Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 30.01.2014; Aktenzeichen 1 L 102.13) |
Tenor
Die weitere Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. Januar 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Tatbestand
I
Die Parteien streiten um die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs.
Die Kläger zu 1 und 2, tariflich ungebundene Arbeitgeber des Baugewerbes, wenden sich mit ihrer Klage gegen die Allgemeinverbindlicherklärung näher bezeichneter Tarifvertragswerke für das Baugewerbe für die Jahre 2004 bis 2012 durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach § 5 Abs. 1 TVG. Die Klägerin zu 3 ist die Komplementärin der Klägerin zu 2. Aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung werden sie von der Urlaubskasse des Baugewerbes in verschiedenen Verfahren vor dem Arbeitsgericht auf Beitragszahlung in Anspruch genommen. Mit ihrer Klage begehren die Kläger die Feststellung, dass die sie betreffenden Allgemeinverbindlicherklärungen rechtswidrig sind und sie in ihren Rechten verletzen. Das Verwaltungsgericht hat vorab beschlossen, dass der Verwaltungsrechtsweg zulässig ist. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und die weitere Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen.
Entscheidungsgründe
II
Die gemäß § 152 Abs. 1, § 173 Abs. 1 VwGO, § 17a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG zulässige weitere Beschwerde ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zurecht angenommen, dass für die geltend gemachten Ansprüche auf Feststellung, dass die durch die Beklagte ausgesprochenen Allgemeinverbindlicherklärungen rechtswidrig sind und die Kläger in ihren Rechten verletzen, der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist.
Dem steht Art. 2 Nr. 1b des am 16. August 2014 in Kraft getretenen Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) vom 11. August 2014 (BGBl I 1348 ≪1354≫), wonach die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit für „die Entscheidung über die Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes” gegeben ist, nicht entgegen. Dabei kann offenbleiben, ob die hier in Rede stehende Klage auf Feststellung der Verletzung eigener Rechte durch die Allgemeinverbindlicherklärung denselben Streitgegenstand betrifft. Die Regelung des Art. 2 Nr. 1b des Tarifautonomiestärkungsgesetzes ist hier jedenfalls gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG unbeachtlich, weil sie bei Rechtshängigkeit des vorliegenden Rechtsstreits am 11. November 2011 (§ 90 Abs. 1 VwGO) noch nicht in Kraft getreten war; eine abweichende gesetzliche Regelung wurde nicht getroffen (Urteil vom 12. Oktober 1989 – BVerwG 6 C 38.88 – BVerwGE 84, 3 ≪8≫ = Buchholz 448.6 § 18 KDVG Nr. 4 S. 11). Nach der Rechtslage zum danach maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit war der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten aus den nachfolgenden Gründen eröffnet.
Die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG ist ein Rechtsetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung, die gemäß § 5 Abs. 4 TVG die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber – wie hier die Klägerin – einseitig den Rechtsnormen des Tarifvertrags unterwirft. Es handelt sich somit um einen dem öffentlichen Recht zugehörenden „staatlichen Hoheitsakt” (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 – BVerfGE 44, 322 ≪340, 344≫). Da Klagen auf Feststellung der Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte durch eine Allgemeinverbindlicherklärung nach § 43 Abs. 1 VwGO (vgl. Urteil vom 28. Januar 2010 – BVerwG 8 C 38.09 – BVerwGE 136, 75 Rn. 30 = Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 149 Rn. 30) weder verfassungsrechtlicher Art sind noch bis zum Erlass des Art. 2 Nr. 1b des Tarifautonomiestärkungsgesetzes eine Sonderzuweisung an die Arbeitsgerichtsbarkeit bestand (vgl. Urteil vom 3. November 1988 – BVerwG 7 C 115.86 – BVerwGE 80, 355 ≪357 ff.≫ = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 238; Düwell, NZA-Beilage 2/2011 S. 80 ≪81≫), war bei Rechtshängigkeit die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit gegeben. Davon ist das Bundesverwaltungsgericht schon bisher unausgesprochen ausgegangen (vgl. Urteile vom 3. November 1988 a.a.O. S. 359 und vom 28. Januar 2010 a.a.O. Rn. 77 ff.).
Die Kläger meinen demgegenüber, dass das einschränkende Tatbestandsmerkmal des § 47 Abs. 1 VwGO, wonach das Oberverwaltungsgericht „im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit” über die Gültigkeit von Rechtsvorschriften entscheidet, analog auf Klagen zur Feststellung der Verletzung eigener Rechte durch Normen nach § 43 Abs. 1 VwGO anzuwenden sei. Danach sei der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, weil für Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Bezug auf die Rechte und Pflichten aus dem für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag ausschließlich die Arbeitsgerichte zuständig seien. Dem kann nicht gefolgt werden.
