Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 04.06.2002; Aktenzeichen 7 A 10365/02.OVG) |
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
Der Beteiligte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die Beschwerde, mit der sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO geltend gemacht werden, hat keinen Erfolg.
Die Rechtssache hat nicht die von der Beschwerde behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde hält die Frage für klärungsbedürftig, ob sich die in wirtschaftlicher Hinsicht an die Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative zu stellenden Mindestanforderungen auf das zur Aufrechterhaltung der physischen Existenz absolut Notwendige beschränken oder ob der asylrechtliche Begriff des Existenzminimums über den engeren Wortlaut hinausgehende Vorstellungen von einem menschenwürdigen Dasein umfasst. Die rechtlichen Anforderungen an das wirtschaftliche Existenzminimum, das am Ort der inländischen Fluchtalternative gegeben sein muss, sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtsgrundsätzlich geklärt. Ein verfolgungssicherer Ort bietet dem Ausländer das wirtschaftliche Existenzminimum danach grundsätzlich immer dann, wenn er durch eigene Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann. Das ist nicht der Fall, wenn der Asylsuchende am Ort der inländischen Fluchtalternative bei der gebotenen grundsätzlich generalisierenden Betrachtungsweise auf Dauer ein Leben zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt, oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hat als ein “Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums”. Weitergehenden oder neuen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde hierzu nicht auf. Ihre in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen zielen vielmehr auf die Klärung der konkreten Verhältnisse am Ort der innerstaatlichen Fluchtalternative – hier: im Nordirak –, die den Tatsachengerichten vorbehalten ist und anhand derer im Einzelfall zu bestimmen ist, ob dort die konkrete Gefahr eines Lebens unterhalb des Existenzminimums droht. Insbesondere ist die auch von der Beschwerde angesprochene Frage, wie viele Kilokalorien eine von Hilfsorganisationen bereitgestellte tägliche Lebensmittelration umfassen muss, um im Hinblick auf den Nahrungsbedarf das wirtschaftliche Existenzminimum zu gewährleisten, einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Daran ändert sich auch nichts, wenn hierzu, wie die Beschwerde geltend macht, von den Oberverwaltungsgerichten unterschiedliche Standpunkte vertreten werden (so bereits Beschluss vom 31. Juli 2002 – BVerwG 1 B 128.02 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 326 = InfAuslR 2002, 455 m.w.N.).
Die von der Beschwerde im Zusammenhang mit der Frage des wirtschaftlichen Existenzminimums gerügte Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor. Die Beschwerde führt aus, im Berufungsurteil würden die rechtlichen Grundsätze des Bundesverwaltungsgerichts weder erwähnt noch sinngemäß angewendet; so habe das Berufungsgericht das Fehlen eines wirtschaftlichen Existenzminimums nicht erst dann angenommen, wenn eine die physische Existenz bedrohende und schließlich zum Tode führende Gefährdung vorliege, sondern schon dann, wenn der normale Ernährungsbedarf nicht gewährleistet sei. Diese Einwände treffen nicht zu. Das Berufungsgericht hat sich ausdrücklich und zustimmend auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der inländischen Fluchtalternative und damit auch zur Frage des wirtschaftlichen Existenzminimums bezogen. Es hat geprüft, ob für einen aus dem Zentralirak stammenden Asylbewerber in einem von UN-Organisationen betreuten Flüchtlingslager im Nordirak das erforderliche Existenzminimum am Ort der inländischen Fluchtalternative gesichert ist, inwieweit eine Unterbringung dort mit Hunger und Verelendung verbunden ist und welche Überlebensmöglichkeiten es in den Lagern und außerhalb der Lager gegeben hat und derzeit gibt. Das Berufungsgericht hat ferner – in inhaltlicher Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung – der Sache nach untersucht, ob einen Asylbewerber aus dem Zentralirak im Nordirak etwas anderes erwartet als eine ausweglose Lage bzw. ein “Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums”, und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger in eine “unzumutbare wirtschaftlich-soziale Lage” kommen würde, in der eine menschenwürdige Existenz “kaum möglich” wäre und die sich “am unteren Rand des Existenzminimums” bewegen würde (UA S. 10, 12 und 14). Es kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung alle rechtlichen Vorgaben insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts zutreffend umgesetzt hat. An einer Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO fehlt es jedenfalls deshalb, weil das Berufungsgericht keinen seine Entscheidung tragenden Rechtssatz aufgestellt hat, der zu den von der Beschwerde angeführten Rechtssätzen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts in Widerspruch steht.
Ohne Erfolg rügt die Beschwerde schließlich einen Begründungsmangel im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Beschwerde beanstandet, das Berufungsgericht habe sich mit der abweichenden Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zur Frage einer zumutbaren Fluchtalternative im Nordirak “nicht in erschöpfender Weise auseinander gesetzt”; es genüge nicht, die gegenteiligen Entscheidungen nur mit der Bemerkung “nicht nachvollziehbar” zu zitieren; die Entscheidung des Berufungsgerichts sei deshalb selbst nicht hinreichend nachvollziehbar begründet. Es trifft zu, dass sich aufgrund der Begründungspflicht des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO aus den Gründen einer gerichtlichen Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht nachvollziehbar ergeben muss, warum das Gericht beispielsweise Parteivorbringen für unerheblich gehalten oder Auffassungen bzw. Bewertungen anderer Oberverwaltungsgerichte in wesentlichen Fragen nicht geteilt hat (vgl. Beschluss vom 1. September 1997 – BVerwG 8 B 144.97 – Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50 m.w.N.). Dieser Begründungspflicht hat das Berufungsgericht im Entscheidungsfall jedoch genügt. Es hat ausgeführt, die von der Beschwerde genannte Entscheidung des OVG Magdeburg sei hinsichtlich der Frage des wirtschaftlichen Existenzminimums “insoweit nicht nachvollziehbar”, als dort (offenbar) von westeuropäischen Standards ausgegangen worden sei; in der Entscheidung des VGH Mannheim werde zum Existenzminimum eine andere Auffassung vertreten, wobei der VGH schwerpunktmäßig die allgemeine Lage im Nordirak – und nicht speziell die Situation in den Flüchtlingslagern – beurteilt habe. Diese Begründungen mögen knapp sein, sie lassen aber hinreichend erkennen, aus welchen Gründen das Berufungsgericht von der Bewertung der beiden Oberverwaltungsgerichte abgewichen ist. Auf die Entscheidung des OVG Münster, die der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte Magdeburg und Mannheim offensichtlich gefolgt ist, kann sich die Beschwerde in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht beziehen, weil diese Entscheidung mehrere Wochen nach der hier angefochtenen Berufungsentscheidung ergangen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Richter, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen