Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 28.11.1997; Aktenzeichen 24 A 2780/94) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. November 1997 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem angegriffenen Urteil hat keinen Erfolg; die mit der Beschwerde geltend gemachten Gründe rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu. Nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann die Revision nur dann zugelassen werden, wenn zu erwarten ist, daß die Entscheidung im künftigen Revisionsverfahren dazu dienen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫). Dazu ist erforderlich, daß die von der Beschwerde darzulegende Rechtsfrage klärungsfähig und klärungsbedürftig ist. An der Klärungsfähigkeit fehlt es, wenn die aufgeworfene Frage sich in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich stellen würde; klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage nicht, wenn sie bereits durch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist oder wenn sich die Antwort auf sie ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt. So liegt es hier.
Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob „die Vermutensregel des § 16 BSHG widerlegt (ist), wenn der Verwandte, mit dem der Hilfeempfänger in Haushaltsgemeinschaft lebt, definitiv erklärt, keinen Unterhalt leisten zu wollen, den tatsächlichen Unterhalt wegen der Weigerung des Sozialhilfeträgers quasi nur als ‚Nothelfer’ gem. § 121 BSHG erbringt”, ist in einem Revisionsverfahren weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig, weil sie sich in dieser Allgemeinheit in einem künftigen Revisionsverfahren nicht stellen würde und bei der Unterhaltspflicht der Mutter des Klägers, mit welcher dieser in Haushaltsgemeinschaft lebt, ohne weiteres zu verneinen wäre. Die Mutter des Klägers hat ihren volljährigen, geistig und körperlich schwer behinderten Sohn nach vorübergehender Heimunterbringung im September 1992 wieder in ihren Haushalt aufgenommen und versorgt ihn dort. Die Beschwerde stellt die vom Berufungsgericht unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil getroffene Feststellung, daß von der Mutter des Klägers nach Maßgabe des von ihr mit ca. 4 000 DM im Monat angegebenen Renteneinkommens erwartet werden könne, für den nicht schon aus dem Einkommen des Klägers gedeckten Teil seines notwendigen Lebensunterhalts aufzukommen (S. 12 des Urteils), nicht in Frage; sie wendet sich vielmehr gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Vermutung des § 16 Satz 1 BSHG könne nach den Umständen des vorliegenden Falles nicht als widerlegt angesehen werden, weil nicht glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt sei, daß die Leistungen von der Mutter allein deshalb erbracht worden seien, um das Eintreten eines „Notfalles” zu verhindern. Soweit die Beschwerde sich damit gegen das Ergebnis der tatrichterlichen Würdigung der Umstände des Einzelfalles wendet, fehlt ihr die grundsätzliche Bedeutung. Im übrigen geht auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats im Anwendungsbereich des § 16 Satz 1 BSHG die Vermutung dahin, daß die Leistungen gerade nicht nur anstelle der Sozialhilfebehörde erbracht worden sind, und reicht es für die Vermutungsfolge grundsätzlich aus, wenn die Vermutungsvoraussetzungen der Haushaltsgemeinschaft und der tatsächlichen Bedarfsdeckung erfüllt sind. Der Einwand, nur als Nothelfer eingesprungen zu sein, ist jedenfalls dann und so auch für die hier vorliegende Fallgestaltung unbeachtlich, wenn der mit dem Hilfesuchenden in Haushaltsgemeinschaft lebende Verwandte diesem unterhaltspflichtig ist. Der Gesichtspunkt der „Nothilfe” anstelle und für Rechnung des Sozialhilfeträgers ist nämlich dann nicht tragfähig, wenn den „Nothelfer” selbst eine Unterhaltspflicht trifft, welche gegenüber der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers vorrangig ist und vom Sozialhilfeträger auch gegen den Willen des Unterhaltspflichtigen durchgesetzt werden kann (§ 91 BSHG).
Auch die weiteren von der Beschwerde gegen dieses Ergebnis erhobenen Einwände rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Die Beschwerde macht geltend, eine solche Anwendung des § 16 BSHG verstoße gegen „allgemeine Grundsätze des Sozialhilferechts (hier: Führen eines Lebens, das der Würde des Menschen entspricht, § 1 Abs. 2 BSHG, Vorrang der offenen Hilfe gemäß § 3 a BSHG und die familiengerechte Hilfe, § 7 BSHG)”, weil sie letztlich zur Konsequenz habe, „daß sich Eltern nicht mehr bereitfinden werden, die … Pflege ihrer behinderten Kinder zu übernehmen, wenn Hilfe der hier eingeklagten Art nicht gewährt wird”, und somit zur Auflösung der familiären Haushaltsgemeinschaft führen könne; sie hält eine „teleologische Reduktion” des § 16 Satz 1 BSHG für verfassungsrechtlich geboten, wonach die Vermutungsregel des § 16 BSHG bei einem über 21 Jahre alten (geistig) Schwerbehinderten „im Lichte von § 91 Abs. 2 BSHG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip), Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) und Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgrundsatz) … nicht zur Anwendung” komme.
