Entscheidungsstichwort (Thema)
Umwandlung eines Teilzeitbeschäftigungsverhältnisses in ein Vollzeitarbeitsverhältnis, Mitbestimmungsfreiheit der – bei Geringfügigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen der „Geringfügigkeit” einer vorübergehenden und nur kurzfristigen Umwandlung eines Teilzeitbeschäftigungsverhältnisses in ein Vollzeitarbeitsverhältnis.
Normenkette
NdsPersVG 1985 § 78 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
VG Braunschweig (Entscheidung vom 11.05.1993; Aktenzeichen 12 A 2/93) |
OVG für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein (Beschluss vom 24.01.1993; Aktenzeichen 18 L 3127/93) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluß des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts – Fachsenat für Landespersonalvertretungssachen – vom 24. Januar 1994 wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des Beschwerdegerichts sind nicht gegeben. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts weicht nicht gemäß § 85 Abs. 2 NdsPersVG a.F. i.V.m. §§ 92 a Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG von dem in der Beschwerdeschrift angeführten Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts ab.
Eine die Rechtsbeschwerde eröffnende Divergenz besteht nur dann, wenn das Beschwerdegericht seinem Beschluß einen abstrakten, die Entscheidung tragenden Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der im Widerspruch zu einem ebensolchen Rechtssatz in einem der bezeichneten Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts steht. Eine solche Divergenz setzt weiterhin voraus, daß beide Entscheidungen entweder auf der Grundlage derselben Vorschrift oder auf der Grundlage wörtlich übereinstimmender und daher für eine Divergenz grundsätzlich in Betracht kommender Vorschriften des Bundes- oder Landesrechts ergangen sind. Fehlt es daran, ist eine Abweichung, welche die Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtfertigen könnte, ausgeschlossen, weil zu Vorschriften mit unterschiedlichem sachlichen Regelungsgegenstand selbstverständlich abweichende Rechtssätze entwickelt werden können (stRspr des Senats, vgl. z.B. Beschlüsse vom 9. März 1987 – BVerwG 6 PB 28.86 – und vom 22. Mai 1989 – BVerwG 6 PB 3.89 –; ferner Bundesverwaltungsgericht, Beschlüsse vom 16. Februar 1976 – BVerwG 7 B 18.76 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 143 und vom 16. Oktober 1979 – BVerwG 2 B 61.79 – Buchholz 237.1 Art. 15 BayBG Nr. 3). Die genannten Voraussetzungen liegen nach dem Vorbringen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht vor.
1. Das Beschwerdegericht hat weder positiv noch negativ entschieden, ob für das niedersächsische Landesrecht der zum Bundespersonalvertretungsgesetz entwickelten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu folgen ist, wonach die Umwandlung eines Teilzeitbeschäftigungsverhältnisses in ein Vollzeitarbeitsverhältnis eine mitbestimmungspflichtige Einstellung darstellt (Beschluß vom 2. Juni 1993 – BVerwG 6 P 3.92 – BVerwGE 92, 295). Es hat lediglich Bedenken erörtert, die sich für eine Übernahme dieser Grundsätze aus Abweichungen des Landesrechts vom Bundesrecht ergeben können. Dazu hat es wegen der besonderen Regelung in § 78 Abs. 2 Nr. 2 NdsPersVG a.F. Veranlassung gesehen. Es hat die Frage aber letztlich offengelassen (S. 8 des Beschlusses: „… bedarf hier keiner Entscheidung”).
2. Entschieden hat das Beschwerdegericht hingegen, daß die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Mitbestimmungsfreiheit bloß vorübergehender und geringfügiger Beschäftigungen auch auf die Fälle der vorübergehenden Umwandlung eines Teilzeitbeschäftigungsverhältnisses in ein Vollzeitarbeitsverhältnis anzuwenden sei. Für die Geringfügigkeit spreche nach Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts im Regelfall eine Vermutung, wenn die Tätigkeit von vornherein auf längstens zwei Monate befristet sei. Unter diesen Bedingungen liege eine nur geringfügige Veränderung der ursprünglich mitbestimmt entschiedenen Konstellation vor. Auch hätte dann, wenn der Beteiligte den kurzfristigen krankheitsbedingten Engpaß in der Küche durch die auf einen Monat bzw. sechs Wochen befristete Einstellung von drei externen Aushilfskräften für jeweils 20 Wochenstunden überbrückt hätte, dem Antragsteller daran kein Mitbestimmungsrecht zugestanden.
