Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.03.2009; Aktenzeichen 3 L 285/07) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 18. März 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Rz. 1
Die auf die Zulassungsgründe der Grundsatzbedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung angeführten Gesichtspunkte rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
Rz. 2
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dies wäre nur dann zu bejahen, wenn für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erheblich wäre und deren höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. Beschluss vom 2. Juni 2008 – BVerwG 5 B 188.07 – juris).
Rz. 3
Die von der Beschwerde im Zusammenhang mit der Anwendung von § 93 BSHG bzw. § 75 SGB XII für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage (Beschwerdebegründung vom 6. Juli 2009 S. 4),
“ob eine Entgeltvereinbarung im Sinne von § 93 BSHG/§ 75 SGB XII einen eigenen originären Zahlungsanspruch des Einrichtungsträgers begründet oder nicht”,
sowie die weitere in Bezug auf § 4 Abs. 1 Satz 2 BSHG bzw. § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Rechtsfrage (Beschwerdebegründung vom 6. Juli 2009 S. 7),
“ob das Abtretungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 2 BSHG/§ 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch in den Fällen der Abtretung des Kostenübernahmeanspruchs der Hilfeempfänger gegen die Sozialhilfeträger an den Einrichtungsträger zur Anwendung kommt”,
führen nicht zur Zulassung der Revision.
Rz. 4
1.1 Soweit die Fragen im Zusammenhang mit den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes gestellt werden, betreffen sie jeweils im Kern die einzelfallbezogene Auslegung und Anwendung ausgelaufenen Rechts. Mit dem Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3022, 3071) ist das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch an die Stelle des Bundessozialhilfegesetzes getreten. Damit stellt sich in Zukunft die Frage nach dem Bedeutungsgehalt des § 93 BSHG oder des § 4 Abs. 1 Satz 2 BSHG nicht mehr. Rechtsfragen, die sich aus der Anwendung von ausgelaufenem Recht stellen, haben mit Rücksicht auf den Zweck der Grundsatzrevision, eine für die Zukunft richtungweisende Klärung herbeizuführen, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz anhängiger Fälle regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Sie rechtfertigen die Zulassung der Revision vielmehr nur ausnahmsweise, wenn die Auslegung einer solchen Vorschrift noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in unabsehbarer Zukunft von Bedeutung ist. Für das Vorliegen einer solchen Sachlage ist der Beschwerdeführer darlegungspflichtig (vgl. etwa Beschluss vom 8. Dezember 2008 – BVerwG 5 B 58.08 – Buchholz 130 § 10 StAG Nr. 4 m.w.N.). Es müssen Anhaltspunkte für eine erhebliche Zahl von Altfällen dargetan und ersichtlich sein (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 35.95 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 m.w.N.). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht. Sie trägt weder hinsichtlich § 93 BSHG noch bezüglich § 4 Abs. 1 Satz 2 BSHG Anhaltspunkte für eine erhebliche Zahl von Altfällen vor. Derartige Anhaltspunkte sind auch ansonsten nicht ersichtlich.
Rz. 5
Abgesehen davon ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – zu der vom Kläger zur Stützung seiner Rechtsauffassung, der hier geltend gemachte Rechtsanspruch sei abtretbar, vorgenommenen Einordnung des Leistungsanspruchs des Hilfeempfängers als Sachleistung oder Sachleistungsverschaffungsanspruch – bereits geklärt, dass die dem Hilfeempfänger in der Einrichtung eines Dritten erbrachte sozialhilferechtliche Leistung (hier: Eingliederungshilfe in Form heilpädagogischer Maßnahmen gemäß § 39, 40 BSHG) von dem Sozialhilfeträger als Geldleistung und nicht als Sachleistung erbracht wird (vgl. Beschluss vom 10. August 2007 – BVerwG 5 B 179.06 – juris). Die vom Kläger herangezogene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 28. Oktober 2008 – B 8 SO 22/07 R – BSGE 102, 1 = juris) ändert an dieser Klärung nichts. Sie kann auch nicht zu einer Zulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO führen, weil das Bundessozialgericht nicht zu den dort genannten Gerichten gehört. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch entschieden, dass daher unmittelbare Ansprüche des Leistungserbringers (Dritten) gegen den Sozialhilfeträger im Bereich des Sozialhilferechts grundsätzlich nur bestehen, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist (vgl. für den Fall der Nothilfe § 121 BSHG), oder wenn der Sozialhilfeträger ausnahmsweise dem Grunde und der Höhe nach unzweideutig einen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck gebracht hat, durch eine Kostenübernahmeerklärung auch einen Zahlungsanspruch des Leistungserbringers begründen zu wollen (vgl. Beschluss vom 10. August 2007 a.a.O.). Neue gewichtige rechtliche Gesichtspunkte, die eine erneute Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlich erscheinen lassen, zeigt die Beschwerde nicht auf; wegen der auf das Bundessozialgericht übergegangenen Rechtswegzuständigkeit folgen sie auch nicht aus dessen Urteil vom 28. Oktober 2008 (a.a.O.).
