Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhegehaltfähigkeit von in der DDR zurückgelegten Vordienstzeiten. unbegründete Nichtzulassungsbeschwerde. Grundsatzrügen. Berechnung des Ruhegehalts. Ruhegehaltssatz. Ruhegehaltsskala. bis zum 31. Dezember 1991 erreichter Versorungsstandard
Leitsatz (amtlich)
Der durch § 85 Abs. 12 BeamtVG angeordnete Ausschluss der Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten, die in der DDR zurückgelegt wurden, findet keine Anwendung, wenn der Beamte vor dem 22. März 2012 in den Ruhestand getreten ist.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; BeamtVG § 8 ff., §§ 12b, 85 Abs. 1, 12
Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 06.03.2014; Aktenzeichen 7 B 4.14) |
VG Berlin (Entscheidung vom 29.03.2012; Aktenzeichen 5 K 76.11) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. März 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 14 443 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Beklagten kann keinen Erfolg haben. Der geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
Der 1945 geborene Kläger wurde nach seiner Übersiedlung aus der damaligen DDR im Jahr 1977 zum Bundesbeamten auf Probe ernannt. Seit 1980 war er Beamter auf Lebenszeit; seit 1992 hatte er ein Amt der Besoldungsgruppe B 2 inne. Mit Wirkung vom 1. Mai 2010 trat er wegen Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand. Die Beklagte hat den Ruhegehaltssatz auf 66,33 v.H. festgesetzt. Dabei erkannte sie weder die Zeiten des Medizinstudiums und der Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Jena (1964 bis 1973) noch die Zeit als politischer Häftling (1973 bis 1976) als ruhegehaltfähige Vordienstzeiten an.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, über die Anerkennung dieser Zeiten erneut zu entscheiden und gegebenenfalls einen höheren Ruhegehaltssatz festzulegen. In dem Berufungsurteil heißt es, das Ruhegehalt des Klägers sei nach § 85 Abs. 1 BeamtVG festzusetzen. Danach richte sich die Ruhegehaltfähigkeit der bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegten Vordienstzeiten nach dem an diesem Tag geltenden Recht. Die damals geltenden allgemeinen Anrechnungsvorschriften seien auch für die in der DDR zurückgelegten Zeiten maßgebend. Danach seien die Studien- und Assistentenzeiten des Klägers dem Grunde nach ruhegehaltfähig; ihre Anerkennung stehe im Ermessen der Beklagten. Die Berücksichtigung der Haftzeit sei gesetzlich vorgegeben.
Die Regelung des § 12b Abs. 1 BeamtVG, die die Ruhegehaltfähigkeit von in der DDR zurückgelegten Zeiten ausschließe, sofern hierfür Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bestünden, sei im Fall des Klägers nicht anwendbar. Sie gehöre nicht zu dem am 31. Dezember 1991 geltenden Recht, weil sie erst am 1. Oktober 1994 in Kraft getreten sei. Der Gesetzgeber habe die Anwendung des § 12b BeamtVG für die Bemessung des Ruhegehalts nach § 85 Abs. 1 BeamtVG erst durch § 85 Abs. 12 BeamtVG angeordnet, der am 22. März 2012 in Kraft getreten sei. Diese Regelung gelte jedoch nicht rückwirkend für die Bemessung des Ruhegehalts der zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen Ruhestandsbeamten wie dem Kläger.
Die Beklagte hält die Frage rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, ob § 12b Abs. 1 BeamtVG die Ruhegehaltfähigkeit von in der DDR zurückgelegten Zeiten auch in denjenigen Fällen ausschließt, in denen das Ruhegehalt nach § 85 Abs. 1 BeamtVG zu bemessen ist.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, wenn der Beschwerdeführer eine Rechtsfrage aufwirft, die sowohl im konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist (stRspr; vgl. Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫). Ein solcher Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eindeutig beantwortet werden kann (stRspr; vgl. Beschluss vom 24. Januar 2011 – BVerwG 2 B 2.11 – NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4).
So liegt der Fall hier. Die von der Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage kann aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres beantwortet werden. Auf dieser Grundlage hat bereits das Oberverwaltungsgericht die in der Beschwerdebegründung wiederholten Argumente der Beklagten zutreffend abgehandelt.
Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass das Ruhegehalt des Klägers, der am 31. Dezember 1991 bereits Beamter war und seitdem bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand ununterbrochen in einem Beamtenverhältnis gestanden hat, aufgrund der Vergleichsberechnungen nach § 85 Abs. 4 BeamtVG nach Absatz 1 dieser Vorschrift festzusetzen ist. Nach Satz 1 des § 85 Abs. 1 BeamtVG bleibt der am 31. Dezember 1991 bereits erreichte Ruhegehaltssatz gewahrt. Nach § 85 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BeamtVG richtet sich die Berechnung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit und des Ruhegehaltssatzes nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht. Die Sätze 3 bis 5 des § 85 Abs. 1 BeamtVG regeln die Berechnung des Ruhegehaltssatzes für die ab dem 1. Januar 1992 zurückgelegten Dienstzeiten, wobei eine Steigerung von 1 v.H. für jedes Jahr vorgesehen ist.
Der Bedeutungsgehalt des § 85 Abs. 1 BeamtVG ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt: Die Vorschrift enthält ein vollständiges Regelungsprogramm für die Festsetzung des Ruhegehalts derjenigen Beamten, die bereits am 31. Dezember 1991 und seitdem ununterbrochen bis zum Eintritt in den Ruhestand in einem Beamtenverhältnis gestanden haben. Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BeamtVG ist das Ruhegehalt für die bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegten Zeiten ausschließlich nach demjenigen Recht zu bestimmen, das an diesem Tag in Kraft war. Das neue, am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Versorgungsrecht kommt für die bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegten Zeiten nicht zur Anwendung. § 85 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BeamtVG gewährleisten den bis zum 31. Dezember 1991 erreichten Versorgungsstandard; sie schließen für die bis dahin zurückgelegten Zeiten Einbußen aus, die sich aus der Anwendung des neuen Versorgungsrechts ergeben können (stRspr; vgl. Urteile vom 24. September 2009 – BVerwG 2 C 63.08 – BVerwGE 135, 14 = Buchholz 239.1 § 67 BeamtVG Nr. 4 ≪jeweils Rn. 13≫ und vom 25. Oktober 2012 – BVerwG 2 C 59.11 – BVerwGE 145, 14 = Buchholz 239.1 § 85 BeamtVG Nr. 10 ≪jeweils Rn. 14≫).
Daraus folgt zum einen, dass der Ruhegehaltssatz für die bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegten Zeiten nach der alten, bis zu diesem Tag geltenden degressiven Ruhegehaltsskala zu berechnen ist. Zum anderen ist nach der am 31. Dezember 1991 bestehenden Rechtslage zu beurteilen, ob und inwieweit Zeiten außerhalb eines Beamtenverhältnisses (Vordienstzeiten) als ruhegehaltfähig zu berücksichtigen und damit für die Berechnung des Ruhegehaltssatzes Beamtendienstzeiten gleichzustellen sind. Daher sind die am 31. Dezember 1991 geltenden Vorschriften der §§ 8 bis 12 des Beamtenversorgungsgesetzes in der Fassung vom 12. Februar 1987 (BGBl. I S. 570) maßgebend (stRspr; vgl. Urteile vom 24. September 2009 a.a.O. ≪jeweils Rn. 14≫ und vom 26. Januar 2012 – BVerwG 2 C 49.10 – Buchholz 239.1 § 67 BeamtVG Nr. 5 Rn. 10). Das Oberverwaltungsgericht weist zutreffend darauf hin, dass sich diese Rechtsfolgen bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des ersten Halbsatzes des § 85 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG ergeben.
Nach alledem liegt auf der Hand, dass die nach dem 31. Dezember 1991 in Kraft getretenen Änderungen der Regelungen über die Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten für die bis dahin zurückgelegten Zeiten jedenfalls dann keine Bedeutung haben können, wenn sie die nach dem alten Recht vorgeschriebene oder mögliche Berücksichtigung ausschließen oder erschweren. Die Anwendung derartiger Regelungen widerspricht der Aussage des § 85 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BeamtVG, dass der bis zum 31. Dezember 1991 bei Anwendung des alten Rechts erreichte Ruhegehaltssatz gewahrt bleibt. Ansonsten könnten diese Regelungen ihren Zweck nicht erfüllen, den bis zum 31. Dezember 1991 erreichten Versorgungsstandard ohne Abstriche zu gewährleisten.
Etwas anderes kann allenfalls angenommen werden, wenn der Gesetzgeber nachträglich § 85 Abs. 1 BeamtVG ändern würde oder einer nachträglichen Rechtsänderung Geltung auch für die Berechnung des Ruhegehalts nach dieser Vorschrift beimisst. Es bedarf jedenfalls einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung, dass Änderungen der Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten, die nach dem 31. Dezember 1991 in Kraft getreten sind, auch auf die bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegten Zeiten, Anwendung finden.
