Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 14.09.2023; Aktenzeichen 2 L 100/21) |
VG Halle (Saale) (Entscheidung vom 01.07.2021; Aktenzeichen 2 A 30/19 HAL) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 14. September 2023 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.
Rz. 2
1. Mit der Divergenzrüge dringt die Beschwerde nicht durch.
Rz. 3
Nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil - hier der urteilsvertretende Beschluss (§ 130a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 4 VwGO) - von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Divergenzgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Divergenzgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt, genügt dagegen nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 ≪n. F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14).
Rz. 4
Eine hiernach beachtliche Abweichung zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts legt die Beschwerde nicht dar.
Rz. 5
Die Klägerin entnimmt dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 2021 - 4 C 5.20 - (BVerwGE 174, 118) einen Rechtssatz des Inhalts, dass es bei der Frage der Zulässigkeit von Terminwohnungen in einem Mischgebiet ausschließlich auf bauplanungsrechtliche Erwägungen ankomme. Demgegenüber erweitere das Oberverwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss den Beurteilungskatalog auf sämtliche Störungen im Sinne von die persönliche Lebenssphäre nachteilig berührenden äußeren Einwirkungen (siehe BA S. 18; juris Rn. 81).
Rz. 6
Diese Gegenüberstellung führt nicht auf eine Rechtssatzdivergenz. Der von der Beschwerde der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entnommene Rechtssatz bringt lediglich ohne weitere inhaltliche Präzisierung die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, dass über die bauplanerische Zulässigkeit eines Vorhabens nach den Vorgaben des § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 BauNVO und folglich nach bauplanungsrechtlichen Erwägungen zu entscheiden ist. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht hiervon abweicht, indem es einen dem widersprechenden Rechtsstandpunkt eingenommen hat. Das Oberverwaltungsgericht hat im Rahmen der einzelfallbezogenen Prüfung, ob die zur Genehmigung gestellte prostitutive Einrichtung als im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO das Wohnen wesentlich störender und damit im Mischgebiet unzulässiger Gewerbebetrieb zu bewerten ist, den Begriff der Störung in seinem bauplanungsrechtlichen Gehalt näher umschrieben. Eine Abweichung zum genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist auch dann nicht aufgezeigt, wenn bei wohlwollender Heranziehung auch des Vortrags zur Grundsatzrüge die Ausführungen des Senats zur Störung in den Blick genommen werden. Eine abschließende Engführung des Begriffs im Rahmen des § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO beachtlichen Störung wird darin nicht vorgenommen. Vielmehr verhält sich das Urteil zum Störpotenzial prostitutiver Einrichtungen, die - anders als das streitgegenständliche Vorhaben - einer typisierenden Betrachtung zugänglich sind. Abschließende rechtssatzmäßige Ausführungen zu den bei einer Einzelfallprüfung anzulegenden Maßstäben enthält es nicht.
Rz. 7
2. Die denselben Fragenkreis betreffende Grundsatzrüge führt ebenso wenig zur Zulassung der Revision.
Rz. 8
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die in dem angestrebten Revisionsverfahren beantwortet werden kann, sofern dies über den Einzelfall hinaus zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts beiträgt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91≫). Diese Voraussetzungen sind ausgehend vom Beschwerdevorbringen nicht gegeben.
Rz. 9
Die Beschwerde wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage auf,
ob bei der bauplanungsrechtlichen Beurteilung der Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 Abs. 1 BauNVO über die baurechtliche Intensität der Auswirkungen auf die nähere Umgebung hinaus auch die persönliche Lebenssphäre der Bewohner eines Mehrfamilienhauses nachteilig berührende äußere Einwirkungen zu berücksichtigen sind?,
und wendet sie im weiteren Verlauf erläuternd wie folgt:
ob sich die baurechtliche Beurteilungsmaxime in Bezug auf Mischgebiete durch die Berücksichtigung von persönlichen Lebenssphären dergestalt verschiebt, dass es nicht mehr auf den Gebietscharakter, sondern subjektive Lebenseinstellungen der Bewohner ankommt?
Rz. 10
Diese Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Sie sind, soweit sie auf ihren entscheidungserheblichen Gehalt zurückgeführt werden und einer fallübergreifenden Beantwortung zugänglich sind, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.
