Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 20.11.2013; Aktenzeichen 9 K 346.12) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. November 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Berlin für das erstinstanzliche Verfahren und das Beschwerdeverfahren auf 1 352,87 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Beschlusses, mit dem der Beschwerdeausschuss beim Landesausgleichsamt Berlin ihre Beschwerde gegen lastenausgleichsrechtliche Bescheide aus den Jahren 1975 und 1976 zurückgewiesen hat, hilfsweise die Feststellung der Unwirksamkeit dieser Bescheide.
Rz. 2
Zugunsten der Großeltern der Klägerin war mit Bescheiden vom 24. Juli und 8. Oktober 1975 ein Wegnahmeschaden an einem Grundstück in Ost-Berlin festgestellt worden. Hauptentschädigung wurde ihnen mit zwei Bescheiden vom 27. Januar 1976 antragsgemäß zuerkannt und auf mitgeteilte Konten überwiesen. Die Feststellungsbescheide wurden mit Einschreiben übersandt, die Zuerkennungsbescheide mit einfachem Brief zur Post gegeben. Im Mai 2012 teilte das Lastenausgleichsamt der Klägerin seine Absicht mit, die Hauptentschädigung von ihr als Erbin ihrer Großeltern wegen Schadensausgleichs nach § 349 LAG zurückzufordern. Daraufhin legte die Klägerin gegen die Bescheide von 1975 und 1976 Beschwerde ein, weil die Bescheide nicht ordnungsgemäß zugestellt worden seien. Die Beschwerde wurde schließlich – nach Aufhebung einer ersten Bescheidung durch das Landesausgleichsamt und Abgabe des Verfahrens an den Beschwerdeausschuss – mit Bescheid des Beschwerdeausschusses bei der Senatsverwaltung für Finanzen – Landesausgleichsamt – vom 27. September 2012 als unzulässig zurückgewiesen. Die Klägerin sei nicht Adressatin der Bescheide, die Verfahren seien unanfechtbar abgeschlossen und darüber hinaus seien sachliche Unrichtigkeiten der Bescheide nicht zu erkennen.
Rz. 3
Die hierauf erhobene Klage mit den Anträgen, den Beschluss des Beschwerdeausschusses aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass die Bescheide „nichtig” seien, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Anfechtungsklage gegen den Beschwerdebeschluss sei zulässig, aber unbegründet. Entscheidungserhebliche formelle Fehler weise der Beschluss nicht auf. Auch sei die Beschwerde zu Recht als unzulässig zurückgewiesen worden. Die angegriffenen Feststellungs- und Zuerkennungsbescheide seien im Wesentlichen begünstigend und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Soweit die Zuerkennungsbescheide eine Belastung der Großeltern der Klägerin enthielten, fehle der Klägerin die Verfahrensführungsbefugnis; als Miterbin könne sie Beschwerde nicht für die Erbengemeinschaft einlegen. Wegen der Möglichkeit, sich direkt gegen den Rückforderungs- und Leistungsbescheid zu wenden, fehle ferner das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis. Darüber hinaus sei die Beschwerde unzulässig, weil die Bescheide unanfechtbar seien. Sie seien den gesetzlichen Vorgaben entsprechend versandt worden, ihr Zugang bei den Empfängern werde gesetzlich vermutet. Diese Vermutung, die durch die Umstände gestützt werde, habe die Klägerin nicht substanziiert bestritten. Der Hilfsantrag sei unzulässig, weil für die Feststellung der Nichtigkeit der im Wesentlichen begünstigenden Bescheide kein Feststellungsinteresse nach § 43 Abs. 1 VwGO bestehe. Soweit sie sich in der Sache gegen die Rückforderung von Lastenausgleich wende, könne sie sich unmittelbar gegen den Rückforderungs- und Leistungsbescheid wenden, wie sie es mit Klage vom 14. November 2012 (Verwaltungsgericht Berlin, Az. VG 9 K 354.12) auch getan habe.
Rz. 4
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Keiner der geltenden gemachten Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegt vor.
Rz. 5
1. Zum Beschwerdevorbringen ist übergreifend anzumerken, dass die Klägerin im Wesentlichen die Unrichtigkeit der Rechtsauffassungen des angefochtenen Urteils rügt. Das gilt vor allem für die Vielzahl vermeintlicher Abweichungen von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, die nicht hinreichend dargelegt worden sind. Zu einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Darlegung einer Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist es erforderlich, einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz aus einer Entscheidung eines Divergenzgerichts zu bezeichnen und ihm einen rechtlichen Obersatz aus der angefochtenen Entscheidung gegenüberzustellen, der davon abweicht und das angefochtene Urteil trägt. Ganz überwiegend stellt die Beschwerde jedoch keine abstrakten Obersätze einander gegenüber, sondern macht geltend, das Verwaltungsgericht habe Grundsätze aus der zitierten Rechtsprechung falsch angewendet. Aus solchen Subsumtionsfehlern, auch wenn sie vorlägen, folgt indes grundsätzlich weder eine Abweichung noch ein anderer Zulassungsgrund.
