Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 22.02.2018; Aktenzeichen 9 K 169.17) |
Gründe
Rz. 1
Der Kläger, der 1984 einen Ausreiseantrag gestellt und die DDR am 21. März 1986 mit seiner Ehefrau und seinem Sohn verlassen hatte, begehrt eine berufliche Rehabilitierung in größerem als dem bereits anerkannten zeitlichen Umfang. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 2. Juni 1998 stellte der Beklagte unter anderem fest, die Verfolgungszeit dauere vom 1. August 1984 - dem Tag des Wirksamwerdens der Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers - bis zur Ausreise am 21. März 1986. Im Mai 2015 beantragte der Kläger, einen früheren Verfolgungsbeginn anzuerkennen, weil er 1982 oder - nach späteren Angaben - am 26. März 1981 einen ersten Ausreiseantrag gestellt habe und daraufhin beruflichen Nachteilen ausgesetzt gewesen sei. Dieser Antrag wurde bestandskräftig abgelehnt. Im März 2016 beantragte der Kläger erneut, eine Verfolgungszeit ab dem 26. März 1981, und zwar nun bis zum 2. Oktober 1990, anzuerkennen. Nach erfolglosem Widerspruch gegen die Ablehnung auch dieses Antrages hat er Klage erhoben und geltend gemacht, das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) habe ihn und seine Familie bereits vor dem 26. März 1981 überwacht. Außerdem sei ihm versagt worden, sich als Elektromeister selbständig zu machen. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren nach teilweiser Klagerücknahme - hinsichtlich des Zeitraums nach dem 21. März 1986 - insoweit eingestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Revision gegen sein Urteil hat es nicht zugelassen.
Rz. 2
Die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers, die sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft und Verfahrensfehler gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rügt, hat keinen Erfolg.
Rz. 3
1. Die Beschwerdebegründung legt keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar. Dazu hätte sie eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwerfen müssen, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme. Das ist nicht geschehen.
Rz. 4
Die sinngemäß aufgeworfene Frage,
ob auch ein vom Ministerium für Staatssicherheit abgefangener Brief mit von den DDR-Sicherheitsbehörden als negativ angesehenen Äußerungen eine politische Verfolgung verursacht haben kann,
würde sich im Revisionsverfahren nicht stellen, weil das angegriffene Urteil nicht auf Überlegungen zur möglichen Ursächlichkeit eines solchen Briefs für eine politische Verfolgung beruht. Das Verwaltungsgericht hat nicht ausgeschlossen, dass ein Brief dieser Art Verfolgungsmaßnahmen auslösen konnte. Es hat lediglich den auf einer Karteikarte des MfS erwähnten Brief der Ehefrau des Klägers vom 26. März 1981 mit - aus der Sicht des MfS - negativen Äußerungen über Verdienst, Preise und Warenangebot in der DDR nicht als ursächlich für eine rehabilitierungsrechtlich relevante Verfolgung des Klägers im verfahrensgegenständlichen Zeitraum gewertet. Vielmehr hat es aufgrund der Beweislage schon nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger in der Zeit vom 26. März 1981 bis zum 31. Juli 1984 überhaupt einem rehabilitierungsfähigen Eingriff in seinen Beruf ausgesetzt war. Es hat das entsprechende Klägervorbringen auch nicht für glaubhaft gehalten. Die Frage der Ursächlichkeit für einen etwaigen Eingriff stellte sich ihm deshalb nicht mehr. Hat die Vorinstanz eine Tatsache, aus der sich die Erheblichkeit der aufgeworfenen Frage ergäbe, nicht festgestellt, scheidet eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2006 - 6 B 27.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Nr. 35 S. 2).
Rz. 5
2. Das angegriffene Urteil leidet auch nicht an den geltend gemachten Verfahrensmängeln.
Rz. 6
a) Ein als Verfahrensfehler einzuordnender Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.