Ein Oberverwaltungsgericht ist nur dann i.S.d. § 47 Abs. 1 VwGO „im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit” zur Kontrolle von untergesetzlichen Rechtsvorschriften berufen, wenn sich aus der Anwendung der angegriffenen Rechtsvorschrift Rechtsstreitigkeiten ergeben können, für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist (Beschluss vom 27. Juli 1995 – BVerwG 7 NB 1.95 – BVerwGE 99, 88 ≪96 f.≫ = Buchholz 451.22 § 3 AbfG Nr. 1 S. 9). Damit soll verhindert werden, dass Gerichte anderer Gerichtszweige für Streitigkeiten präjudiziert werden, zu deren Entscheidung im Einzelfall sie sonst ausschließlich zuständig sind (BTDrucks 3/55 S. 33; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 47 Rn. 17; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 47 Rn. 32). Dieser Regelungszweck ist bei der hier relevanten Klage auf Feststellung der Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte durch eine Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG nicht berührt. Denn Entscheidungen über Feststellungsklagen nach § 43 Abs. 1 VwGO sind nicht wie die Erklärung der Unwirksamkeit einer Rechtsnorm gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO allgemein verbindlich, sondern gelten nur inter partes (lat. „zwischen den Parteien”). Die Gerichte anderer Gerichtszweige werden daher durch die Feststellung der Verletzung subjektivöffentlicher Rechte durch die zur Prüfung gestellte Norm nicht hinsichtlich von Rechtsstreitigkeiten präjudiziert, welche die Anwendung derselben Norm betreffen. So hindert etwa eine bereits getroffene verwaltungsgerichtliche Feststellung der Rechtsverletzung durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung die Arbeitsgerichte nicht, im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten über Rechte und Pflichten aus dem Tarifvertrag die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung erneut inzident zu prüfen und ihrer Entscheidung ein abweichendes Ergebnis zugrunde zu legen (vgl. Düwell a.a.O. S. 83; BAG, Beschluss vom 26. Oktober 2009 – 3 AZB 24/09 – NZA 2009, 1436 ff. und Urteil vom 26. September 2012 – 4 AZR 5/11 – juris Rn. 14). Die von den Klägern angenommene „faktische Präjudizwirkung” durch solche verwaltungsgerichtliche Feststellungsurteile kann nicht mit der gesetzlich angeordneten Allgemeinverbindlichkeit verglichen werden. Nur letztere begründet das Bedürfnis, zur Vermeidung einer dem Grundsatz der Gleichwertigkeit der einzelnen Gerichtszweige zuwider laufenden Überordnung der Oberverwaltungsgerichte diejenigen Rechtsvorschriften aus der Kontrollbefugnis nach § 47 Abs. 1 VwGO auszunehmen, deren Anwendung der Überprüfung durch Gerichte anderer Gerichtszweige obliegt (vgl. BTDrucks 3/55 S. 33). Davon zu unterscheiden ist das – vom Gesetzgeber nunmehr durch Konzentration der Entscheidungen über die Wirksamkeit von Allgemeinverbindlicherklärungen bei den Arbeitsgerichten und die Anordnung einer inter omnes-Wirkung (lat. „unter allen”) entsprechender rechtskräftiger Beschlüsse (Art. 2 Nr. 5 Tarifautonomiestärkungsgesetz) gelöste – rechtspolitische Problem, dass es infolge fehlender Bindungswirkung zu sich widersprechenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und der Gerichte anderer Gerichtszweige zur Frage der Rechtmäßigkeit von Normen kommen kann (vgl. Düwell a.a.O. S. 84 f.).
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Kostenentscheidung ist hier nicht gemäß § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG entbehrlich. Denn die Kosten im „Verfahren vor dem angegangenen Gericht” sind nur die Kosten des erstinstanzlichen Gerichts. Das Beschwerdegericht hat daher über die Kosten eines Beschwerdeverfahrens nach § 17a Abs. 4 Satz 3 und 4 GVG selbst eine Kostenentscheidung zu treffen (vgl. Beschluss vom 15. Oktober 1993 – BVerwG 1 DB 34.92 – BVerwGE 103, 26 ≪32≫; Zimmermann, in: Münchener Kommentar, ZPO, 3. Aufl. 2008, Band 3, § 17b GVG Rn. 10; anderer Ansicht Rennert, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 41 ≪§ 17 – 17b GVG≫ Rn. 45).
Unterschriften
Dr. Christ, Dr. Deiseroth, Dr. Hauser
Fundstellen