Rz. 6
2. Soweit das Verwaltungsgericht die hauptsächlich verfolgte Anfechtungsklage gegen den Beschluss des Beschwerdeausschusses abgewiesen hat, liegt unabhängig hiervon ein Grund für die Zulassung der Revision nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat sein Urteil insoweit auf mehrere, je eigenständig tragende Begründungen gestützt. Bei einer Mehrfachbegründung kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 3 B 24.13 – ZOV 2014, 56 = juris Rn. 3 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Gegen die Erwägung, der Beschwerde gegen die ihren Großeltern gegenüber ergangenen Bescheide fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Klägerin die Möglichkeit habe, gegen den Rückforderungs- und Leistungsbescheid vorzugehen, hat die Klägerin nichts Durchgreifendes vorgebracht. Sie kritisiert im Wesentlichen, das Verwaltungsgericht übersehe, dass in dem Anfechtungsklageverfahren gegen die Rückforderung die Unwirksamkeit der gewährenden Lastenausgleichsbescheide von 1975 und 1976 nicht im Tenor festgestellt werden könne. Damit ist wiederum nur die sachliche Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils geltend gemacht. Ein Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO kann sich daraus schon deshalb nicht ergeben, weil der Vorwurf an dem rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts vorbeigeht.
Rz. 7
Die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses ist in der Sache darauf gestützt, dass eine Aufhebung des Beschwerdebeschlusses im Verhältnis zu dem eigentlichen (weitergehenden) Rechtsschutzziel nutzlos sei. Das ist offensichtlich richtig. Die Klägerin will letztlich die Rückforderung der ihren Großeltern zuerkannten Hauptentschädigung abwehren. Diesem Ziel konnte sie sich mit der Beschwerde gegen die seinerzeitigen Bescheide jedenfalls nicht mehr effektiv nähern, nachdem die Rückforderungsbescheide vom 11. Oktober 2012 ergangen waren. Insofern ist ihr Beschwerdebegehren, das sie mit der Anfechtung des Beschwerdebescheides gleichsam „offenhalten” will, durch das Klageverfahren gegen die Rückforderung der Hauptentschädigung (Verwaltungsgericht Berlin, Az. VG 9 K 354.12) bereits „überholt” worden. Im Rückforderungsstreit ist das Hauptargument der Klägerin, die Lastenausgleich gewährenden Bescheide seien unwirksam, sodass keine Ausgleichsleistung im Sinne des § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG „gewährt” worden sei, als Vorfrage des Aufhebungsanspruchs gegen die Rückforderung aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu prüfen.
Rz. 8
Abgesehen davon könnte die Entscheidung des Beschwerdeausschusses auf der festgestellten Tatsachengrundlage rechtsfehlerfrei wiederum nur auf Unzulässigkeit der Beschwerde lauten: Sollte sich die Klägerin mit ihrer Ansicht durchsetzen, die Bescheide seien nicht bekanntgemacht und unwirksam, so fehlte es an einem Gegenstand, gegen den Beschwerde eingelegt werden kann (vgl. § 336 Abs. 1 LAG). Sollte hingegen von einer wirksamen Bekanntgabe auszugehen sein, wären die Beschwerdefrist abgelaufen und die Bescheide unanfechtbar. Ungeachtet dessen wäre es der Klägerin hier nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der Bescheide zu berufen. Die Hauptentschädigung ist den Großeltern der Klägerin unstreitig antragsgemäß ausgezahlt und von ihnen verwendet worden. Damit war für sie unzweifelhaft klar, dass der Auszahlung gewährende Bescheide zugrunde liegen mussten (§ 335 Abs. 1 LAG). Es wäre widersprüchlich und unbeachtlich, im Rückforderungsverfahren das Fehlen von Bescheiden einzuwenden, die der Empfänger der Ausgleichsleistungen bei der Auszahlung für entbehrlich gehalten hat.
Rz. 9
Darüber hinaus hat die Klägerin mit der Frage,
„ob die gesetzliche Fiktion der Bekanntgabe am dritten Tage nach Aufgabe zur Post auch dann gilt, wenn der Bekanntgabeadressat den Zugang einfach bestreitet”,
eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Sie geht darüber hinweg, dass das Verwaltungsgericht darauf abstellt, ein einfaches Bestreiten reiche jedenfalls dann nicht aus, wenn weitere Umstände vorliegen, die dafür sprächen, dass der Adressat den Bescheid erhalten habe. Es hat das Vorliegen derartiger Umstände näher ausgeführt und sich zugleich auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg sowie des Bundesfinanzhofs gestützt. Damit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander und formuliert entsprechend keine Frage, die in dieser Allgemeinheit in einem Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre.
Rz. 10
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem gegen die im Jahr 1976 erlassenen Bescheide gerichteten Einwand, es fehle ein ordnungsgemäßer Absendevermerk. Die hierzu geltend gemachte Divergenz wäre in einem Revisionsverfahren nicht weiter bedeutsam. Das Verwaltungsgericht und die Klägerin übersehen, dass die ursprüngliche Regelung des § 17 Abs. 4 VwZG 1952 mit Wirkung vom 26. Mai 1972 geändert wurde (BGBl. I S. 789) und sich bis zu ihrer Aufhebung damit begnügte, dass die Aufgabe zur Post in den Akten vermerkt ist. Das aber ist unstreitig der Fall.
Rz. 11
3. Aus gleichsinnigen Erwägungen bleibt die Beschwerde gegen die hilfsweise beantragte gerichtliche Feststellung der Nichtigkeit der Bescheide erfolglos. Diese Feststellungsklage nach § 43 VwGO ist unzulässig. Damit erweisen sich alle sonstigen von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen, vermeintlichen Divergenzen und Verfahrensmängel als nicht entscheidungserheblich.
Rz. 12
Die Feststellungsklage ist zum einen nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO subsidiär gegenüber der Anfechtung des Rückforderungsbescheides (Verwaltungsgericht Berlin, Az. VG 9 K 354.12). Die Klägerin kann ihre Rechte dort effektiver verfolgen als durch die begehrte Feststellung. Für die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit gilt nichts anderes als für die Feststellung durch den Beschwerdeausschuss. Mit einer gerichtlichen Feststellung wäre günstigstenfalls eine Vorfrage des Streites um die Rückforderung beantwortet. Es ist daher unerheblich, wenn die Klägerin bemängelt, dass eine prinzipale, also austenorierte Feststellung der Nichtigkeit der Bescheide im Anfechtungsrechtsstreit nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht statthaft ist. Dadurch ist die effektive Verfolgung des eigentlichen Rechtsschutzziels der Klägerin nicht eingeschränkt.
Rz. 13
Die Subsidiarität ist auch nicht gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 VwGO aufgehoben. Der Sache nach begehrt die Klägerin nicht, wie es im Hilfsantrag heißt, die Feststellung der „Nichtigkeit” von Verwaltungsakten. Ihr Einwand, die Bescheide von 1975 und 1976 seien nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben, stützt sich nicht auf Nichtigkeitsgründe im Sinne des § 44 VwVfG, sondern zielt darauf ab, es handele sich um rechtlich nicht wirksam gewordene Verwaltungsakte (Nichtakte) im Sinne des § 43 Abs. 1 VwVfG. Mit einem solchen Begehren wird keine Nichtigkeitsklage (zweite Variante des § 43 Abs. 1 VwGO) erhoben, sondern das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses behauptet (erste Variante des § 43 Abs. 1 VwGO). Diese Klage ist aus Gründen effektiven Rechtsschutzes mit dem Inhalt statthaft, der Verwaltungsakt sei nicht wirksam (geworden) und die mit ihm beabsichtigte Regelung deshalb nicht erreicht worden (BVerwG, Urteil vom 21. November 1986 – 8 C 127.84 – Buchholz 401.4 § 27 GrStG Nr. 1). Diese Form der Feststellungsklage ist nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO aber nachrangig gegenüber der rechtsschutzintensiveren Anfechtungsklage.
Rz. 14
Der Klage fehlt zum anderen das berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung. Sie zielte auf Abwehr eines künftigen, nach Anhörung konkret absehbaren Rückforderungs- und Leistungsbescheides. Es handelt sich mithin um eine vorbeugende Feststellungsklage, für die ein spezielles, auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse erforderlich ist. Dieses ist gegeben, wenn der Betroffene nicht in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz gegen die befürchtete Beeinträchtigung verwiesen werden kann (BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 7 C 13.12 – LRE 67, 16 = juris Rn. 41 ff.). Hier war es der Klägerin aber ohne Weiteres zuzumuten, den Bescheid abzuwarten und ihre Einwände im Anfechtungsrechtsstreit geltend zu machen. Für vorgezogene Feststellungen zu Teilfragen des Rückforderungsanspruchs bestand keine Veranlassung, wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt.
Rz. 15
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
Rz. 16
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Die Befugnis zur Änderung der vorinstanzlichen Streitwertfestsetzungen ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Die Bedeutung der Sache geht nicht über den Betrag hinaus, der den Rückforderungs- und Leistungsbescheiden vom 11. Oktober 2012 entspricht (773,07 EUR + 579,80 EUR).
Unterschriften
Kley, Dr. Wysk, Rothfuß
Fundstellen