Die zugrundeliegende Auffassung der Beschwerde, nur die Haushaltsgemeinschaft mit der Mutter ermögliche dem Kläger die Führung eines menschenwürdigen Lebens, weshalb die Sozialhilfe dieser die Unterhaltsverpflichtung abnehmen müsse, stützt sich wesentlich auf die Erwägung, da unterhaltspflichtige Eltern wegen der generellen Härteregelung des § 91 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG bei Unterbringung in einem Heim nicht zu Unterhaltsbeiträgen herangezogen werden könnten, müßten sie auch bei einer häuslichen Pflege von Unterhaltsleistungen freigestellt werden, andernfalls die Belastung mit der Unterhaltspflicht sie zu einer Trennung von dem pflegebedürftigen Angehörigen und seiner Unterbringung in einem Heim veranlassen könne. Der Umstand, daß gemäß § 91 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG unterhaltspflichtige Eltern wegen unbilliger Härte in der Regel nicht zu Unterhaltsleistungen herangezogen werden können, soweit einem Behinderten, einem von einer Behinderung Bedrohten oder einem Pflegebedürftigen nach Vollendung des 21. Lebensjahres Eingliederungshilfe für Behinderte oder Hilfe zur Pflege gewährt wird, verpflichtet den Sozialhilfeträger jedoch nicht, die Eltern auch bei häuslicher Pflege von den aus der Unterhaltspflicht resultierenden Belastungen durch ersatzlose Übernahme der Hilfe zum Lebensunterhalt freizustellen. In diesen Fällen kann zwar im Einzelfall der Übergang des Unterhaltsanspruchs wegen der allgemeinen Härteregelung gemäß § 91 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BSHG ausgeschlossen sein (vgl. zur insoweit inhaltsgleichen Härteregelung in § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG a.F. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1991 – BVerwG 5 C 2.87 – ≪Buchholz 436.0 § 91 BSHG Nr. 18≫). Da die Freistellung von der Heranziehung Unterhaltspflichtiger von dem generellen Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 2 Satz 1 BSHG) Ausnahmecharakter hat, ist es jedoch nicht zulässig, den Tatbestand des § 91 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG umfassend auf Fälle der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt auszudehnen; es liegt vielmehr im Ermessen des Gesetzgebers, ob und gegebenenfalls inwieweit und in welcher Richtung (Inanspruchnahme oder Nichtinanspruchnahme) er eine Anpassung regelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1991, a.a.O. S. 14). Ein Verstoß gegen die Menschenwürde, den allgemeinen Gleichheitssatz oder das Sozialstaatsprinzip kann in der gesetzlichen Regelung jedoch nicht gesehen werden; die je nach Haus- oder Heimpflege unterschiedlichen Ergebnisse beruhen auf der Entscheidung des Gesetzgebers in § 27 Abs. 3 BSHG, den in der Einrichtung gewährten Lebensunterhalt der Hilfe in besonderen Lebenslagen zuzuordnen (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1991, a.a.O. S. 12).
Die von der Beschwerde behauptete Abweichung von dem Urteil des Senats vom 31. März 1977 – BVerwG V C 22.76 – (BVerwGE 52, 214 ff.) liegt nicht vor. Eine die Revision eröffnende Abweichung läge nur dann vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift bei einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz widersprochen hätte (vgl. BVerwG, Beschluß vom 26. Juni 1995 – BVerwG 8 B 44.95 – ≪Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 2≫; stRspr). Die Beschwerde wirft dem Berufungsgericht vor, bei Anwendung des § 16 BSHG von dem in der genannten Entscheidung aufgestellten Rechtssatz abgewichen zu sein, wonach der jeweilige Sozialhilfeträger sorgfältig zu prüfen habe, ob die Anwendung des § 16 Satz 1 BSHG mit allgemeinen Grundsätzen des Sozialhilferechts zu vereinbaren sei (BVerwGE 52, 214 ≪223≫). Es habe die Notwendigkeit der Beachtung dieser Grundsätze zwar „formelhaft zum Ausdruck gebracht”, sie aber in den weiteren Ausführungen in keiner Weise berücksichtigt. Damit wird von der Beschwerde eine fehlerhafte Anwendung des genannten Rechtssatzes, aber kein Widerspruch im Rechtssatz selbst dargelegt. Mit Angriffen auf die berufungsgerichtliche Rechtsanwendung im Einzelfall kann jedoch die Abweichungsrüge nicht begründet werden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 68.91 – ≪Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302≫ sowie vom 10. Juli 1995 – BVerwG 9 B 18.95 – ≪Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 264 S. 14≫, stRspr).
Schließlich liegt auch der von der Beschwerde weiter gerügte Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht vor. Zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist ein Gericht nur verpflichtet, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Hält nicht das Gericht, sondern – wie hier – ein Verfahrensbeteiligter eine Vorschrift für verfassungswidrig, reicht dies zur Begründung einer Vorlagepflicht nicht aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Franke
Fundstellen