Rz. 11
Der Gebietscharakter des Mischgebiets nach § 6 BauNVO wird gekennzeichnet durch ein gleichwertiges und gleichgewichtiges Nebeneinander von Wohnnutzung und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören, und deren wechselseitige Verträglichkeit (BVerwG, Urteile vom 4. Mai 1988 - 4 C 34.86 - BVerwGE 79, 309 ≪311 f.≫ und vom 18. Oktober 2017 - 4 C 5.16 - BVerwGE 160, 104 Rn. 22). Der zulässige Störgrad im Mischgebiet wird maßgeblich durch den allgemeinen Gebietscharakter bestimmt. Das Nebeneinander zweier Nutzungsarten setzt wechselseitige Rücksicht der einen Nutzung auf die andere und deren Bedürfnisse voraus (BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1988 - 4 C 34.86 - BVerwGE 79, 309 ≪311≫). Die von gebietstypischen Gewerbebetrieben ausgehenden Störungen sind in der Regel hinzunehmen. Eine Wohnruhe wie im allgemeinen oder gar im reinen Wohngebiet kann nicht erwartet werden. Das im Mischgebiet zumutbare Maß an Störungen wird durch eine eingeschränkt typisierende Betrachtungsweise festgelegt. Bei prostitutiven Einrichtungen knüpft die Typisierung an die beeinträchtigenden Auswirkungen der Betriebe an, die dem städtebaulich zu verstehenden Begriff der "milieubedingten" Unruhe zuzuordnen sind. Solche Störungen setzen voraus, dass der Betrieb nach außen - in welcher Form auch immer - in Erscheinung tritt und/oder in den Nachtstunden betrieben wird (BVerwG, Urteil vom 9. November 2021 - 4 C 5.20 - BVerwGE 174, 118 Rn. 13 ff.). Scheidet hiernach eine typisierende Betrachtungsweise aus, bedarf es einer Einzelfallprüfung, ob von einer wesentlichen Störung der Wohnnutzung auszugehen ist. Diese Würdigung zielt nicht etwa, wie in der Fragestellung nahegelegt, auf eine - verglichen mit den bei der Typisierung maßgeblichen Umständen - gänzlich andere Kategorie negativer Auswirkungen auf die Wohnnutzung. Denn die Zulässigkeit von Nutzungen in den einzelnen Baugebieten hängt nicht nur von der Immissionsträchtigkeit oder Immissionsverträglichkeit ab, sondern wird auch von anderen Maßstäben der städtebaulichen Ordnung bestimmt (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. November 1983 - 4 C 64.79 - BVerwGE 68, 207 ≪210 f.≫ und vom 24. Februar 2000 - 4 C 23.98 - Buchholz 406.12 § 9 BauNVO Nr. 7 S. 3). Auch bei der Einzelfallprüfung sind allerdings nur äußere Einwirkungen auf die Wohnnutzung von Bedeutung. Die besondere Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Wohnung folgt daraus, dass sie die "persönliche Lebenssphäre" der Bewohner in ihrem räumlich-gegenständlichen Bereich - mit der auf Dauer angelegten Häuslichkeit sowie der Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2017 - 4 C 5.16 - BVerwGE 160, 104 Rn. 17) - bildet. Die Beachtlichkeit "subjektiver Lebenseinstellungen" in dem Sinne, dass etwa moralische Wertungen als solche zum Maßstab der baurechtlichen Beurteilung werden, ist damit nicht verbunden. Schließlich kann gegen die bauplanungsrechtliche Bewertung der mit der Nutzung einer sogenannten Terminwohnung für die Bewohner der anderen Wohnungen im gleichen Haus einhergehenden Beeinträchtigungen ihrer Wohnsituation nicht eingewandt werden, dass das allgemeine Bauplanungsrecht keinen "Milieuschutz" gewährleisten kann und soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. August 1996 - 4 C 13.94 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 136 S. 43). Denn dies bezieht sich insbesondere auf die Abwehr einer Wohnnutzung wegen der Zusammensetzung der Bewohner und der daraus folgenden Wohnimmissionen, nicht jedoch auf das konkrete Störpotenzial eines Gewerbebetriebs.
Rz. 12
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen