Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 21.06.2006; Aktenzeichen 7 KS 61/03) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Ein Verfahrensmangel, der zur Zulassung der Revision führen könnte, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.
1. Die Beschwerde rügt, die Vorinstanz habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, dem Vortrag des Klägers durch eine weitere Sachaufklärung nachzugehen, dass sein Reiterhof durch das planfestgestellte Straßenbauvorhaben derart schwer und unerträglich betroffen sein werde, dass von einer Existenzgefährdung auszugehen sei, weil ihm eine Fortführung des Betriebes unmöglich sein werde. Die Vorinstanz habe seine zahlreichen Beweisanregungen zu diesem Vortrag ignoriert, ohne in seinem Urteil hierfür eine nähere Begründung zu geben. Auch ohne förmlichen Beweisantrag habe es sich der Vorinstanz angesichts des sehr detaillierten Klagevortrags aufdrängen müssen, entsprechend den Beweisanregungen durch Augenscheineinnahme, Zeugenvernehmungen und Einholung von Sachverständigengutachten Beweis zu erheben. Diesem Beschwerdevorbringen ist ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO nicht zu entnehmen.
Die Aufklärungsrüge scheitert daran, dass von einer anwaltlich vertretenen Partei im Allgemeinen – so auch hier – erwartet werden kann, dass eine von ihr für notwendig erachtete Sachaufklärung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt wird. Wenn der Anwalt dies versäumt hat, kann sein Mandant eine mangelnde Sachaufklärung nicht mehr erfolgreich rügen (vgl. z.B. Urteil vom 27. Juli 1983 – BVerwG 9 C 541.82 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 146). Ausweislich der Sitzungsniederschrift haben die klägerischen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2006 keine Beweisanträge gestellt. Weitere Ermittlungen mussten sich dem Oberverwaltungsgericht auch nicht aus sonstigen Gründen aufdrängen.
Es trifft nicht zu, dass die Vorinstanz ohne nähere Begründung von einer weiteren Sachaufklärung abgesehen hat. Dem Kläger wird vielmehr in den Entscheidungsgründen (S. 9 f.) entgegengehalten, der Planfeststellungsbeschluss habe sich mit der Frage der Existenzgefährdung auseinandergesetzt und habe ausgeführt, diese sei infolge der – zugunsten des klägerischen Betriebes vorgenommenen – Planänderung (u.a. Verlegung der Anschlussstelle Groß Ostiem in westlicher Richtung hinter den See), aber auch mit Blick auf die im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens vorgesehene Ersatzlandbeschaffung nicht mehr zu erwarten. Damit sei dem Gebot Rechnung getragen worden, die Frage der Ersatzlandbeschaffung im Rahmen der planerischen Abwägung ausnahmsweise aus entschädigungsrechtlicher Sicht zu bescheiden, wenn ein Betrieb durch die Planung in seiner Existenz gefährdet oder vernichtet werde und Ersatzland zur Verfügung stehe, um dies zu vermeiden. Aus diesem Grunde bestünden zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Prognose des Planfeststellungsbeschlusses sich als unzutreffend erweisen könnte und der Kläger nicht in der Lage sein werde, seinen Betrieb zur Vermeidung einer Existenzgefährdung entsprechend umzugestalten. Dies ist der rechtliche und tatsächliche Hintergrund, wenn die Vorinstanz zusätzlich anführt (UA S. 9), die Verlärmung der Nutzflächen, die Gefährdung des Reitbetriebes durch den Straßenverkehr, die durch eine Straßenüberführung auf ein Minimum reduziert werde, und die optischen Beeinträchtigungen reichten weder für sich genommen noch in ihrer Summierung aus, Anhaltspunkte für eine Existenzgefährdung ersichtlich zu machen.
