Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 12.05.2006; Aktenzeichen 3 N 124/05) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 40 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.
a. Zu Unrecht beanstandet die Beschwerde mit der Gehörsrüge, dass der Verwaltungsgerichtshof die Ausführungen des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe nicht nur beim Abwägungsvorgang, sondern auch beim Abwägungsergebnis seine privaten Belange verkannt und zudem liege ein Fall der Abwägungsdisproportionalität vor, nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist in der Regel davon auszugehen, dass das Gericht bei seiner Entscheidung die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das gilt selbst für Vorbringen, das in den Entscheidungsgründen nicht erörtert ist (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 ≪146≫; BVerwG, Beschluss vom 25. November 1999 – BVerwG 9 B 70.99 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 64). Umso mehr gilt dies für Ausführungen der Beteiligten, mit denen sich die Entscheidungsgründe ausdrücklich auseinandersetzen. Wie das Beschwerdevorbringen selbst einräumt, hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der rechtlichen Würdigung des Abwägungsvorgangs mit den betreffenden Ausführungen des Antragstellers auseinander gesetzt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör erstreckt sich aber nur darauf, dass Ausführungen überhaupt zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden, und nicht darauf, dass dies in einem bestimmten rechtlichen Zusammenhang geschieht. Die Zuordnung des Prozessstoffs zu einzelnen Rechtsfragen betrifft vielmehr die Richtigkeit der Rechtsanwendung (hier: in Bezug auf die Rechtmäßigkeit des Abwägungsergebnisses), die mit der Gehörsrüge nicht angegriffen werden kann.
b. Aus dem bereits der Gehörsrüge zugrunde gelegten Sachverhalt kann die Beschwerde auch keinen Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz in Verbindung mit der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) im Hinblick darauf herleiten, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht aufgeklärt und untersucht habe, ob Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass beim Abwägungsergebnis die privaten Belange des Antragstellers verkannt worden sind und/oder ein Fall der Abwägungsdisproportionalität vorliegt. Denn der Sache nach rügt die Beschwerde kein Defizit tatsächlicher Feststellungen im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof. Vielmehr meint sie, der Verwaltungsgerichtshof habe – auf der Grundlage des ihm bekannten Abwägungsmaterials – das Abwägungsergebnis im Hinblick auf eine fehlerhafte Berücksichtigung und Gewichtung der betroffenen Belange durch die Antragsgegnerin, insbesondere bezüglich des privaten Belangs des Antragstellers an der Beibehaltung der bisherigen Festsetzungen des Bebauungsplans zur offenen Bauweise und der damit verbundenen Gewähr einer freien Aussicht, beanstanden müssen. Die Rüge betrifft damit ebenfalls die Richtigkeit der Rechtsanwendung und nicht die hinreichende Tatsachenfeststellung, auf die § 86 Abs. 1 VwGO abzielt.
c. Aus dem bereits den vorstehenden Rügen zugrunde gelegten Sachverhalt ergibt sich schließlich nicht, dass das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen ist. Das ist nach der Rechtsprechung allerdings nicht erst dann der Fall, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, so dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind. Dagegen reicht es nicht aus, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (Beschluss vom 5. Juni 1998 – BVerwG 9 B 412.98 – NJW 1998, 3290). Bei Anwendung dieser Grundsätze liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor. Das Urteil enthält Ausführungen zum Abwägungsergebnis. Diese sind verständlich, insbesondere in der Funktion des Abwägungsergebnisses für die Erheblichkeit von Mängeln im Abwägungsvorgang und in dem zentralen Motiv, von dem die Antragsgegnerin sich bei der Abwägung hat leiten lassen. Soweit die Beschwerde die Ausführungen als unvollständig oder unrichtig ansieht, betrifft dies nicht die Frage, ob das Urteil in formeller Hinsicht mit Gründen versehen ist, sondern wiederum die Richtigkeit der Rechtsanwendung.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
a. Die Beschwerde möchte in dem erstrebten Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
ob das Interesse an einem rationellen Betrieb einer privaten Einrichtung wie eines privaten Pflege- und Altenheimes einen öffentlichen Belang im Sinne des § 1 Abs. 7 BauGB darstellt.
