möchte in Bezug auf § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Juli 2004 (BGBl I S. 1671), zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 42 Gesetz vom 22. September 2005 (BGBl I S. 2809) – NS-VEntschG – i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 4 Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz – VermG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Februar 2005 (BGBl I S. 205), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Mai 2011 (BGBl I S. 920) geklärt wissen,
“ob ein Anspruch auf ergänzende Singularentschädigung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG auch dann gegeben ist, wenn dem Unternehmen ein Grundstück nach einer Unternehmens- oder Anteilsschädigung i.S.d. § 1 Abs. 6 VermG ‘zugeschwommen’, aber bereits vor dem 8. Mai 1945 wieder ‘weggeschwommen’ ist oder ob das dem arisierten Unternehmen nach der Schädigung ‘zugeschwommene’ Grundstück am 8. Mai 1945 noch zum Unternehmen gehört haben muss”.
Rz. 4
Es kann offen bleiben, ob die Beschwerde insoweit den an die Darlegung der allgemeinen, über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Rechtssache zu stellenden Anforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) genügt. Jedenfalls fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit. Die aufgeworfene Frage lässt sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens anhand des Gesetzeswortlauts und der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres im Sinne des Verwaltungsgerichts beantworten.
Rz. 5
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durchbricht der Anspruch auf gesonderte Entschädigung für das Betriebsgrundstück den in § 3 Abs. 1 Satz 3 Teilsatz 1 VermG verankerten Grundsatz der Konnexität zwischen Schädigungstatbestand und Restitution (vgl. Urteil vom 26. Juni 1997 – BVerwG 7 C 53.96 – Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 18 S. 16) und erweitert den ergänzend zur Unternehmensrestitution bzw. Unternehmensentschädigung nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG gewährten Anspruch auf Einzelrestitution dieses Grundstücks (vgl. Urteil vom 1. März 2012 – BVerwG 5 C 11.11 – BVerwGE 142, 107 Rn. 32). Davon ausgehend liegt es auf der Hand, dass der Anspruch auf grundstücksbezogene Entschädigung dem Grunde nach an denselben Voraussetzungen anknüpft, die für den Anspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG auf Einräumung von Bruchteilseigentum an einzelnen Vermögensgegenständen in Höhe der entzogenen Beteiligung gelten. Hinzu kommen muss, dass die Restitution von Bruchteilseigentum nach dem Vermögensgesetz ausgeschlossen ist oder der Berechtigte nach § 1 Abs. 6 VermG Entschädigung gewählt hat (§ 1 Abs. 1 Satz 1, § 2 Satz 4 NS-VEntschG; s.a. Urteile vom 1. März 2012 a.a.O. Rn. 19 und vom 11. Dezember 2008 – BVerwG 5 C 3.08 – BVerwGE 132, 330 = Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 7 Rn. 9, 13, 19 und 22).
Rz. 6
Für den Anspruch auf ergänzende Einzelrestitution nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass es schon nach dem Wortlaut erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Vermögensgegenstand nicht mehr zum Unternehmensvermögen gehört. Auf die Umstände, aufgrund deren der einzelne Vermögensgegenstand aus dem Unternehmen ausgeschieden ist, kommt es nicht an. Ebenso wenig ist der Zeitpunkt von Bedeutung, zu dem dies geschah. Insbesondere gibt der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG keinerlei Anhaltspunkte dafür her, dass der Anspruch auf Werte beschränkt sein soll, die jedenfalls nach dem 8. Mai 1945 aus dem Unternehmen ausgeschieden sind (vgl. Beschluss vom 19. März 2003 – BVerwG 8 B 129.02 – Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 44 S. 38 und Urteil vom 26. Juni 1997 a.a.O. S. 18).
Rz. 7
Dies entspricht dem Zweck des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG. Die Vorschrift dient dazu, die in der Zeit von 1933 bis 1945 Verfolgten durch die Eingliederung ihrer Ansprüche in das Vermögensgesetz nicht schlechter zu stellen, als sie bei Anwendung der alliierten Rückerstattungsgesetze gestellt wären (vgl. Urteil vom 26. Juni 1997 a.a.O. S. 17 unter Bezugnahme auf BTDrucks 12/2944 S. 50; s.a. BTDrucks 13/7275 S. 44). Unter der Geltung der alliierten Rückerstattungsgesetze konnte dem möglichen Einsammeln “weggeschwommener” Vermögensgegenstände der Einwand des gutgläubigen Erwerbs nicht entgegengehalten werden (vgl. Art. 1 Abs. 3 der Anordnung BK/O (49) 180, Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen – REAO – vom 26. Juli 1949 der Alliierten Kommandantur Berlin ≪VOBl für Groß-Berlin Teil I S. 221≫; Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 59, Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände der amerikanischen Militärregierung – USREG – vom 10. November 1947 ≪ABl der Militärregierung Deutschland Amerikanisches Kontrollgebiet, Ausgabe G… S. 1≫; Art. 1 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 59, Rückerstattung feststellbarer Vermögenswerte an Opfer nationalsozialistischer Unterdrückungsmaßnahmen der britischen Militärregierung – BrREG – vom 12. Mai 1949 ≪VOBl für die Britische Zone S. 152≫). Aus Gründen der Systemgerechtigkeit war daher auch den nach § 1 Abs. 6 VermG Berechtigten – unabhängig von den Umständen und dem Zeitpunkt des Ausscheidens des Vermögensgegenstandes aus dem Unternehmen – ein Anspruch auf Rückgabe einzelner Vermögensgegenstände einzuräumen, die nach der Unternehmens- bzw. (Unternehmens-)Anteilsschädigung im normalen Geschäftsverkehr auf Dritte übertragen wurden, ohne dass es sich hierbei um Maßnahmen nach § 1 VermG handelte (vgl. Beschluss vom 19. März 2003 a.a.O. und Urteil vom 26. Juni 1997 a.a.O.).
Rz. 8
Infolge der inneren Abhängigkeit zwischen der ergänzenden Singularrestitution und der ergänzenden Singularentschädigung kann die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt des Ausscheides des Vermögensgegenstandes aus dem Unternehmen für den Anspruch auf grundstücksbezogene Entschädigung (als Folge einer sog. erweiterten Singularrestitution) nicht anders beantwortet werden als für den Anspruch auf Einräumung von Bruchteilseigentum an einzelnen Vermögensgegenständen im Wege der Einzelrestitution nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG.
Rz. 9
2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 10
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Rz. 11
4. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 und 4 GKG.
Unterschriften
Vormeier, Stengelhofen, Dr. Häußler
Fundstellen