Rz. 7
Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe gesetzliche Beweisregeln missachtet, ist nicht begründet. Die Vorinstanz hat weder in Abrede gestellt noch übersehen, dass § 25 Abs. 2 BerRehaG eine Glaubhaftmachung von Angaben unter anderem zur Verfolgteneigenschaft oder zur Verfolgungszeit genügen lässt, wenn Beweismittel dafür nicht vorliegen, nicht beschafft werden können oder unverschuldet verloren gegangen sind. Das angegriffene Urteil geht zutreffend davon aus, dass in Fällen der Beweisnot die glaubhafte Darlegung der Verfolgung genügt (vgl. UA S. 5 und 8). Es hat einen Verfolgungsbeginn am 26. März 1981 nicht für belegbar gehalten, weil die vorgelegten Beweismittel nach seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung keine zureichenden Indizien für einen bereits damals gestellten Ausreiseantrag oder für berufsbezogene Repressionen aus politischen Gründen seit diesem Zeitpunkt darstellten. Angesichts fehlender Beweismittel hat es anschließend geprüft, ob sich ein Verfolgungsbeginn am 26. März 1981 auf glaubhafte Angaben des Klägers stützen lässt. Dies hat es wegen widersprüchlichen Vorbringens verneint und dabei auf Widersprüche sowohl zu den vorgelegten Beweismitteln als auch zum Vorbringen im Ausgangsverfahren abgestellt.
Rz. 8
Der Vorwurf, diese Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BerRehaG verkehre die Beweislast, ist nicht berechtigt. Er ordnet die Beweiserleichterung durch Herabsetzung des Beweismaßes (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2015 - 3 B 39.14 - Buchholz 428.8 § 25 BerRehaG Nr. 1) unzutreffend als Beweislastregel ein. Zudem übersieht er, dass die Beweislastverteilung dem materiellen Recht angehört und deshalb nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge sein kann.
Rz. 9
Auch sonstige (vermeintliche) Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern ebenfalls dem sachlichen Recht zuzuordnen. Sie können daher grundsätzlich keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen. Eine Ausnahme kommt nur bei Mängeln in Betracht, die allein die Tatsachenfeststellung und nicht auch die Subsumtion unter die materiell-rechtliche Norm betreffen. Zu diesen Mängeln gehören aktenwidrige Feststellungen oder denkfehlerhafte Schlussfolgerungen von Indizien auf Haupttatsachen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. März 2008 - 7 B 13.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 S. 17 und vom 29. Juli 2010 - 8 B 106.09 - insoweit in Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 77 nicht abgedruckt - juris Rn. 31). Solche Mängel sind nicht schon mit dem Vortrag dargetan, die vom Verwaltungsgericht gezogenen Schlussfolgerungen seien sachwidrig, unrichtig oder fernliegend. Vielmehr müssen denklogisch schlechthin unmögliche, von Willkür geprägte Schlussfolgerungen aufgezeigt werden (BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2003 - 8 B 154.03 - NVwZ 2004, 627). Daran fehlt es hier. Die Beschwerdebegründung kritisiert lediglich die verwaltungsgerichtliche Einschätzung der Beweiskraft verschiedener, nach der Auffassung der Vorinstanz unergiebiger oder sogar gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers sprechender Indizien und stellt der vorinstanzlichen Beweiswürdigung die eigene, abweichende Würdigung entgegen. Dies gilt auch für die Einwände gegen die verwaltungsgerichtliche Würdigung von Abweichungen des Klagevorbringens vom Vortrag im Ausgangsverfahren und vom Inhalt der vorgelegten Unterlagen.
Rz. 10
b) Eine Verletzung der Pflicht zur gerichtlichen Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist nicht substantiiert dargetan. Dazu hätte nicht nur eine aufklärungsbedürftige tatsächliche Frage benannt, sondern darüber hinaus dargelegt werden müssen, welche Ermittlungen sich dem Verwaltungsgericht nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung auch ohne förmlichen Beweisantrag des bereits in erster Instanz anwaltlich vertretenen Klägers hätten aufdrängen müssen, welche Beweismittel in Betracht gekommen wären, welches Ergebnis eine entsprechende Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und inwieweit dies zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Februar 1998 - 3 C 55.96 - BVerwGE 106, 177 ≪182≫ und vom 20. April 2004 -1 C 13.03 - BVerwGE 120, 298 ≪303≫). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Sie verlangt nur eine Klärung der Frage, ob schon das Bekanntwerden des Inhalts des Briefes vom 26. März 1981 die behaupteten Repressionsmaßnahmen hätte auslösen können.
Rz. 11
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13579253 |