Rz. 6
1.2 Soweit die Beschwerde die aufgeworfenen Fragen auch im Zusammenhang mit den Nachfolgevorschriften zu § 93 BSHG sowie § 4 Abs. 1 Satz 2 BSHG des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch geklärt haben möchte, ist die Zulassung der Revision zum Bundesverwaltungsgericht ebenfalls nicht gerechtfertigt. Trotz ausgelaufenem bzw. auslaufendem Rechts bleibt eine Sache zwar dann grundsätzlich klärungsbedürftig, wenn sich bei der gesetzlichen Bestimmung, die der außer Kraft getretenen Vorschrift nachgefolgt ist, die streitige Frage in gleicher Weise stellt. Denn trotz des Auslaufens des alten Rechts ist dann eine richtungweisende Klärung zu erwarten, wie die neue Vorschrift anzuwenden ist (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 a.a.O.). Für die hier vorliegende besondere Konstellation des Wechsels der Rechtswegzuständigkeit ist nicht zu vertiefen, ob sich die von der Beschwerde formulierten Fragen der Sache nach auch in Bezug auf § 75 Abs. 3 SGB XII (der Wortlaut von Satz 1 und 2 dieser Vorschrift ist identisch mit dem Wortlaut von § 93 Abs. 2 Satz 1 und 2 BSHG; § 75 Abs. 3 SGB XII wurde lediglich gegenüber § 93 Abs. 2 BSHG um einen Satz 3 ergänzt) sowie § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII (dessen Wortlaut identisch ist mit § 4 Abs. 1 Satz 2 BSHG) stellen. Denn seit dem 1. Januar 2005 sind für die Überprüfung der Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und nicht mehr die Verwaltungsgerichte zuständig (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG, eingefügt durch Art. 38 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 ≪BGBl I S. 3022≫ und Art. 1 Nr. 10 Buchst. b des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 9. Dezember 2004 ≪BGBl I S. 3302≫; vgl. dazu zuletzt Beschlüsse vom 2. April 2009 – BVerwG 5 B 64.08 – Buchholz 436.0 § 40 BSHG Nr. 25 und vom 29. Januar 2010 – BVerwG 5 B 23.09 – juris). Diese Rechtswegzuweisung betrifft nicht nur die Ansprüche der Hilfesuchenden, sondern auch die Erstattungsansprüche für einem Hilfesuchenden erbrachte Sozialhilfe zwischen verschiedenen Trägern dieser Hilfeart oder – wie hier – zwischen einem Einrichtungsträger und dem Träger der Sozialhilfe. Dementsprechend können seit dem 1. Januar 2005 Streitigkeiten im Zusammenhang mit § 75 Abs. 3 SGB XII und § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht mehr zu den Verwaltungsgerichten gelangen. Diese haben lediglich noch über die zum 31. Dezember 2004 bereits rechtshängigen Verfahren zu entscheiden. Mithin kann auch eine Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der von der Beschwerde in Bezug auf diese Vorschriften bezeichneten Rechtsfragen durch die Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht anerkannt werden. Die grundsätzliche Klärung des Bedeutungsgehalts des § 75 Abs. 3 SGB XII sowie des § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ist vielmehr dem für sozialhilferechtliche Streitigkeiten nunmehr zuständigen obersten Bundesgericht vorzubehalten (vgl. Beschlüsse vom 21. Juni 1996 – BVerwG 2 B 82.96 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 11 und vom 2. Juli 1982 – BVerwG 3 B 30.82 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 213; s.a. Beschluss vom 2. Juni 2008 – BVerwG 5 B 188.07 – juris). Die Beschwerde selbst weist im Übrigen zur materiellen Rechtslage nach § 75 SGB XII und § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Oktober 2008 – B 8 SO 22/07 R – a.a.O. hin.