Die Beschwerde muss sich zunächst entgegenhalten lassen, dass sie mit ihrer Aufklärungsrüge nicht die materiellrechtliche Position in Frage stellen kann, die der Sachverhaltswürdigung der Vorinstanz zugrunde liegt. Die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, beurteilt sich nämlich nach dem materiellrechtlichen Standpunkt der Tatsacheninstanz, selbst wenn dieser Standpunkt Bedenken unterliegen sollte (vgl. z.B. Beschluss vom 23. Januar 1996 – BVerwG 11 B 150.95 – Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1 S. 1). Hier hat die Vorinstanz unter Berufung auf das von ihr zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Januar 1999 – BVerwG 4 A 18.98 – (Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 146 S. 6 f.) angenommen, dass sich der Kläger im Rahmen der Würdigung, ob der Eingriff sich noch unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle bewegen werde, eine hofnahe Ersatzlandbereitstellung (ca. 6,6 ha nördlich der Hofstelle) entgegenhalten lassen müsse, die durch das im Dezember 2000 eingeleitete Unternehmensflurbereinigungsverfahren “Schortens Umgehung” gewährleistet sein werde. Eine dennoch eintretende Gewinneinbuße, die zu einer verminderten Rentabilität des Reiterhofs führe, sei als zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) ohne Ausgleich hinzunehmen (UA S. 10). Abgesehen davon würden die wirtschaftlichen Nachteile durch die dem Kläger dem Grunde nach zuerkannte Entschädigung für die Zerschneidung seiner Betriebsflächen und für Umwege gemildert (UA S. 8).
Von diesem Rechtsstandpunkt ausgehend konnte die Vorinstanz das Gesamtergebnis des Verfahrens dahingehend würdigen, dass sich hier die genannte Zumutbarkeitsschwelle auch ohne eine weitere Sachaufklärung bestimmen ließ. Die betrieblichen Verhältnisse des Reiterhofes hatte der Kläger in seinem Schriftsatz vom 14. Juni 2006 (Bl. 35 ff. d.A.) ebenso anschaulich dargelegt wie die aus dem Straßenbauvorhaben insoweit erwachsenden Nachteile, ohne dass der Beklagte diesem Vortrag substantiiert widersprochen hätte. Insbesondere die Zerschneidung des zusammenhängenden Wegenetzes, das bisher für den Reit- und Fahrbetrieb genutzt werden konnte, sowie die Beeinträchtigung der ländlichen Idylle, die diesen Reiterhof besonders attraktiv macht, waren unstreitig. Aufgrund des Inhalts der Verwaltungsvorgänge stand außerdem fest, dass diese Nachteile durch eine Umstrukturierung des Wegenetzes – etwa die vom Amt für Agrarordnung im Erörterungstermin am 6. August 2002 vorgeschlagene Anlegung einer neuen Reitstrecke rund um den Teich – zwar teilweise, nicht aber vollständig auszugleichen sein würden. Nicht zuletzt deswegen, weil das sachkundige Amt für Agrarordnung Oldenburg in diesem Erörterungstermin dennoch die Frage bejaht hatte, ob im Rahmen der Flurbereinigung die Voraussetzungen geschaffen werden können, um den klägerischen Betrieb erfolgversprechend umzustrukturieren, musste sich zu dieser Frage der Vorinstanz auch nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens aufdrängen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat das Tatsachengericht grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob es sich selbst die für die Aufklärung und Würdigung des Sachverhalts erforderliche Sachkunde zutraut. Dieses Ermessen überschreitet das Gericht erst dann, wenn es sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde zuschreibt und sich nicht mehr in den Lebens- und Erkenntnisbereichen bewegt, die den ihm angehörenden Richtern allgemein zugänglich sind (vgl. Urteile vom 10. November 1983 – BVerwG 3 C 56.82 – BVerwGE 68, 177 ≪182 f.≫ und vom 6. November 1986 – BVerwG 3 C 27.85 – BVerwGE 75, 119 ≪126 f.≫). Die Beschwerde legt nicht dar, dass sich die Vorinstanz bei ihrer Sachverhaltswürdigung außerhalb der ihr zur Verfügung stehenden Sachkunde bewegt hat. Die Vorinstanz hat sich bei ihrer Einschätzung, dass dem Reiterhof des Klägers eine Existenzgefährdung nicht droht, nämlich nicht auf eine eigene Sachkunde in land- und betriebswirtschaftlichen Fragen gestützt, die ihr möglicherweise abzusprechen wäre. Vielmehr hat die Vorinstanz sich letztlich darauf verlassen, das für die anstehende Flurbereinigung zuständige Amt für Agrarordnung werde im Rahmen einer Bodenneuordnung die Flächen des Reiterhofs durch eine hofnahe Landabfindung so arrondieren können, dass die wirtschaftlichen Nachteile, die das Straßenbauvorhaben für diesen Betrieb mit sich bringt, nicht schwer und unerträglich sein werden.
