Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses.
Leitsatz (amtlich)
Wird ein isolierter Prozesskostenhilfeantrag im Stadium des Abhilfeverfahrens an ein Gericht eines anderen Rechtszugs verwiesen, liegt darin kein extremer Verfahrensverstoß, der die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses ausnahmsweise entfallen ließe.
Verfahrensgang
VG Düsseldorf (Beschluss vom 20.12.2021; Aktenzeichen 12 K 1284/21) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Verwaltungsgericht Düsseldorf bestimmt.
Gründe
I
Rz. 1
Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin, die mit der Antragsgegnerin im Jahr 2013 einen Vertrag über die Herstellung von Erschließungsanlagen geschlossen hatte. Am 22. Dezember 2019 stellte der Antragsteller beim Landgericht Krefeld (künftig: Landgericht) einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag; mit der beabsichtigten Klage begehrte er von der Antragsgegnerin die Zahlung von rund 45 000 € für die Herstellung eines unterirdischen Glascontainers auf der Grundlage von § 14 des Erschließungsvertrags.
Rz. 2
Das Landgericht lehnte den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 15. September 2020 ab, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach bisherigem Vortrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Hiergegen legte der Antragsteller am 7. Oktober 2020 sofortige Beschwerde ein und machte weitere Ausführungen zu den Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage.
Rz. 3
Mit Verfügung vom 4. November 2020 teilte das Landgericht den Beteiligten seine Auffassung mit, für den Rechtsstreit sei der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, weil der Erschließungsvertrag öffentlich-rechtlicher Natur sei. Es werde um Stellungnahme gebeten, ob Verweisung an das Verwaltungsgericht Düsseldorf (künftig: Verwaltungsgericht) beantragt werde; anderenfalls sei beabsichtigt, der Beschwerde gegen den die Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss nicht abzuhelfen mit der Begründung, dass die Zuständigkeit des Landgerichts nicht gegeben sei. Der Antragsteller beantragte daraufhin die Verweisung an das Verwaltungsgericht.
Rz. 4
Mit Beschluss vom 12. Januar 2021 erklärte das Landgericht den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig und verwies den Rechtsstreit nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht erklärte sich nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 20. Dezember 2021 für unzuständig und legte den Rechtsstreit dem Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor. Die Zuständigkeit des Landgerichts sei durch den Verweisungsbeschluss nicht entfallen, weil sich diese Entscheidung als objektiv unhaltbar und willkürlich erweise, so dass sie die in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordnete Bindungswirkung nicht hervorrufen könne. Eine nach Einlegung der sofortigen Beschwerde erfolgende Verweisung übergehe § 572 ZPO und entferne sich hierdurch in nicht hinnehmbarer Weise vom verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters, weil dem Verwaltungsgericht im Ergebnis über § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG die Befugnis zugebilligt würde, sich an die Stelle des gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittelgerichts (hier: OLG Düsseldorf) zu setzen.
II
Rz. 5
Auf den Antrag des Verwaltungsgerichts, über den der Senat entsprechend § 53 Abs. 3 Satz 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung nach Anhörung der Beteiligten entscheidet, wird als zuständiges Gericht das Verwaltungsgericht Düsseldorf bestimmt.
Rz. 6
1. Zur Entscheidung des sich aus dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts vom 12. Januar 2021 und dem Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. Dezember 2021 ergebenden negativen Kompetenzkonflikts ist das Bundesverwaltungsgericht berufen. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 53 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 Satz 1 VwGO. Auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Landgericht und einem Verwaltungsgericht sind § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bzw. § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO, die jeweils negative Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten der Zivil- bzw. Verwaltungsgerichtsbarkeit betreffen, weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 16. Juni 2021 - 6 AV 1.21 und 2.21 - NVwZ-RR 2021, 740 Rn. 5 und vom 29. Dezember 2021 - 3 AV 1.21 - juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01 - NJW 2001, 3631 ≪3632≫).
Rz. 7
2. Das Landgericht hat den Rechtsstreit im Stadium des anhängigen Abhilfeverfahrens an das Verwaltungsgericht verwiesen (a). Die hierdurch kraft Gesetzes grundsätzlich eingetretene Bindungswirkung (b) ist entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht wegen objektiver Unhaltbarkeit und Willkür der Entscheidung entfallen (c).
Rz. 8
a) Der auf "den Rechtsstreit" bezogene Verweisungsbeschluss ist dahingehend zu verstehen, dass die nach Einlegung der sofortigen Beschwerde (§ 567 Abs. 1 ZPO) erfolgte Verweisung die Zuständigkeit für die Entscheidung im Abhilfeverfahren betrifft. Das Landgericht hat im Zusammenhang mit dem Verweisungsbeschluss weder seinen Ausgangsbeschluss von Amts wegen aufgehoben noch auf die eingelegte Beschwerde hin bereits selbst gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO über die Abhilfe entschieden. Letzteres stünde auch im Widerspruch zu dem Anhörungsschreiben vom 4. November 2020, wonach eine (negative) Entscheidung über die Abhilfe nur für den - hier nicht eingetretenen - Fall beabsichtigt sei, dass keine Verweisung an das Verwaltungsgericht beantragt werde.
Rz. 9
b) Nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein - unanfechtbar gewordener - Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Dies gilt grundsätzlich auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss. Mit Rücksicht auf die Möglichkeit, den Verweisungsbeschluss in dem von § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzliche Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses nur bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Das ist dann der Fall, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechterdings nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 - NJW 2019, 2112 Rn. 10 und vom 16. Juni 2021 - 6 AV 1.21 und 2.21 - NVwZ-RR 2021, 740 Rn. 10). Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16. Juni 2021 - 6 AV 1.21 und 2.21 - NVwZ-RR 2021, 740 Rn. 10 und vom 29. Dezember 2021 - 3 AV 1.21 - juris Rn. 11; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte).
Rz. 10
c) Ein solcher qualifizierter Rechtsverstoß liegt hier bei Würdigung aller Umstände nicht vor. Der Verweisung stand weder entgegen, dass es sich um ein isoliertes Prozesskostenhilfeverfahren handelte (aa) noch, dass sie erst nach Einlegung der sofortigen Beschwerde erfolgte (bb). Auch aus sonstigen Gründen ist sie nicht unverständlich und offensichtlich unhaltbar (cc).
Rz. 11
aa) Es kann nicht als eine unvertretbare Rechtsauffassung angesehen werden, ein isoliertes Prozesskostenhilfeverfahren zu verweisen. Allerdings ist die Frage, ob eine Rechtswegverweisung im isolierten Prozesskostenhilfeverfahren stattfinden kann, in Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. die umfangreichen Nachweise bei BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2020 - XII ZB 276/20 - FamRZ 2021, 113 Rn. 17; OVG Münster, Beschluss vom 20. August 2020 - 4 D 137/20 u.a. - NWVBl 2021, 42 Rn. 4). Der Bundesgerichtshof hat sich in jüngerer Zeit der Auffassung angeschlossen, wonach das Gericht, wenn es in einem isolierten Prozesskostenhilfeverfahren den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erachtet, das Prozesskostenhilfeverfahren entsprechend § 17a Abs. 2 GVG an das Gericht des anderen Rechtswegs zu verweisen hat (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2020 - XII ZB 276/20 - FamRZ 2021, 113, Leitsatz; vgl. auch Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 41/§§ 17 - 17b GVG Rn. 4; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 17 GVG Rn. 12 f.). Zur Begründung verweist der Bundesgerichtshof auf das bereits im Prozesskostenhilfeverfahren bestehende Interesse, die Sachentscheidung (hier in Gestalt der Beurteilung der Erfolgsaussichten) der dafür zuständigen und entsprechend spezialisierten Gerichtsbarkeit zuzuweisen, sowie auf den Grundsatz der Prozessökonomie (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2020 - XII ZB 276/20 - FamRZ 2021, 113 Rn. 19 ff.). Angesichts dieser Rechtsprechung durfte das Landgericht die Verweisung des isolierten Prozesskostenhilfeverfahrens für prozessual zulässig erachten.