Diese Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Die Bereitstellung bedarfsgerechter Alten- und Pflegeheimplätze kann eine im Interesse einer Gemeinde liegende Tätigkeit der Daseinsvorsorge sein, und zwar unabhängig davon, ob diese Aufgabe von der Gemeinde selbst, oder – wie häufig – von privaten Trägern erfüllt wird (vgl. etwa Berufungsurteil, das dem Urteil des Senats vom 13. Juli 2006 – BVerwG 4 C 5.05 –, zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen, zugrunde liegt). Da sich eine solche Einrichtung in wirtschaftlicher Hinsicht nur realisieren lässt, wenn sie effektiv betrieben werden kann, nimmt auch das spezielle Interesse an einem rationellen Betrieb an diesem öffentlichen Interesse der Daseinsvorsorge teil. Im Übrigen verlangt – hierauf stellt die Beschwerde ebenfalls ab – die Erforderlichkeit einer Bebauungsplanänderung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht zwingend ein öffentliches Interesse. Es muss sich lediglich um Belange handeln, die eine Bauleitplanung rechtfertigen können. Hierzu gehören alle in § 1 Abs. 6 BauGB aufgeführten Belange, da dem Katalog des § 1 Abs. 6 insoweit eine Klarstellungsfunktion zukommt (Gaentzsch, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl. 2002, 6. Lieferung, § 1 Rn. 56). Die sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere die Bedürfnisse der alten und behinderten Menschen, denen durch die Errichtung eines Alten- und Pflegeheims Rechnung getragen wird, sind in § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB genannt.
b. Die Beschwerde möchte weiter rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
ob eine Gemeinde bei einer Änderung eines bestehenden Bebauungsplans im Rahmen der Erforderlichkeit gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB sowie der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB das gleiche Maß an Gestaltungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen kann wie bei der Erstplanung.
Diese Frage wäre in dieser Allgemeinheit in einem Revisionsverfahren einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Denn welches Maß an Gestaltungsfreiheit eine Gemeinde im Rahmen der Erforderlichkeit gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB für sich in Anspruch nehmen kann, hängt sowohl bei einer Erstplanung als auch bei einer Änderungsplanung von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Dabei versteht sich ohne weiteres, dass eine Gemeinde bei einer Änderungsplanung die durch die Erstplanung vorgegebene rechtliche Situation der überplanten Grundstücke nicht ignorieren darf und deshalb das Interesse des Planbetroffenen an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bei der Änderungsplanung in die Abwägung einzustellen ist. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass bei einer Änderung eines Bebauungsplans das Interesse des Planbetroffenen an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes nicht nur dann abwägungserheblich ist, wenn durch die Planänderung ein subjektives öffentliches Recht berührt oder beseitigt wird. Abwägungsrelevant ist vielmehr jedes mehr als geringfügige private Interesse am Fortbestehen des Bebauungsplans in seiner früheren Fassung, auch wenn es lediglich auf einer einen Nachbarn nur tatsächlich begünstigenden Festsetzung beruht (Beschluss vom 20. August 1992 – BVerwG 4 NB 3.92 – NVwZ 1993, 468). Von dieser Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof auch ausgegangen.
c. Die Beschwerde möchte weiter grundsätzlich geklärt wissen,
ob die Tatsache, dass eine Gemeinde Bürgern Grundstücke mit bestimmten Zusicherungen, insbesondere freiem Seeblick, veräußert hat, einen Vertrauensschutz zu Gunsten der Bürger an der Beibehaltung des bisherigen Planzustandes jedenfalls insoweit begründet, als eine Änderung des Bebauungsplanes ihnen die zugesicherte Eigenschaft ihres Grundbesitzes nicht vollständig entziehen darf.
Diese Rüge erfüllt schon nicht die Voraussetzungen einer hinreichenden Darlegung im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Denn das Beschwerdevorbringen enthält keine Ausführungen dazu, ob dem Antragsteller, der nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs in der Verhandlungsniederschrift vom 11. Mai 2006 sein Anwesen etwa vier Jahre zuvor bei noch ungehindertem Seeblick erworben hat, von der Antragsgegnerin unmittelbar oder über seinen Rechtsvorgänger die Beibehaltung des freien Seeblicks in rechtsverbindlicher Weise zugesichert worden ist. Allein aus dem Hinweis der Beschwerde, dass die Antragsgegnerin die Grundstücke – etwa in ihrem Mitteilungsblatt – ausdrücklich mit Seeblick angepriesen und zu entsprechend hohen Kaufpreisen veräußert habe, ergibt sich noch keine rechtsverbindliche Zusicherung.
d. Schließlich möchte die Beschwerde grundsätzlich geklärt wissen,
ob die Tatsache, dass eine Gemeinde Bürgern Grundstücke mit bestimmten Zusicherungen, insbesondere freiem Seeblick, veräußert hat, als eigener Belang in die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB eingestellt werden muss.
Auch diese Rüge erfüllt nicht die Voraussetzungen einer hinreichenden Darlegung im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, da sich auch diese als grundsätzlich angesehene Frage in einem Revisionsverfahren nur stellen könnte, wenn von einer rechtsverbindlichen Zusicherung auszugehen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Gatz, Dr. Hofherr
Fundstellen
BauR 2007, 331 |
ZfBR 2007, 150 |
BBB 2007, 55 |