Rz. 7
2. Die Revision ist auch nicht wegen des behaupteten Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Rz. 8
Die Beschwerde sieht den Verfahrensmangel in einer Verletzung von § 88 VwGO, weil das Oberverwaltungsgericht es unterlassen habe, “den Klageantrag des Klägers sachdienlich dahingehend auszulegen, dass es dem Kläger um die Verpflichtung der Beklagten geht, die den Hilfeempfängern bewilligte Eingliederungshilfe in Form von heilpädagogischen Maßnahmen gegenüber den Beklagten nach der Entgeltvereinbarung vom 23.06.1998 abzurechnen” (Beschwerdebegründung vom 6. Juli 2009 S. 9). Der geltend gemachte Verfahrensfehler ist schon nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargetan. Die Beschwerde zeigt nicht auf, was unter dem Begriff der “Abrechnung” zu verstehen ist und inwieweit damit etwas anderes als “Zahlung eines (weiteren) Geldbetrages an den Kläger” gemeint sein soll.
Rz. 9
Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren auch in der Sache weder verkannt noch unvollständig erfasst. Ein anwaltlich vertretener Kläger muss sich grundsätzlich an seinen Anträgen festhalten lassen (vgl. Beschluss vom 4. Februar 2002 – BVerwG 4 B 51.01 – Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 33 und Urteil vom 27. August 2008 – BVerwG 6 C 32.07 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 38; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Mai 1991 – 2 BvR 170/85 – NVwZ 1992, 259). Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung genau den Antrag zugrunde gelegt, den der Prozessbevollmächtigte des Klägers – unter sachlicher Wiederholung des bereits vor dem Verwaltungsgericht gestellten Antrages – in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht vom 18. März 2009 gestellt hat. Danach hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers ausdrücklich beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 5. November 2007 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1 459 405,75 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1 049 983,55 € seit dem 29. Dezember 2004 und aus weiteren 409 422,20 € seit dem 6. März 2007 zu zahlen (vgl. Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 18. März 2009, Bl. 305 f. i.V.m. Schriftsatz vom 21. Januar 2008, Bl. 277 GA). Auch den weiteren Ausführungen in dem Schriftsatz vom 21. Januar 2008 ist zu entnehmen, dass das Begehren des Klägers auf Zahlung eines (weiteren) Geldbetrages (nämlich des Differenzbetrages zwischen den sich aus der Entgeltvereinbarung vom 23. Juni 1998 ergebenden Entgelten und den bisher tatsächlich gezahlten niedrigeren Pauschalen aus § 3 KiBeVO) an sich gerichtet war. Anhaltspunkte dafür, dass es dem anwaltlich vertretenen Kläger entgegen der ausdrücklich gewählten Formulierungen nicht um die Erfüllung des geltend gemachten Erstattungsanspruchs durch Zahlung gegangen sein sollte, waren dem gesamten klägerischen Vorbringen nicht zu entnehmen. Der Kläger hat insbesondere die Auslegung seines Klagebegehrens durch das Verwaltungsgericht, das ebenso wie das Berufungsgericht von der Geltendmachung eines Zahlungsanspruchs ausgegangen ist, nicht zum Anlass genommen, seinen Antrag im Wortlaut – klarstellend oder konstitutiv – zu ändern. Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht die Klage zu Recht und in Übereinstimmung mit § 88 VwGO als eine auf Zahlung gerichtete Leistungsklage behandelt. Im Übrigen hat es über das Zahlungsbegehren in vollem Umfang und unter jedem denkbaren Gesichtspunkt entschieden.
Rz. 10
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 11
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 206 Abs. 1 SGG i.V.m. § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung.
Unterschriften
Hund, Prof. Dr. Berlit, Stengelhofen
Fundstellen