Rz. 12
bb) Soweit das Verwaltungsgericht einen zum Wegfall der Bindungswirkung führenden Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darin sieht, dass die Verweisungsentscheidung nicht der in § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO geregelten Alternativität von Entscheidungsmöglichkeiten entspricht, ist dem entgegenzuhalten, dass die vom Landgericht gewählte Entscheidungsform nicht aus § 572 ZPO, sondern aus der Sonderregelung des § 17a Abs. 2 GVG folgt. Da hier bereits eine erstinstanzliche Entscheidung vorlag, gegen die eine sofortige Beschwerde eingelegt worden war, könnte allerdings die Sperrwirkung des § 17a Abs. 5 GVG eingetreten sein. Danach prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Welche Bedeutung dieser Regelung im Abhilfeverfahren zukommt, ist aber nicht so eindeutig, dass eine Verweisung offensichtlich unhaltbar erschiene. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Rz. 13
Die Regelungen des § 17a GVG zielen darauf ab, die Frage der Rechtswegzuständigkeit zu einem möglichst frühen Zeitpunkt des Verfahrens in der ersten Instanz abschließend zu klären und das weitere Verfahren nicht mehr mit dem Risiko eines später erkannten Mangels des gewählten Rechtswegs zu belasten (vgl. BT-Drs. 11/7030 S. 36 f.). "Entscheidung in der Hauptsache" im Sinne des § 17a Abs. 5 GVG ist als Gegenbegriff zur Entscheidung über die Rechtswegfrage zu verstehen (vgl. Ehlers, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 17a GVG Rn. 45 m.w.N.); Hauptsache kann daher auch die Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag sein.
Rz. 14
Weniger eindeutig ist die Auslegung der Formulierung "Gericht, das über ein Rechtsmittel (...) entscheidet". Bei einem weiten Begriffsverständnis, dem ersichtlich das Verwaltungsgericht folgt, lässt sich darunter jedes Gericht fassen, das ab dem Zeitpunkt der Einlegung eines Rechtsmittels in irgendeiner Form damit befasst ist, also auch das Gericht des ersten Rechtszuges in einem etwaigen Abhilfeverfahren. Hierfür könnte auch die Vorschrift des § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO angeführt werden, wonach die Beschwerde nicht auf die Unzuständigkeit des Gerichts gestützt werden kann. Im Schrifttum wird die genannte Wendung aber vielfach mit dem übergeordneten Rechtsmittelgericht bzw. der Rechtsmittelinstanz in Abgrenzung zur ersten Instanz gleichgesetzt (vgl. etwa Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 17 Rn. 8, 11, 53; Gerhold, in: Graf, BeckOK GVG, § 17a Rn. 16 f.; Ehlers, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 17a GVG Rn. 1, 5, 44). Die Gesetzesbegründung, die im Zusammenhang mit § 17a Abs. 5 GVG von "Rechtsmittelgericht" im Gegensatz zum "Gericht des ersten Rechtszuges" spricht (BT-Drs. 11/7030 S. 38), deutet ebenfalls in diese Richtung.
Rz. 15
Es ist hiernach jedenfalls begrifflich möglich, die Tätigkeit des iudex a quo, der entweder der Beschwerde abhelfen oder sie unverzüglich dem Beschwerdegericht vorlegen muss (§ 572 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und 2 ZPO), nicht als "Entscheidung über ein Rechtsmittel" im Sinne des § 17a Abs. 5 GVG zu verstehen, sondern noch dem Ausgangsverfahren zuzurechnen. Diese Auslegung ließe sich auch mit dem Wesen des Abhilfeverfahrens begründen: Der Devolutiveffekt der sofortigen Beschwerde tritt - anders als beispielsweise beim Berufungszulassungsantrag - erst mit dem Anfall beim Beschwerdegericht ein (vgl. Hamdorf, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 572 Rn. 15; zum Berufungszulassungsverfahren BVerwG, Beschluss vom 4. November 2021 - 6 AV 9.21 - NVwZ 2022, 164). Das aus Gründen der Prozessökonomie vorgeschaltete Abhilfeverfahren ist einer Gegenvorstellung oder einem Vorverfahren vergleichbar; es dient der Möglichkeit der Selbstkorrektur durch das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat (vgl. Hunke, in: Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 572 Rn. 2).
Rz. 16
cc) Die Verweisung ist auch nicht aus sonstigen Gründen unverständlich oder offensichtlich unhaltbar. Ein unauflösbarer systematischer Widerspruch zu allgemeinen Prozessmaximen (dazu BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 2021 - 6 AV 1.21 und 2.21 - NVwZ-RR 2021, 740 Rn. 10 ff.) tritt durch die Verweisung in diesem Verfahrensstadium nicht ein, da das Abhilfeverfahren nach § 148 Abs. 1 VwGO ähnlichen Regeln folgt wie das Verfahren nach § 572 Abs. 1 ZPO. Dass für Streitigkeiten aus einem Erschließungsvertrag der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, erscheint nach der bisherigen Rechtsprechung naheliegend (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. Juli 2000 - V ZB 50/99 - NVwZ-RR 2000, 845 Rn. 28).
Fundstellen
DÖV 2022, 648 |
NWVBl. 2022, 366 |