Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 29.04.2010; Aktenzeichen 2 S 2160/09) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 29. April 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6 589 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
Rz. 2
1. Die den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und das Gebot der sachgerechten Ausschöpfung des vorhandenen Prozessstoffs (vgl. § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) betreffende Verfahrensrüge, das Gericht habe den Sachverhalt “aktenwidrig” festgestellt, genügt nicht dem Darlegungsgebot des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Rz. 3
Eine Aktenwidrigkeit tatsächlicher Feststellungen liegt vor, wenn zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt ein offensichtlicher Widerspruch besteht. Da eine Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung als solche nicht als Verfahrensmangel rügefähig ist, muss der Beschwerdeführer die konkreten Textstellen aus dem vorinstanzlichen Verfahren bezeichnen, aus denen sich der Widerspruch ergeben soll (Beschluss vom 30. Juni 2009 – BVerwG 9 B 23.09 – juris Rn. 10 m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Rz. 4
Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass sich entgegen der Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs aus den Akten entnehmen lässt, in welchem Umfang die Klägerin im Jahre 2000 Privatpatienten und in welchem Umfang sie Kassenpatienten behandelt hat. Die von ihr in Bezug genommene Auskunft der Klägerin, sie habe 15 bis 20 ihrer 70 Betten für Privatpatienten vorgehalten, besagt nichts zu der vom Verwaltungsgerichtshof für maßgeblich gehaltenen Anzahl der in der Klinik der Klägerin behandelten Privat- und Kassenpatienten. Auch die Aktenwidrigkeit der Feststellung des Gerichts, die oben genannte Anzahl der für Privatpatienten vorgehaltenen Betten stelle eine Annahme der Beklagten dar, wird nicht hinreichend bezeichnet. Vielmehr geht die Beschwerde selbst davon aus, dass nach Aktenlage die Beklagte ihrer Schätzung des Vorteilssatzes die Angaben der Klägerin zur Aufteilung der Betten zwischen Privat- und Kassenpatienten zugrunde gelegt habe. Weshalb die Feststellung, es handle sich um eine “Annahme der Beklagten”, zugleich die – aktenwidrige – Feststellung enthalten sollte, die Beklagte habe keine dahin gehenden Ermittlungen vorgenommen und die Klägerin keine Angaben zur Anzahl der für Privatpatienten vorgehaltenen Betten gemacht, wird nicht nachvollziehbar dargetan. Davon abgesehen hat der Verwaltungsgerichtshof die Frage, in welchem Umfang Betten für Privatpatienten vorgehalten wurden, ohnehin als irrelevant angesehen. Die Annahme des Gerichts, dass die Beklagte den Sachverhalt weiter hätte aufklären müssen und hiervon nicht aufgrund fehlender Mitwirkung der Klägerin habe absehen dürfen, beruht auf einer Würdigung der Sach- und Rechtslage und kann daher von vornherein nicht mit der Verfahrensrüge der Aktenwidrigkeit angegriffen werden.
Rz. 5
2. Auch die Gehörsrügen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
Rz. 6
a) Die Beschwerde legt nicht dar, dass der Verwaltungsgerichtshof einen wesentlichen Teil des Vorbringens der Beklagten übergangen hat (vgl. Beschluss vom 18. Oktober 2006 – BVerwG 9 B 6.06 – Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 66 Rn. 24 m.w.N.). Die Rüge, das Gericht habe wesentliche Inhalte der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten nicht berücksichtigt, verfehlt bereits den Schutzbereich des rechtlichen Gehörs. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bezieht sich auf das Vorbringen der Prozessbeteiligten im gerichtlichen Verfahren und nicht auf den Inhalt der dem Gericht vorgelegten Verwaltungsakten. Dass die Beklagte den näher bezeichneten Inhalt der Verwaltungsakten zum Gegenstand ihres Vorbringens im Berufungsverfahren gemacht hat, kann dem Beschwerdevorbringen nicht entnommen werden. Davon abgesehen wendet sich die Beschwerde insoweit der Sache nach gegen die Einschätzung des Gerichts, dass die Beklagte den Sachverhalt ungeachtet der bereits erfolgten Maßnahmen weiter hätte aufklären müssen. Das rechtliche Gehör verpflichtet das Gericht jedoch nicht, der rechtlichen oder tatsächlichen Würdigung eines Beteiligten zu folgen. Die Beschwerde macht ferner geltend, die Beklagte habe im Rahmen der Berufungserwiderung vorgetragen, dass die Klägerin nach ihren eigenen Angaben 15 bis 20 Betten der vorhandenen 70 Betten für Privatpatienten vorhalte; die Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs, bei diesen Zahlen handle es sich um eine Annahme der Beklagten, zeige, dass er dieses Vorbringen im Berufungsverfahren außer Acht gelassen habe. Das trifft aus den oben bereits genannten Gründen nicht zu. Im Übrigen fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit dieser gerichtlichen Feststellung.
Rz. 7
b) Schließlich sieht die Beschwerde in dem angefochtenen Urteil eine Überraschungsentscheidung, weil der Verwaltungsgerichtshof zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen habe, dass neben dem zahlenmäßigen Verhältnis der in der Klinik der Klägerin behandelten Privat- und Kassenpatienten auch das Verhältnis der Gewinnanteile für beide Patientengruppen als Grundlage einer Schätzung des Vorteilssatzes hätte ermittelt werden müssen. Dadurch sei der Beklagten die Möglichkeit genommen worden vorzutragen, dass sie bei der Schätzung des der Klägerin aus dem Kurbetrieb erwachsenden Vorteils zu deren Gunsten unterstellt habe, dass die Gewinnanteile bei allen Patienten gleich hoch sind. Die damit gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.
Rz. 8
Das Gericht ist nicht verpflichtet, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung ergibt. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt erst dann vor, wenn das Gericht die Entscheidung auf Anforderungen an den Sachvortrag oder auf sonstige rechtliche Gesichtspunkte stützt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf – selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen – nicht zu rechnen brauchte (Beschluss vom 12. Februar 2008 – BVerwG 9 B 70.07 – juris Rn. 9). Das ist hier nicht der Fall. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist die Beklagte bei ihrer Schätzung davon ausgegangen, dass die Einkünfte der Klägerin aus der Behandlung von Privatpatienten in größerem Umfang auf den Kurbetrieb zurückzuführen sind als diejenigen aus der Behandlung der Kassenpatienten, insofern also unterschiedliche Vorteilssätze zu bilden sind (UA S. 18 f.). Dann hätte es jedoch nahegelegen, die Einkünfte aus der Behandlung der beiden Patientengruppen gesondert zu ermitteln, um diese unterschiedlichen Vorteilssätze gemäß § 4 Abs. 3 und 4 der Fremdenverkehrsbeitragssatzung anwenden zu können. Die entsprechende Anforderung des Verwaltungsgerichtshofs ist daher nicht überraschend, sondern mit Blick auf die von der Beklagten selbst vorgenommene Differenzierung zwischen Privatpatienten und Kassenpatienten folgerichtig. Die Beschwerde rügt im Übrigen auch nicht, dass sie mit der darüber hinaus gehenden Anforderung des Gerichts, als weiterer Schritt der Ermittlung des für die Beitragserhebung relevanten Sachverhalts hätte gesondert nach den jeweiligen Einkünften aus der Behandlung beider Patientengruppen der fremdenverkehrsbedingte Vorteil geschätzt werden müssen, nicht habe rechnen können.
Rz. 9
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
Unterschriften
Dr. Storost, Dr. Christ, Prof. Dr. Korbmacher
Fundstellen