Mit diesen Rechtssätzen setzt sich das Beschwerdegericht jedoch nicht in Widerspruch zu den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 1991 – BVerwG 6 P 15 und 16.90 – Buchholz 251.8 § 80 RhPPersVG Nr. 6 und 7. Danach spricht eine Vermutung dafür, daß eine Tätigkeit vorübergehend und geringfügig ist, wenn diese entsprechend § 8 Abs. 1 SGB IV von vornherein auf die Dauer von nicht mehr als zwei Monaten begrenzt ist und sie nicht berufsmäßig ausgeübt wird. Berufsmäßig wird die Tätigkeit ausgeübt, wenn die Beschäftigungszeiten im Laufe eines Jahres insgesamt mehr als zwei Monate betragen haben. Jedoch ist § 8 Abs. 1 SGB IV nach dieser Rechtsprechung nicht schematisch anzuwenden. Mitbestimmungsrechtlich ist es etwa ohne Belang, ob überhaupt und gegebenenfalls welche Vorzeiten die Aushilfskräfte bei anderen Stellen erfüllt haben (Beschluß vom 27. November 1991 – BVerwG 6 P 16.90 – a.a.O.). Umgekehrt muß sich die Gesamtdauer der Beschäftigung aus Beschäftigungsanlaß und arbeitsrechtlich erheblichen Erfordernissen herleiten, darf eine entsprechende Beschränkung nicht etwa von Überlegungen zu einer Umgehung eines bei bedarfsgerechter Beschäftigungsdauer gegebenen Mitbestimmungsrechts bestimmt sein. Die Vermutung muß also an die entsprechenden personalvertretungsrechtlichen Fallkonstellationen angepaßt werden.
Hiernach läßt sich zusammenfassen, daß die in den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 1991 aufgestellte Vermutung sich zwar an § 8 Abs. 1 SGB IV orientiert, jedoch gegenüber Abwandlungen aufgrund fallspezifischer und beteiligungsrechtlich erheblicher Wertungen offen ist. In diesen Entscheidungen ist nicht etwa zum Ausdruck gebracht worden, daß eine derartige Vermutung – für welche Fallkonstellationen auch immer – einzig und allein unter den genannten Voraussetzungen gerechtfertigt sei. Speziell dazu, unter welchen Voraussetzungen eine Vermutung für die Geringfügigkeit einer vorübergehenden Aufstockung der täglichen oder wöchentlichen Beschäftigungszeit besteht, hat sich das Bundesverwaltungsgericht bisher nicht geäußert. Insbesondere ist es nicht gerechtfertigt anzunehmen, daß mit der sonst vorausgesetzten – jedoch modifizierten – Anwendung des Kriteriums der nicht berufsmäßigen Ausübung eine Mitbestimmungsfreiheit wegen Geringfügigkeit für derartige Umwandlungsfälle gänzlich habe ausgeschlossen werden sollen.
Der Beschwerde ist zwar zuzugeben, daß eine wörtliche Übernahme der Kriterien des § 8 Abs. 1 SGB IV bei vorübergehenden Aufstockungen eines Teilzeitbeschäftigungsverhältnisses wegen der praktisch immer gegebenen berufsmäßigen Ausübung der Tätigkeit eine Mitbestimmungsfreiheit wegen Geringfügigkeit ausschließen würde. Eine derart wortgetreue Anwendung im Sinne einer gesetzlichen Vermutung ist jedoch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht angelegt. Den Ausführungen des Senats im Urteil vom 27. November 1991 – a.a.O. kann auch nicht sinngemäß die Anforderung entnommen werden, daß über den dort anhängigen Fall der Einstellung hinaus auch bei der kurzfristigen Aufstockung von Teilzeitbeschäftigungen die „Geringfügigkeit” dann ausgeschlossen sei, wenn der Beschäftigte seine bisherige berufsmäßige Tätigkeit dabei fortsetze. Anders als bei der Einstellung würde so nämlich die beabsichtigte Eingrenzung des Mitbestimmungstatbestandes völlig verfehlt, weil die Aufstockung generell an die bisherige Tätigkeit anschließt. Daß sie im Falle ihrer „Geringfügigkeit” dennoch nicht mitbestimmungspflichtig sein mag, hat der Senat in seiner bezeichneten Entscheidung nicht ausschließen wollen.
Daß eine andere Auslegung auch den beteiligungsrechtlichen Belangen nicht hinreichend gerecht würde, hat das Beschwerdegericht zutreffend und anschaulich dargelegt. Die in § 78 NdsPersVG a.F. geregelten Mitbestimmungsfälle lassen in ihrer Gesamtheit und den darin zum Ausdruck gekommenen Wertungen des Gesetzgebers nicht erkennen, daß in derartigen Fällen einer nur kurzfristigen und vorübergehenden einzelvertraglichen Aufstockung der Beschäftigungszeit Belange der übrigen Beschäftigten betroffen sein könnten, die von ihrem Anlaß und Gewicht her eines kollektivrechtlichen Schutzes bedürften.
Unterschriften
Niehues, Albers, Vogelgesang
Fundstellen