Diese Voraussetzung liegt in Bezug auf den § 12b BeamtVG in der Fassung von Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes vom 20. September 1994 (BGBl. I S. 2442) nicht vor. Der dadurch mit Wirkung vom 1. Oktober 1994 erstmals eingeführte Ausschluss der Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten, die im Beitrittsgebiet, d.h. im Gebiet der ehemaligen DDR, zurückgelegt wurden, hat die sich aus § 85 Abs. 1 Satz 1 und 2 BeamtVG ergebende Ruhegehaltfähigkeit der bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegten Vordienstzeiten unberührt gelassen. Um den bis dahin erreichten Versorgungsstandard durch die Anwendung des § 12b BeamtVG abzusenken, hätte der Gesetzgeber die Geltung des § 12b BeamtVG auch bei Anwendung des § 85 Abs. 1 BeamtVG anordnen müssen; dies ist nicht geschehen.
Die erforderliche Anordnung enthält erst der am 22. März 2012 in Kraft getretene § 85 Abs. 12 BeamtVG in der Fassung von Art. 4 Nr. 19 des Änderungsgesetzes vom 15. März 2012 (BGBl. I S. 462), der § 12b BeamtVG für die vorstehenden Absätze und damit auch für die Berechnung des Ruhegehalts nach § 85 Abs. 1 BeamtVG für anwendbar erklärt. Diese Rechtsänderung hat den durch § 85 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BeamtVG gewährleisteten Versorgungsstandard für die vor dem 31. Dezember 1991 in der DDR zurückgelegten Vordienstzeiten abgesenkt. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht die Bemerkung in der Gesetzesbegründung als unzutreffend angesehen, bei § 85 Abs. 12 BeamtVG handele es sich in Bezug auf den Bedeutungsgehalt des § 85 Abs. 1 BeamtVG um eine Klarstellung (BTDrucks 17/7142 S. 34). Diese Auffassung widerspricht dem eindeutigen Wortlaut des § 85 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BeamtVG und dem Zweck des § 85 Abs. 1 BeamtVG; sie hat im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden.
Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass das Ruhegehalt nach demjenigen Recht festzusetzen ist, das zum Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand gilt (stRspr; vgl. Urteile vom 25. August 2011 – BVerwG 2 C 22.10 – Buchholz 239.1 § 5 BeamtVG Nr. 20 Rn. 13 und vom 26. November 2013 – BVerwG 2 C 17.12 – Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 27 Rn. 7). Daraus hat es zu Recht geschlossen, dass § 85 Abs. 12 BeamtVG nicht nachträglich gestaltend in bereits vorhandene Versorgungsverhältnisse eingreift. Vielmehr findet die Regelung für die Berechnung des Ruhegehalts nach § 85 Abs. 1 BeamtVG nur Anwendung, wenn der Beamte nach ihrem Inkrafttreten am 22. März 2012 in den Ruhestand getreten ist.
Diese Rechtslage ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar; sie führt nicht zu einer ungerechtfertigten Besserstellung der Beamten mit in der DDR zurückgelegten Vordienstzeiten gegenüber Beamten mit ruhegehaltfähigen Vordienstzeiten im Beitrittsgebiet, d.h. dem Gebiet der ehemaligen DDR, nach dem 31. Dezember 1991. Die Stichtagsregelung des § 85 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BeamtVG wurde aus Gründen des Vertrauensschutzes und damit der Verhältnismäßigkeit eingeführt, um die nachteiligen Folgen der am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen versorgungsrechtlichen Änderungen, insbesondere die Ablösung der degressiven durch eine strikt lineare Ruhegehaltsskala, auf die Zukunft zu begrenzen. Es erschließt sich nicht, warum dieser Vertrauensschutz für Beamte mit in der DDR zurückgelegten, nach altem Recht ruhegehaltfähigen Vordienstzeiten nicht gelten sollte.
Nach alledem ist § 85 Abs. 12 BeamtVG im Fall des Klägers nicht anwendbar: Für die Berechnung seines Ruhegehalts ist die Rechtslage am 1. Mai 2010, dem Eintritt des Klägers in den Ruhestand, maßgebend. Zu diesem Zeitpunkt war § 85 Abs. 12 BeamtVG noch nicht in Kraft, sodass das Oberverwaltungsgericht die Ruhegehaltfähigkeit der in der DDR zurückgelegten Zeiten des Klägers zu Recht nach den Vorschriften der §§ 8 ff. BeamtVG 1987 beurteilt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Domgörgen, Dr. Heitz, Dr. Hartung
Fundstellen
Haufe-Index 7305347 |
ZTR 2014, 687 |
DÖV 2015, 76 |
JZ 2014, 659 |
JZ 2014, 691 |
LKV 2014, 514 |