Was speziell die Streitfrage angeht, ob der Reitbetrieb durch eine Straßenüberführung am Theilenweg gewährleistet werden kann, mussten sich der Vorinstanz weitere Ermittlungen nach Lage der Dinge nicht aufdrängen, nachdem der Kläger mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 8. Juni 2001 diese Vorkehrung selbst als Problemlösung vorgeschlagen hatte. Es überzeugt nicht, wenn die Beschwerde – ohne diesen Vorschlag zu erwähnen – nunmehr geltend macht, die Vorinstanz habe nicht ohne weitere Ermittlung davon ausgehen dürfen, dass die Brücke einen zumutbaren Ersatz für die zerschnittenen Wegeverbindungen schaffen werde.
2. Ohne Erfolg macht die Beschwerde schließlich geltend, die Prozessbevollmächtigten des Klägers seien an der Stellung förmlicher Beweisanträge durch irreführende Hinweise gehindert gewesen, die in der mündlichen Verhandlung seitens der Vorinstanz gegeben worden seien; das Urteil stelle insofern eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Die Vorinstanz habe nämlich die Auffassung vertreten, dass allein die Vorschrift des § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG als mögliche Anspruchsgrundlage in Betracht komme und diese wiederum einen Anspruch nur eröffne, wenn die drohenden Nachteile nicht durch Schutzvorkehrungen verhindert werden könnten.
Ein sog. Überraschungsurteil liegt dann vor, wenn das Urteil auf neue tatsächliche und/oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt worden ist, ohne dass die Verfahrensbeteiligten damit rechnen konnten (vgl. z.B. Beschluss vom 8. August 1994 – BVerwG 6 B 87.93 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 335). Unter diesem Gesichtspunkt kann hier von einem Verstoß gegen die dem Gericht nach § 86 Abs. 3 und § 104 Abs. 1 VwGO obliegende Hinweispflicht nicht ausgegangen werden, weil die Beklagte in ihrer Klageerwiderung vom 27. Juni 2003 (S. 6) die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 22. Mai 1987 – BVerwG 4 C 17-19.84 – BVerwGE 77, 295 ≪296 ff.≫) zitiert hat, wonach wegen der faktischen Eingriffsintensität dem betroffenen Eigentümer aus rechtsstaatlichen Gründen ein dem öffentlichen Recht zuzuordnender Übernahme- oder Entschädigungsanspruch zustehen kann. Das Gericht ist nicht verpflichtet, in dem Rechtsgespräch, das in der mündlichen Verhandlung mit einer anwaltlich vertretenen Partei geführt wird, auf jeden rechtlichen Gesichtspunkt besonders hinzuweisen, auf den es für die Entscheidung ankommen kann, wenn dieser Gesichtspunkt bereits früher im Verwaltungs- oder im Gerichtsverfahren erörtert wurde oder sonst auf der Hand liegt (vgl. Urteil vom 11. November 1970 – BVerwG 6 C 49.68 – BVerwGE 36, 264 ≪267≫).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 72 Nr. 1 Halbs. 2 GKG n.F.
Unterschriften
Dr. Storost, Vallendar, Prof. Dr. Rubel
Fundstellen